Edgar Wallace
Das Gesicht im Dunkel
Edgar Wallace

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26

Willitt war höchst verwundert, als er morgens ins Büro kam und es heftig klingeln hörte. Er fand seinen Chef in jämmerlichem Zustand auf einem Sofa.

»Ich sterbe –« murmelte Stormer – »bringen Sie mir starken Kaffee und eine Kiste voll Phenacetin. O, mein Kopf! Ich habe eine Beule, so groß wie ein Hühnerei! Und bei Hühnern fällt mir ein: schaffen Sie mir die kleine Bedford her . . .«

»Ist Ihnen über Nacht etwas zugestoßen?«

»Sehen Sie mir das nicht an? Aber niemand außer Ihnen darf es wissen. Wenn jemand nach mir fragt, bin ich in Amerika . . .«

Willitt beeilte sich, alles Gewünschte herbeizuschaffen.

»Und nun telephonieren Sie nach einem Barbier, und holen Sie mir aus dem nächsten Laden einen Kragen!« Sein Gesicht verzog sich schmerzlich, als er sich aufrichtete und nach der Kaffeetasse griff.

»Sie brennen natürlich darauf, mich auszufragen«, fuhr er dann fort. »Nun, ich hatte einen Kampf mit einem Gespenst und zog den kürzeren.«

»Wer war es denn?«

»Das weiß ich nicht. Ich wachte von einem Schrei auf, ging hinaus, um zu sehen, was los wäre, und entdeckte zwei, drei oder auch sechs Leute, die den Flur entlangliefen. Von ebenso vielen wurde ich über den Kopf gehauen und kam erst wieder zu mir, als mir der Hoteldetektiv den Kragen aufmachte. Vergessen Sie ja nicht die kleine Bedford. Sie hat eine Anstellung bei dem Hühnerblatt, und ich glaube nicht, daß es ihr dort gefallen wird. Gehen Sie zu ihr und bieten Sie ihr einen guten Posten mit beliebig hohem Gehalt an. Verstehen Sie?«

»Jawohl.«

»Fassen Sie das Mädel ab, wenn sie zum Essen geht. Sie soll dann Torrington alias Brown beobachten. Und kommen Sie mir nicht unverrichteter Sache zurück, Willitt! Ich bin derartig kaputt, daß ich sehr grob werden würde.« –

Audrey begann ihre Arbeit in der Redaktion mit einer gewissen Befriedigung, die aber nicht lange vorhielt. Sie entzweite sich bald mit Mr. Hepps, als er darauf bestand, daß sie schriftlich ein Futtermittel für Hühner empfehlen sollte, das sie für absolut schädlich hielt. Und etwas später am Tag geriet er in Wut über einen von ihr verfaßten Artikel.

»Viel zu lang!« schrie er. »Und Ihre Handschrift mißfällt mir auch! Können Sie denn nicht mit Maschine schreiben? Sie werden sich ordentlich zusammennehmen müssen, wenn Sie hier – wo wollen Sie hin?« fragte er verblüfft, als sie aufstand und Hut und Mantel vom Haken nahm.

»Nach Hause, Mr. Hepps«, erwiderte sie gelassen. »Die Grundsätze, die hier herrschen, gefallen mir nicht.«

»Dann scheren Sie sich zum Teufel!« brüllte er.

Gegen vier Uhr ging sie fort und trat ausgehungert in ein benachbartes, kleines Restaurant.

Gleich nach ihr kam ein Herr herein und nahm mit einer Verbeugung an demselben Marmortisch Platz. Als sie ihn flüchtig ansah, kam er ihr irgendwie bekannt vor, aber sie dachte nicht weiter darüber nach, sondern vertiefte sich in einen Zeitungsbericht über »Sonderbare Vorfälle im Palace-Hotel«.

»Verzeihen Sie, Miß Bedford!«

Bestürzt blickte sie auf.

»Mein Name ist Willitt. Vielleicht entsinnen Sie sich – ich kam einmal nach Fontwell, um Erkundigungen einzuziehen –«

»Ach ja – gerade als ich nach London abreiste.«

»Ganz recht. Ich bin ein Vertreter der Stormerschen Detektiv-Agentur –«

Audrey nickte. Von dieser bekannten Firma hatte sie schon öfter gelesen.

