Wilhelm Heinrich Wackenroder
Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders
Wilhelm Heinrich Wackenroder

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Die Malerchronik

Als ich in meiner Jugend mit unruhigem Geiste hier und dort umherzog und überall begierig aufschaute, wo von Kunstsachen etwas zu sehen war, befand ich mich auch einmal auf einem fremden gräflichen Schlosse, wo ich drei Tage lang mich an den vielen Gemälden nicht satt sehen konnte. Ich wollte sie alle auswendig lernen und erhitzte mein Blut dabei so sehr, daß mir die tausend mannigfaltigen Bilder den Kopf ganz verwirrten. Am dritten Tage kam ein alter Mann, ein reisender italienischer Pater, im Schlosse an, dessen Namen ich bis auf diese Stunde nicht erfahren habe; auch habe ich seit dem Tage nie wieder von ihm gehört. Er war ein grundgelehrter Mann und hatte so viel Dinge in seinem Kopfe, daß ich erstaunen mußte; im Äußern glich er einem Weltweisen aus dem sechzehnten Jahrhundert. Obwohl ich nun noch so jung war, ließ er sich doch gar freundlich ins Gespräch mit mir ein (denn er mußte irgend etwas, das ihm gefiel, an mir finden) und ging mit mir den ganzen Tag in den Bildersälen umher.

Da er meinen großen Eifer in Betrachtung der Gemälde wahrnahm, fragte er mich: Ob ich denn auch die Meister zu nennen wüßte, welche dieses und jenes Stück gemacht hätten? Ich antwortete, daß ich die berühmtesten wohl kennte. Darauf fragte er mich wieder: Ob ich denn nicht mehr von ihnen wüßte als die Namen? Wie er merkte, daß ich wirklich nicht viel mehr wußte, nahm er das Wort und sprach zu mir:

«Du hast bisher die schönen Bilder angestaunt, mein lieber Sohn, als wären es Wunderwerke, vom Himmel auf die Erde heruntergefallen. Aber bedenke, daß dies alles Werk von Menschenhänden ist, – daß manche Künstler schon in deinen Jahren ganz vortreffliche Sachen zustande brachten. Was meinst du nun? Soll,est du nicht Lust empfinden, von den Männern, welche sich in der Malerei hervorgetan haben, etwas mehreres zu erfahren? Es gibt uns wunderbare Gedanken ein, wenn wir betrachten, wie ihre Werke in immer gleicher ewiger Herrlichkeit glänzen; die Schöpfer dieser Werke aber, im Leben und Sterben, Menschen wie wir andre gewesen sind, in denen nur, solange sie lebten, ein besondres himmlisches Feuer brannte. Dergleichen Betrachtungen versetzen uns in eine wehmütige und träumerische Stimmung, in welcher immer allerhand gute Ideen uns vorüberzuziehen pflegen. »

Ich erinnere mich der Worte des lieben redseligen alten Mannes noch sehr genau und mit dem herzlichsten Vergnügen; darum will ich noch mehr davon aufzuzeichnen suchen.

Er fuhr, wie er sah, daß ich still und begierig zuhörte, ungefähr also fort:

