Edgar Wallace
Feuer im Schloß
Edgar Wallace

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13

Zehn Minuten danach stand Keller in der Tür seines Zimmers und rief nach Charles. Der Kellner ging zu ihm hinauf, kam dann zurück und holte eine Flasche Kognak.

»Der kann was vertragen!« flüsterte er Lorney zu.

»Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten«, wies ihn der Wirt zurecht. »Wenn er die Flasche bestellt und austrinkt, dann wird er sie auch bezahlen. Rufen Sie Mrs. Harris, wenn Sie den Kognak nach oben gebracht haben. Sie soll hier bedienen.«

Bald danach erschien Rennett und ließ sich eine Zigarre geben. Er kannte Mrs. Harris schon von früher, blieb an der Theke stehen, wählte umständlich eine Zigarre und ließ sich Feuer geben.

»Nach neun Uhr abends hat das Dorf wirklich große Ähnlichkeit mit einem Friedhof«, meinte er.

Mrs. Harris gab ihm vollkommen recht. Sie stammte aus London und hatte kein Verständnis für die Schönheiten des Landlebens.

Sie sah, daß Rennett aufschaute, und nahm an, er bewunderte die schöne, eingelegte Decke.

»Ein nettes, altes Haus, was?« sagte sie. »Man kann kaum ein paar Schritte gehen, ohne sich den Kopf zu stoßen. Direkt künstlerisch.«

So hatte sie zu allem etwas zu sagen, aber .das meiste kam Rennett reichlich vertraut vor. Schließlich kam das Gespräch auch auf den ›Alten‹. Mrs. Harris erklärte, sie fürchtete sich nicht, nur die Nachbarschaft des Irrenhauses fiele ihr etwas auf die Nerven.

Rennett lächelte traurig. Er konnte an keiner Nervenheilanstalt vorbeigehen, ohne daß es ihm einen Stich gab.

Als Lorney zurückkam, brach die Unterhaltung, die sowieso hauptsächlich von Mrs. Harris bestritten worden war, ab. Er war, wie Mrs. Harris schon angedeutet hatte, nicht in der besten Laune. Selbst Rennett fiel es schwer, ein Gespräch mit ihm anzufangen. Er versuchte es also noch mal mit der Feststellung, wie ausgestorben das Dorf am Abend wäre.

»Ja, es ist wirklich sehr ruhig hier«, erwiderte Lorney. »Aber wir können nicht jeden Abend einen Schloßbrand für Sie inszenieren.«

Rennett lächelte.

»Den habe ich leider versäumt.«

»Aber Sie sind doch von den verschiedensten Leuten gesehen worden!«

»Ich war in London.«

Lorney gab Mrs. Harris ein Zeichen, daß sie sich entfernen könnte. Rennett war gespannt, was jetzt kommen würde. Er wartete und zog ab und zu an seiner Zigarre.

»Wir wollen doch einmal offen miteinander reden, Captain Rennett«, begann Lorney. »Sie sind nicht zum erstenmal bei mir.«

»Ganz recht. Vor einem Jahr war ich schon einmal hier.«

»Damals haben Sie auch Nachforschungen angestellt. Ich habe zufällig davon erfahren.«

Der Amerikaner lächelte.

»Es tut mir leid, aber es ist nun einmal eine Gewohnheit von mir, mich überall umzusehen.«

John Lorney wandte nicht den Blick von ihm.

»Mr. Mayford hat mir neulich erzählt, daß Sie zugleich mit den Arranways in Rom waren. Später sind Sie ihnen dann nach Wien und Berlin nachgereist. Dann kamen Sie in der Nacht, in der das Schloß abbrannte, hierher – nun, wir wollen uns über diesen Punkt nicht streiten. Wir können ja auch sagen, Sie tauchten kurz nach der Rückkehr der Arranways hier auf.«

Rennett zwinkerte ihm zu.

»Das klingt mir fast wie eine Wiederholung all dessen, was mir mein Freund Collett erzählt hat.«

»Es ist mir egal, ob Sie den Arranways auf dem Kontinent nachgereist sind, aber ich möchte gern wissen, warum Sie vor einem Jahr hierherkamen.«

Rennett steckte sich plötzlich eine neue Zigarre an.

