Edgar Wallace
Großfuß
Edgar Wallace

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13

Super hatte eine Gabe, die allen großen Männern eigen ist: Er konnte an den unmöglichsten Stellen und in beliebigen Zwischenräumen schlafen. Wenn er in dem Zug, der ihn auf sein Revier brachte, etwas schlief und später in seinem Bürosessel noch zwei Stunden mit geschlossenen Augen döste, dann hatte er genügend Ruhe gehabt.

Die Glocken läuteten zum Abendgottesdienst, als er Lattimer zu sich rief, der ihm ein wenig hohläugig und offensichtlich sehr müde mit einem unterdrückten Gähnen zuhörte.

Der ruhige Lattimer war ein großer, kräftiger Mann. Phantasievolle junge Frauen bezeichneten ihn als distinguiert. Das frühzeitige Grau an seinen Schläfen, die melancholische Nase und ein festes, hartes Kinn machten ihn interessant.

Super schaute scharf über seine Brillengläser, als sein Untergebener eintrat.

»Ich habe soeben mit Mr. Ferraby telefoniert. Irgend jemand bombardiert Ihren Onkel mit Gärtnerwaren, Eiern, Fliederbüschen – ich will wetten, daß es das erstemal ist, daß ihm jemand Blumen schickt.« Er sagte aber nichts von dem Diner im Ritz-Carlton.

»Ich hoffe, daß einige der Wurfgeschosse das Ziel erreichen«, sagte Lattimer böse. »Er ist ein scheinheiliger, alter Mensch, hochnäsig wie ein Herzog und hat soviel menschliches Gefühl wie ein Küchenofen.«

»Er scheint ein netter Kerl zu sein«, sagte Super vergnügt. »Was ich noch sagen wollte!« fügte er plötzlich hinzu. »Elson ist zurück! Er kam kurz vor sechs nach Hill Brow. Sein Wagen ist mit Schmutz bedeckt, der eine seiner Scheinwerfer und die beiden vorderen Kotflügel sind eingedrückt.«

Eine lange Pause entstand.

»Ich dachte, daß es am besten wäre, wenn ich einmal nach ihm sehe«, sagte Super und schaute dabei aus dem Fenster. »Wenn der umsichtige und schlaue Beamte, den ich auf Wachtposten bei dem Hause aufgestellt habe, nur soviel Verstand gehabt hätte wie eine Mücke, dann hätte er ihn schon längst verhaftet wegen zu schnellen Fahrens oder Fahrens in betrunkenem Zustande oder sonst etwas und hätte ihn hinter Schloß und Riegel gebracht. Am liebsten habe ich einen Kerl verhaftet, bevor ich ihn ausfrage. Das ist der alte, solide Weg. Aber euch Jüngeren ist das ja nicht recht.«

Er seufzte und erhob sich.

»Ich will jetzt schnell nach Hill Brow. Sie bleiben im Büro und achten auf jede Nachricht, die aus Pawsey kommt. Mir ist die Aufklärung des Falles von Amts wegen übertragen worden. Ich habe es gerade vor zwei Stunden vom Kommissar erfahren. Berichten Sie dem aufgeblasenen Inspektor von Pawsey recht höflich, daß er in dieser Angelegenheit nichts zu sagen hat.«

Super fuhr auf seinem alten Motorrad nach Hill Brow. Er war erstaunt, als Elsons Diener die Tür öffnete und ihn einlud näher zu treten.

»Mr. Elson erwartet Sie, ich werde Ihnen den Weg zu seinem Zimmer zeigen.«

Sie stiegen die breite, eichene Treppe empor und gingen dann über einen Korridor, der mit roten Teppichen ausgelegt war, zu einem Zimmer, das am Ende des Ganges lag. Der Raum war als Wohnzimmer möbliert. Man konnte von hier aus weit das Land überschauen, ebenso die Fahrstraße, auf der sich etwaige Besucher dem Hause nähern mußten.

Elson hockte zusammengekauert in böser Stimmung in einem Lehnsessel. Er war unrasiert, und seine Schuhe waren dick mit Straßenkot bedeckt. Auch wurde sein unangenehmes Äußeres durch ein langes Wundpflaster nicht gehoben, das von der Schläfe bis zum Kinn reichte. Als Super den Raum betrat, hielt Elson ein großes Glas in der Hand, das halb gefüllt war. Eine offene Whiskyflasche stand in Reichweite auf dem Tisch vor ihm.