«Ich habe mit Freude bemerkt, mein Sohn, daß dein Gemüt sehr zu dem vortrefflichen Raffael hinhängt. Wenn du nun vor einem recht herrlichen Bilde seiner Hände dastehst, jeden seiner Pinselstriche mit Ehrfurcht betrachtest und denkst: Hätt ich den heiligen Mann doch im Leben gesehn! wie hätt ich ihn anbeten wollen! – und nun hörtest du dabei die alten Lebensbeschreiber der Maler folgendermaßen von ihm erzählen: – Dieser Raffael Sanzio war das einzige Kind seiner Eltern; herzlich liebte ihn der Vater und wollte ausdrücklich, daß ihn die Mutter mit eigener Milch großsäugte, damit er nicht unter die gemeinen Leute käme; und da er heranwuchs, half er als ein zarter Knabe dem Vater bei der Arbeit, und der Vater war froh, daß er seine Sache so gut machte; um ihn aber was Rechtes lernen zu lassen, nahm er Abrede mit Meister Pietro von Perugia, daß er ihn in die Lehre nähme, und führte ihn selber mit großen Freuden nach Perugia hin; wo Pietro den Knaben gar freundlich aufnahm; aber die Mutter hatte beim Abschied viel Tränen vergossen und ]konnte sich kaum von dem Kinde losreißen, denn auch sie liebte es herzinniglich – – sage mir, wie wird dir zumut, wenn du das anhörst? Ist dir nicht lieblich und wohl dabei, diese Dinge zu vernehmen? –- Und dies war eben derselbe Mensch, der nach kurzen siebenunddreißig Jahren, von aller Welt betrauert, kalt und bleich im Sarge lag. – Der Leichnam lag in seinem Arbeitszimmer, und ein köstliches Leichengedicht, das göttliche Gemälde von der Transfiguration, stand neben dem Sarge auf der Staffelei. – Dies Gemälde, worin wir noch jetzt das Elend der Er-de, den Trost edler Männer und die Glorie der, Himmelreichs in so herrlicher Vereinigung dargestellt sehn, – und der Meister, von dem es erdacht und ausgeführt war, kalt und bleich daneben.» –

Mich reizten diese Sachen außerordentlich, und ich bat den fremden Mann, mir noch mehr von Raffael zu erzählen.

«Das Schönste, was ich dir von ihm sagen kann», antwortete er, «ist, daß er als Mensch ebenso edel und liebenswürdig war wie als Künstler. Er hatte nichts von dem finstern und stolzen Wesen anderer Künstler, welche manchmal mit Fleiß allerhand Seltsamkeiten annehmen; sein ganzes Leben und Weben auf Erden war einfach, sanft und heiter, wie ein fließender Bach. Seine Gefälligkeit ging so weit, daß, wenn fremde, auch ganz unbekannte Maler ihn um Zeichnungen von seiner Hand ersuchten, er seine Arbeit liegen ließ und sie zuerst befriedigte. So half er sehr vieler aus und belehrte sie wie ein Vater, höchst liebreich, Seine Vortrefflichkeit in der Kunst versammelte eine Menge Maler um ihr her die sich beeiferten, seine Schüler zu sein, obwohl sie den Lehralarm selber zum Teil schon entwachsen waren. Sie begleiteter !in, wenn er an den Hof ging, aus seinem Hause, und machten ein großes Gefolge aus. So viele Maler von verschiedenen Sinnen aber hätten gewiß nicht ohne Uneinigkeit und Zwietracht miteinander gelebt, hätte nicht der Geist ihres großen Meisters auf eine zauberhafte Weise sie wie eine Sonne des Friedens beschienen rund alle Flecken von ihrer Seele getilgt. So wurden sie von seinem Geiste, wie von seinem Pinsel besiegt. – Noch findet sich in dem Leben Raffaels eine schöne Wundergeschichte, und das ist diese. Er malte einen vortrefflichen kreuztragenden Christus mit vielen Figuren, welcher für ein Kloster in Palermo bestimmt war. Aber das Schiff, worin das Bild hingebracht werden sollte, litt heftigen Sturm und Schiffbruch; Menschen und Waren gingen zugrunde; – nur dies Gemälde, – es war eine besondere Fügung der Vorsicht, dies Gemälde ward von freundlichen Wellen bis in den Hafen von Genua getragen, wo man es völlig unversehrt aus seinem Kasten herausnahm. Also bewiesen selbst die wilden Elemente dem heiligen Manne ihre Ehrfurcht. Es ward darauf nach Palerino gebracht und ist dort, wie der alte Vasari sich ausdrückt, für ein ebenso großes Kleinod der Insel Sizilien geachtet, als der Berg Ätna. »

Ich freute mich über die herrlichen Geschichten immer inniger, drückte dem Pater die Hände und fragte sehr begierig: «Aber woher habt Ihr alle diese Sachen erfahren?»

