Edgar Wallace
Das Gesicht im Dunkel
Edgar Wallace

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27

Elton war nicht lange bei Stanford geblieben und hatte gerade begonnen, einen Brief zu schreiben, als seine Frau erschien. Er legte die Feder aus der Hand.

»Dora, was hast du eigentlich getrieben, ehe wir uns kennenlernten?« fragte er unvermittelt.

»Ach, anfangs ging ich als Statistin mit Marsh und Bignall auf Reisen. Marsh machte Bankerott, und ich war dann in einer Schießbude und so weiter. Ich bin alles gewesen von der ersten Liebhaberin bis zur Garderobiere. – Von elektrischen Leitungen verstehe ich mehr als mancher Mechaniker. Aber warum fragst du danach?«

»Wo lerntest du Marshalt kennen?«

»Hier in London«, entgegnete sie nach kurzem Zögern. Ihre Hand, in der sie eine Zeitung hielt, zitterte leicht. »Ach, ich wollte, ich wäre vorher gestorben!«

»Dora – hast du ihn lieb?«

»Ich hasse ihn!« rief sie leidenschaftlich. »Ich habe ihn einmal geliebt – ja. Ich habe sogar an Scheidung gedacht. Aber ich war nicht schlecht genug. Ich fing an, ihn zu langweilen. In gewisser Weise bin ich vielleicht auch altmodisch.«

Er hatte sich in den Sessel zurückgelehnt und beobachtete sie unter gesenkten Lidern.

»Glaubst du, daß er tot ist?«

Sie machte eine ungeduldige Bewegung.

»Ich empfinde ihn nicht als tot – aber es ist mir gleichgültig.«

Sie sprach aufrichtig, davon war er überzeugt.

»Hat er jemals Malpas erwähnt?«

»Ja, oft! Und dabei wurde er immer nervös. Malpas haßte ihn. Der Polizei gegenüber behauptete Lacy, nichts von ihm zu wissen, aber er wußte sehr viel. Er sagte, Malpas und er wären früher Partner gewesen, und er wäre mit Malpas' Frau durchgegangen.«

Er stand auf und legte die Hände auf ihre Schultern.

»Ich danke dir – für alles, was du gesagt hast. Ich glaube, wir beide werden jetzt fest zusammenhalten. Wie stehst du denn jetzt zu Audrey?«

»Ich weiß es selbst nicht. Meine Abneigung gegen sie ist sehr groß. Ich wurde ja dazu erzogen, sie zu hassen.«

»Das tut mir leid.« Martin klopfte sie sanft auf die Schulter und ging.

Als er nachmittags nach Hause kam, traf er Dora in der Halle. Sie war zum Ausgehen angekleidet, aber er bat sie, ins Wohnzimmer hinaufzukommen.

»Als Audrey das letztemal hier war, sagtest du ihr, sie hieße gar nicht Bedford, und ihr Vater säße wegen Diamantendiebstahls in einer Strafanstalt in Südafrika«, sagte er hastig. »War das wahr?«

»Ja«, erwiderte sie verwundert. »Weshalb –?«

»Abends sagtest du mir, er wäre lahm – hätte bei der Verhaftung einen Schuß ins Bein bekommen. Wie hieß Audreys Vater?«

»Daniel Torrington.«

Martin pfiff leise durch die Zähne.

»Ich habe – jemand getroffen, der behauptet, Torrington wäre hier in London. Man hat ihn begnadigt, und es scheint, daß er sich schon längere Zeit hier aufhält. Wußte Marshalt wohl davon?«

»Nein, wenn er das gewußt hätte, wäre er wohl nicht so vergnügt gewesen. Ach!« Sie preßte die Hand einen Augenblick auf den Mund. »Malpas!« flüsterte sie.

Er starrte sie an, denn ihm war derselbe Gedanke gekommen.

»Marshalt muß es gewußt oder geahnt haben«, fuhr sie leise fort. »Er hat die ganze Zeit nebenan gewohnt! Bunny, Malpas ist Torrington!«

»Das glaube ich nicht.« Martin schüttelte den Kopf. »Es klingt zu romanhaft! So rachsüchtig ist kein Mensch. Und nun gar Torrington, der nach seiner Tochter sucht!«

»Er hält Audrey sicher für tot. Er hing sehr an dem Kind, und auf Marshalts Rat hin hat ihm Mutter geschrieben, daß Audrey an Scharlach gestorben wäre. Torrington hat ihr sogar unten bei Kapstadt einen Gedenkstein errichten lassen. Das weiß ich von Marshalt. Ist Torrington sehr reich?«

»Er soll zwei Millionen Pfund wert sein. Was er wohl – für die Wahrheit zahlen würde?«

»Nie im Leben soll er sie von uns erfahren! Mag er sie selbst herausbringen!«

»Wie ist sie getauft?« fragte er langsam und nachdenklich.

