Edgar Wallace
Gangster in London
Edgar Wallace

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16

»Die Sache kommt allmählich in Fluß«, sagte Jiggs am nächsten Morgen. »Ich bin gespannt, was es heute geben wird.«

»Glauben Sie denn, daß noch mehr Leute Erpresserbriefe erhalten haben? Und meinen Sie wirklich, daß die davon Betroffenen auf so plumpe Manöver reagiert und Geld bezahlt haben?«

»Sicher! Die Bande jedenfalls, die die grünen Formulare ausschickt, handelt psychologisch richtig. Die geforderte Summe ist nicht zu groß; ein- oder zweitausend Pfund sind nicht zwanzig- oder fünfzigtausend. Nach zwei Monaten freilich werden die Leute, die bezahlt haben, natürlich zum zweitenmal zur Ader gelassen. Das ist eine Grundregel bei der Kunst des Erpressens. Einmal zahlt schließlich fast jeder; erst wenn die Geschröpften zehnmal geblecht haben, werden sie aufsässig. Nachdem nun wieder dieser Mord im Zug passiert ist, werden die Drohbriefe wahrscheinlich zu Hunderten in die Stadt hinausflattern . . . Aber die verdammten Burschen sollen mich trotzdem auf dem Posten finden!«

Jiggs Allerman hatte ein paar Helfer an der Hand, die allerdings nicht offiziell im Dienst der Polizei standen, aber doch mehr oder weniger Zubringerdienste leisteten. Der amerikanische Detektiv war ursprünglich nach England gekommen, um an einer internationalen Polizeikonferenz teilzunehmen. Man wollte den Falschspielerbanden und Betrügern beikommen, die planmäßig zwischen den Vereinigten Staaten und Europa hin und her reisten. Jiggs war unterwegs mit allerhand Landsleuten in Fühlung getreten, die Verbindung zu Verbrecherkreisen unterhielten, und von denen bekam er mitunter brauchbare Nachrichten.

Zu einem gewissen Joe Lieber, der in einem Hotel an der Euston Road wohnte, lud er sich an diesem Morgen zum Frühstück ein. Lieber war ein untersetzter, etwas korpulenter Herr mit rotem Gesicht und kahlem Kopf. Er hatte Sinn für Humor, aber sein Hauptvorzug bestand darin, daß er über Gangster genau Bescheid wußte.

Jiggs trat unangemeldet in sein Zimmer. »Was, Sie schlemmen hier bei Eier und Schinken?« fragte er. »Das bekäme mir auch gut, Joe. Ist irgend etwas los?«

Joe Lieber sah ihn ernst an. »Haben Sie die Morgenzeitungen nicht gelesen? Übrigens hatten die Kerle doch gestern eine Bombe in Ihr Zimmer gesetzt . . . Ob das dieselbe Bande ist, die diesen Sir Sowieso geschnappt hat?«

Jiggs nickte. »Für einige von uns wird es in nächster Zeit heiß werden . . .«

»Ich glaube, Mr. Allerman, es wäre besser, Sie betrachteten mich nicht mehr als Informationsquelle . . .«

»Sie haben wohl kalte Füße bekommen?« Jiggs zog sich einen Stuhl heran.

»Nein, das gerade nicht – aber sie sollen warm bleiben. Ich hätte nicht gedacht, daß die Kerle hier so scharf ins Zeug gehen. Sie haben es da mit den ausgekochtesten Burschen zu tun!«

»Haben Sie jemand gesehen?«

»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen überhaupt etwas sagen soll; bin eigentlich nie Polizeispitzel gewesen . . . Aber Eddie Tanner ist hier – und ebenso Kerky Smith. Doch das wissen Sie natürlich schon?«

»Ja. Ist Ihnen nicht einer von den weniger Prominenten über den Weg gelaufen?«

»Doch: Hick Molasco. Seine Schwester ist mit Kerky verheiratet.«

»Sie führt wenigstens seinen Namen. Sonst noch wer?«

Joe lehnte sich im Stuhl zurück. »Ich überlege, ob sich's lohnt, es Ihnen mitzuteilen. Es sind feige Halunken, die ich zum Teufel wünsche . . . Aber Sie müssen bedenken, daß ich verheiratet bin und Familie habe!« Er sah sich um. »Schauen Sie doch mal zur Tür hinaus, Jiggs, ob jemand lauscht!«

In dem Augenblick trat ein Kellner ein.