«Wisse, mein Sohn», antwortete er, «es haben mehrere verdiente Männer Chroniken der Kunstgeschichte geführt und die Leben der Maler ausführlich beschrieben, von denen der älteste, und zugleich wohl der vornehmste, Giorgio Vasari mit Namen heißt. Wenige lesen diese Bücher heutigestages, obwohl viel Geist und Menschenweisheit darinnen verborgen liegt. Bedenk einmal, was es schön ist, die Männer, die du nach ihrer verschiedenen Art den Pinsel zu führen kennest, nun auch nach ihren verschiedenen Charaktern und Sitten kennen zu lernen. Beides fliegt dir dann in ein Bild zusammen: und wenn du die mit ganz trockenen Worten erzählten Geschichten mit dem rechten, innigen Gefühle fassest, wo wird eine herrliche Erscheinung, nämlich der Künstlercharakter vor dir aufsteigen, der, wie er sich so mannigfaltig in den tausend verschiedenen einzelnen Menschen zeigt, dir ein ganz neues, liebliches Schauspiel gewähren wird. jeder Charakter wird dir ein eigenes Gemälde sein, und du wirst eine herrliche Galerie von Bildnissen zum Spiegel deines Geistes um dich her versammelt haben.»

Dies verstand ich damals noch nicht recht, wiewohl es nachher, nachdem ich die gedachten Bücher gelesen habe, ganz meine eigene Meinung geworden ist. – Indessen lag ich dem guten alten Pater sehr dringend an, mir immer noch mehr schöne Geschichten aus der Malerchronika zu erzählen. «Ich will mich besinnen», sagte er mit lächelndem Munde, «ich rede gern von den alten Malergeschichten.» Und nun erzählte er mir fürwahr eine ganze Menge der schönsten Historien; denn er hatte alle Bücher, die je von der Kunst geschrieben sind, oftmals gelesen, und wußte das Beste daraus im Kopfe. Mir waren seine Erzählungen so eindringlich, daß ich sie fast noch mit seinen Worten bis jetzt behalten habe, und ich will ein Teil davon zur Lust wiedererzählen.

Als wir in dem Bildersaal, wo wir uns befanden, auf ein Gemälde von dem vortrefflichen Domenichino trafen, sagte er mir, daß dieser Maler ein merkwürdiges Beispiel von einem heißen Eifer in der Kunst abgebe, und fuhr, um dies zu beweisen, also fort:

«Ehe dieser Meister ein Gemälde anfing, dachte er eine lange Zeit vorher darüber nach und blieb wohl manchmal ganze Tage lang allein in seinem Gemach, bis das Bild in allen kleinsten Teilen vollendet vor seiner Seele stand. Dann war er vergnügt und sagte: Nun ist die Hälfte der Arbeit getan. Und hatte er einmal zum Pinsel gegriffen, so blieb er wieder den ganzen Tag bei der Staffelei angeheftet und mochte sich kaum ein paar Minuten zum Essen abbrechen. Er malte mit größtem Fleiß und Vollendung, und überall legte er tiefen Ausdruck hin. Als einer ihn einmal: bereden wollte, sich nicht so abzuquälen, sondern die leichtere Manier anderer Maler zu ergreifen, antwortete er ganz kurz: Ich arbeite bloß für mich und die Vollkommenheit der Kunst. Er konnte nicht begreifen, wie andre Maler die größten und wichtigsten Sachen mit so weniger Teilnahme arbeiten mochten, daß sie während des Malens immerfort mit ihren Bekannten schwatzen konnten. Drum hielt er diese auch für bloße Handarbeiter, die das innere Heiligtum der Kunst nicht kennten. Er selber war, wenn er malte, immer mit so lebendiger Seele in seinem Gegenstande drinnen, daß er in sich selbst die Empfindungen und Affekte fühlte, die er vorstellen wollte, und sich unwillkürlich darnach gebärdete. Manchmal, wenn er eine trauernde Figur im Sinn hatte, höre man ihn in seinem Arbeitszimmer mit Unterdrückter, ächzender Stimme, wehklagen; oder wenn es ein freudiges Gesicht sein sollte, so war er munter und sprach lebhaft mit sich allein. Er malte darum in einem abgelegenen Gemach und ließ keinen, auch von seinen Schülern nicht, hinzu, um nicht in seinen Entzückungen gestört und für närrisch verlacht zu werden. In seinen jüngern Jahren war er auch einmal in so einer entzückten Stunde, als sich ein recht rührendes Schauspiel ereignete. Der vortreffliche Anni- Carracci kam eben, ihn zu besuchen: wie er aber die Tür öffnete, sah er ihn ganz aufgebracht vor der Staffelei stehn, voller Wut und Zorn und mit einer drohenden Gebärde. Er blieb still an der Tür und ward gewahr, daß sein Freund bei dem Bilde von der Marter des heiligen Andreas beschäftigt war und eben einen rotzigen Kriegsknecht malte, der dem Apostel droht. Mit inniger Freude und Verwunderung sah er ihm eine ganze Zeit lang zu und regte sich nicht; – aber endlich konnte er sich nicht länger halten – «Ich danke dir!» rief er aus, stürzte auf ihn zu und fiel -m mit klopfendem Herzen um den Hals. –

