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21

Der Rückweg führte Mike nicht direkt an der Wohnung Helens vorüber. Man mußte einen ziemlich großen Umweg machen, wollte man dorthin. Trotzdem stand er vor ihrer Tür und klopfte. Er war sehr wenig erfreut, als er hörte, daß das junge Mädchen schon seit heute morgen um sieben Uhr fort sei. Knebworth machte in den South Downs Aufnahmen, und das Atelier war leer, als er dort vorsprach. Nur der Sekretär von Knebworth und der neue Dramaturg, der gestern spät abends gekommen war, waren anwesend.

»Ich kenne die Gegend nicht, wo gefilmt wird, Mr. Brixan«, sagte der Sekretär. »Aber ich vermute, daß es in der Nähe von Arundel ist. Miss Mendoza war heute morgen auch schon hier und hat ebenfalls danach gefragt. Sie wollte Miss Leamington zum Mittagessen abholen.«

»Das ist sehr interessant«, sagte Mike liebenswürdig. »Bestellen Sie ihr bitte von mir, wenn sie wiederkommen sollte, daß Miss Leamington schon eine andere Einladung angenommen hat.«

Der Sekretär nickte verständnisvoll.

»Ich hoffe, daß Sie nicht warten müssen«, sagte er. »Wenn Direktor Jack dabei ist, Aufnahmen zu machen, dann können Sie nie wissen –«

»Ich habe ja gar nicht gesagt, daß sie eine Verabredung mit mir hat«, sagte Mike laut.

»Mr. Brixan«, meinte der Sekretär plötzlich, »erinnern Sie sich, was Sie für Aufhebens von der Sache machten – ich meine wegen des Blattes, das zufälligerweise in das Manuskript von Miss Leamington gekommen war?«

Mike nickte.

»Ist das Manuskript gefunden worden?« fragte er.

»Nein, aber der neue Dramaturg erzählt mir, daß er das Hauptbuch durchgesehen hat, in das Foß alle eingesandten Manuskripte eintrug. Dabei stellte sich heraus, daß eine Eintragung wieder vollständig ausradiert worden ist.«

»Ich würde das Buch gerne sehen«, sagte Mike interessiert. Der große, schwere Band wurde ihm gebracht. In vielen Rubriken waren der Name des Einsenders, seine Adresse, das Datum des Eingangs und des Ausgangs notiert. Mike legte das Buch auf den Tisch in dem Büro des Direktors. Sorgfältig las er die langen Reihen der Autoren durch. »Wenn er ein Manuskript eingesandt hat, wird er sicherlich noch mehrere gesandt haben«, sagte er. »Sind noch andere Titel entfernt?«

Der Sekretär schüttelte den Kopf.

»Das ist die einzige Stelle, die wir gefunden haben«, sagte er. »Sie können viele Namen hier aus dem Ort finden. Es gibt keinen Kaufmann in der ganzen Stadt, der nicht mindestens ein Manuskript oder einen Entwurf eingesandt hätte, seitdem wir hier Filmaufnahmen machen.«

Langsam verfolgte Mike die Liste der Namen mit seinem Finger. Seite um Seite drehte er um, dann hielt er plötzlich bei einer Eintragung an. »Die Macht der Furcht, von Sir Gregory Penne« las er. Dabei sah er sich nach dem Sekretär um.

»Hat denn Sir Gregory Manuskripte eingeschickt?«

Der Sekretär nickte.

»Ja, ein oder zwei. Sie finden seinen Namen auch noch weiter hinten im Buch. Er wollte Filme schreiben, die sich für Miss Mendoza eignen sollten. Der hier kommt für Sie nicht in Frage.«

»Nein«, sagte Mike schnell. »Aber haben Sie noch eins von seinen Manuskripten?«

»Sie wurden alle zurückgeschickt«, sagte der Sekretär bedauernd. »Er schrieb viel zuviel! Ich habe eins gelesen und kann mich noch besinnen, daß Foß den Direktor zu überreden versuchte, einen Entwurf von ihm auszuführen. Foß hat viel Geld aus dieser Beschäftigung gezogen. Wir haben es erst später entdeckt. Er war daran gewöhnt, daß er Prozente von den Autoren bekam. Mr. Knebworth hat heute morgen festgestellt, daß er einmal zweihundert Pfund von einer Dame annahm und dafür versprach, ihr ein Engagement beim Film zu verschaffen. Er hat Foß heute morgen deswegen einen wütenden Brief geschrieben.«

Mike fand den Namen von Sir Gregory noch einmal. Es war nichts Besonderes dabei, daß der Besitzer von Griff Towers Manuskripte einschickte. Es gab kaum einen Mann oder eine Frau auf der Welt, die sich nicht für fähig hielten, ein Expose für einen Film zu schreiben.

