Wilhelm Heinrich Wackenroder
Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders
Wilhelm Heinrich Wackenroder

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Das merkwürdige musikalische Leben des Tonkünstlers Joseph Berlinger

In zwei Hauptstücken

Erstes Hauptstück

Ich habe mehrmals mein Auge rückwärts gewandt und die Schätze der Kunstgeschichte vergangener Jahrhunderte zu meinem Vergnügen einge-sammelt; aber jetzt treibt mich mein Gemüt, einmal bei den gegenwärtigen Zeiten zu verweilen und mich an der Geschichte eines Künstlers zu versuchen, den ich seit seiner frühen Jugend kannte und der mein innigster Freund war. Ach, leider bist du bald von der Erde weggegangen, mein Joseph! und nicht so leicht werd ich deinesgleichen wieder finden. Aber ich will mich daran laben, der Geschichte deines Geistes, von Anfang an, so wie du mir oftmals in schönen Stunden sehr ausführlich davon erzählt hast und so wie ich selbst dich innerlich kennen gelernt habe, in meinen Gedanken nachzugehen und denen, die Freude daran haben, deine Geschichte erzählen. –

Joseph Berglinger ward in einem kleinen Städtchen im südlichen Deutschlande geboren. Seine Mutter mußte die Welt verlassen, indem sie ihn darein setzte; sein Vater, schon ein ziemlich bejahrter Mann, war Doktor der Arznei-gelehrsamkeit und in dürftigen Vermögensumständen. Das Glück hatte ihm den Rücken gewandt; und es kostete ihm sauren Schweig, sich und sechs Kinder (denn Joseph hatte fünf weibliche Geschwister) durch das Leben zu bringen, zumal da ihm nun eine verständige Wirtschafterin mangelte.

Dieser Vater war ursprünglich ein weicher und sehr gutherziger Mann, der nichts lieber tun mochte, als helfen, raten und Almosen geben, so viel er nur vermögend war; der nach einer guten Tat besser schlief als gewöhnlich; der lange, mit herzlicher Rührung und Dank gegen Gott, von den guten Früchten seines Herzens zehren konnte und seinen Geist am liebsten mit rührenden Empfindungen nährte. Man muß in der Tat allemal von tiefer Wehmut und herzlicher Liebe ergriffen werden, wenn man die beneidenswerte Einfachheit dieser Seelen betrachtet, welche in den gewöhnlichen Äußerungen des guten Herzens einen so unerschöpflichen Abgrund von Herrlichkeit finden, daß dies völlig ihr Himmel auf Erden ist, wodurch sie mit der ganzen Welt versöhnt und immer in zufriedenem Wohlbehagen erhalten werden. Joseph hatte ganz diese Empfindung, wenn er seinen Vater betrachtete; – aber ihn hatte der Himmel nun einmal so eingerichtet, daß er immer nach etwas noch Höherem trachtete; es genügte ihm nicht die bloße Gesundheit der Seele und daß sie ihre ordentlichen Geschäfte auf Erden, als arbeiten und Gutes tun, verrichtete; – er wollte, daß sie auch in üppigem Übermute dahertanzen und zum Himmel, als zu ihrem Ursprunge, hinaufjauchzen sollte.

Das Gemüt seines Vaters war aber auch noch aus andern Dingen zusammengesetzt. Er war ein emsiger und gewissenhafter Arzt, der zeit seines Lebens an nichts als an der Kenntnis der seltsamen Dinge, die im menschlichen Körper verborgen liegen, und an der weitläuftigen Wissenschaft aller jammervollen menschlichen Gebrechen und Krankheiten seine Lust gehabt hatte. Dieses eifrige Studium nun war ihm, wie es öfters zu geschehen pflegt, ein heimliches, nervenbetäubendes Gift geworden, das alle seine Adern durchdrang und viele klingende Saiten des menschlichen Busens bei ihm zernagte. Dazu kam der Mißmut über das Elend seiner Dürftigkeit, und endlich das Alter. Alles dieses zehrte an der ursprünglichen Güte seines Gemüts; denn bei nicht starken Seelen geht alles, womit der Mensch zu schaffen hat, in sein Blut über und verwandelt sein inneres, ohne daß er es selber weiß.

Die Kinder des alten Arztes wuchsen bei ihm auf wie Unkraut in einem verwilderten Garten. Josephs Schwestern waren teils kränklich, teils von schwachem Geiste und führten ein kläglich einsames Leben in ihrer dunklen kleinen Stube.

In diese Familie konnte niemand weniger passen als Joseph, der immer in schöner Einbildung und himmlischen Träumen lebte. Seine Seele glich einem zarten Bäumchen, dessen Samenkorn ein Vogel in das Gemäuer öder Ruinen fallen ließ, wo es zwischen harten Steinen jungfräulich hervorschießet. Er war stets einsam und still für sich und weidete sich nur an seinen inneren Phantaseien; drum hielt der Vater auch ihn ein wenig verkehrt und blödes Geistes. Seinen Vater und seine Geschwister liebte er aufrichtig; aber sein Inneres schätzte er über alles und hielt es vor andern heimlich und verborgen. So hält man ein Schatzkästlein verborgen, zu welchem man den Schlüssel niemanden in die Hände gibt.