»Bestellen Sie sich bitte, was Sie wollen!« sagte Joe. Und, als sich die Tür hinter dem Kellner geschlossen hatte: »Ich kann diese schleicherischen Sizilianer nicht leiden . . . Aber bitte, setzen Sie sich doch wieder!« Er lehnte sich über den Tisch und dämpfte die Stimme. »Können Sie sich noch auf Bomben-Pouliski besinnen, der in Chikago zu zehn Jahren Zuchthaus verknackt wurde?«

Jiggs nickte. »Ich kannte ihn, weil er früher zu den Kartenspielern gehörte, die den Atlantik bereisten. Das muß so vor fünfzehn Jahren gewesen sein. Später hörte ich, daß er mit einer Bande in Chikago zusammenarbeitete, und traf ihn dann auch. Als der große Vieharbeiterstreik ausbrach, hatte er ebenfalls seine Hand im Spiel . . .«

»Er hat eine Bombe in das Haus eines Staatsanwalts geworfen; deshalb wurde er doch nachher verurteilt.« Joe sah sich wieder um und flüsterte dann: »Er ist hier!«

»In diesem Hotel? Oder in London?«

»In London. Eine merkwürdige Sache . . . Ich sah ihn in einem Laden an der Oxford Street, als er Kleider für seine alte Mutter kaufte. Er hat mich nicht bemerkt; aber ich hörte, wie er mit der Verkäuferin sprach.«

»Hat er Sie wirklich nicht erkannt?« Jiggs war ganz Ohr für diese neue Nachricht.

»Nein.«

»Können Sie sich auf den Laden besinnen?«

Joe fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Nein. Es war nicht eigentlich in der Oxford Street, sondern in einer Nebenstraße, wo man billige Kleider kaufen kann. Ich war auch dort, um für meine Frau eine – eine . . .« Er stockte verlegen.

»Kommt es darauf an?« versetzte Jiggs liebenswürdig. »Sie erinnern sich nicht daran, was er gekauft hat?«

»Nein. Er hatte seine Wahl noch nicht getroffen, als ich fortging.« Joe konnte dann wenigstens ungefähr beschreiben, wo der Laden lag.

»Wo er hier wohnt, wissen Sie nicht?«

»Nein!« entgegnete Joe ungeduldig. »Ich hab' Ihnen nun alles erzählt, was ich weiß, Mr. Allerman. Und, weiß Gott, ich möchte mit der Sache weiter nichts zu tun haben, denn sie sieht bedenklich gefährlich aus. Gestern die Bombe in Ihrem Hotelzimmer . . . Es sind gemeine, feige Kerle! Meinen Schwager haben sie seinerzeit auch mit einer Bombe erledigt, weil er nicht in ihre Bande eintreten wollte, und ich bin alles andere als ihr Freund.« Plötzlich fügte er inkonsequent hinzu: »Bomben-Pouliski trug eine Brille, und ein gelbes Taxi mit grünen Rädern wartete draußen . . .« Er schlug sich mit der Hand auf den Mund. »Das hätt' ich nicht sagen sollen!« brummte er ärgerlich. »Es kann auch das Taxi von einem anderen gewesen sein; aber der Wagen wartete, und der Chauffeur hatte ausdrücklich das Schild herumgedreht.«

Jiggs kehrte in Terrys Wohnung zurück, rief ihn im Amt an und erzählte kurz, was er gehört hatte – natürlich ohne Liebers Namen zu erwähnen.