Er schloß das Buch und gab es dem Sekretär zurück.

»Es ist sicher äußerst auffällig, daß die eine Eintragung entfernt wurde. Ich werde mit Foß darüber sprechen, sobald ich ihn finden kann«, sagte Mike.

Er begab sich sofort zu dem kleinen Hotel, in dem Foß wohnte. Aber er traf ihn nicht an.

»Ich glaube nicht, daß er die letzte Nacht hier war«, sagte der Geschäftsführer, »wenigstens hat er nicht hier geschlafen. Er sagte, daß er nach London gehen wolle«, fügte er hinzu.

Mike kehrte zum Atelier zurück, denn es hatte zu regnen begonnen, und er wußte, daß die ganze Gesellschaft bald von der Aufnahme zurückkommen würde. Mit dieser Annahme hatte er recht. Der große Autobus kam einige Minuten später in den Hof gefahren. Helen sah ihn gleich und nickte ihm zu, als er sie zu sich rief.

»Ich danke Ihnen, Mr. Brixan, aber wir haben bereits draußen unser Mittagessen verzehrt. Und ich muß bis morgen noch zwei große Szenen vorbereiten.«

Ihre Absage war nicht sehr ermutigend, aber Mike wollte sich mit. ihrer abschlägigen Antwort nicht einfach zufriedengeben.

»Wie steht es denn mit dem Tee? Tee müssen Sie doch trinken, selbst wenn Sie fünfzig Szenen bis morgen studieren müßten, und beim Essen können Sie doch nicht lesen. Wenn Sie das tun, werden Sie Magenbeschwerden bekommen, und wenn Sie Magenbeschwerden bekommen –«

Sie mußte herzlich lachen.

»Wenn meine Wirtin mir ihren Salon zur Verfügung stellt, dann können Sie um halb fünf zu mir zum Tee kommen, und wenn Sie um fünf Uhr bereits eine andere Verabredung haben, werden Sie noch zurechtkommen.«

Jack Knebworth wartete auf ihn, als er in das Atelier kam.

»Haben Sie schon von dem Verschwinden der Eintragung im Hauptbuch gehört?« fragte er.

Mike nickte.

»Was halten Sie davon?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Da steckt irgend etwas dahinter. Foß war ein unverbesserlicher Lügner. Der Mensch konnte einem nicht offen in die Augen sehen. Ich habe sowieso noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen wegen einer Summe, die er einer filmwütigen Dame abgenommen hat, die durchaus hier auftreten wollte.«

»Wie geht es mit Helen?« fragte Mike.

»Oh, die ist wunderbar, Brixan! So etwas kommt sonst im gewöhnlichen Leben nie vor. Die einzigen Filmstars, die über Nacht auftauchen, sind die Freundinnen bis über die Ohren verliebter Filmdirektoren. Sie haben ihnen einmal in einer schwachen Stunde ein Versprechen gegeben, und das muß eingelöst werden. Die Dame spielt dann mit der Unterstützung von sechshundert Statisten und in so vielen prachtvollen Kostümen, wie man sie für eine halbe Million Dollar bekommen kann, eine Königin von Persien oder eine Semiramis mit den Allüren einer Statistin, die eben erst zum Film gekommen ist oder mit den Manieren eines trainierten Mannequins. Außerdem wird der Film dann noch ohne Rücksicht auf Kosten mit zwei Wagenrennen und dem Fall von Babylon aufgeputzt! Entweder hat sie dann so wenig Kleider an, daß Sie nicht auf ihr Gesicht sehen, oder sie hat so viele an, daß Sie nichts von ihrem Spiel wahrnehmen. So etwas soll ja öfters vorkommen. Es ist so viel Glanz um diese Damen herum, daß es gar nichts ausmacht, wenn sie selbst fehlen würden. Diese Helen Leamington dagegen spielt hinreißend und überzeugend, selbst wenn sie das einfachste Bettlerkleid trägt. Aber ich sage Ihnen, Brixan, irgend etwas stimmt dabei nicht. Solche Dinge ereignen sich höchstens in der Phantasie von Journalisten.«

»Was soll denn nicht stimmen?« fragte Mike verwundert.