«Dieser Annibale Carracci war selbst ein gar herrlicher, kräftiger Mann, der die stumme Größe der Kunst recht inniglich fühlte und es besser achtete, selber große Werke hervorzubringen, als zierlichen, leichten Worten um große Werke der Kunst herumzuspielen. Sein Bruder Agostino dagegen war, neben seiner Kunst, ein feiner Weltmann, ein Literatus und Sonettendichter, der über Kunstsachen gern viel Worte machte. Als nun beide von Rom zurückgekommen waren und wieder in ihrer Akademie in Bologna saßen und arbeiteten, fing dieser Agostino einstmals an, die merkwürdige antike Gruppe des Laokoon gar weitläuftig zu beschreiben und alle die einzelnen Schönheiten mit gar zierlichen Reden herauszustreichen. Wie nun sein Bruder Annibale ganz kalt und träumerisch daneben stand, als wenn er es nicht verstände, ward jener ungehalten und fragte: ob er denn nichts davon fühlte? Das verdroß ihn innerlich; stillschweigend nahm er eine Kohle, ging an die Wand und zeichnete schnell aus dem Kopf die ganze Gruppe vom Laokoon den Umrissen nach so treu und richtig hin, daß man sie vor Augen zu sehen glaubte. Dann trat er lächelnd von der Wand zurück, – alle Anwesenden aber erstaunten, und Agostino gab sich für überwunden und erkannte ihn als den Sieger im Wettstreit.»-

 

Als der fremde Mann diese Geschichten erzählt hatte, kam ich auf andre Dinge mit ihm zu reden, und fragte ihn unter andern: ob er nicht auch Geschichten von Knaben wüßte, die von früher Jugend an einen besondern Hang zur Malerkunst gehabt hätten?

