Edgar Wallace
Feuer im Schloß
Edgar Wallace

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21

Kurz vor dem Abendessen ließ Blagdon Lady Arranways in sein Büro kommen. Ein Stenograf war anwesend, um alles mitzuschreiben, und Mary machte sich auf eine unangenehme halbe Stunde gefaßt.

Es wurde auch wirklich unangenehm. Blagdon stellte ihr völlig ungerechtfertigte Fragen über Dinge, die sie allein angingen.

Als er ihr zu dumm wurde, stand sie plötzlich auf.

»Ich bleibe nicht länger hier«, sagte sie erregt. »Sie haben nicht das Recht, mich derart zu verdächtigen.«

»Schließen Sie die Tür!« rief Blagdon dem Stenografen zu.

Mary aber lief zum Fenster und rief um Hilfe.

Dick war draußen im Garten und hörte sie, aber Collett war noch schneller zur Stelle.

»Was ist denn hier los?« fragte er durchs Fenster.

»Der Inspektor hat mich beleidigt – er hat die Tür abschließen lassen!« rief Mary etwas zusammenhanglos.

»Bringen Sie Ihre Schwester fort«, sagte Collett zu Dick. »Und Sie können auch gehen«, wandte er sich an den Polizeistenografen.

»Holen Sie sofort Sergeant Raynor und Sergeant Clarke!« rief Blagdon wütend.

»Das wird Ihnen noch leid tun«, sagte Collett scharf. Als der Beamte gegangen war, fuhr er fort: »Wie können Sie nur solche Dummheiten machen, Blagdon! Sie bringen sich um Kopf und Kragen, wenn Sie so weitermachen.«

»Diese Frau ist die Mörderin!« Blagdons Stimme überschlug sich beinahe. »Deshalb ist doch auch Arranways verschwunden. Er wußte, daß seine Frau schuldig war, und floh, um sie zu schützen und den Verdacht auf sich zu lenken. Sie hat Keller erstochen. Sie ist in das Zimmer ihres Mannes gegangen und hat die Mordwaffe herausgeholt. Ich habe Miss Jeans gefragt. Sie hat mir gesagt, daß sie Lady Arranways an dem Abend noch gesprochen hat und daß sie hinterher in das Zimmer ihres Mannes gehen wollte, um etwas zu holen. Natürlich den Dolch, mit dem Keller ermordet wurde!«

Collett sah ihn ruhig an.

»Lady Arranways war nicht in dem Zimmer ihres Mannes.«

Zwei Sergeanten erschienen draußen vor dem Fenster. Blagdon schickte sie wütend wieder fort.

»Sie haben die Sache von Anfang an falsch angepackt«, fuhr Collett unbarmherzig fort. »Es wäre besser, Sie gingen nach Guildford zurück.«

»Wissen Sie denn, wer der Mörder ist?«

»Ja.«

Blagdon hatte die Hände in den Taschen vergraben und ging im Zimmer auf und ab. Er war noch wütend, aber vor allem entsetzlich unsicher. Dieser Collett konnte einem wirklich die Hölle heiß machen!

»Lassen Sie vor allem Lady Arranways in Ruhe«, riet ihm Collett. »Was für ein Leichtsinn, so mit einer Frau umzugehen, die bestimmt ein halbes Dutzend Freunde im Parlament hat. Wenn sie etwas gegen Sie unternimmt, sind Sie erledigt!«

Mary Arranways verbrachte auf Colletts Rat hin die meiste Zeit in Gesellschaft ihres Bruders, und da Dick und Anna mittlerweile unzertrennlich geworden waren, saß man gewöhnlich zu dritt im Zimmer von Lady Arranways. Dort wurde auch das Abendessen serviert. Merkwürdigerweise war Charles seit neuestem von einer geradezu erstaunlichen Höflichkeit und Aufmerksamkeit.

Als er den zweiten Gang hereinbrachte, fiel Mary etwas ein.

»Ach, sagen Sie doch Mr. Lorney, daß ich morgen früh abfahre, und bitten Sie ihn, mir dann meinen Schmuck auszuhändigen.«

»Jawohl, Mylady«, sagte Charles beflissen.

»Sie haben die Juwelen aus dem Brand retten können?« fragte Anna teilnehmend.

»Sie lagen im Safe in der Bibliothek und haben nicht im geringsten unter der Hitze des Feuers gelitten«, entgegnete Mary gleichgültig. »Eddie wollte sie eigentlich zur Bank schicken, aber er muß es vergessen haben.«

Charles hatte die Tür nur angelehnt und lauschte draußen. Sein Plan nahm immer festere Formen an. Blagdon hatte ihn kurz vorher zu sich gerufen und ihm mitgeteilt, daß er den Vorschlag annähme. Nun mußte Charles seine Zeit genau einteilen. Um 9.25 Uhr mußte es klappen. Es waren an diesem Tag mehr Gäste als gewöhnlich zum Abendessen gekommen, und er hatte viel zu tun. Endlich klopfte er an Lorneys Zimmertür. »Kann ich Sie einen Augenblick sprechen?«

Lorney saß an seinem Schreibtisch und wandte Charles den Rücken zu. Der Kellner schloß die Tür und sah auf die Uhr, die auf dem Kamin tickte. Es war zwanzig Minuten nach neun.

Fünf Minuten später verließ er das Büro wieder und machte die Tür sorgfältig hinter sich zu. Unter dem Arm trug er eine kleine schwarzlackierte Kassette. Collett wunderte sich, als er das sah, aber im nächsten Augenblick war Charles verschwunden.

Es herrschte eine gespannte Atmosphäre im Haus. Collett konnte sich nicht denken, weshalb es jetzt schon so weit war. Er hatte vermutet, daß es erst am nächsten Morgen Schwierigkeiten geben würde, nämlich dann, wenn Blagdon wieder nach Guilford zurück mußte und das sicher nicht ohne den Schuldigen tun würde. Mit ein bis zwei Verhaftungen mußte man wahrscheinlich rechnen.

Nach einer Weile kam Blagdon zu ihm.

»Jetzt können Sie es ja ruhig wissen«, sagte er. »Ich werde Lord Arranways noch heute hier haben. Ich hoffe, Sie sind überrascht.«

»Wo ist er denn?«

Das wußte Blagdon nicht. Er zuckte die Schultern.

»Das kann ich leider noch nicht sagen. In London sicher, wenn auch nicht direkt in der City, aber er wird um elf Uhr fünfzehn hier sein.«

Er schaute auf die Uhr.

»Zwanzig vor zehn.«

»Ich dachte, er wäre gar nicht mehr in England?«

»Ach, was für ein Blödsinn!« fuhr Blagdon ihn an. »Alle Häfen werden überwacht, und alle Tankstellen und Autoverleihfirmen sind verständigt. Es ist ausgeschlossen, daß er hinauskommt. Und außerdem –«

Collett sah plötzlich, wie sich der Gesichtsausdruck des Inspektors veränderte. Blagdon starrte fassungslos auf die Tür, und er hatte auch allen Grund, sich zu wundern.

Lord Arranways stand im Türrahmen und zog sich langsam die Handschuhe aus.


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