Knebworth blieb dabei.

»Irgend etwas geht schief. Die Sache hat irgendeinen Haken. Sie läßt mich noch im Stich. Entweder verschwindet sie, bevor der Film zu Ende gedreht ist, oder sie wird mir verhaftet, weil sie in vollständig betrunkenem Zustand in einem Auto die Regent Street entlanggefahren ist!«

Mike lachte.

»Nichts von alledem wird passieren!« sagte er.

»Haben Sie schon von der neuen Filmgesellschaft der Mendoza gehört?« fragte Jack, indem er seine Pfeife stopfte.

Mike zog sich einen Stuhl heran und setzte sich.

»Nein, davon habe ich noch nichts gehört.«

»Sie will tatsächlich eine neue Filmgesellschaft gründen. Ich habe noch niemals eine Diva entlassen, die das nicht getan hätte. Auf dem Papier macht sich das immer sehr schön. Das Kapital wird groß gedruckt und der Name des Stars noch größer! Ihre Freunde haben ihr vorher immer erzählt, daß ein Gehalt von Hunderttausend der reinste Hungerlohn für eine Schauspielerin ihres Ranges und ihrer Begabung sei. Die müssen dann das Geld zur Gründung geben. Gewöhnlich ist dann noch jemand im Hintergrund, der aus der Sache einen Profit zieht und einen Direktorposten bei der Gesellschaft einnimmt. Der steckt dann das Geld ein, und sie sucht sich ein Manuskript aus, wo sie immer zu sehen ist und womöglich in jeder Szene ein neues, kostbares Kleid tragen kann. Wenn solch ein Manuskript nicht zur Hand ist, so findet sich schon jemand, der es für sie schreibt. Die anderen Mitspieler sehen Sie nur in großen Massenszenen auftauchen. Wenn der Film halb zu Ende gedreht ist, fehlt schon das Geld, die Gesellschaft ist bankrott, und dem Star bleibt nur ein Rolls-Royce, den er extra gekauft hat, um zu den Aufnahmen zu fahren. Vielleicht auch die neue Villa, die er sich bauen ließ, um näher zur Stelle zu sein, und eventuell ein Viertel des ganzen Kapitals, das er schon auf Grund seiner späteren Tantiemen vorausbezahlt bekommen hat. – Kommen Sie herein, Mr. Longvale.«

Mike drehte sich um. Der liebenswürdige alte Herr stand in der Tür, den Hut in der Hand.

»Ich fürchte, daß ich störe«, sagte er mit seiner schönen, klangvollen Stimme. »Aber ich war in der Stadt, um meinen Rechtsanwalt zu befragen, und konnte mir nicht versagen, mich bei Ihnen zu erkundigen, wie es mit Ihrem Film vorwärtsgeht.«

»Oh, ich danke Ihnen, Mr. Longvale. Damit steht es ausgezeichnet. Sie kennen doch Mr. Brixan?«

»Weswegen wollten Sie denn zu Ihrem Rechtsanwalt?« fragte Mike.

»Das ist eine sonderbare Sache«, antwortete der alte Herr. »Vor vielen Jahren habe ich einmal Medizin studiert und habe auch mein Schlußexamen gemacht, so daß ich mit Fug und Recht ein Doktor bin. Ich habe aber dann nicht lange praktiziert. Im allgemeinen weiß kein Mensch, daß ich ein Arzt bin. Gestern abend war ich sehr überrascht, daß jemand – ein Nachbar – mich rief, um nach einem seiner Dienstboten zu sehen. Nun habe ich mir große Gedanken darüber gemacht und war mir nicht sicher, ob ich das Gesetz übertreten habe, indem ich zu ihm ging.«

»Da kann ich Ihnen helfen, Mr. Longvale«, sagte Mike. »Wenn Sie nur ein einziges Mal die Befugnis erhalten haben, zu praktizieren, so gilt das für Ihr ganzes Leben. Sie haben nichts Unrechtes getan.«

»Das hat mein Anwalt auch gesagt«, sagte Longvale ernst.