»Dorothy Audrey Torrington. Aber er weiß nicht, daß wir sie Audrey nannten. In seinem Brief schrieb er von Dorothy.«

»Schreibe an Audrey und lade sie zum Tee ein«, sagte Martin langsam.

Sie schaute ihn empört an.

»Ja, schreibe ihr, es täte dir leid, daß du so unfreundlich zu ihr gewesen wärst und ihr allerlei vorgelogen hättest – über ihren Vater. Und wenn sie kommt, sagst du ihr, Torrington wäre dein Vater. Wo kann ich mir Audreys Geburtsschein verschaffen?«

»Ich habe oben noch allerlei Papiere von Mutter. Es kann sein, daß er darunter ist. Hole sie doch herunter, Bunny! Sie liegen in meinem Schrank – in einem Blechkasten.«

Er brachte ihn und öffnete ihn geschickt, als kein Schlüssel zu finden war. Auf dem Boden des Kastens lag ein blauer Briefumschlag mit zwei Geburtsscheinen. Martin breitete sie auf dem Tisch aus, und seine Augen glänzten.

»Dorothy Audrey Torrington«, las er, »und du heißt Nina Dorothy Bedford. Aus dem Namen Audrey läßt sich etwas anderes machen. Dora, du mußt Audrey schreiben und ihr – mit oder ohne Tränen – sagen, sie wäre deine ältere Schwester –«

Es klopfte.

»Mr. Smith aus Chicago«, meldete das Mädchen.

Martin zögerte einen Augenblick.

»Du kennst den Menschen ja wohl, Dora«, sagte er schließlich. »Ich lasse bitten.«

Slick Smith war wie immer tadellos gekleidet und legte seinen glänzenden Zylinder fast zärtlich auf einen Stuhl.

»Ich störe doch nicht?« begann er mit strahlender Miene. »Ich dachte, es würde Sie interessieren, daß Ihre verehrte Schwägerin in den Polizeidienst eingetreten ist. Streng genommen kann man es vielleicht nicht als Polizeidienst bezeichnen, aber jedenfalls ist sie bei Stormers Agentur angestellt.«

»Soll das Scherz oder Ernst sein?« fragte Martin schroff.

»Voller Ernst. Ich sah zufällig, daß sie mit Willitt in einen Juwelierladen ging, wo er ihr das Stormersche Abzeichen kaufte: einen kleinen silbernen Stern mit Stormers Namen auf der Rückseite. Ich kenne es, und die junge Dame schien sich sehr darüber zu freuen. Und wissen Sie, was Willitt tat, nachdem er sich von ihr getrennt hatte?«

Martin zuckte ungeduldig die Schultern.

»Er ging zu dem nächsten Telephon und rief das Ritz-Carlton-Hotel an, um dort eine Zimmerflucht für die junge Dame zu bestellen.« Smith zog sein Taschentuch heraus, betupfte die Lippen und fuhr dann lächelnd fort: »Mr. Brown – oder Torrington – wohnt im Ritz-Carlton.«

Martin und Dora waren fassungslos.

»Ich dachte, ich müßte es Ihnen mitteilen«, meinte Smith. »Für Leute, die heute ein gewisser Wilfred auf die Spur von Torringtons Millionen gebracht hat, kann die Nachricht ja von Wert sein. – Ein reizendes Mädchen, Ihre jüngere Schwester, Mrs. Elton!«

Martin zuckte zusammen, aber Dora hatte ihre Fassung wiedergewonnen.

»Sie meinen Audrey?« erwiderte sie lachend. »Ich bin ein volles Jahr jünger als sie!«

Slick sah sie prüfend an.

»Man scheint sich allseitig sehr für Ihre Schwester zu interessieren«, bemerkte er nachdenklich. »Jetzt hat schon der dritte Mann versucht, sie im Palace-Hotel zu fangen, und auch diesem dritten ist es mißlungen. Ich habe eine Ahnung, als ob ich noch zur Beerdigung des vierten gehen würde!«


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