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6

Helen schwieg lange Zeit. Der Unwille, daß er ihr seine Gesellschaft aufgezwungen hatte, und eine Nervosität, wie die Probe ausfallen würde, machten ihr eine Unterhaltung unmöglich. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto größer wurde ihre Unruhe.

»Wie ich sehe, kommt Mr. Lawley Foß auch mit«, sagte Mike, indem er sich umsah und krampfhaft eine Unterhaltung anfangen wollte.

»Er geht immer mit, wenn wir Außenaufnahmen machen«, sagte sie kurz. »Manchmal muß ein Manuskript während der Aufnahme geändert werden.«

»Wo fahren wir hin?« fragte er.

»Zuerst nach Griff Towers«, entgegnete sie. Es wurde ihr schwer, unhöflich zu sein. »Es ist eine große Besitzung, die Sir Gregory Penne gehört.«

»Ich dachte, wir führen nach Dower House.«

Sie sah ihn mit Stirnrunzeln an. »Warum fragen Sie denn, wenn Sie es besser wissen?« entgegnete sie mit einer gewissen Schärfe.

»Weil ich Sie gern sprechen höre«, sagte er ruhig. »Sir Gregory Penne – ich glaube den Namen zu kennen.«

Sie antwortete nicht.

»War er nicht früher lange Jahre in Borneo?«

»Er ist unausstehlich«, sagte sie heftig. »Ich hasse ihn.«

Sie gab Mike keinen näheren Grund dafür an, und er wollte sie nicht durch Fragen verletzen. Aber plötzlich fuhr sie fort:

»Zweimal war ich dort. Er hat einen sehr schönen Park, in dem Mr. Knebworth schon öfters Aufnahmen gemacht hat. Damals kam ich als Statistin mit und hatte nur in der großen Masse zu spielen. Ich wollte, ich wäre noch viel weniger aufgefallen. Er ist ein großer Schürzenjäger und besonders hinter Schauspielerinnen her. Damit will ich nicht behaupten, daß ich eine Schauspielerin bin«, fügte sie hastig hinzu. »Aber ich meine damit Leute, deren Beruf es ist, zu spielen. Gott sei Dank wird nur eine Szene in Griff Towers gedreht. Hoffentlich ist er nicht zu Hause – aber das ist unwahrscheinlich, denn er ist immer daheim, wenn, ich dorthin muß.«

Mike sah sie von der Seite an. Der erste Eindruck, den er von ihrer Schönheit hatte, wurde wesentlich verstärkt. Ihre ernsten, großen, schönen Augen gefielen ihm. Er ahnte ihre Haltung gegenüber, den Huldigungen des Sir Gregory, obwohl er ihn bisher nicht kannte.

»Es ist doch merkwürdig, daß alle Barone in Filmen und Romanen Bösewichter sind«, sagte er. »Aber alle, die ich in Wirklichkeit kennenlernte, waren meist Leute von sehr ehrenwertem Charakter. Aber ich falle Ihnen auf die Nerven, weil ich mich Ihnen aufgedrängt habe?« fragte er, indem er seine Stimme zu einem Flüstern dämpfte.

Sie schaute ihn groß an.

»Das kann man wohl sagen«, entgegnete sie frei heraus. »Mr. Brixan, heute ist die große Chance meines Lebens. Solch eine Gelegenheit kommt vielleicht nie wieder. Ich hielt es nicht für möglich. Derartige Glücksfälle finden sich sonst nur in Romanen. Sie werden verstehen, daß für mich alles davon abhängt, wie es heute ausgeht. Sie können sich vielleicht vorstellen, daß mich Ihre Gegenwart dabei nervös macht. Aber noch viel mehr verwirrt es mich, daß die erste Szene, in der ich auftrete, in Griff Towers spielt. Mir ist der Platz so furchtbar verhaßt«, sagte sie aufgebracht. »Dieses große, düstere Haus mit den vielen Tigerfellen und den schrecklichen Schwertern an den Wänden –«

»Schwerter?« fragte er schnell. »Was meinen Sie damit?«

»Die ganzen Wände hängen voll. Es sind alles Waffen aus dem Fernen Osten. Ich zittere, wenn ich sie nur sehe. Aber Sir Gregory hat seine Freude an ihnen. Er erzählte Mr. Knebworth bei unserer letzten Anwesenheit, daß die Klingen noch scharf seien, als ob sie eben erst aus der Hand des Waffenschmiedes kämen – und manche von ihnen sind über dreihundert Jahre alt. Sir Gregory ist ein außergewöhnlicher Mann, er kann zum Beispiel einen Apfel, den Sie in der Hand halten, mit einem Säbel in zwei Hälften spalten, ohne daß Sie auch nur im mindesten verletzt werden. Das ist eine seiner Spezialitäten. – Dort liegt das Haus.«

Es kam jetzt in Sicht.

