Edgar Wallace
Feuer im Schloß
Edgar Wallace

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23

Mr. Rennett und Mr. Collett speisten an jenem Abend zusammen. Sie hatten sich ein Extrazimmer geben lassen, denn am Abend vor Rennetts Abreise nach Amerika gab es noch einiges zu erzählen.

Keiner von beiden wußte über alles genau Bescheid, und sie hofften, durch einen solchen Gedankenaustausch gewisse Lücken auszufüllen.

Ein neuer Kellner hatte den Kaffee serviert und war dann wieder hinausgegangen. Nun saßen die beiden sich am Tisch gegenüber. Blauer Zigarrenrauch hing zwischen ihnen in der Luft.

»Also, passen Sie auf«, ergriff Rennett das Wort, »ich werde Ihnen erzählen, wie es überhaupt zu der ganzen Geschichte kam: Bill Radley, der sich jetzt John Lorney nennt, und Keller, alias Barton, wurden beide wegen schweren Einbruchs in Australien verurteilt. Radley war ein alter Geldschrankknacker – geradezu ein Spezialist in seinem Fach. Er hatte aber niemals eine Waffe bei sich und war im allgemeinen ein anständiger Mensch, abgesehen natürlich von den Einbrüchen, die er ab und zu beging.«

»Daß er keine Waffe bei sich hatte, muß man ihm unter den Umständen schon hoch anrechnen«, bemerkte Collett.

»Sie entkamen auf dem Transport ins Gefängnis. Barton ging nach Amerika, nachdem er versucht hatte, seinen Partner zu betrügen. Radley kehrte nach England zurück. Als seine Frau – sie starb bei der Geburt – ein kleines Mädchen bekam, beschloß er, daß sie nie erfahren sollte, wer ihr Vater war. Einen Teil von jeder Beute – Radley wußte gut über die Schwäche der menschlichen Natur Bescheid und hatte nie geglaubt, daß er sich noch ändern und seine Verbrecherlaufbahn aufgeben würde – zahlte er daher auf den Namen seiner Tochter bei einer Bank ein. Er hatte erstaunlich viel Glück, und als es ihm seine Verhältnisse gestatteten, gab er Anna Jeans Radley – das ist ihr voller Name – bei einer Familie in Kanada in Pension. Sie wurde in dem Glauben erzogen, daß ihre Eltern gestorben wären. In Lorney sah sie nur einen alten Freund ihres Vaters.

Radley gab dann einem Rechtsanwalt den Auftrag, die Interessen des Mädchens in allen geschäftlichen Dingen zu vertreten. Er erzählte ihm alles und bestimmte, daß Anna jedes Jahr für eine Weile zu ihm kommen sollte.«

»Sie setzen schon allerhand voraus, das ich nicht weiß«, unterbrach ihn Collett. »Wie ist denn Lorney zu dem Gasthaus gekommen?«

Rennett nickte bedauernd.

»Sie haben ganz recht. Ich kann keine Geschichten erzählen. Aber ich weiß darüber auch nicht viel. Er sparte jedenfalls eine größere Summe zusammen, kaufte davon das Gasthaus, beziehungsweise zahlte die erste Rate und ließ sich hier nieder, um ein anständiges Leben zu führen. Aber das Gasthaus war äußerst verwahrlost, und er mußte viel Geld in die Renovierung stecken. Da er das nicht aufbringen konnte, erinnerte er sich wieder an seine alten Fähigkeiten.

Als die Geschichte von dem ›Alten‹ um sich griff und man nirgends genau wußte, ob er nun eigentlich noch lebte oder nicht, fand er es ganz praktisch, einfach die Legende noch eine Weile aufrechtzuerhalten. Er schaffte sich also einen Bart und eine Perücke mit wilden weißen Haaren an. Unter dieser Verkleidung brach er mehrmals hier in der Gegend ein. Aber gerade als er die erbeuteten Wertsachen verkaufen wollte, gewann er unerwartet fünfzigtausend Pfund beim Rennen.