Seine Hauptfreude war von seinen frühsten Jahren an die Musik gewesen. Er hörte zuweilen jemanden auf dem Klaviere spielen und spielte auch selber etwas. Nach und nach bildete er sich durch den oft wiederholten Genuß auf eine so eigene Weise aus, daß sein Inneres ganz und gar zu Musik ward und ein Gemüt,

von dieser Kunst gelockt, immer in den dämmernden Irrgängen poetischer Empfindung umherschweifte.

Eine vorzügliche Epoche in seinem Leben machte eine Reise nach der bischöflichen Residenz, wohin ein begüterter Anverwandter, der dort wohnte und der den Knaben liebgewonnen hatte, ihn auf einige Wochen mitnahm. Hier lebte er nun recht im Himmel sein Geist ward mit tausendfältiger schöner Musik ergötzt und flatterte nicht anders als ein Schmetterling in warmen Lüften umher.

Vornehmlich besuchte er die Kirchen und hörte die heiligen Oratorien, Kantilenen und Chöre mit vollem Posaunen- und Trompetenschall unter den hohen Gewölben ertönen, wobei er oft, aus innerer Andacht, demütig auf den Knieen lag. Ehe die Musik anbrach, war es ihm, wenn er so in dem gedrängten, leise murmelnden Gewimmel der Volksmenge stand, als wenn er das gewöhnliche und gemeine Leben der Menschen als einen großen Jahrmarkt unmelodisch durcheinander und um sich herum summen hörte; sein Kopf ward von leeren, irdischen Kleinigkeiten betäubt. Erwartungsvoll harrte er auf den ersten Ton der Instrumente; – und indem er nun aus der dumpfen Stille, mächtig und langgezogen, gleich dem Wehen eines Windes vom Himmel hervorbrach und die ganze Gewalt der Töne über seinem Haupte daherzog, – da war es ihm, als wenn auf einmal seiner Seele große Flügel ausgespannt, als wenn er von einer dürren Heide aufgehoben würde, der trübe Wolkenvorhang vor den sterblichen Augen verschwände, und er zum lichten Himmel emporschwebte. Dann hielt er sich mit seinem Körper still und unbeweglich und heftete die Augen unverrückt auf den Boden. Die Gegenwart versank vor ihm; sein Inneres war von allen irdischen Kleinigkeiten, welche der wahre Staub auf dem Glanze der Seele sind, gereinigt; die Musik durchdrang seine Nerven mit leisen Schauern und ließ, so wie sie wechselte, mannigfache Bilder vor ihm aufsteigen. So kam es ihm bei manchen frohen und herzerhebenden Gesängen zum Lobe Gottes ganz deutlich vor, als wenn er den König David im langen königlichen Mantel, die Krone auf dem Haupt, vor der Bundeslade lobsingend hertanzen sähe; er sah sein ganzes Entzücken und alle seine Bewegungen, und das Herz hüpfte ihm in der Brust. Tausend schlafende Empfindungen in seinem Busen wurden losgerissen und bewegten sich wunderbar durcheinander. ja, bei manchen Stellen der Musik endlich schien ein besonderer Lichtstrahl in seine Seele zu fallen; es war ihm, als wenn er dabei auf einmal weit klüger würde und mit helleren Augen und einer gewissen erhabenen und ruhigen Wehmut auf die ganze wimmelnde Welt herabsähe.

So viel ist gewiß, daß er sich, wenn die Musik geendigt war und er aus der Kirche herausging, reiner und edler geworden vorkam. Sein ganzes Wesen glühte noch von dem geistigen Weine, der ihn berauscht hatte, und er sah alle Vorübergehende mit andern Augen an. Wenn er dann etwa ein paar Leute auf dem Spaziergange zusammenstehn und lachen oder sich Neuigkeiten erzählen sah, so machte das einen ganz eignen widrigen Eindruck auf ihn. Er dachte: du mußt zeitlebens, ohne Aufhören, in diesem schönen poetischen Taumel bleiben, und dein ganzes Leben muß eine Musik sein.

Wenn er dann aber zu seinem Anverwandten zum Mittagessen ging und es sich in einer gewöhnlich-lustigen und scherzenden Gesellschaft hatte wohlschmecken lassen, – dann war er unzufrieden, daß er so bald wieder ins prosaische Leben hinabgezogen war und sein Rausch sich wie eine glänzende Wolke verzogen hatte.

Diese bittere Mißhelligkeit zwischen seinem angebornen ätherischen Enthusiasmus und dem irdischen Anteil an dem Leben eines jeden Menschen, der jeden täglich aus seinen Schwärmereien mit Gewalt herabziehet, quälte ihn sein ganzes Leben hindurch.