»So, macht Ihnen das Kopfschmerzen? Und wenn ich Ihnen sage, daß ich zufällig hierherkam?«

Lorney schüttelte den Kopf.

»Das glaube ich nicht.«

»Nein? Nun, es kann auch Absicht gewesen sein.«

»Die Arranways waren damals nicht hier.«

Der Amerikaner nickte.

»Das stimmt. Ich interessiere mich auch nicht für sie.«

»Sie wollten jemanden treffen, den Sie hier zu finden hofften und hatten kein Glück dabei, nicht wahr?«

»Ja, Sie haben recht. Ich hatte in Amerika gewisse Informationen erhalten, die mich veranlaßten. hierherzukommen. Sie wissen, daß ich eine Autorität auf dem Gebiet des Einbruchdiebstahls bin. Meine jahrelange Erfahrung sagte mir, daß es sich bei dem ›Alten‹ nur um einen Berufsverbrecher handeln konnte. Und da Einbrecher stets gewisse Kennzeichen zurücklassen, die man ebenso lesen und deuten kann wie die Handschrift eines Menschen, kam ich hierher, um diesen Einbrecher unter die Lupe zu nehmen.«

»Ach, dann war es also doch berufliches Interesse?«

»Wenn Sie so wollen, ja. Ich habe an der Börse etwas Geld verdient und mich pensionieren lassen. Außerdem habe ich keine Kinder mehr . . . Meine einzige Tochter starb vor einigen Monaten in einer – Nervenheilanstalt. Ich hätte nie geglaubt, daß ich einmal sagen würde: Gott sei Dank, daß sie tot ist, aber jetzt bin ich fast soweit.«

Er schwieg eine Weile, in Erinnerungen versunken. Nachdenklich steckte er seine Zigarre wieder in Brand, die inzwischen ausgegangen war.

»Deshalb«, fuhr er dann fort, mehr zu sich selber gewandt, »kam ich auch zurück. Ich konzentriere mich völlig darauf, den Mann zu finden, der sie ermordet hat.«

Er sagte das ganz ohne Pathos, aber hinter seinen Worten stand eine Drohung, die Lorney das kalte Grausen den Rücken hinunterjagte.

Rennett räusperte sich.

»Haben Sie nicht ein stilles Zimmer, wo wir beide ungestört miteinander sprechen können?«

»Kommen Sie in mein Wohnzimmer.«

Lorney führte ihn an der Theke vorbei in das Privatzimmer, das dahinter lag, und schloß die Tür.

»Nehmen Sie bitte Platz. Wollen Sie etwas trinken?«

»Nein, danke. Aber ich will Ihnen jetzt etwas sagen, das die englische Polizei nicht weiß: den Namen des Mannes, der die Einbrüche verübt hat und der meiner Meinung, nach mit dem ›Alten‹ identisch ist.«

Lorney wartete, ohne sich zu bewegen.

»Er heißt Bill Radley und war sein Leben lang ein Verbrecher. Ich weiß nicht sehr viel von ihm, aber er soll trotz allem einen sehr anständigen Charakter haben. Als ich in den Zeitungen las, daß der ›Alte‹ immer nur Sachen aus massivem Gold nahm und nur auf der Vorderseite der Häuser einbrach, wußte ich, wer es sein mußte, hören Sie: mußte! Auch erkannte ich an vielen Einzelheiten, daß es sich um Bill Radley handelte.«

»Es lebt aber niemand hier in der Gegend, der so heißt«, erwiderte der Wirt, der sich für die Erzählung seines Gastes außerordentlich zu interessieren schien. »Wenigstens nicht, seit ich hier bin.«

»Das weiß ich. Ich bin auch gar nicht hinter ihm her, sondern hinter seinem Partner, einem gewissen Barton oder Boy Barton, wie er in Australien wegen seines jungenhaften Aussehens genannt wurde, obwohl er in Wirklichkeit gar nicht mehr so jung ist.«

»Ist er auch ein Einbrecher?«

»Nein, für diese Art Tätigkeit ist er nicht mutig und nicht klug genug. Er arbeitet nur mit dem anderen zusammen, verkehrte in der besten Gesellschaft und schaute sich nach guten Gelegenheiten um. Bill führte dann den Einbruch aus. Ungefähr vor fünf Jahren wurden beide gefaßt, als sie die Bank in Carra-Carra ausraubten. Boy Barton schoß einen Polizeibeamten nieder, und deshalb bekamen sie zehn Jahre.«

»Dann sitzen sie ja noch.«

Rennett lächelte.