Er begann nun nach und nach die gestohlenen Sachen wieder zurückzubringen. – Übrigens, das Skelett des wirklichen ›Alten‹ wurde in dem Teich im Steinbruch gefunden, neben der Leiche von Charles Green. – Aber was mir noch immer ein Rätsel ist: Wie kam Lorney dazu, Lady Arranways zu schützen, und zwar so eisern?«

»Das kann ich Ihnen sagen«, erwiderte Collett. »Sie rettete ihm einmal das Leben, als ihr Mann auf ihn schießen wollte; damals schlug sie Arranways' Arm zur Seite. Dankbarkeit ist eben auch eine Tugend von Lorney. Aber erzählen Sie weiter.«

Rennetts Gesicht verdüsterte sich.

»Dann kam Barton hierher. Es war eine furchtbare Entdeckung für Lorney, als sie sich gegenseitig erkannten. Barton sah hierin sofort seinen Vorteil und erpreßte Lorney nach Strich und Faden. Daher der Scheck über zehntausend Pfund, den Lorney einlösen sollte. Der Höhepunkt war aber, daß er Lorneys Tochter nachstieg. Das konnte Lorney nicht ertragen.

Barton hatte Lorneys Geheimnis herausbekommen und gab ihm das zu verstehen. Nun beschloß Lorney, Barton zu beseitigen. Aber das wissen Sie ja. – Nun erzählen Sie bitte den Rest, den ich noch nicht kenne.«

»Arranways hatte vergessen, einen seiner Dolche einzuschließen. Lorney fand die Waffe. Ich sah sie in seiner Hand und redete ihn darauf an. Er gab aber vor, er wolle sie in das Zimmer des Lords zurückbringen, Und er nahm auch einen Schlüssel von der Wand.

Zufällig erinnerte ich mich aber später, daß Arranways seinen Schlüssel mitgenommen hatte. Als Lorney dann nach oben ging, steckte er den Dolch unter seinen Rock. Nach einiger Zeit kam er dann wieder und hängte den Schlüssel ans Brett.

Den zweiten Anhaltspunkt erhielt ich, als ich erfuhr, daß Keller kurz vor halb zwölf ermordet worden war. Um die Zeit sah ich Lorney nämlich an der Tür von Kellers Zimmer. Es schien, als ob er mit ihm sprach, aber kurz vorher muß er ihn erstochen haben. Wahrscheinlich hatte er gar nicht die feste Absicht, ihn in dem Augenblick zu ermorden. Aber er muß auf den Balkon hinausgegangen sein und dort Keller gesehen haben, wie er von der Tür seiner Tochter zurückkam. Daraufhin erstach er ihn.

Seine Hände waren blutig, als er die Treppe herunterkam. Geistesgegenwärtig steckte er sie in die Taschen. Später fand unser Freund Blagdon das mit Blut befleckte Jackenfutter. Lorney hatte es herausgeschnitten und irgendwo im Garten hingeworfen, um die Polizei irrezuführen.

Es muß auch Blut an Lorneys Anzug gewesen sein, und wenn ich den Fall bearbeiten müßte, würde ich ihn wohl kaum vor dem Galgen retten können. Ich hätte die Sachen aller Anwesenden untersuchen lassen, und dabei wäre das Blut entdeckt worden. Aber Blagdon hatte andere Pläne – na, Sie wissen ja Bescheid! In der allgemeinen Aufregung konnte Lorney sich unbemerkt umziehen, die Tasche aus dem gebrauchten Anzug herausschneiden, die Knöpfe abtrennen, damit sie nicht später in der Asche gefunden würden, zu einer entlegenen Stelle gehen und den Anzug mit Petroleum begießen und anzünden. Die Knöpfe habe ich bis jetzt noch nicht entdeckt. – Das ist aber auch das einzige Loch in dem Fall! Sonst ist die Geschichte wohl komplett. – Merkwürdig, daß sich jetzt zwei alte Kriminalbeamte zusammentun, um einen Mörder vor dem Galgen zu bewahren, nicht wahr?«

»Es ist in Ordnung so«, meinte Rennett. »Und wir können uns damit trösten, daß Blagdon wenigstens nicht um den Ruhm kommt, in Charles Green den Mörder von Keller gefunden zu haben.«

»Dem tut es sowieso nicht mehr weh.«

Er goß für Rennett und für sich noch ein Glas Portwein ein und stieß dann mit ihm an.

»Wir wollen auf unser gegenseitiges Wohl trinken«, sagte er, »nämlich auf die beiden klügsten Männer der zwei Erdhälften. Für die europäische Hälfte wenigstens trifft das bestimmt zu.«

 


 


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