Wenn Joseph in einem großen Konzerte war, so setzte er sich, ohne auf die glänzende Versammlung der Zuhörer zu blicken, in einen Winkel und hörte mit eben der Andacht zu, als wenn er in der Kirche wäre, ebenso still und unbeweglich, und mit so vor sich auf den Boden sehenden Augen. Der geringste Ton entschlüpfte ihm nicht, und er war von der angespannten Aufmerksamkeit am Ende ganz schlaff und ermüdet. Seine ewig bewegliche Seele war ganz ein Spiel der Töne; – es war, als wenn sie losgebunden vom Körper wäre und freier umherzitterte, oder auch, als wäre sein Körper mit zur Seele geworden, so frei und leicht ward sein ganzes Wesen von den schönen Harmonieen umschlungen, und die feinsten Falten und Biegungen der Töne drückten sich in seiner weichen Seele ab. – Bei fröhlichen und entzückenden vollstimmigen Symphonieen, die er vorzüglich liebte, kam es ihm gar oftmals vor, als säh er ein munteres Chor von Jünglingen und Mädchen auf einer heitern Wiese tanzen, wie sie vor- und rückwärts hüpften, und wie einzelne Paare zuweilen in Pantomimen zueinander sprachen und sich dann wieder unter den frohen Haufen mischten. Manche Stellen in der Musik waren ihm so klar und eindringlich, daß die Töne ihm Worte zu sein schienen. Ein andermal wieder. wirkten die Töne eine wunderbare Mischung von Fröhlichkeit und Traurigkeit in seinem Herzen, so dass Lächeln und Weinen ihm gleich nahe war; eine Empfindung, die uns auf unserem Wege durch das Leben so oft begegnet und die keine Kunst geschickter ist auszudrücken als die Musik. Und mit welchem Entzücken und Erstaunen hörte er ein solches Tonstück an, das mit einer muntern und heitern Melodie, wie ein Bach, anhebt, aber sich nach und nach unvermerkt und wunderbar in immer trüberen Windungen fortschleppt und endlich in heftig-lautes Schluchzen ausbricht, oder wie durch wilde Klippen mit ängstigendem Getöse daherrauscht. – Alle diese mannigfaltigen Empfindungen nun drängten in seiner Seele immer entsprechende sinnliche Bilder und neue Gedanken hervor: – eine wunderbare Gabe der Musik, – welche Kunst wohl überhaupt um so mächtiger auf uns wirkt und alle Kräfte unsers Wesens um so allgemeiner in Aufruhr setzt, je dunkler und geheimnisvoller ihre Sprache ist.-

Die schönen Tage, die Joseph in der bischöflichen Residenz verlebt hatte, waren endlich vorüber, und er mußte wieder nach seiner Vaterstadt in das Haus seines Vaters zurückkehren. Wie traurig war der Rückweg! Wie kläglich und niedergedrückt fühlte er sich wieder in einer Familie, deren ganzes Leben und Weben sich nur um die kümmerliche Befriedigung der notwendigsten physischen Bedürfnisse drehte, und bei einem Vater, der so wenig in seine Neigungen einstimmte! Dieser verachtete und verabscheute alle Künste als Dienerinnen ausgelassener Begierden und Leidenschaften und Schmeichlerinnen der vornehmen Welt. Schon von jeher hatte er es mit Mißvergnügen gesehen, daß sein Joseph sich so sehr an die Musik gehängt hatte; und nun, da diese Liebe in dem Knaben immer höher wuchs, machte er einen anhaltenden und ernstlichen Versuch, ihn von dem verderblichen Hange zu einer Kunst, deren Ausübung nicht viel besser als Müßiggang sei und die bloß die Lüsternheit der Sinne befriedige, zur Medizin, als zu der wohltätigsten und für das Menschengeschlecht allgemeinnützlichsten Wissenschaft zu bekehren. Er gab sich viele Mühe, ihn selber in den Anfangsgründen zu unterweisen, und gab ihm Hülfsbücher in die Hände.

Dies war eine recht quälende und peinliche Lage für den armen Joseph. Er preßte seinen Enthusiasmus heimlich in seine Brust zurück, um seinen Vater nicht zu kränken, und wollte sich zwingen, ob er nicht nebenher eine nützliche Wissenschaft erlernen könnte. Aber das war ein ewiger Kampf in seiner Seele. Er las in seinen Lehrbüchern eine Seite zehenmal, ohne zu fassen, was er las; – immer sang seine Seele innerlich ihre melodischen Phantasieen fort. Der Vater war sehr bekümmert um ihn.

Seine heftige Liebe zur Musik nahm in der Stille immer mehr überhand. War in einigen Wochen kein Ton an sein Ohr gekommen, so ward er ordentlich am Gemüte krank; er merkte, daß sein Gefühl zusammenschrumpfte, es entstand eine Leerheit in seinem Innern, und er hatte eine rechte Sehnsucht, sich wieder von den Tönen begeistern zu lassen. Dann konnten selbst gemeine Spieler an Fest- und Kirchweihtagen mit ihren Blasinstrumenten ihm Gefühle einflößen, wovon sie selber keine Ahnung hatten. Und sooft in den benachbarten Städten eine schöne große Musik zu hören war, so lief er mit heißer Begierde ihm heftigsten Schnee, Sturm und Regen hinaus.

Fast täglich rief er sich mit Wehmut die herrliche Zeit in der bischöflichen Residenz in seinen Gedanken zurück und stellte sich die köstlichen Sachen, die er dort gehört hatte, wieder vor die Seele. Oftmals sagte er sich die auswendig behaltenen, so lieblichen und rührenden Worte des geistlichen Oratoriums vor, welches das erste gewesen war, das er gehört und welches einen vorzüglich tiefen Eindruck auf ihn gemacht hatte:

Stabat Mater dolorosa

Juxta crucem lacrymosa,

Dum pendebat filius:

Cujus animam gementem,

Contristantem et dolentem

Pertransivit gladius.

O quam tristis et afflicta

Fuit illa benedicta

Mater unigeniti:

Quae moerebat et dolebat

Et tremebat, cum videbat

Nati poenas inclyti.

Und wie es weiter heißt.