»Mir wird schon übel, wenn ich es nur sehe.«

Griff Towers war eines jener düsteren Gebäude, wie sie die Architekten in der ersten Zeit der Regierung der Königin Viktoria zu bauen pflegten. Ein großer grauer Turm auf dem linken Flügel machte die Fassade unsymmetrisch. Aber selbst diese malerische Anlage konnte die langweilige Kastenform der Vorderfront nicht verdecken. Das Haus machte einen kahlen Eindruck, und nirgends rankten sich Schlinggewächse an den Wänden hoch. Es stand auf einem großen Platz, der mit gelbem Schotter bedeckt war, was den nüchternen Eindruck noch verstärkte.

»Es sieht beinahe wie eine Kaserne aus, mit einem kleinen Exerzierplatz davor«, sagte Mike.

Der Wagen fuhr durch das Parktor und hielt mitten auf der Zufahrtsstraße. Die Gartenanlagen befanden sich offenbar auf der Rückseite des Gebäudes, denn diese langweilige vordere Fassade hätte wohl keinen Filmmann anzuziehen vermocht.

Mike stieg aus. Jack Knebworth ordnete bereits das Abladen der Kameras und Scheinwerfer an. Hinter dem Bus kam der Dynamowagen mit den drei großen Jupiterlampen, die das Tageslicht noch verstärken sollten.

»Sie sind ja auch schon wieder auf der Bildfläche«, brummte Jack. »Ich wäre Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, Mr. Brixan, wenn Sie mir nicht im Wege stehen würden. Ich habe heute noch ein schweres Stück Arbeit vor mir.«

»Könnten Sie mich nicht als Statisten einstellen?« fragte Mike.

Jack machte ein unwilliges Gesicht.

»Was haben Sie denn vor?« fragte er argwöhnisch.

»Ich habe einen besonderen Plan. Es würde mir sehr nützen, wenn Sie es mir erlaubten. Ich verspreche Ihnen auch, daß ich nichts unternehme, was Sie im mindesten stören könnte, Mr. Knebworth. Ich muß heute hier zur Stelle sein, und es würde auffallen, wenn meine Anwesenheit nicht durch die Teilnahme am Spiel motiviert wäre.«

Jack Knebworth biß sich auf die Lippen, fuhr mit der Hand über sein glattrasiertes Gesicht und schaute düster drein.

»Meinetwegen können Sie dableiben«, sagte er dann nicht gerade sehr erfreut. »Mag sein, daß Sie gleich mitmachen können – aber gewöhnlich, habe ich große Mühe, einem Amateur klarzumachen, worum es sich handelt.«

Zu der Gesellschaft gehörte auch ein schlanker junger Mann. Er sah hübsch aus und trug das Haar glatt aus der Stirn nach hinten zurückgekämmt. Auf der Herfahrt saß er an der linken Seite Helens und hatte die ganze Zeit über kein Wort gesprochen. Jetzt schlenderte er, die Hände in den Hosentaschen, zu dem Direktor und fragte ihn vorwurfsvoll:

»Mr. Knebworth, wer ist eigentlich dieser Mensch?«

»Welcher Mensch?« fragte Jack, der alle Hände voll zu tun hatte. »Meinen Sie etwa Brixan? Er ist ein Statist.«

»Ach so, ein Statist!« sagte der junge Mann von oben herab. »Es ist etwas Fürchterliches, wenn sich solche Leute mit den Prominenten auf gleiche Stufe stellen. Und diese Leamington, die wird uns noch den ganzen Film verderben, darauf können Sie sich fest verlassen!«

»Wirklich?« knurrte Mr. Knebworth. »Hören Sie, Mr. Connolly, ich bin von Ihrem Spiel nicht so begeistert, daß ich mir solche Bemerkungen von Ihnen gefallen lasse, daß mir eine Statistin den Film verdirbt.«

»Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie eine Statistin zur Partnerin gehabt, verdammt noch einmal!«

»Sie kommen sich jetzt wohl verlassen vor?« brummte Jack und ließ sich beim Entladen und Auspacken nicht stören.

»Mr. Knebworth, die Mendoza ist eine erstklassige Künstlerin –« begann der junge Mann wieder. Der Direktor richtete sich hoch auf und sah ihn von oben bis unten an.

