Edgar Wallace
Feuer im Schloß
Edgar Wallace

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11

Dick Mayford und Anna Jeans saßen sich beim Essen gegenüber. Es war ziemlich einsilbig verlaufen, aber als Charles den Kaffee gebracht hatte, hielt Dick es nicht mehr aus.

»Anna, haben Sie heute etwas Unangenehmes erlebt – im Wald? Ich sah, wie Sie zurückkamen.«

»Wenn Sie gesehen hätten, wie ich wegging, wäre es besser gewesen«, erwiderte sie vorwurfsvoll.

»Was ist denn passiert?«

Sie antwortete nicht, und er wiederholte seine Frage.

»Ach nichts – nichts, was Sie angeht.« Sie lehnte sich plötzlich vor. »Ich habe mich immer gewundert, daß Leute andere Menschen umbringen können. Das war mir unbegreiflich. Sooft ich von einem Mord las, hatte ich das Gefühl, daß er in einer anderen Welt passiert sein müßte, mit der ich nichts zu tun habe. Aber jetzt weiß ich wenigstens, wie man zu so etwas kommen kann.«

Sie sprach leise, aber ihre Stimme klang nicht ganz fest. Dick war sprachlos über die Leidenschaft, die er hinter ihren Worten spürte.

»War es Keller? Was hat er Ihnen getan?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Sie brauchen sich keine Sorgen um mich zu machen – wenigstens nicht in der Beziehung.«

Sie blickte aufs Tischtuch und zeichnete mit dem Löffel sonderbare Linien darauf.

»Es war so entsetzlich, weil er sich nicht mit einem Kuß zufriedengeben wollte. Ich konnte ihn einfach nicht loswerden.«

Dick kochte vor Wut über diesen Keller. Er glaubte auch nicht recht, daß das schon alles gewesen war.

»Haben Sie mit jemanden darüber gesprochen?« fragte er plötzlich. »Etwa mit Lorney?«

»Nein, nur Ihnen habe ich es erzählt. Ach, eigentlich ist es gar nicht wert, daß man sich so darüber aufregt. Aber –«

In diesem Augenblick trat Charles ins Zimmer.

»Es möchte Sie jemand am Telefon sprechen, Mr. Mayford.«

Dick sah ihn an und fragte: »Wer denn?«

»Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube, Lord Arranways.«

Anna schaltete sich ein.

»Ist er denn nicht zur Stadt gefahren? Ich wollte dringend mit Ihnen über ihn sprechen und über –«

»– meine Schwester?« fragte er geradezu. »Wahrscheinlich hat man Ihnen auch darüber Gerüchte zugetragen. Haben Sie etwas gehört?«

Sie wurde rot.

»Sie dürfen den Lord nicht so lange warten lassen.«

Als er hinausging, kam sie ihm in die Diele nach und wartete dort, bis er zurück war. Er sah bedrückt und niedergeschlagen aus.

»Der Lord ist in einem Dorf, ein paar Meilen von hier entfernt. Was er dort eigentlich tut, ist mir schleierhaft. Jedenfalls muß ich hinfahren und mit ihm sprechen.«

Hilflos schaute Dick von ihr zu Charles. Er machte sich immer noch Sorgen um sie.

»Können Sie nicht irgend etwas unternehmen – irgendwo anders hingehen? Vielleicht ins Kino?« schlug er vor. »Ich möchte Sie nicht alleine hierlassen.«

»Bitte, machen Sie doch nicht so ein Theater wegen dieser Sache«, sagte sie beinahe ärgerlich. »Ich komme bestimmt nicht mit, und morgen fahre ich ja nach London.«

Dick sah sich um.

»Wo ist eigentlich Mr. Lorney?«

»Der wird schon irgendwo sein«, meinte Charles unbestimmt. »Er sagt mir nie, wo er hingeht.«

Dick und Anna trennten sich etwas verlegen. Ohne ein Wort zu sagen, ging Anna die Treppe hinauf. Dick wartete, bis er sie nicht mehr sehen konnte; dann fiel ihm schlagartig alles ein, was er sie noch hatte fragen wollen. Aber nun war es zu spät.

 

Die erste Tür im Korridor führte zu Kellers Zimmer, und Anna seufzte erleichtert auf, als sie von drinnen nichts hörte.

Sie öffnete ihre eigene Tür und schloß sie hinter sich. Der Raum lag im Dunkeln, und sie tastete nach dem Schalter.

»Mach kein Licht«, sagte plötzlich eine Stimme.