Ach aber! – wenn ihm nun so eine entzückte Stunde, da er in ätherischen Träumen lebte oder da er eben ganz berauscht von dem Genuß einer herrlichen Musik kam, dadurch unterbrochen wurde, daß seine Geschwister sich um ein neues Kleid zankten, oder daß sein Vater der ältesten nicht hinreichend Geld zur Wirtschaft geben konnte, oder der Vater von einem recht elenden, jammervollen Kranken erzählte, oder daß eine alte, ganz krummgebückte Bettelfrau an die Tür kam, die sich in ihren Lumpen vor dem Winterfrost nicht schützen konnte; ach! es gibt in der Welt keine so entsetzlich bittere, so herzdurchschneidende Empfindung, als von der Joseph alsdann zerrissen ward. Er dachte: «Lieber Gott! ist denn das die Welt, wie sie ist? Und ist es denn dein Wille, daß ich mich so unter das Gedränge des Haufens mischen und an dem gemeinen Elend Anteil nehmen soll? Und doch sieht es so aus, und mein Vater predigt es immer, daß es die Pflicht und Bestimmung des Menschen sei, sich darunter zu mischen und Rat und Almosen zu geben, und ekelhafte Wunden zu verbinden und häßliche Krankheiten zu heilen! Und doch ruft mir wieder eine innere Stimme ganz laut zu: Nein! nein! du bist zu einem höheren, edleren Ziel geboren!» – Mit solchen Gedanken quälte er sich oft lange und konnte keinen Ausweg finden; allein eh er es sich versah, waren die widrigen Bilder, die ihn gewaltsam in den Schlamm dieser Erde herabzuziehen schienen, aus seiner Seele verwischt, und sein Geist schwärmte wieder ungestört in den Lüften umher.

Allmählich ward er nun ganz und gar der Überzeugung, daß er von Gott deshalb auf die Welt gesetzt sei, um ein recht vorzüglicher Künstler in der Musik zu werden; und zuweilen dachte er wohl daran, daß der Himmel ihn aus der trüben und engen Dürftigkeit, worin er seine Jugend hinbringen mußte, zu desto höherem Glanze hervorziehen werde. Viele werden es für eine romanhafte und unnatürliche Erdichtung halten, allein, es ist reine Wahrheit, wenn ich erzähle, daß er oftmals in seiner Einsamkeit, aus inbrünstigem Triebe seines Herzens, auf die Kniee fiel und Gott bat, er möchte ihn doch also führen, daß er einst ein recht herrlicher Künstler vor dem Himmel und vor der Erde werden möchte. In dieser Zeit, da sein Blut, von den immer auf denselben Fleck gehefteten Vorstellungen bedrängt, oft in heftiger Wallung war, schrieb er mehrere kleine Gedichte nieder, die seinen Zustand oder das Lob der Tonkunst schilderten und die er mit großer Freude auf seine kindisch-gefühlvolle Weise in Musik setzte, ohne die Regeln zu kennen. Eine Probe von diesen Liedern ist folgendes Gebet, welches er an diejenige unter den Heiligen richtete, die als Beschützerin der Tonkunst verehrt wird:

Siehe, wie ich trostlos weine

In dem Kämmerlein alleine,

Heilige Cäcilia!

Sieh mich aller Welt entfliehen,

Um hier still vor dir zu knieen:

Ach, ich bete, sei mir nah!

Deine wunderbaren Töne,

Denen ich verzaubert fröne,

Haben mein Gemüt verrückt.

Löse doch die Angst der Sinnen, –

Laß mich in Gesang zerrinnen,

Der mein Herz so sehr entzückt.

Möchtest du auf Harfensaiten

Meinen schwachen Finger leiten,

Daß Empfindung aus ihm quillt;

Daß mein Spiel in tausend Herzen

Laut Entzücken, süße Schmerzen,

Beides hebt und wieder stillt.

Möcht ich einst mit lautem Schalle

In des Tempels voller Halle

Ein erhabnes Gloria

Dir und allen Heil'gen weihen,

Tausend Christen zu erfreuen:

Heilige Cäcilia!

Öffne mir der Menschen Geister,

Daß ich ihrer Seelen Meister

Durch die Kraft der Töne sei;

Daß mein Geist die Welt durchklinge,

Sympathetisch sie durchdringe,

Sie berausch in Phantasei! –

Über ein Jahr lang wohl quälte sich und brütete der arme Joseph in der Einsamkeit über einen Schritt, den er tun wollte. Eine unwiderstehliche Macht zog seinen Geist nach der herrlichen Stadt zurück, die er als ein Paradies für sich betrachtete; denn er brannte für Begierde, dort seine Kunst von Grund aus zu erlernen. Das Verhältnis gegen seinen Vater aber preßte sein Herz ganz zusammen. Dieser hatte wohl gemerkt, daß Joseph sich gar nicht mehr mit Ernst und Eifer in seiner Wissenschaft anlegen wollte, hatte ihn auch schon halb aufgegeben und sich in seinen Mißmut, der mit zunehmendem Alter immer stärker ward, zurückgezogen. Er gab sich wenig mehr mit dem Knaben ab. Joseph indessen verlor darum sein kindliches Gefühl nicht; es kämpfte ewig mit seiner Neigung, und er konnte immer nicht das Herz fassen, in des Vaters Gegenwart über die Lippen zu bringen, was er ihm zu entdecken hatte. Ganze Tage lang peinigte er sich, alles gegeneinander abzuwägen, aber er konnte und. konnte aus dem entsetzlichen Abgrunde von Zweifeln nicht herauskommen, all sein inbrünstiges Beten wollte nichts fruchten: das stieß ihm beinahe das Herz ab. Von dem über alles trübseligen und peinlichen Zustande, worin er sich damals befand, zeugen auch folgende Zeilen, die ich unter seinen Papieren gefunden habe:

Ach, was ist es, das mich also dränget,

Mich mit heißen Armen eng umfänget,

Daß ich mit ihm fern von hinnen ziehen,

Daß ich soll dem Vaterhaus entfliehen?