»Das sollten sie eigentlich, aber sie entkamen auf dem Weg vom Gericht zum Gefängnis. Ich interessiere mich nicht dafür, was Bill Radley macht – merken Sie sich das, Mr. Lorney. Aber dieser Boy Barton kam in die Vereinigten Staaten, und zwar nach St. Louis. Er nannte sich Lord Boyd Barton Lancegay. Der Name klang gut. Er lernte eine junge Dame kennen, verliebte sich in sie oder tat wenigstens so, und ihr verrückter alter Vater freute sich darüber, daß seine Tochter eine ›Lady‹ werden sollte. – Ich gab ihr fünfzigtausend Dollar Mitgift, kaufte ein hübsches Haus für die jungen Leute und richtete es ein. Nach einem Jahr kam ein furchtbares Erwachen für mich, aber da war es zu spät. Boy Barton brachte seine Frau in eine Nervenheilanstalt, dann machte er, daß er fortkam, nachdem er noch einige Schecks mit meiner Unterschrift gefälscht hatte. Nun, auf das Geld kommt es ja nicht an, aber Sie können sich sicher vorstellen, wie mich die Geschichte mitgenommen hat. – Haben Sie vielleicht schon davon gehört?«

»Nein, ich hatte keine Ahnung davon. – Wo ist er denn jetzt?«

Rennett zuckte die Achseln.

»Irgendwo hier in der Nähe, soviel ich vermute.«

»Haben Sie denn schon eine Spur von ihm – oder ihn selbst?«

Eine Zeitlang antwortete der Amerikaner nicht.

»Ja«, sagte er dann, »zufällig entdeckte ich ihn. Und dann heftete ich mich an seine Fersen.«

»Jetzt verstehe ich. Also war es tatsächlich ein Zufall, daß Sie vor einem Jahr herkamen. Sie glaubten, Radley wäre hier, weil die Einbrüche genau nach seiner Methode ausgeführt wurden. Und nachher sahen Sie, daß Sie sich geirrt hatten.«

»Nein, es war nicht Radley. Aber trotzdem tut es mir nicht leid, daß ich hergekommen bin. Mr. Collett ist ein bißchen neugierig, und ich habe ihn auch bis zu einem gewissen Grad aufgeklärt. Natürlich habe ich ihm nichts von Radley oder Boy Barton gesagt. Das ist meine eigene Angelegenheit, und ich hoffe, Sie werden mein Vertrauen nicht mißbrauchen.«

John Lorney lächelte.

»Die Wände dieses Zimmers haben schon viel Vertrauliches gehört, Captain Rennett.«

Die beiden Männer verließen das Zimmer und gingen durch die Diele nach draußen. Es regnete nicht mehr, und der Mond zeigte sich ab und zu zwischen den Wolken.

»Meine Geschichte ist nicht allzu aufregend«, sagte Rennett abschließend. »Wenn man das Dach des Hauses hier abheben könnte, würde man wahrscheinlich viel merkwürdigere Dinge erfahren.«

Lorney antwortete nicht. Er ließ Rennett stehen und ging geräuschlos über den Rasen zum Fuß der Treppe, die auf den Balkon hinaufführte. Von hier aus konnte er alle Fenster sehen. In einem brannte Licht hinter einem dunkelblauen Vorhang – dort wohnte Lady Arranways.

Bei Keller war es dunkel, und Lorney ging einige Schritte weiter, bis er die letzte Glastür genau beobachten konnte. Zuerst glaubte er, daß kein Licht dort brannte, aber gleich darauf sah er einen schwachen Lichtschein, als der Wind die Vorhänge bewegte. Zufrieden wandte er sich um.

Rennett war verschwunden.


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