»Sie haben doch in Scotland Yard eine Abteilung, die die Taxis überwacht? Wär' es nicht möglich, herauszubringen, ob es in London ein solches gelbgrünes Monstrum gibt? Dann noch eins, Terry! Melden Sie bitte ein Ferngespräch mit dem Polizeipräsidium in Chikago an! Ich muß mit den Leuten reden . . . Ich komme dann in Ihr Büro!«

Kaum hatte er den Hörer aufgelegt, als es wieder läutete.

»Hallo, sind Sie am Apparat, Jiggs?«

Allerman hatte überhaupt noch nicht gesprochen.

»Kerky! Können Sie Gedanken lesen? Oder befassen Sie sich mit Fernsehen?«

»Nein!« Kerky Smith lachte. »Die Sache ist nicht so geheimnisvoll. Ich versuchte, mit Ihnen in Verbindung zu kommen, und dabei muß etwas in Unordnung geraten sein, so daß ich den letzten Teil Ihres Gesprächs mit Scotland Yard hörte . . . Alles in Ordnung in Chikago? Niemand krank von unseren Lieblingen?«

»Das werde ich bald herausfinden. Woher wissen Sie übrigens, daß ich hier bin?«

»Der Telefonist von Scotland Yard hat mir das gesagt. Ich möchte nur fragen, ob Sie nicht im Carlton oder sonst in einem netten Lokal mit mir zu Mittag speisen wollen . . . Für Sie ist mir nichts zu teuer, Jiggs! Auch wäre es mir lieb, wenn Sie meine Frau kennenlernten.«

»Welche meinen Sie denn?«

»Na, hören Sie! – So dürfen Sie doch nicht reden! Also: Nehmen Sie meine Einladung an?«

»Abgemacht!«

Wenn irgend etwas feststand, so war es die Tatsache, daß der Telefonist von Scotland Yard Kerky Smith nicht die Privatnummer von Chefinspektor Weston gegeben hatte.

Jiggs machte sich die Mühe, im Präsidium nachzufragen, und seine Vermutung wurde vollauf bestätigt. »Sie scheinen mich also dauernd zu überwachen«, meinte Jiggs nachdenklich. »Sonst hätten sie nicht wissen können, wo ich bin.«

Als er von Joe Lieber fortging, hatte er beobachtet, daß der italienische Kellner aus dem nächsten Zimmer herauskam. Er wagte nun einen kühnen Handstreich, ließ sich zwei Beamte geben und begab sich mit ihnen zu dem Hotel in der Euston Road.

Joe Lieber war ausgegangen, aber Jiggs sah den Sizilianer, der ihn am Morgen bedient hatte. Der Hoteldirektor war bei der Unterhaltung zugegen, die in Joes Zimmer stattfand.

»Ich verhafte diesen Mann, weil er unter Verdacht steht! Bitte, führen Sie einen meiner Beamten zu seinem Zimmer!«

Jiggs handelte auf gut Glück, aber er hatte Erfolg. Der Kellner, der sich zuerst gleichgültig gestellt hatte, machte plötzlich einen Fluchtversuch und beging dann eine vom Standpunkt der Polizei aus unverzeihliche Sünde: Er zog nämlich eine Pistole, um auf den Detektiv zu schießen, der ihn festhielt. Jiggs schlug ihm aber die Waffe aus der Hand und ließ ihm dann Handschellen anlegen.

In seinem Zimmer fand man einen halbvollendeten Brief, der englisch geschrieben war und ohne Adresse und Datum begann:

Jiggs kam und besuchte Joe Lieber. Sie hatten eine lange Unterredung. Joe sagte etwas von Bomben-Pouliski. Ich konnte nichts Genaues hören; sie sprachen sehr leise.

Jiggs las den Brief und steckte ihn in die Tasche.

»Bringen Sie den Mann nicht nach Scotland Yard, sondern in Mr. Westons Wohnung! Durchsuchen Sie erst seine Taschen – dann nehmen Sie ihm – die Eisen ab! Wir wollen nicht die Aufmerksamkeit der Leute erregen.«

Der Detektiv ging Arm in Arm mit seinem Gefangenen und brachte ihn ohne weiteren Zwischenfall in Terrys Wohnung. »Sie beide können draußen warten, während ich mich mal ein bißchen mit dem Mann unterhalte!« sagte Jiggs und sah, daß sich im Blick des Gefangenen Schrecken und Angst zeigten.