Ach, was muß ich ohne mein Verschulden

Für Versuchung und für Marter dulden!

Gottes Sohn! um deiner Wunden willen,

Kannst du nicht die Angst des Herzens stillen?

Kannst du mir nicht Offenbarung schenken,

Was ich innerlich soll wohl bedenken?

Kannst du mir die rechte Bahn nicht zeigen?

Nicht mein Herz zum rechten Wege neigen?

Wenn du mich nicht bald zu dir errettest,

Oder in den Schoß der Erde bettest,

Muß ich mich der fremden Macht ergeben,

Muß, geängstigt, dem zu Willen leben,

Was mich zieht von meines Vaters Seite,

Unbekannten Mächten Raub und Beute! –

Seine Angst ward immer größer, – die Versuchung, nach der herrlichen Stadt zu entfliehen, immer stärker. Wird denn aber, dachte er, der Himmel dir nicht zu Hülfe kommen? wird er dir gar kein Zeichen geben? – Seine Leidenschaft erreichte endlich den höchsten Gipfel, als sein Vater bei einer häuslichen Mißhelligkeit ihn einmal mit einer ganz andern Art als gewöhnlich anfuhr und ihm seitdem immer zurückstoßend begegnete. Nun war es beschlossen; allen Zweifeln und Bedenklichkeiten wies er von nun an die Tür; er wollte nun durchaus nicht mehr überlegen. Das Osterfest war nahe; das wollte er noch zu Hause mitfeiern, aber sobald es vorüber wäre, – in die weite Welt.

Es war vorüber. Er wartete den ersten schönen Morgen ab, da der helle Sonnenschein ihn bezaubernd anzulocken schien; da lief er früh aus dem Hause fort, wie man wohl an ihm gewohnt war, – aber diesmal kam er nicht wieder. Mit Entzücken und mit pochendem Herzen eilte er durch die engen Gassen der kleinen Stadt; – ihm war zumut, als wollte er über alles, was er um sich sah, hinweg in den offenen Himmel hineinspringen Eine alte Verwandte begegnete ihm an einer Ecke: – "So eilig, Vetter?» fragte sie, – «will er wieder Grünes vom Markt einholen für die Wirtschaft?» – «Ja, ja!» rief Joseph in Gedanken und lief vor Freude zitternd das Tor hinaus.

Wie er aber eine kleine Strecke auf dem Felde gegangen war und sich umsah, brachen ihm die hellen Tränen hervor. Soll ich noch umkehren? dachte er. Aber er lief weiter, als wenn ihm die Fersen brennten, und weinte immerfort, und er lief, als wollte er seinen Tränen entlaufen. So ging's nun durch manches fremde Dorf und manchen fremden Gesichtern vorbei: – der Anblick der fremden Welt gab ihm wieder Mut, er fühlte sich frei und stark, – er kam immer näher, – und endlich, – gütiger Himmel! welch Entzücken! – endlich sah er die Türme der herrlichen Stadt vor sich liegen. – – –

Zweites Hauptstück

Ich kehre zu meinem Joseph zurück, wie er, mehrere Jahre, nachdem wir ihn verlassen haben, in der bischöflichen Residenz Kapellmeister geworden ist und in großem Glanze lebt. Sein Anverwandter, der ihn sehr wohl aufgenommen hatte, war der Schöpfer seines Glücks geworden und hatte ihm den gründlichsten Unterricht in der Tonkunst geben lassen, auch den Vater über den Schritt Josephs nach und nach ziemlich beruhigt. Durch den lebhaftesten Eifer hatte Joseph sich emporgearbeitet und endlich auf die höchste Stufe des Glücks, die er nur je hatte wünschen können, gelangt.

Allein die Dinge der Welt verändern sich vor unsern Aug Er schrieb mir einst, wie er ein paar Jahre Kapellmeister gewesen war, folgenden Brief:

«Lieber Pater,

Es ist ein elendes Leben, das ich führe: – je mehr Ihr mich trösten wollt, desto bitterer fühl ich es. –

Wenn ich an die Träume meiner Jugend zurückdenke – wie ich in diesen Träumen so selig war! – Ich meinte, ich wolle in einem fort umherphantasieren und mein volles Herz in Kunstwerken auslassen, aber wie fremd und herbe kamen mir gleich die ersten Lehrjahre an! Wie war mir zumut, als ich hinter den Vorhang trat! Daß alle Melodieen (hatten sie auch die heterogensten und oft die wunderbarsten Empfindungen in mir erzeugt) alle sich nun auf einem einzigen, zwingenden mathematische Gesetze gründeten! Daß ich, statt frei zu fliegen, erst lernen mußte, in dem unbehülflichen Gerüst und Käfig der Kunstgramma- tik herumzuklettern! Wie ich mich quälen mußte, erst mit dem gemeinen wissenschaftlichen Maschinenverstande ein regelrechtes Ding herauszubringen, eh ich dran denken konnte, mein Gefühl mit den Tönen zu handhaben! – Es war eine mühselige Mechanik. Doch wenn auch! ich hatte noch jugendliche Spannkraft und hoffte und hoffte auf die herrliche Zukunft! Und nun?

