Edgar Wallace
Feuer im Schloß
Edgar Wallace

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14

Anna war nicht ins Bett gegangen. In verzweifelter Stimmung hatte sie angefangen zu packen, aber sie brachte alles durcheinander. Sie wollte am kommenden Morgen nach London fahren, weil sie Angst hatte – Angst vor Keller. Sie wußte, daß sie ein drittesmal nicht mit ihm fertig werden würde. Bisher hatte immer sie selbst bestimmt, mit wem sie etwas zu tun haben wollte und mit wem nicht, und mit der Zeit hatte sie sich ein gewisses Selbstvertrauen angeeignet. Sie war der Meinung, alles im Leben spielte sich nach feststehenden Regeln ab.

Das Erlebnis mit Keller hatte ihre Sicherheit ins Wanken gebracht.

Sie setzte sich hin, um ihm einen Brief zu schreiben – einen ausführlichen Brief, in dem sie ihm auseinandersetzen wollte, was man ihrer Meinung nach tat und was nicht. Sie hoffte, ihn dadurch zu überzeugen und – zu bessern. Aber nachdem sie dreimal angefangen und den Brief dann wieder zerrissen hatte, wurde sie sich des eigentlichen Grundes für ihre Besserungsversuche bewußt: Es war nicht so sehr der Wunsch, einen besseren Menschen aus ihm zu machen, als der, sich selbst ein Zeugnis über ihren großartigen Charakter auszustellen, der fern von allen Versuchungen auf dem Pfade der Tugend wandelte.

Schließlich siegte aber ihr angeborener Sinn für das Komische, und sie gab es auf. Wenigstens war sie dabei ruhiger geworden.

Sie hatte eben den letzten Brief in tausend Fetzen gerissen, als sie ein Klopfen hörte.

Entsetzt starrte sie auf die Tür, die glücklicherweise abgeschlossen war. Als das Klopfen wiederholt wurde, schlich sie zur Tür und horchte.

»Schlafen Sie schon? Kann ich noch hereinkommen?«

Es war Lady Arranways Stimme. Anna schloß auf.

»Sind Sie krank?« fragte Mary ernstlich besorgt.

»Nein, es geht mir ganz gut«, versicherte Anna. »Kommen Sie bitte herein. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich wieder abschließe?«

»Nein, im Gegenteil. Was ist denn mit Ihnen los? Sie sehen ja ganz blaß aus. Sie haben vorhin etwas Häßliches erlebt, nicht wahr? – Darf ich rauchen?«

Anna nahm eine Zigarette aus dem goldenen Etui, das Mary ihr hinhielt.

Mary setzte sich aufs Bett und zog Anna neben sich.

»Ich weiß, was heute nachmittag passiert ist – ich hab' es gesehen.«

»So? – Im Wald?«

Mary nickte.

Anna wurde rot.

»Es war so gemein!« sagte sie tonlos. »Heute abend war er auch noch hier im Zimmer.«

»Auch das weiß ich. Ich habe gesehen, wie Sie auf den Balkon hinausstürzten.«

Es entstand eine Pause. Nur das Ticken der kleinen Uhr auf dem Nachttisch war zu hören.

»Ist er ein Freund von Ihnen?« fragte Anna fast entschuldigend. »Ich meine, kennen Sie ihn eigentlich schon sehr lange?«

»Nein, nicht sehr lange. Aber er ist sehr eng mit mir befreundet – das heißt, er war es. Vermutlich spricht das ganze Dorf darüber.«

»Ich habe noch nichts gehört«, log Anna. »Natürlich wußte ich, daß er bei Ihnen und Ihrem Mann auf dem Schloß wohnte. Wer ist er eigentlich?«

»Er ist Australier – nein, er ist in England geboren, aber er lebte in Australien. – Wie lange war er eigentlich in Ihrem Zimmer? Ich habe Sie nämlich nicht heraufkommen hören.«

»Höchstens eine Minute – nein, noch nicht einmal. Er küßte mich und versuchte mich festzuhalten, aber ich konnte mich losreißen.«

Lady Arranways seufzte erleichtert auf.

»Sie sind noch sehr jung und eigentlich die letzte, die ich um Rat fragen sollte, aber bitte sagen Sie mir, was Sie tun würden, wenn Sie zu weit gegangen wären . . . Ich meine, wenn Sie vollkommen verantwortungslos gehandelt hätten – und wenn Sie einen Zettel wie diesen unter Ihrer Tür fänden.«

Sie zog ein Blatt Papier aus ihrer Handtasche und faltete es zögernd auseinander.

Anna nahm es und überflog den kurzen Text, der in peinlich ordentlicher Handschrift darauf stand. Mr. Keller hatte seine Schrift nach den Regeln der Ästhetik gestaltet, aber ein geübtes Auge kannte trotzdem noch gewisse Züge von Primitivität darin erkennen.

›Am Sonnabend brauche ich 3000 Pfund. Ich übersiedle dann auf den Kontinent und werde Dich nie wieder belästigen. Oder ist es Dir lieber, wenn ich mich an Eddie wende?‹

»Hat er denn selbst kein Geld?« fragte Anna überrascht. »Er sagte mir, er wäre sehr reich, besäße eine große Farm in Australien . . . Wollen Sie ihm das Geld geben?«

Mary Arranways faltete das Blatt wieder zusammen und steckte es in die Tasche zurück.

»Er weiß genau, daß ich keine dreitausend Pfund habe, aber er erwartet, daß ich meinen Mann darum bitte.«

Anna sah sie erst verständnislos an, aber dann begriff sie plötzlich.

»Das ist ja Erpressung!«

Mary nickte.

»So kann man es nennen. Scheußlich, nicht wahr? Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll.«

»Daß so jemand überhaupt weiterleben darf! Man sollte ihn . . . Ach, ich benehme mich wirklich hysterisch. Entschuldigen Sie bitte.«

Mary stand auf und gab Anna die Hand.

»Würden Sie so freundlich sein, die Balkontür aufzuschließen? Ich möchte außen herum gehen. Nun gute Nacht, und haben Sie Dank für Ihr Zuhören.«

Anna schloß auf, und Mary trat hinaus, wich aber sofort wieder ins Zimmer zurück.

»Da draußen ist ein Mann!« sagte sie leise.

Annas Herz fing an zu hämmern.

»Wo?«

»Am hinteren Ende – sehen Sie, dort!«

Ängstlich schaute Anna durch den Türspalt. Zuerst konnte sie nichts entdecken, aber dann sah sie, daß sich am Ende des langen Balkons eine Gestalt bewegte und gleich darauf verschwand.

»War das . . .?« fragte sie leise.

»Nein, Keller war es nicht. Meiner Meinung nach war es ein viel größerer Mann. Ich dachte zuerst an Mr. Rennett, aber bei der Beleuchtung konnte ich natürlich keine Einzelheiten erkennen.«

Sie warteten noch fünf Minuten, aber die Gestalt erschien nicht wieder.

»Wollen wir nicht lieber die Tür zumachen?« fragte Anna ängstlich.

»Ich muß in das Zimmer meines Mannes. Dort liegt etwas . . . etwas, das mir gehört: und das ich brauche. Die Tür zum Gang ist abgeschlossen. Vielleicht ist die Balkontür auf.«

Sie trat in die Dunkelheit hinaus. Anna wartete eine Weile. Dann hörte sie die Stimme von Lady Arramways.

»Es ist alles in Ordnung, ich danke Ihnen. Ich gehe jetzt wieder in mein Zimmer. Gute Nacht.«

Anna schloß die Balkontür ab und zog die Vorhänge zu.


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