»War es ein schwerer Fall?« fragte Mike, der sich denken konnte, wer der Patient war.

»Nein, das nicht. Zuerst dachte ich, es könnte Blutvergiftung sein, aber ich habe mich wahrscheinlich geirrt. Die medizinische Wissenschaft hat seit der Zeit, als ich jung war, so große Fortschritte gemacht, daß ich nicht gerne irgend etwas verschreibe. Und obgleich ich sehr glücklich bin, jemandem geholfen zuhaben, muß ich doch sagen, daß mich die Angelegenheit sehr bedrückt hat. Ich habe fast die ganze Nacht nicht geschlafen. Es war aber auch am ganzen Abend und in der Nacht keine Ruhe. Als ich hinten durch den Garten ging, fand ich dort ein Motorrad in den Sträuchern versteckt.«

Mike hätte beinahe gelacht.

»Heute morgen war es wieder fort. Nachdem ich das Motorrad entdeckt hatte, kam unser Freund Foß vorbei, der sehr verstört und aufgeregt schien.«

»Wo haben Sie ihn gesehen?« fragte Mike schnell.

»Er kam an meinem Haus vorbei. Ich stand im Tor, rauchte meine Pfeife und sagte ihm guten Abend, ohne daß ich wußte, wer es war. Als er sich umdrehte, sah ich das Gesicht von Mr. Foß. Er sagte mir, daß er eben jemand aufgesucht hätte und daß er in einer Stunde noch eine andere Verabredung habe.«

»Um wieviel Uhr war das?« fragte Mike.

»Ich glaube halb elf.« Der alte Herr zögerte. »Ich bin nicht ganz sicher. Es war kurz bevor ich mich schlafen legte.«

Mike hätte leicht Aufschluß geben können über Foß' Betragen. Ihm war es ganz klar. Sir Gregory hatte ihn fortgeschickt und ihm gesagt, daß er wieder zurückkommen solle, nachdem die Mendoza gegangen war.

»Sonst ist mein Anwesen wegen seiner ruhigen Lage bekannt«, sagte Mr. Longvale und schüttelte den Kopf. Er wandte sich dann an Knebworth: »Sie müssen mir versprechen, wenn Ihr Film fertig ist, ihn mir zu zeigen.«

»Aber gewiß, Mr. Longvale.«

»Ich weiß nicht, warum ich gerade daran ein solches Interesse habe«, sagte er. »Ich muß selbst sagen, daß ich bis vor ein paar Wochen überhaupt noch nichts von Filmaufnahmen verstand.«

Der Sekretär klopfte, sah zur Tür herein und fragte: »Wollen Sie Miss Mendoza sprechen?«

Jack Knebworth war äußerst aufgebracht.

»Nein«, sagte er kurz.

»Sie sagte –«, begann der Sekretär.

Nur die Gegenwart des ehrenwerten Mr. Longvale hinderte Jack daran, seinem Ärger über Stella Mendoza in Worten Luft zu machen, wie er es sonst getan hätte.

»Ich habe sie gestern auch gesehen«, sagte Mr. Longvale. »Zuerst dachte ich, Sie machten Aufnahmen in der Nachbarschaft, aber Mr. Foß sagte mir, daß ich mich irre. Sie ist wirklich ein charmantes junges Mädchen. Finden Sie nicht auch?«

»Sicher«, meinte Jack Knebworth trocken.

»Sie sieht sehr lieblich aus«, fuhr Longvale fort. Er wußte nicht, wie sehr die Stimmung der anderen gegen sie war. »Das übereilte Tempo und die schreckliche Eile unserer modernen Zeit lassen Lieblichkeit und Zartheit nicht mehr aufkommen, und man ist sehr froh, wenn man einmal wirkliche Anmut findet. Für mich ist die letzte rapide Entwicklung die interessanteste Zeit meines Lebens.«

»Lieblich und zart«, brummte Jack Knebworth, als der alte Herr gegangen war. »Haben Sie das gehört, Brixan? Wenn Stella in ihrem Charakter lieblich und zart ist, dann ist der Teufel aus Schokolade gemacht!«


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