Die prächtige Zukunft ist eine jämmerliche Gegenwart geworden. –

Was ich als Knabe in dem großen Konzertsaal für glückliche Stunden genoß! Wenn ich still und unbemerkt im Winkel saß und all die. Pracht und Herrlichkeit mich bezauberte, und ich so sehnlich wünschte, daß sich doch einst um meiner Werke willen diese Zuhörer versammeln, ihr Gefühl mir hingeben möchten! Nun sitz ich gar oft in eben diesem Saal und führe auch meine Werke auf; aber es ist mir wahrlich sehr anders zumute. – Daß ich mir einbilden konnte, diese in Gold und Seide stolzierende Zuhörerschaft käme zusammen, um ein Kunstwerk zu genieße um ihr Herz zu erwärmen, ihre Empfindung dem Künstler darzubringen! Können doch diese Seelen selbst in dem majestätischen Dom, am heiligsten Feiertage, indem alles Große und Schöne, was Kunst und Religion nur hat, mit Gewalt auf sie eindringt, können sie dann nicht einmal erhitzt werden, und sie sollten's im Konzertsaal? Die Empfindung und der Sinn für Kunst sind aus der Mode gekommen und unanständig geworden; – bei einem Kunstwerk zu empfinden, wäre grade ebenso fremd und lächerlich, als in einer Gesellschaft auf einmal in Versen und Reimen zu reden, wenn man sich sonst im ganzen Leben mit vernünftiger und gemein-verständlicher Prosa behilft. Und für diese Seelen arbeit ich meinen Geist ab! Für diese erhitz ich mich, es so zu machen, daß man dabei was soll empfinden können! Das ist die hohe Bestimmung, wozu ich geboren zu sein glaubtet

Und wenn mich einmal irgendeiner, der eine Art von halber Empfindung hat, loben will und kritisch rühmt und mir kritische Fragen vorlegt, – so möcht ich ihn immer bitten, daß er sich doch nicht so viel Mühe geben möchte, das Empfinden aus den Büchern zu lernen. Der Himmel weiß, wie es ist, – wenn ich eben eine Musik oder sonst irgendein Kunstwerk, das mich entzückt, genossen habe und mein ganzes Wesen voll davon ist, da möcht ich mein Gefühl gern mit einem Striche auf eine Tafel hinmalen, wenn's eine Farbe nur ausdrücken könnte. – Es ist mir nicht möglich, mit künstlichen Worten zu rühmen, ich kann nichts Kluges herausbringen.

Freilich ist der Gedanke ein wenig tröstend, daß vielleicht in irgendeinem kleinen Winkel von Deutschland, wohin dies oder jenes von meiner Hand, wenn auch lange nach meinem Tode, einmal hinkommt, ein oder der andre Mensch lebt, in den der Himmel eine solche Sympathie zu meiner Seele gelegt hat, daß er aus meinen Melodien grade das herausfühlt, was ich beim Niederschreiben empfand und was ich so gern hineinlegen wollte. Eine schöne Idee, womit man sich eine Zeitlang wohl angenehm täuschen kann!

Allein das allerabscheulichste sind noch alle die andern Verhältnisse, worin der Künstler eingestrickt wird. Von allen dem ekelhaften Neid und hämischen Wesen, von allen den widrigkleinlichen Sitten und Begegnungen, von aller der Subordination der Kunst unter den Willen des Hofes; – es widersteht mir, ein Wort davon zu reden, – es ist alles so unwürdig und die menschliche Seele so erniedrigend, daß ich nicht eine Silbe davon über die Zunge bringen kann. Ein dreifaches Unglück für die Musik, daß bei dieser Kunst grade so eine Menge Hände nötig sind, damit das Werk nur existiert! Ich sammle und erhebe meine ganze Seele, um ein großes Werk zustande zu bringen; – und hundert empfindungslose und leere Köpfe reden mit ein und verlangen dieses und jenes.

Ich gedachte in meiner Jugend dem irdischen Jammer zu entfliehen und bin nun erst recht in den Schlamm hineingeraten. Es ist wohl leider gewiß; man kann mit aller Anstrengung unsrer geistigen Fittiche der Erde nicht entkommen; sie zieht uns mit Gewalt zurück, und wir fallen wieder unter den gemeinsten Haufen der Menschen.

Es sind bedauernswürdige Künstler, die ich um mich herum sehe. Auch die edelsten so kleinlich, daß sie sich für Aufgeblasenheit nicht zu lassen wissen, wenn ihr Werk einmal ein allgemeines Lieblingsstück geworden ist. – Lieber Himmel! sind wir denn nicht die eine Hälfte unsers Verdienstes der Göttlichkeit der Kunst, der ewigen Harmonie der Natur, und die andre Hälfte dem gütigen Schöpfer, der uns diesen Schatz anzuwenden Fähigkeit gab, schuldig? Alle tausendfältigen lieblichen Melodieen, welche die mannigfachsten Regungen in uns hervorbringen, sind sie nicht aus dem einzigen wundervollen Dreiklang entsprossen, den die Natur von Ewigkeit her gegründet hat? Die wehmutsvollen, halb süßen und halb schmerzlichen Empfindungen, die die Musik uns einflößt, wir wissen nicht wie, was sind sie denn anders, als die geheimnisvolle Wirkung des wechselnden Dur und Moll? Und müssen wir's nicht dem Schöpfer danken, wenn er uns nun grade das Geschick gegeben hat, diese Töne, denen von Anfang her eine Sympathie zur menschlichen Seele verliehen ist, so zusammenzusetzen, daß sie das Herz rühren? – Wahrhaftig, die Kunst ist es, was man verehren muß, nicht den Künstler; – der ist nichts mehr als ein schwaches Werkzeug.