»Treten Sie näher, Minter«, sagte er mit unsicherer Stimme. »Ich möchte Sie gerne sprechen. Was ist das für eine Geschichte, daß Hanna Shaw ermordet worden sein soll? Ich habe in den Sonntagszeitungen gesehen . . .«

»Wenn es in der Sonntagszeitung stand, dann möchte ich den Mann kennenlernen, der es schrieb«, meinte Super ruhig. »Wir haben den Mord erst heute morgen entdeckt.«

»Ich habe es aber irgendwo gelesen . . . möglich auch, daß ich davon gehört habe«, sagte Elson und wies mit zitternder Hand auf einen Stuhl. »Nehmen Sie doch bitte Platz, ich werde Ihnen einen Whisky einschenken.«

»Ich bin Abstinenzler von Geburt«, sagte Super. »Da es also nicht in der Sonntagszeitung stand, müssen Sie es irgendwo gehört haben.«

»Dann muß es in den späteren Ausgaben der Sonntagszeitungen gestanden haben. Ich sah es in London«, sagte Elson hartnäckig. »Was hat das zu bedeuten? Sie glauben doch nicht, daß ich irgend etwas davon weiß?«

Argwohn klang aus seinen Worten. Super schüttelte den Kopf.

»Der letzte, von dem ich annahm, daß er etwas wisse, sind Sie, Mr. Elson. Sie haben Hanna Shaw doch kaum gekannt. Oder kannten Sie sie doch?«

Elson zögerte.

»Ich habe sie in Cardews Haus gesehen, das ist alles.«

»Möglicherweise kam sie auch ein- oder zweimal hierher«, meinte Super fast entschuldigend nebenbei. »Haushälterinnen gehen manchmal in die Nachbarschaft, um Dinge zu leihen, die ihnen fehlen. Ich wette, sie ist ein- oder zweimal hier gewesen.«

»Ja, das mag sein«, gab Elson zu. »Wie ist denn die Sache eigentlich passiert?«

»Also sie war ein- oder zweimal hier – nicht wahr? Sie war doch hier?« fragte Super hartnäckig. »Ich kann mich auch erinnern, daß ich sie gesehen habe, als sie aus der Haustür kam – vielleicht kam sie aus Ihrem Zimmer . . . ich kann mich auf Einzelheiten schlecht besinnen.«

»Sie kam einmal her, um mich zu fragen –« Wieder zögerte er. »Sie hatte eine Frage wegen einer geschäftlichen Angelegenheit. Das war das einzige Mal, daß sie hier war. Und wenn einer von den verdammten Dienstboten sagt, daß sie öfter hier war, dann lügt er.«

»Ich habe nicht mit den Dienstboten gesprochen«, sagte Super beleidigt. »Ich bespreche Angelegenheiten der Herrschaften niemals mit Dienstboten. Also sie war hergekommen, um eine geschäftliche Angelegenheit mit Ihnen zu besprechen. Was für eine Angelegenheit war denn das?«

»Eine Privatangelegenheit«, sagte Elson kurz und trank mit einem Zug den Rest seines Whiskyglases aus. »Wo wurde sie ermordet?«

»Ja, wo wurde sie ermordet! Da drunten in Pawsey. Sie wollte das Wochenende dort zubringen – und wurde ermordet.«

»Wie – wie kam denn das?«

»Ich glaube, sie wurde erschossen.« Super zog die Stirne kraus, als ob es ihn eine unendliche Anstrengung koste, sich auf irgend etwas zu besinnen. »Ja, jetzt bin ich sicher, sie wurde erschossen.«

»Im Hause?« fragte Elson schnell.

»Ja, in einer Art Sommervilla, die Cardew gehört. Kennen Sie das Haus?«

Elson feuchtete seine trockenen Lippen an.

»Ja, ich kenne es«, antwortete er kurz. Dann sprang er zu Supers Erstaunen auf und legte die zusammengepreßten Hände auf den Fenstergriff. »Zum Donnerwetter, hätte ich nur gewußt . . .«

Er hielt plötzlich inne, als ob ihm bewußt würde, daß der Detektiv ihn aufmerksam beobachtete.

»Ja, sicher hätte es einen großen Unterschied gemacht, wenn Sie gewußt hätten«, sagte Super mitfühlend. »Wenn Sie nur gewußt hätten – nämlich was?«

»Nichts«, sagte Elson aufgeregt. »Sehen Sie auf meine Hand.«

Er streckte seine große Hand aus, die wie ein Baumblatt zitterte. »Es hat mich mitgenommen . . . erschossen wie ein toller Hund!« Er ging in dem Zimmer auf und ab, faltete die Hände aufgeregt zusammen und riß sie wieder auseinander.

»Wenn ich es nur gewußt hätte!« sagte er heiser.

»Wo waren Sie die letzte Nacht?«

Super stellte diese Frage ohne irgendwelche Betonung.

