Edgar Wallace
Die Bande des Schreckens
Edgar Wallace

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

38

Die weitere Durchsuchung schien eine Ewigkeit zu dauern, und Cravel folgte den Beamten verstört von Zimmer zu Zimmer. Schließlich kamen sie wieder nach unten in die Halle, und Claves gab den Schlüssel zurück.

»Eine solche Hausdurchsuchung ist immer sehr unangenehm für alle Beteiligten«, sagte er höflich. »Aber Sie wußten ja, daß mir nichts anderes übrig blieb.«

Cravel erwiderte nichts. Seine Gedanken wirbelten wild durcheinander.

Der Inspektor blieb noch zurück, während die beiden anderen Beamten zu dem Polizeiwagen gingen.

»Es tut mir leid, daß ich Ihnen so viel Umstände mache, aber ich muß Sie noch etwas fragen. Wollen wir nicht in Ihr Zimmer hinaufgehen?«

Er begleitete den bestürzten Hotelbesitzer nach oben.

»Dies ist doch ein sehr altes Haus?« fragte er, als sie angekommen waren.

Cravel zwang sich zu einem Lächeln.

»Sie denken wohl an unterirdische Gänge?«

»Nein, daran habe ich wirklich nicht gedacht. Aber antworten Sie mir, ist es ein altes Haus?«

»Ja, es stammt aus den Zeiten der Tudors. Einige Teile sind sogar noch älter.«

Cravel wußte nicht, worauf der Inspektor hinauswollte. Warum waren die anderen Beamten fortgegangen, und warum wurde er weiterverhört?

»Können Sie mir nicht sagen, warum Sie eigentlich hergekommen sind?«

»Ich glaube, es handelt sich um Monkfords Tod«, sagte der Inspektor langsam und sah Cravel durchdringend an. »Die Sache ist der Polizei von Berkshire ebenso rätselhaft wie Scotland Yard, und ich möchte Sie fragen, ob Sie nicht irgend etwas darüber zu sagen haben.«

»Bin ich denn verhaftet?« fragte Cravel schnell.

Claves schüttelte den Kopf.

»Nein, das nicht. Ich frage Sie nur.«

Cravel hatte jetzt seine Selbstbeherrschung wiedererlangt.

»Ich bin schon früher darüber gefragt worden, und ich habe alle Erklärungen abgegeben, zu denen ich imstande war«, entgegnete er kurz.

Der Inspektor zögerte.

»Ich wollte Ihnen nur das eine sagen. Wenn ein Mann irgendwie in die Sache verwickelt wäre – ich meine, nicht ernstlich – wäre es da nicht gut für ihn, wenn er sich als Kronzeuge meldete? Dadurch könnte er wahrscheinlich einer schweren Strafe entgehen.«

Cravel lachte. Diese Polizeibeamten waren doch manchmal wirklich zu kindisch!

»Sie wollen doch nicht etwa behaupten, daß ich mich eines so schrecklichen Mordes schuldig gemacht haben sollte? Das bilden Sie sich doch wohl nicht ein?«

»Nein.«

Der Inspektor stellte dann noch eine Menge bedeutungsloser Fragen. Er mußte irgendeine Absicht damit verfolgen, aber Cravel wurde nicht klug daraus. Das Verhör dauerte eine Viertelstunde, aber erst gegen Ende kam noch eine wichtige Frage.

»Ich habe Nachricht erhalten, daß Inspektor Long und Sergeant Rouch heute morgen hierher gekommen sind. Was ist aus ihnen geworden?«

»Sie sind wieder fortgefahren«, entgegnete Cravel kühl. »Mit Mr. Long stehe ich gerade nicht sehr gut. Angeblich ist die Sekretärin von Miß Revelstoke vorige Nacht aus einem Krankenhaus von London verschwunden, und weil Inspektor Long wußte, daß ich mich für die junge Dame interessiere, kam er um fünf Uhr morgens hierher und blieb etwa eine Viertelstunde hier. Seit der Zeit habe ich ihn nicht wiedergesehen.«

»Ist er fortgefahren?«

»Er hatte ein Auto, einen Polizeiwagen, und da wäre es doch töricht gewesen, wenn er zu Fuß gegangen wäre«, erwiderte Cravel ironisch.

In diesem Augenblick klopfte es an der Tür. Der Inspektor erhob sich und unterhielt sich leise mit einem seiner Beamten.

»Es ist gut, Mr. Cravel«, sagte er dann. »Mehr wollte ich nicht wissen.«

Zu Cravels größter Beruhigung fuhr das Polizeiauto endlich ab.

Jetzt hatte er Zeit, klar nachzudenken und sich auf eine schleunige Flucht vorzubereiten.

Er ging in sein Wohnzimmer, in dem auch ein kleiner Mahagonischreibtisch stand. Dort verwahrte er in einer Geheimschublade eine Stahlkassette, die mit amerikanischen Banknoten gefüllt war. Er nahm sie heraus und stellte sie auf den Tisch. Aus einer anderen Schublade holte er eine Handvoll englischer Banknoten. Dann wechselte er rasch seinen Anzug.

In der Garage des Hotels wartete ein starkmotoriger Wagen auf ihn, und sein Plan war schon seit langem gefaßt. Seit Jahren hatte er Woche für Woche die Abfahrtszeiten der Dampfer von Genua nach New York aufnotiert, und er besaß auch einen amerikanischen Paß.