Ihr seht, daß mein Eifer und meine Liebe für die Musik nicht schwächer ist als sonst. Nur eben darum bin ich so unglücklich in diesem – – doch ich will's lassen und Euch mit der Beschreibung von all dem widrigen Wesen um mich herum nicht verdrießlich machen. Genug, ich lebe in einer sehr unreinen Luft. Wie weit idealischer lebte ich damals, da ich in unbefangener Jugend und stiller Einsamkeit die Kunst noch bloß genoß; als itzt, da ich sie im blendendsten Glanze der Welt und von lauter seidenen Kleidern, lauter Sternen und Kreuzen, lauter kultivierten und geschmackvollen Menschen umgeben, ausübe! Was ich möchte? – Ich möchte all diese Kultur im Stiche lassen und mich zu den simplen Schweizerhirten ins Gebirg hinflüchten und seien Alpenlieder, wonach der überall das Heimweh bekömmt, mit ihm spielen."---

Aus diesem fragmentarisch geschriebenen Briefe ist der Zustand, worin Joseph sich in seiner Lage befand, zum Teil zu ersehen. Er fühlte sich verlassen und einsam unter dem Gesumme so vieler unharmonischen Seelen um ihn her; – seine Kunst ward tief entwürdigt dadurch, dass sie auf keinen einzigen, soviel er wusste, einen lebhaften Eindruck machte, da sie ihm doch nur dazu gemacht schien, das menschliche Herz zu rühren. In manchen trüben Stunden verzweifelte er ganz und dachte: "Was ist die Kunst so seltsam und sonderbar! Hat sie denn nur für mich allein so geheimnisvolle Kraft und ist für alle anderen Menschen nur Belustigung der Sinne und angenehmer Zeitvertreib? Was ist sie denn wirklich und in der Tat, wenn sie für alle Menschen Nichts ist und für mich allein nur Etwas? Ist es nicht die unglückseligste Idee, diese Kunst zu seinem ganzen Zweck und Hauptgeschäft zu machen und sich von ihren großen Wirkungen auf die menschlichen Gemüter tausend schöne Dinge einzubilden? von dieser Kunst, die im wirklichen irdischen Leben keine andre Rolle spielt, als Kartenspiel oder jeder andre Zeitvertreib?»

Wenn er auf solche Gedanken kam, so dünkte er sich der größte Phantast gewesen zu sein, daß er so sehr gestrebt hatte, ein ausübender Künstler für die Welt zu werden. Er geriet auf die Idee, ein Künstler müsse nur für sich allein, zu seiner eignen Herzenserhebung und für einen oder ein paar Menschen, die ihn verstehen, Künstler sein. Und ich kann diese Idee nicht ganz unrecht nennen. –

Aber ich will das übrige von meines Josephs Leben kurz zusammenfassen, denn die Erinnerungen daran werden mir sehr traurig.

Mehrere Jahre lebte er als Kapellmeister so fort, und seine Mißmütigkeit und das unbehagliche Bewußtsein, daß er mit allem seinen tiefen Gefühl und seinem innigen Kunstsinn für die Welt nichts nütze und weit weniger wirksam sei als jeder Handwerksmann, – nahm immer mehr zu. Oft dachte er mit Wehmut an den reinen idealischen Enthusiasmus seiner Knabenzeit zurück, und daneben an seinen Vater, wie er sich Mühe gegeben hatte, ihn zu einem Arzte zu erziehen, daß er das Elend der Menschen mindern, Unglückliche heilen und so der Welt nützen sollte. Vielleicht wär's besser gewesen! dachte er in manchen Stunden.

Sein Vater war indes bei seinem Alter sehr schwach geworden. Joseph schrieb immer seiner ältesten Schwester und schickte ihr zum Unterhalt für den Vater. Ihn selber zu besuchen konnte er nicht übers Herz bringen; er fühlte, daß es ihm unmöglich war. Er ward trübsinniger; – sein Leben neigte sich hinunter.

Einst hatte er eine neue schöne Musik von seiner Hand im Konzertsaal aufgeführt: es schien das erstemal, daß er auf die Herzen der Zuhörer etwas gewirkt hatte. Ein allgemeines Erstaunen ein stiller Beifall, welcher weit schöner als ein lauter ist, erfreute ihn mit der Idee, daß er vielleicht diesmal seine Kunst würdig ausgeübt hätte; er faßte wieder Mut zu neuer Arbeit. Als er hinaus auf die Straße kam, schlich ein sehr armselig gekleidetes Mädchen an ihn heran und wollte ihn sprechen. Er wußte nicht, was er sagen sollte; er sah sie an, – Gott! rief er: – es war sei jüngste Schwester im elendesten Aufzuge. Sie war von Hause Fuß hergelaufen, um ihm die Nachricht zu bringen, daß sein Vater todkrank niederliege und ihn vor seinem Ende sehr dringe noch einmal zu sprechen verlange. Da war wieder aller Gesang in seinem Busen zerrissen; in dumpfer Betäubung machte er sich fertig und reiste eilig nach seiner Vaterstadt.