«O ja», sagte der fremde Mann lächelnd, «es wird uns von mehreren Knaben berichtet, die in ganz schlechtem Stande geboren und erzogen, und daraus gleichsam vom Himmel zur Malerkunst berufen wurden. Davon fallen mir mehrere Exempel ein. Gleich einer der allerältesten Maler von Italien, Giotto, war in der Jugend nichts weiter als ein Hirtenjunge, der die Schafe hütete. Er hatte seine Freude daran, seine Schafe auf Steinen oder im Sande abzuzeichnen; dabei betraf ihn einmal Cimabue, der Urvater aller Maler, und nahm ihn mit sich, da der Knabe denn bald seinen Lehrmeister übersah. Wenn ich nicht irre, so werden uns ganz ähnliche Geschichten von Domenico Beccafumi und auch von dem geschickten Bildhauer Contucci erzählt, der als Knabe das Vieh, das er weiden mußte, in Ton nachbildete. So war auch der bekannte Polidoro da Caravaggio anfangs weiter nichts als ein Bursche, der den Maurern am Vatikan den Mörtel zutrug; dabei aber sah er den Schülern Raffaels, die ebendort arbeiteten, fleißig zu, bekam eine unwiderstehliche Lust zum Malen, und lernte gar schnell und eifrig. – ja, es fällt mir noch ein sehr artiges Exempel ins Gedächtnis, von dem alten französischen Maler Jacob Callot; der hatte als Knabe viel von den herrlichen Sachen in Italien reden hören und bekam, da er das Zeichnen über alles liebte, eine Wut, das herrliche Land zu sehn. Als ein Knabe von eilf Jahren lief er heimlich dem Vater fort, ohne einen Kreuzer Geld in der Tasche, und wollte geradesweges nach Rom. Er mußte sich bald aufs Betteln legen, und wie er auf seinem Wege einen Trupp Zigeuner antraf, schlug er sich dazu und wanderte mit ihnen bis Florenz, wo er wirklich bei einem Maler in die Lehre kam. Dann ging er nach Rom; hier aber sahen ihn französische Kaufleute aus seiner Vaterstadt, welche die Not und Angst der Eltern um ihn wußten und ihn mit Gewalt mit sich zurücknahmen. Als der Vater ihn wieder hatte, wollte er ihn zwingen, sich fleißig an die Studia zu halten; allein das war alles verlorene Mühe. Im vierzehnten Jahre lief er zum zweitenmal fort nach Italien; aber sein Unstern wollte, daß er in Turin auf der Straße seinem ältern Bruder begegnen mußte, der ihn von neuem zu dem Vater zurückschleppte. Endlich sah dieser ein, daß kein Mittel half, uni gab ihm nun von freien Stücken die Erlaubnis, zum drittenmal nach Italien zu gehn, wo er sich denn auch zu einem wackern Künstler bildete. Bei allen seinen jugendlichen Streifereien war er immer ohne Gefahr geblieben und hatte seine ganze Unschuld der Seele behalten; denn er mußte unter besonderer Obhut des Himmels stehen. Noch ist merkwürdig von ihm, daß er als Knabe immer um zweierlei zu Gott betete, nämlich: daß er, er werde was er wolle, sich in seinem Tun vor allen andern auszeichnen möchte; – und dann, daß er nicht über dreiundvierzig Jahre alt würde. Und was wunderbar ist, so starb er wirklich im dreiundvierzigsten Jahre.» –

Der alte Pater hatte diese Geschichten mit vielem Anteil erzählt. Dann ging er sinnend auf und nieder, und ich sah ihm an, daß er in angenehmen Träumen unter dem Haufen der alten Maler umherirrte. Ich ließ ihn gern in seinen Betrachtungen und freute mich, daß er sich noch auf mehr Sachen besinnen würde, denn die Erinnerungen schienen ihm immer lebendiger zu werden. Und wirklich fing er nach einer kleinen Weile wieder also an:

«Da kommen mir noch ein paar schöne Anekdoten ins Gedächtnis, die, auf zwiefache verschiedene Weise, bezeugen, was für eine mächtige Gottheit die Kunst für den Künstler ist und mit welcher Gewalt sie ihn beherrscht. – Es war einmal ein alter florentinischer Maler, mit Namen Mariotto Albertinelli, ein eifriger

Künstler, aber ein gar unruhiger und sinnlicher Mensch. Er ward des unsichern und mühseligen Stadiums an den mechanischen Teilen der Kunst und der häßlichen Feindschaften und Verfolgungen der Nebenkünstler endlich ganz überdrüssig, und weil er gern gut leben mochte, so entschloß er sich, ein lustigeres Gewerbe zu ergreifen, und legte ein Gasthaus an. Herzlich vergnügt war er, wie die Sache im Gange war, und sagte öfters zu seinen Freunden: ‹Seht! das ist ein besser Handwerk! Nun quäle ich mich nicht mehr um die Muskeln gemalter Menschen, sondern speise und stärke lebendige, und, was das beste ist, bin vor dem abscheulichen Anfeinden und Verleumden sicher, solang ich nur guten Wein im Fasse habe.› – Aber was geschah? Wie er eine Zeitlang dies Leben geführt hatte, stellte sich ihm die göttliche Erhabenheit der Kunst auf einmal wieder so lebhaft vor Augen, daß er plötzlich sein Gasthaus aufgab und eifrig, als ein Bekehrter, sich der Kunst von neuem in die Arme warf. –