Clay Shelton hatte ja zum Vergnügen derartige Pässe gefälscht, und es gab kein Mitglied der Bande, das nicht über die nötigen Personalpapiere verfügte, die im Augenblick der Gefahr Sicherheit gewährten.

Er hörte schnelle Schritte in der Halle und steckte das Geld rasch ein. Als Alice in den Raum kam, deutete nichts daraufhin, daß er schleunigst fliehen wollte.

»Die Polizei ist hier gewesen«, sagte er.

»Ich traf den Wagen auf der Straße unten. Sie hielten mich an und fragten mich eine Menge gleichgültige Dinge. Von Inspektor Long und Nora Sanders haben sie nichts gesagt. Wo sind die beiden?«

Er zuckte die Schultern.

»Das mag der Himmel wissen.«

Sie sah ihn erstaunt an.

»Sind sie nicht hier?«

»Soweit ich weiß, sind sie nicht hier.«

»Wo sind denn die anderen – haben sie das Mädchen mitgenommen?«

»Da fragst du sie besser selbst«, erwiderte er ärgerlich.

Sie sah ihn argwöhnisch von der Seite an.

»Sie haben sie wieder fortgeholt. Ich sah vor zehn Minuten einen Krankenwagen auf der Chaussee. Ich hätte ihn anhalten sollen, aber ich war meiner Sache nicht sicher.«

»Ein Krankenwagen? Nach welcher Richtung fuhr er denn?«

»Nach London.«

Er strich nervös über sein Haar. Die Ereignisse überstürzten sich, und er hatte vollkommen die Führung verloren.

»Soweit mir bekannt ist, kann sie nicht in einem Krankenwagen fortgefahren sein. Höchstens könnten sie Miß Sanders fortgeschmuggelt haben, während die Polizei das Hotel durchsuchte. An diese Möglichkeit habe ich allerdings auch schon gedacht.«

Mit ein paar Worten erklärte er ihr, was geschehen war.

»Und wo ist Inspektor Long?«

Er stöhnte.

»Frage mich nicht nach ihm! Er ist abgestürzt und hätte tot sein müssen, aber anscheinend ist das nicht der Fall.«

»Wohin willst du denn gehen?« fragte sie plötzlich und betrachtete ihn aufmerksam.

»Zur Stadt«, wich er aus. »Ich muß noch verschiedenes regeln.«

»Du willst aus dem Land fliehen!«

»Aber rede doch nicht solchen Unsinn«, rief er wild. »Warum sollte ich denn das tun?«

»Ich bin davon überzeugt, daß das deine Absicht ist. Wer hätte denn auch mehr zu verlieren als du? In alle möglichen Bluttaten bist du verwickelt! Was hast du denn mit dem Sergeanten Rouch gemacht?«

Er antwortete nicht.

»Du hast ihn niedergeschlagen, und du glaubst, daß er mit dem Wagen von Inspektor Long in den Fluß gestürzt ist. Aber da irrst du!«

Er starrte sie ungläubig an.

»Woher weißt du das?« fragte er heiser.

»Er lebt – er lag nicht in dem Wagen, als du ihn den Abhang hinunterjagtest. In der Nähe der Straßenkreuzung von Sunningdale ist er aus dem Auto gesprungen. Er muß sich inzwischen erholt haben.«

Ein Schweigen folgte.

»Wie hast du das erfahren?«

»Der Mann in der Garage in Sunningdale erzählte es mir, als ich hinkam. Deshalb bin ich zurückgekommen. Rouch hat in der Garage mit der Berkshirepolizei telephoniert und deshalb haben sie das Hotel durchsucht.«

»Das ist allerdings entsetzlich.«

Langsam hob er den Kopf und sah sie an.

»Hast du Geld?«

»Ich habe genug, um einige Zeit davon zu leben.«

»Es wäre besser, wenn du auch so schnell als möglich England verlassen würdest.«

»Was hältst du denn für den besten Weg?« fragte sie und sah ihn düster an.

»Wie meinst du das?«

»Was ist das beste für eine Maus, wenn die Katze mit ihr spielt? Soweit ist es jetzt gekommen.«

Er schaute sich nervös um.

»Kannst du nicht die anderen durchs Telephon warnen?«

»Das habe ich bereits in der Halle versucht. Weißt du, mit wem ich gesprochen habe? Ein Polizeibeamter sitzt in der Zentrale! Für dich gibt es nur noch einen Ausweg. Du willst England verlassen? Nein, du wirst Jackies Los teilen.«

Er konnte ihr nicht in die Augen sehen.

»Ich mußte es tun«, sagte er leise. »Du weißt . . .«

»Ja, ich weiß. Wohin willst du?«

»Ich will meinen Wagen aus der Garage holen.«

»Weißt du, wieweit du damit kommst?« fragte sie und stemmte die Hände in die Hüften. »Vor jedem Parktor stehen zwei Polizisten, und einer von ihnen hat ein Motorrad. Du kommst nicht mehr aus Heartsease hinaus.«

Sie verließ ihn als einen gebrochenen Mann.

Plötzlich hörte er eine Stimme auf dem Korridor, erhob sich und riß die Tür auf.

Wetter Long stand vor ihm.


 << zurück weiter >>