Die Szenen, die am Todbette seines Vaters vorfielen, will ich nicht schildern. Man glaube nicht, daß es zu weitläuftigen und wehmütigen gegenseitigen Erörterungen kam; sie verstanden sich ohne viele Worte sehr inniglich; – wie denn darin überhaupt die Natur unserer recht zu spotten schneinet, daß die Menschen erst – in solchen kritischen letzten Augenblicken recht verstehen. Dennoch ward Joseph von allem bis ins Innerste zerrissen. Seine Geschwister waren im betrübtesten Zustande; zwei davon hatten schlecht gelebt und waren entlaufen; die älteste, der er immer Geld schickte, hatte das meiste vertan und den Vater darben lassen; diesen sah er endlich vor seinen Augen elendiglich sterben: – ach! es war entsetzlich, wie sein armes Herz durch und durch verwundet und zerstochen ward. Er sorgte für seine Geschwister so gut er konnte und kehrte zurück, weil ihn Geschäfte abriefen.

Er sollte zu dem bevorstehenden Osterfest eine neue Passionsmusik machen, auf welche seine neidischen Nebenbuhler sehr begierig waren. Helle Ströme von Tränen brachen ihm aber hervor, so oft er sich zur Arbeit niedersetzen wollte; er konnte sich seinem zerrissenen Herzen nicht erretten. Es lag tief darnieder- gedrückt und vergraben unter den Schlacken dieser Erde. Endlich riß er sich mit Gewalt auf und streckte mit dem heißesten Verlangen die Arme zum Himmel empor; er füllte seinen Geist mit der höchsten Poesie, mit lautem, jauchzendem Gesange an und schrieb in einer wunderbaren Begeisterung, aber immer unter heftigen Gemütsbewegungen, eine Passionsmusik nieder, die mit ihren durchdringenden und alle Schmerzen des Leidens in sich fassenden Melodien ewig ein Meisterstück bleiben wird. Seine 5eele war wie ein Kranker, der in einem wunderbaren Paroxysmus größere Stärke als ein Gesunder zeigt.

Aber nachdem er das Oratorium am heiligen Tage im Dom mit der heftigsten Anspannung und Erhitzung aufgeführt hatte, fühlte er sich ganz matt und erschlafft. Eine Nervenschwäche befiel, gleich einem bösen Tau, alle seine Fibern; – er kränkelte eine Zeitlang hin und starb nicht lange darauf in der Blüte seiner Jahre.

Manche Träne hab ich ihm geschenkt, und es ist mir seltsam zumute, wenn ich sein Leben übersehe. Warum wollte der Himmel daß sein ganzes Leben hindurch der Kampf zwischen seinem ätherischen Enthusiasmus und dem niedrigen Elend dieser Erde ihn so unglücklich machen und endlich sein doppeltes Wesen von Geist und Leib ganz voneinanderreißen sollte!

Wir begreifen die Wege des Himmels nicht. – Aber laßt uns wiederum die Mannigfaltigkeit der erhabenen Geister bewundern, welche der Himmel zum Dienste der Kunst auf die Welt gesetzt hat.

Ein Raffael brachte in aller Unschuld und Unbefangenheit die allergeistreichsten Werke hervor, worin wir den ganzen Himmel sehen; ein Guido Reni, der ein so wildes Spielerleben führte, schuf die sanftesten und heiligsten Bilder; – ein Albrecht Dürer, ein schlichter nürnbergischer Bürgersmann, verfertigte in eben der Zelle, worin sein böses Weib täglich mit ihm zankte, mit einzigem mechanischem Fleiße gar seelenvolle Kunstwerke; – und Joseph, in dessen harmonischen Werken so geheimnisvolle Schönheit liegt, war verschieden von diesen allen!

Ach! daß eben seine hohe Phantasie es sein mußte, die ihn aufrieb? Soll ich sagen, daß er vielleicht mehr dazu geschaffen war, Kunst zu genießen als auszuüben? – Sind diejenigen vielleicht glücklicher gebildet, in denen die Kunst still und heimlich wie ein verhüllter Genius arbeitet und sie in ihrem Handeln auf Erden nicht stört? Und muß der Immerbegeisterte seine hohen Phantasien doch auch vielleicht als einen festen Einschlag kühn und stark in dieses irdische Leben einweben, wenn er ein echter Künstler sein will? – ja, ist diese unbegreifliche Schöpfungskraft nicht etwa überhaupt ganz etwas anderes, und – wie mir jetzt erscheint etwas noch Wundervolleres, noch Göttlicheres, als die Kraft der Phantasie? –

Der Kunstgeist ist und bleibt dem Menschen ein ewiges Geheimnis, wobei er schwindelt, wenn er die Tiefen desselben ergründen. will; aber auch ewig ein Gegenstand der höchsten Bewunderung: wie denn dies von allem Großen in der Welt zu sagen ist. –

Ich kann aber nach diesen Erinnerungen an meinen Joseph nichts mehr schreiben. – Ich beschließe mein Buch – und möchte nur wünschen, daß es einem oder dem anderen zur Erweckung guter Gedanken dienlich wäre. –


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