Anna fuhr zusammen.

»Wer ist da?« brachte sie mühsam hervor, aber die Frage war eigentlich überflüssig. Sie wußte nur zu gut, wer es war. Jetzt sah sie auch die Silhouette eines Mannes, die sich deutlich gegen den helleren Hintergrund des Fensters abhob.

»Ich muß mit dir sprechen. Ich möchte mich wegen meines Benehmens heute nachmittag entschuldigen – ich hatte den Kopf verloren. Hoffentlich hast du Dick Mayford nichts gesagt. Der ist imstande und bringt mich um. Seit Stunden habe ich gewartet, daß du endlich kommst.«

»Wenn Sie nicht sofort mein Zimmer verlassen, rufe ich Mr. Lorney!« rief sie schrill. Im Innern verachtete sie sich dabei selbst, daß sie es nicht fertigbrachte, Keller allein loszuwerden.

Sie versuchte noch einmal, den Schalter zu erreichen, aber er zog sie an sich. Der Duft seines Herrenparfüms verriet, daß er darin einen guten Geschmack hatte. Aber das interessierte sie jetzt nicht.

»Ich liebe dich«, flüsterte er eindringlich. »Noch nie ist mir ein Mädchen begegnet, das so schön und begehrenswert war wie du.«

Er küßte sie. Sie stand wie gelähmt. Aber plötzlich riß sie sich los, schlug ihn ins Gesicht und stürzte auf die Balkontür zu.

Sie schloß auf und lief den Balkon entlang, die Treppe hinunter und ums Haus. Ein Mann stand in der Eingangstür. Sie lief an ihm vorbei und kam atemlos in der Diele an.

Lorney, der hinter der Theke gesessen hatte, stand auf und kam auf sie zu.

»Aber Miss Anna, was ist denn mit Ihnen los?«

»Ein Mann ist in meinem Zimmer!«

Lorney ließ sie los, eilte die Treppe hinauf, riß die Tür zu ihrem Zimmer auf und machte Licht. Es war leer, und die Balkontür stand weit offen. Eine Ecke des Teppichs war hochgeschlagen, als ob jemand mit dem Fuß darüber gestolpert wäre.

»Offensichtlich ein Einbrecher, der Parfüm benutzt«, sagte plötzlich eine ruhige Stimme. »Solche Leute mag ich gerne.«

Lorney drehte sich um und sah Collett, der ihn vom äußeren Ende des Korridors beobachtet hatte und nun hinter ihm stand.

»Er muß durch die Balkontür hinaus sein«, meinte Lorney.

Der Kriminalbeamte nickte.

»Das junge Mädchen anscheinend auch, denn ich habe sie zwar hinauf-, aber nicht wieder hinuntergehen hören. Wer kann denn der Mann gewesen sein?«

»Das bringe ich schon noch heraus«, erwiderte Lorney ruhig. »Eine Ahnung habe ich jedenfalls.«

Als er wieder unten war, fragte er Anna: »Sie haben den Mann nicht erkannt?«

Sie sah von Collett zu Lorney und schüttelte den Kopf. Collett merkte, daß sie nicht die Wahrheit sagte.

»Nein, er hat mich furchtbar erschreckt, das war alles.«

Als Lorney Anna beruhigt hatte, machte er sich auf die Suche nach Keller.

Er fand ihn in seinem Zimmer.

»Ich war die ganze letzte Stunde hier und habe Briefe geschrieben, an meine Verlobte in Australien«, erklärte er kühl.

»Jemand war in Miss Jeans' Zimmer. Waren Sie das vielleicht?« fragte Lorney finster.

Keller ließ sich nichts anmerken.

»Nein, ich war es nicht – aber der Eindringling hat jedenfalls keinen schlechten Geschmack bewiesen. – War es vielleicht der ›Alte‹? Aber eigentlich sind doch junge Mädchen nicht sein Gebiet. Hat Miss Jeans ihn denn nicht erkannt?«

»Woher wissen Sie denn, daß Miss Jeans ihn gesehen hat?« fragte Lorney mißtrauisch.

»Na, irgendwer muß ihn doch gesehen haben, sonst würde doch nicht dies Tamtam um ihn gemacht. – Meinen Sie, er ist hier im Zimmer? Vielleicht sehen Sie sicherheitshalber einmal unter dem Bett nach.«

Keller nahm sich eine neue Zigarette aus der Kiste, die vor ihm auf dem Schreibtisch stand.