»Mr. Stormer hat mich beauftragt, mit – mit einem Vorschlag an Sie heranzutreten, Miß Bedford. Wir sind nämlich in Verlegenheit. Eine Dame, die für uns arbeitete, hat sich verheiratet, und wir haben bis jetzt noch keinen Ersatz für sie gefunden. Nun meinte Mr. Stormer, ich sollte einmal anfragen, ob Sie vielleicht Lust hätten, in unsere Agentur einzutreten?«

»Ich?! Sie meinen – als Detektivin?«

»Wir würden Ihnen keine unangenehme Arbeit übergeben. Sie kämen nur für Fälle aus der guten Gesellschaft in Frage.«

»Aber kennt Mr. Stormer denn – meine Vorgeschichte?«

»Sie meinen den Juwelenraub? Ach, darüber weiß er selbstverständlich Bescheid. Das macht ihm nichts aus. Er möchte Sie damit beauftragen, einen Herrn zu beobachten, einen gewissen Mr. Torrington.«

»Torrington? Wer ist das?«

»Ein steinreicher Südafrikaner. Interessieren Sie sich für Südafrika?«

Sie zuckte zusammen.

»Jawohl – wenn alle Geschichten, die ich gehört habe – wahr sind –« erwiderte sie langsam.

»Wir verlangen nicht, daß Sie hinter Torrington herlaufen«, fuhr Willitt fort. »Es wäre uns aber lieb, wenn Sie mit ihm bekannt würden.«

»Ist er – ein Verbrecher?«

»Gott behüte! Ein durchaus redlicher Mann. Wir möchten nur gern wissen, mit wem er verkehrt –«

»Kann ich Mr. Stormer vielleicht selbst sprechen?«

»Er ist schon wieder in Amerika«, flunkerte Willitt, »und vor seiner Abreise hat er mir ausdrücklich aufgetragen, Sie um jeden Preis als Mitarbeiterin zu gewinnen.«

Audrey lachte.

»Nun, versuchen kann ich es ja«, meinte sie vergnügt.

Willitt atmete erleichtert auf.

Als er ins Büro zurückkam, fand er John Stormer in milderer Stimmung und berichtete mit Genugtuung über den Erfolg seiner Sendung. Er hatte kaum das Zimmer verlassen, als Stormer sich ans Telephon begab.

»Hier Stormer. Sind Sie es selbst, Hepps? Besten Dank für Ihre Hilfe.«

»Es ging mir sehr gegen den Strich«, erwiderte der Redakteur in bedauerndem Ton. »Sie scheint ein nettes und begabtes Mädchen zu sein. Was wird sie nur von mir denken! Ich werde nicht so leicht wieder einem netten Mädel ins Gesicht sehen können – ich schäme mich wirklich!«

»Ach was, das ist vielleicht nur zu Ihrem Besten!« lachte Stormer und hängte an.

*

Torrington bewohnte eines der teuersten Appartements im Ritz-Carlton-Hotel. Er empfing nur sehr selten Besuch, und als ein schäbiger, kleiner Mann sich bei ihm melden lassen wollte und eine Verabredung vorschützte, dauerte es eine ganze Weile, bis er vorgelassen wurde.

»Mr. Brown« saß an seinem Schreibtisch und schob das Blatt, an dem er geschrieben hatte, zur Seite, um sich den Besucher genau anzusehen.

»Sie kommen aus Kimberley?« fragte er. »Ich erinnere mich nicht, Sie jemals gesehen zu haben. Sie wissen natürlich, welchen Namen ich damals führte?«

»Ich weiß«, erwiderte der kleine Mann, »aber ich werde ihn nicht aussprechen. Wenn ein Mann sich Brown nennt – so ist er für mich eben Mr. Brown. Offen gesagt – ich verbüßte zur selben Zeit wie Sie eine Strafe.«

Torrington fuhr mit der Hand in die Tasche.

»Ich besinne mich nicht auf Sie, aber ich habe mir auch große Mühe gegeben, alle Leute zu vergessen, mit denen ich am Wellenbrecher arbeitete.«

Auf dem Schreibtisch lag der Brief, den der alte Herr gerade beendigt hatte. Der Fremde sah die schwungvolle Unterschrift, aber der Bogen war zu weit entfernt, als daß er ihn hätte lesen können. Er suchte nach einem Vorwand, um hinter den Tisch zu kommen.

Torrington schob ihm eine Banknote zu.

»Ich hoffe, daß es Ihnen in Zukunft besser gehen wird.«

Der kleine Mann nahm den Geldschein, ballte ihn zusammen und schleuderte ihn zum Erstaunen seines Wohltäters an ihm vorüber in den leeren Kamin. Verwundert sah sich »Mr. Brown« um, und in dieser Sekunde wurde die Unterschrift gelesen.

»Behalten Sie Ihr Geld!« sagte der Fremde. »Denken Sie, daß ich deshalb hergekommen bin – Torrington?«

Daniel Torrington stand auf.

»Nehmen Sie das Geld, und machen Sie sich nicht lächerlich!«

Der Mann holte sich den zerknitterten Schein und ging. Torrington machte die Tür leise hinter ihm zu. Woher wußte dieser Mensch –?

Da fiel sein Blick auf den Brief, und er begriff.


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