»Machen Sie, daß Sie fortkommen und warten Sie, bis ich Sie rufe«, sagte er scharf. »Wenn ich Ihren Rat brauche, werde ich Sie darum fragen. Im Moment sind Sie mir hier zuviel. Sie sind überall besser am Platz als gerade hier.«

Reggy Connolly zuckte verärgert die Schultern und entfernte sich. Er war fest davon überzeugt, daß dieser Film ein böser Mißerfolg werden würde, aber er lehnte jede Verantwortung ab – er hatte ja den Direktor gewarnt.

 

In dem großen Torweg von Griff Towers stand Gregory Penne und betrachtete aufmerksam die ganze Gesellschaft. Er war ein starker, untersetzter Mann von dunkler Farbe. Sein großer Appetit und der Aufenthalt in Borneo waren schuld daran. Viele Runzeln und Falten durchzogen sein von Tropensonne und Rauschgiften zerstörtes Gesicht. Die zusammengekniffenen Augenlider markierten sich nur als zwei waagerechte Striche. Nur das runde, weiche, fast frauenhafte Kinn hatte seine ursprüngliche Form behalten.

Mike folgte ihm mit seinen Blicken, als er auf sie zuging, und vermutete, daß er Sir Gregory vor sich hatte. Er trug einen auffällig karierten Golfanzug von rötlicher Färbung; eine Mütze aus demselben Stoff hatte er tief ins Gesicht gezogen. Jetzt nahm er die Zigarre aus seinem Mund und drehte mit einer schnellen, eckigen Bewegung die Enden seines Schnurrbartes in die Höhe.

»Guten Morgen, Knebworth!« rief er. Seine Stimme war rauh und hart. Niemals hatte ein Lachen ihren barschen Ton gemildert.

»Guten Morgen, Sir Gregory!« Der alte Knebworth trennte sich von seinen Leuten. »Es tut mir leid, daß ich so spät komme.«

»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, sagte der andere. »Ich dachte mir nur, Sie würden früher mit den Aufnahmen anfangen. Haben Sie mein kleines Mädel mitgebracht?«

»Ihr kleines Mädel?« Jack sah ihn verständnislos an. »Meinen Sie die Mendoza? Nein, die kommt heute nicht.«

»Nein, nicht die Mendoza. Ich sehe sie schon – die dunkle da. Aber nichts für ungut, ich habe nur einen Spaß gemacht.«

Wer, zum Donnerwetter, sollte denn bloß das kleine Mädel sein? dachte Jack. Er konnte ja nicht wissen, welche unangenehmen Erfahrungen eine seiner Statistinnen früher hier machen mußte. Das Rätsel sollte sich aber bald lösen, denn der Baron ging langsam zu Helen Leamington, die eifrig in ihrem Manuskript las.

»Guten Morgen, hübsches Fräulein«, sagte er. Dabei hob er seine Kappe kaum einen halben Zentimeter in die Höhe.

»Guten Morgen, Sir Gregory«, sagte sie kühl.

»Sie haben Ihr Versprechen nicht gehalten?« er schüttelte den Kopf. »Ja, die Weiber!«

»Ich könnte mich nicht erinnern, Ihnen ein Versprechen gegeben zu haben«, sagte das Mädchen ruhig. »Sie luden mich zum Abendbrot ein, aber ich sagte Ihnen, daß ich auf keinen Fall kommen würde.«

»Ich wollte Ihnen doch meinen Wagen schickten, damit Sie nicht die Entschuldigung hätten, daß der Weg zu weit für Sie wäre. Aber das macht nichts – macht gar nichts.«

Mike war wütend, als er sah, wie er Helen in den Arm kniff. Gregory wollte sich als väterlicher Freund aufspielen, aber das Mädchen fühlte sich dadurch abgestoßen und beleidigt.

Mit einem Ruck machte sie ihren Arm frei, drehte dem aufdringlichen Menschen den Rücken und ging zu Jack Knebworth hinüber. Sie fragte ihn, ob er ihr helfen könne, eine Zeile zu lesen, obwohl diese ganz klar geschrieben war. Der alte Jack wußte Bescheid. Er hatte alles, was vorging, unter seinen fast geschlossenen Augenlidern beobachtet.

Das soll das letzte Mal sein, daß wir in Griff Towers Aufnahmen machen, sagte er zu sich.

Jack Knebworth hielt sehr auf guten Ton und anständiges Betragen, und seine Ansichten über Frauen waren denen Gregory Pennes gerade entgegengesetzt.


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