Edgar Wallace
Gangster in London
Edgar Wallace

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10

Mr. George Jerrington, Seniorchef der bekannten Rechtsanwaltsfirma, hatte sich eine Woche vor Decadons Ermordung einer Blinddarmoperation unterziehen müssen und lag in einem Krankenhaus. Als er sich wieder soweit erholt hatte, daß er seine Privatkorrespondenz durchsehen konnte, ließ er seinen Bürovorsteher bitten, ihm die dringendste Post zu schicken.

»Es ist wohl das beste, wenn Sie die Briefe persönlich hinbringen«, riet Jerringtons Juniorpartner dem Bürovorsteher. »Wer war vor einer halben Stunde in Ihrem Büro?«

»Der Neffe Mr. Decadons – Mr. Edwin Tanner.«

»Ein glücklicher junger Mann! Soviel ich weiß, ist Decadon gestorben, ohne ein Testament zu hinterlassen?«

»Ja, ich glaube.«

»Was wollte Tanner von Ihnen?«

»Er kam wegen der Erbschaft. Ich fragte ihn, ob er mit Ihnen sprechen wolle; aber als er erfuhr, daß Mr. Jerrington krank wäre, erklärte er, er werde noch warten. Er erzählte mir auch, daß er Mr. Jerrington einen dringenden persönlichen Brief geschickt hätte. Ich sagte ihm darauf, Mr. Jerrington würde heute wahrscheinlich schon in der Lage sein, den Brief zu lesen. Ich hätte ihm die dringende Post zu bringen.«

Und das geschah denn auch. Das Krankenhaus lag in Putney. Der Bürovorsteher fuhr mit einem Autobus dorthin und kam gegen sechs Uhr in der Gegend an. Den Rest des Weges wollte er zu Fuß zurücklegen. Im allgemeinen war es um diese Zeit noch hell, aber von Südwesten her zogen schwere Wolken am Himmel auf, und es sah so aus, als ob Regen drohe. Die meisten Autos, die an ihm vorüberfuhren, hatten bereits die Scheinwerfer eingeschaltet.

Er hatte gerade den höchsten Punkt der Straße erreicht und wollte nach links abbiegen, als plötzlich ein Auto neben ihm hielt. »Sie sind von der Firma Jerrington?« fragte der Mann, der heraussprang.

Der Bürovorsteher bejahte die Frage.

»Dann geben Sie mir die Briefschaften!«

Zu seinem Schrecken sah sich der Angestellte durch eine Pistole bedroht. Später gab er an, er habe sich heftig gewehrt; aber aller Wahrscheinlichkeit nach überreichte er ohne weiteren Widerspruch dem Mann den Postbeutel. Der Fremde sprang wieder in den Wagen und fuhr davon.

All das ereignete sich so plötzlich, daß der Bürovorsteher nicht einmal daran dachte, sich die Nummer des Wagens zu merken. Das hätte auch wenig genützt; denn bald darauf wurde ein gestohlenes Auto in der Gegend gefunden.

Der Bericht von dem Briefdiebstahl wurde nach Scotland Yard gemeldet, erreichte aber Terry Weston nicht.

Der Chefinspektor wollte gerade zu Mr. Salaman gehen und dem jungen Mann Verhaltungsmaßregeln erteilen, als Leslie anläutete und ihm mitteilte, was hinsichtlich des Testaments festgestellt worden war.

»Ich habe ein böses Gewissen, weil ich Sie nicht schon vorher anrief . . .«

»Das ist allerdings eine wichtige Neuigkeit. Ich werde sofort mit den Rechtsanwälten telefonieren!«

Aber das Büro war bereits geschlossen, und er bekam keine Antwort. Erst als er in Salamans Wohnung angekommen war, erhielt er telefonisch die Nachricht von dem Diebstahl der Briefe.

»Der Bürovorsteher ist also unterwegs angehalten und beraubt worden? Verdammt schnelle Arbeit . . .! Er soll bitte nach Scotland Yard kommen! Ich will ihn bei meiner Rückkehr verhören.«

Kurz darauf klingelte der Fernsprecher abermals. Terry saß mit Salaman in dessen luxuriös ausgestattetem Arbeitszimmer. Die schwüle Pracht des Raums war ihm zuwider, und der Mann selber gefiel ihm noch weniger. Er winkte Salaman, und der nahm den Hörer auf. Terry wartete und hörte zu.

»Ja, ich habe das Licht ins Fenster gestellt – Sie haben es gesehen. Wo soll ich Sie treffen?«

Es war vorher vereinbart worden, daß er jedes Wort wiederholen sollte, das der andere ihm sagte.

»Morgen abend um zehn, am Ende der Park Lane, fünfundzwanzig Schritt von der Ecke Marble Arch entfernt? Ja, ich habe alles verstanden . . . Ein Mann kommt mir entgegen, der eine rote Blume im Knopfloch trägt? Und ihm soll ich den Briefumschlag überreichen? Bestimmt – ich komme . . .! Nein, durchaus nicht!« Er hängte den Hörer an und lächelte. »Jetzt haben wir ihn!«

Terry teilte seine Begeisterung nicht und machte kein Hehl daraus.


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