Edgar Wallace
Das Gesicht im Dunkel
Edgar Wallace

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12

Nur wenige Dienstboten genossen so viel Freiheit und Behaglichkeit wie Tonger, der das ganze oberste Stockwerk des Hauses bewohnte. Marshalt hatte ihm dort ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer und ein Bad eingerichtet, und Tonger verbrachte den größten Teil seiner Abende in seinen eigenen Räumen, wo er mit Hilfe eines kleinen Roulettespiels endlose mathematische Berechnungen anstellte. Es war sein Ehrgeiz, die Kasinodirektion von Monte Carlo durch ein von ihm erfundenes unfehlbares System in Schrecken und Verzweiflung zu bringen.

An diesem Abend war er jedoch anderweitig beschäftigt, als die Klingel über seiner Tür ertönte, und er machte sie sorgsam hinter sich zu, bevor er zu Lacy hinunterging, der bereits ungeduldig wurde.

»Erwarte Mrs. Elton um sieben Uhr fünfundvierzig an der Hintertür«, befahl er ihm, »und laß sie herein. Dann bringst du das Auto zur Albert Hall und parkst bei den anderen, bis das Konzert vorbei ist. Nachher kommst du wieder an die Hintertür zurück.«

»Ist das nicht ein bißchen gefährlich nach dem Brief, den Sie von Elton erhalten haben?«

»Was weißt du denn von dem Brief? Ich hatte ihn doch eingeschlossen!«

»Ach, das ist doch gleichgültig. Ich habe ihn jedenfalls gelesen, und ich sage Ihnen, daß es gefährlich ist. In einem Scheidungsprozeß möchten Sie doch wohl nicht auftreten?«

»Mit dir als Zeuge!« höhnte Marshalt.

»Sie wissen sehr gut, daß ich nie gegen Sie aussagen würde«, erwiderte Tonger gelassen. »Das liegt mir nicht. Aber wenn ein Kerl wie Elton mir schriebe, er würde mich niederschießen, wenn er mich noch einmal mit seiner Frau zusammensähe, würde ich mir die Sache doch sehr überlegen.«

»Mrs. Elton hat geschäftliche Angelegenheiten mit mir zu besprechen«, sagte Marshalt kalt. »Tu das, was ich dir sage.«

»Das Auto vor der Albert Hall soll beweisen, daß Mrs. Elton das Konzert mit angehört hat!« kicherte Tonger. »Was wollte denn der Detektiv? Kam der auch wegen Mrs. Elton?«

»Unsinn! Er wollte sich nur nach dem verrückten Kerl nebenan erkundigen. So, das ist alles. Morgen abend esse ich zu Hause, und wenn ich Glück habe, mit einem sehr interessanten Gast.«

»Haben Sie das Mädchen gefunden, hinter dem der Privatdetektiv her war?« fragte Tonger lebhaft.

»Woher weißt du denn nun das schon wieder?! Ja, ich hoffe, daß sie kommt. Übrigens brauchst du dabei nicht in Erscheinung zu treten. Das Hausmädchen kann bei Tisch aufwarten.«

»Um törichten Jungfrauen Vertrauen einzuflößen«, bemerkte Tonger und verließ das Zimmer . . .

Gegen halb zwölf hielt er wieder mit dem Auto an der Hintertür von Nr. 551, nachdem er Marshalts Anweisungen genau befolgt hatte. Dora kam heraus und nahm seinen Platz am Steuer ein.

»Haben Sie jemand gesehen?« fragte sie leise.

Er dachte an den Mann, der an der Ecke des Portman Square gestanden und so geduldig gewartet hatte.

»Nein«, sagte er aber. »An Ihrer Stelle würde ich jedoch ein solches Abenteuer nicht nochmal riskieren.«

»Machen Sie den Schlag zu«, erwiderte sie schroff, und gleich darauf fuhr sie ab.

Als sie nach Hause kam, fand sie Martin schon im Wohnzimmer vor.

»Na, ist die Unterredung befriedigend verlaufen?« fragte sie vergnügt.

Er hatte sich auf dem Diwan ausgestreckt und schüttelte mißmutig den Kopf.

»Nein, wir werden das Etablissement wohl schließen müssen. Klein verlangt zuviel Prozente und droht mit der Polizei, um sie durchzudrücken. Das macht mir nun zwar keine Sorge, aber die Säle in der Pont Street bringen viel und regelmäßig Geld ein, so daß ich sie ungern schließen würde. Jetzt erwarte ich Stanford. – Übrigens habe ich Audrey heute abend gesehen.«

»Wo denn?« fragte sie verwundert.

»Im Carlton Grill. Sie aß mit Shannon.«

Dora, die sich eben eine Zigarette anstecken wollte, hielt inne.

»Mit Shannon?«

»Ja. Sie schienen höchst fidel zu sein. Du brauchst aber keine Angst zu haben. Zur Angeberin eignet sich Audrey nicht. Es war mir noch nie klar geworden, wie schön sie eigentlich ist. Und dabei tadellos angezogen. Shannon hat sie ordentlich verliebt betrachtet.«

»Na, du scheinst ja auch in sie verschossen zu sein! Das Konzert war übrigens ein großer Genuß für mich, Bunny! Kessler war hervorragend. Eigentlich mache ich mir ja nicht viel aus Geigenspiel, aber –«

»Kessler trat doch gar nicht auf«, erwiderte er und blies eine Rauchwolke in die Luft. »Er war indisponiert und ließ absagen. Hast du es denn nicht in der Zeitung gelesen?«

»Ach, ich kann diese Leute nicht voneinander unterscheiden«, erklärte sie nach einer kaum merklichen Pause gleichmütig. »Jedenfalls spielte der Mann, der ihn vertrat, glänzend.«

»Wahrscheinlich war es Manz.« Er nickte.

Zu ihrer Erleichterung klingelte es an der Haustür, und gleich darauf erschien Big Bill Stanford, todmüde von der langen Rückfahrt von Rom. Ohne große Vorrede begann er zu berichten.

»Die Contessa trifft am Dienstagabend ein. Ich habe Photos von der Tiara und der Perlenkette. Die Imitation wird sich in fünf bis sechs Tagen herstellen lassen, und das weitere ist dann ja Kinderspiel. Stigman hat sich mit der Zofe angefreundet –«

»Ich dachte, mit solchen Geschichten würden wir uns nicht wieder abgeben?« unterbrach ihn Dora unwillig.

»Geschieht auch nicht«, murmelte Martin. »Daß du mir nichts von dem Kram ins Haus bringst, Bill!«

»Hältst du mich für verrückt? Ich habe von der letzten Affäre noch genug!«

»Können wir denn das nicht ganz aufstecken, Bunny?« wandte sich Dora an Elton.

»Gewiß, warum nicht? Was bedeuten denn auch zehntausend Pfund für uns? Wir können ja auch ohne sie leben!«

»Ich kann es jedenfalls«, entgegnete sie.

»Willst du uns vielleicht mit Nähen ernähren oder Klavierstunden geben? Oder wieder zur Bühne gehen? Drei bis vier Pfund die Woche hast du ja wohl verdient, bis ich dich kennenlernte. Rede keinen Unsinn, Dora! Ich habe dich erst zu einer wohlhabenden Frau gemacht. Sogar dein Trauring stammt von einem Diebstahl her. Überlege dir das gefälligst!«

Sie stand wortlos auf und verließ das Zimmer.


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