Lorney ging wütend aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Unten in der Diele hörte er Collett lachen. Es ärgerte ihn, daß er sich offensichtlich keine Sorgen mehr um den Einbrecher machte.

»Sie gehören also auch zu diesen amerikanischen Superdetektiven, von denen man soviel hört«, sagte Collett gerade.

»Ach, übertreiben Sie doch nicht so.« Das war Captain Rennetts Stimme. »Auf der ganzen Welt hört man nur Wunderdinge von der englischen Kriminalpolizei.«

»Wonach suchen Sie hier eigentlich, Captain?« fragte Collett.

»Oh – ich interessiere mich für den ›Alten‹. Außerdem liebe ich diese Gegend. Sketchley ist wirklich so schön, wie man es nur auf Bildern sieht – sanfte Täler, alte Parks, dazwischen Schlösser mit Gespenstern . . .«

Collett schob einen Stuhl an den Tisch, wo sich der Amerikaner niedergelassen hatte.

»Das soll Ihnen jemand anders glauben! Sie sind imstande, mir mit dem unschuldigsten Gesicht von der Welt die größten Schauermärchen zu erzählen.«

Rennett schüttelte den Kopf.

»Nein, ich wüßte wirklich nicht, was ich hier sonst sollte –«

»Oh, ich wüßte das schon«, unterbrach ihn Collett. »Ich selbst bin ja extra Ihretwegen hergeschickt worden, nicht etwa um den ›Alten‹ aus seinem wohlverdienten Grab zu holen. Das ist meine persönliche Meinung«, setzte er schnell hinzu, als er das erstaunte Gesicht von Captain Rennett sah. »Offiziell soll ich mich natürlich auch um diese Angelegenheit kümmern. Aber Sie sind der eigentliche Magnet, der mich hergezogen hat. – Kennen Sie übrigens Lord Arranways?«

»Ich habe ihn gesehen«, entgegnete Rennett unbeeindruckt.

»Das ist aber ziemlich zahm ausgedrückt«, meinte Collett. »Sie sind ihm, soviel ich weiß, durch halb Europa gefolgt. Was bezweckten Sie damit?«

Rennett lächelte.

»Man trifft doch manchmal immer wieder dieselben Leute, wo man auch hingeht. Nein, von Interesse kann da keine Rede sein, und schon gar nicht für Lord Arranways. Er ist für mich nur einer unter den vielen Lords, die es in England gibt und die ja sicher auch ab und zu Reisen auf den Kontinent machen.«

Collett sah ihn aufmerksam an.

»Dann – interessieren Sie sich vielleicht für Lady Arranways?«

»Auch das nicht. Verheiratete Frauen interessieren mich nicht, selbst wenn sie sehr schön sind. Ich bin überhaupt zu alt für Abenteuer. Ich reise wirklich nur zu meinem Vergnügen.«

»Warum hat man Sie eigentlich bei dem Brand von ›Arranways Hall‹ gesehen? Warum sind Sie erst später hier im Gasthaus aufgetaucht und warum haben Sie dann getan, als hätten Sie von nichts eine Ahnung?«

»Sie verstehen aber ganz nett, die Leute auszufragen, mein lieber Inspektor! Wer hat mich denn verraten? Vielleicht der Kellner Charles oder Mrs. Harris? Nun, ich gebe zu: Ich war bei dem Brand. Aber um Ihnen die Gründe auseinanderzusetzen, würde ich eine Stunde brauchen. Glauben Sie mir denn wirklich nicht, daß ich einer von jenen exzentrischen Amerikanern mittleren Alters bin, die nicht wissen, was sie sonst mit ihrer Zeit anfangen sollen?«

Der Chefinspektor schüttelte den Kopf.

»Ein Amerikaner, der in Ihrem Alter nicht weiß, was er mit seiner Zeit anfangen soll, ist allerdings exzentrisch – das gebe ich zu. Aber ein Kriminalbeamter, der zwanzig bis dreißig Jahre Praxis hinter sich hat, verfolgt nicht eine Gesellschaft von extravaganten Engländern durch halb Europa – bloß so zum Zeitvertreib. Von solchen Sachen hat er dann meistens genug.«

Rennett blickte auf die Uhr und erhob sich.

»Ich werde noch ein bißchen spazierengehen und sehen, was hier in Sketchley für Verbrechen begangen werden, damit ich nicht aus der Übung komme.«

Er nickte Collett zum Abschied zu, nahm seinen Hut vom Haken und ging in die Nacht hinaus.


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