»Ich?« Elson drehte sich plötzlich um. »Ich weiß es nicht. Soviel ich mich besinnen kann, war ich betrunken. Manchmal passiert mir das. Ich schlief irgendwo . . . War es Oxford? Eine Menge Studenten mit Kappen wanderten in den Straßen herum. Ja, ich glaube, es war Oxford.«

»Warum fuhren Sie nach Oxford?«

»Ich weiß es nicht . . . ich fuhr einfach hin . . . ich mußte irgendwohin fahren . . . Ach Gott, wie ich dieses Land hasse! Ich würde diese Hand geben und die andere dazu und zwei Drittel meines Vermögens, wenn ich nach St. Paul zurückgehen könnte.«

»Warum gehen Sie denn nicht zurück?« fragte Super ruhig.

Elson schaute ihn wütend an.

»Weil es mir nicht paßt«, sagte er rauh.

Super zupfte an seinem kleinen, grauen Schnurrbart.

»In welchem Hotel mögen Sie wohl in Oxford logiert haben?«

Elson stellte sich breitspurig vor ihn hin.

»Was wollen Sie eigentlich?« fragte er. »Glauben Sie denn, ich weiß irgend etwas darüber, wie Hanna Shaw erschossen worden ist? Ich sagte Ihnen doch, ich war in Oxford, mag auch sein in Cambridge. Ich habe den Weg verloren und bin über ein großes Heideland gefahren. Da ist doch eine große Rennbahn – Market oder so ähnlich –«

»New Market«, nickte Super. »Sie waren also in Cambridge.«

»Meinetwegen Cambridge.«

»Sie sind also in einem schönen, großen Hotel abgestiegen und haben dort Ihren Namen eingeschrieben? Nicht wahr, Mr. Elson?«

»Möglich, daß ich das getan habe – darauf kann ich mich nicht besinnen. Wie wurde sie denn ermordet, sagen Sie mir das doch. Wer fand sie?«

»Ich fand sie, und Mr. Cardew fand sie, und Sergeant Lattimer fand sie«, sagte Super und sah, wie der Mann sich wand.

»War sie schon tot, als . . .«

Super nickte. Wieder nahm Elson seine rastlose Wanderung im Zimmer auf. Nach einer Weile wurde er ruhiger.

»Ich weiß nichts davon«, sagte er. »Ich habe natürlich Hanna Shaw getroffen. Sie kam hierher, um mich etwas zu fragen, und ich habe ihr eine Antwort nach bestem Wissen und Gewissen gegeben. Ein Mann wollte sie heiraten, oder sie wollte einen Mann heiraten – ich weiß nicht einmal, wer es war, aber ich glaube, sie lernten sich auf einer ihrer Autofahrten kennen.«

»Ach, sehen Sie einmal an!« Super gab sich den Anschein, als ob ihn diese Neuigkeit sehr interessiere. »Auf einer ihrer Autofahrten? Ist das nicht seltsam? Ich habe nun nachgedacht und allerhand Theorien über diesen Fall aufgestellt, und gerade das vermutete ich auch, daß sie ihn auf einer Autotour kennengelernt hat.«

»Dann wissen Sie davon?« fragte Elson schnell.

»Ich weiß nur wenig davon, Mr. Elson.« Er schlug sich auf das Knie und erhob sich. »Nun gut, ich werde Sie nicht länger aufhalten. Sie haben einen hübschen Garten, er ist genauso schön wie der von Cardew.«

Elson, der froh war, daß er diese unangenehme Unterhaltung hinter sich hatte, ging zum Fenster. »Ja, er ist sehr hübsch«, sagte er, »aber die Leute aus der Stadt stehlen mir die Blumen. Neulich hat doch einer nachts die Krone von dem Fliederbusch abgerissen.« Er zeigte auf eine Stelle, aber Super sah nicht hin, er dachte schnell nach.

»Die Krone von einem Fliederbusch?« murmelte er. »Das ist doch sehr seltsam.«

Nachdem sich der Polizeibeamte entfernt hatte, ging Elson in sein Zimmer, zog seine schmutzigen Kleider aus, badete und rasierte sich. Er nahm eine kleine Mahlzeit zu sich – für gewöhnlich war er ein starker Esser – und brachte die letzten Stunden des Tages damit zu, unruhig in seinem Garten und dem Gelände umherzugehen. Seine Hände waren tief in den Taschen vergraben, und den Kopf hielt er gesenkt. Um halb zehn ging er durch den großen Rosengarten den Abhang hinunter und kam schließlich zu einer kleinen Tür, die in die große Mauer eingelassen war.

Hier wartete er. Plötzlich wurde leise geklopft. Er zog den gutgeölten Riegel zurück und stieß das grüngestrichene Holztürchen auf. Sergeant Lattimer kam herein und wartete, bis die Tür wieder verschlossen war.

»Was, zum Donnerwetter, haben Sie denn Super wegen des Fliederbusches gesagt?« fragte er scharf.

»Ach, lassen Sie mich in Ruhe«, murmelte Elson. »Kommen Sie zu mir herauf, ich werde Ihnen etwas zu trinken geben. Die Dienerschaft kann Sie von dieser Seite des Hauses aus nicht sehen.«


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