Die zwei Beamten machten Einwendungen, zogen sich dann aber zurück.

»Nun, mein Liebling«, begann Jiggs, »ich habe nicht viel Zeit, die Wahrheit aus Ihnen herauszuholen, aber ich möchte gern erfahren, wohin Sie den Brief schicken wollten.«

»Das werde ich Ihnen nicht sagen!«

»Haben Sie schon mal vom dritten Grad gehört? Sie werden jetzt gleich erleben, wie er angewandt wird . . . An wen war der Brief gerichtet?«

»Scheren Sie sich zum Teufel!« rief der Italiener leidenschaftlich.

Jiggs packte ihn mit einem harten Griff am Kragen.

»Wir wollen freundlich, wie Brüder, miteinander reden. Ich möchte Sie nicht unnötig quälen. Aber ich muß wissen, an wen der Brief gerichtet war!«

Der Mann zitterte. »Nun gut!« sagte er düster. »An eine junge Dame – namens Leslie Ranger . . .« Und er nannte, zum Erstaunen des Detektivs, ihre genaue Adresse.

»Schicken Sie die Briefe persönlich?«

»Nein, ein Junge kommt und holt sie ab.«

Jiggs seufzte erleichtert auf. »Ach so! Was für ein Junge ist das? Und wann kommt er?«

Der Kellner konnte weiter nichts sagen. Er hatte seine Instruktionen erst am Abend vorher erhalten: ein Landsmann hatte ihm den Namen einer Geheimgesellschaft genannt, und daraufhin hatte er gehorcht.

»Eine hübsche kleine Geschichte!« meinte Jiggs. »Nun erklären Sie mir vielleicht noch, warum Sie eine Pistole geladen bei sich tragen und warum Sie den Beamten damit bedrohten, der Sie verhaftete? Wovor fürchteten Sie sich denn?«

Zehn Minuten später hatte er den Italiener so weit, daß er alles gestand. Er brachte ihn zum Scotland Yard und berichtete später Wembury über den Fall.

»Die Bande hat Vertrauensleute in jedem großen Hotel, und zwar in jedem Stockwerk einen Mann. Dieser Rossi, den ich mir eben vorgenommen habe, kommt aus New Orleans. Es ging ihm dort nicht gut, und er erhielt den Tip, daß er in England viel Geld verdienen könne. Daraufhin meldete er sich bei dem Chef seiner Geheimgesellschaft in New York und bekam sofort eine Anstellung. Die Italiener haben eine Organisation, um Kellner in den einzelnen Ländern auszutauschen. Auf diese Weise kam auch Rossi nach London.«

»Wie steht es denn mit seinem Paß?«

»Der ist in Ordnung. Wir können ihm nichts vorwerfen; wir können auch nicht nachweisen, daß er mit jemand in Verbindung steht. Er kennt weder Eddie Tanner noch Kerky, noch sonst einen von den Gangstern. Wenn das der Fall wäre, hätte er es verraten; denn er ist kein Held.«

Jiggs begab sich dann in Terrys Büro; und er war kaum fünf Minuten dort, als das bestellte Telefongespräch aus Chikago kam.

»Ach, Hoppy!« rief er erfreut. »Hier Allerman! Ich spreche von London aus. Können Sie sich auf Bomben-Pouliski besinnen . . .? Ja, das ist er! Meiner Meinung nach müßte der aber in Joliet im Gefängnis sitzen . . .«

Terry sah, daß sein Freund ein langes Gesicht zog.

»So – der ist schon wieder frei? Haben Sie ein gutes Bild von ihm . . .? Ausgezeichnet! Schicken Sie es als Bildtelegramm herüber! Wann ist er denn aus Joliet entlassen worden . . .? Was? Nur zwei Jahre gesessen?«


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