«Die andre Geschichte ist diese. Der wohlbekannte und berühmte Parineggiano malte als ein junger Mann in Rom sehr vortreffliche Sachen für den Papst, und zwar grade zu der Zeit, als der deutsche Kaiser Karl der Fünfte die Stadt belagerte. Dessen Truppen nun brachen in die Tore ein und plünderten alle Häuser, der Großen wie der Geringen. Parmeggiano aber achtete auf nichts weniger als auf den Kriegslärm und Tumult, und blieb ruhig bei seiner Arbeit. Auf einmal brechen etliche Kriegsmänner ins Gemach herein, und siehe! er bleibt immer noch fest und emsig an seiner Staffelei. Da erstaunten diese wilden Menschen, die selbst Tempel und Altar nicht geschont hatten, über den großen Geist des Mannes so sehr, daß sie ihn, als wär er ein Heiliger, nicht anzurühren wagten, und ihn sogar gegen die Wut anderer beschützten.»

«Wie wunderbar ist das alles», rief ich; «aber nun bitt ich Euch noch um ein einziges», fuhr ich zu dem lieben fremden Manne fort, – «sagt mir, ob es wahr ist, was ich einst hörte, daß die ältesten Maler von Italien so gottesfürchtige Männer gewesen sind und die heiligen Geschichten immer mit rechter Gottesfurcht gemalt haben? Mehrere Leute, die ich darum befragte, lachten mich aus und sagten, das sei eitel Einbildung und ein artig erfundenes Märchen.»

«Nein, mein Sohn», versetzte der liebe Mann zu meinem Trost, «das ist keine poetische Erfindung, sondern, wie ich dir aus den alten Büchern bezeugen kann, die lautere Wahrheit. Diese ehrwürdigen Männer, von denen mehrere selbst Geistliche und Klosterbrüder waren, widmeten die von Gott empfangene Geschicklichkeit ihrer Hand auch bloß göttlichen und heiligen Geschichten, und brachten so einen ernsthaften und heiligen Geist, und so eine demütige Einfalt in ihre Werke, wie es sich zu geweiheten Gegenständen schickt. Sie machten die Malerkunst zur treuen Dienerin der Religion und wußten nichts von dem eitlen Farbenprunk der heutigen Künstler: ihre Bilder, in Kapellen und an Altären, gaben dem, der davor kniete und betete, die heiligsten Gesinnungen ein. Einer der alten Männer, Lippo Dalmasio, war wegen seiner herrlichen Madonnen berühmt, wovon Papst Gregorius der Dreizehnte eine vorzügliche in seinem Gemache zur Privatandacht bei sich hatte. Ein andrer, Fra Giovanni Angelico da Fiesole, Maler und Dominikanermönch zu Florenz, war wegen seines strengen und gottesfürchtigen Lebens besonders berühmt. Er kümmerte sich gar nicht um die Welt, schlug sogar die Würde eines Erzbischofs aus, die der Papst ihm antrug, und lebte immer still, ruhig, demütig und einsam. Jedesmal, bevor er zu malen anfing, pflegte er zu beten; dann ging er ans Werk und führte es aus, wie der Himmel es ihm eingegeben hatte, ohne weiter darüber zu klügeln und zu kritisieren. Das Malen war ihm eine heile Bußübung und manchmal, wenn er Christi Leiden am Kreuz mal sah man während der Arbeit große Tränen über sein Gesicht fließen. – Das alles ist nicht ein schönes Märchen, sondern die reine Wahrheit.» –

Den Beschluß machte der Pater mit einer recht seltsamen Geschichte, welche ebenfalls in jene alte Periode der religiösen Malerkunst fällt.

«Einer der frühesten Maler», erzählte er, «welcher uns Spinello genannt wird, malte in seinem Alter für die Kirche S. Agnolo zu Arezzo ein sehr großes Altarblatt, worauf er den Luzifer und den Sturz der bösen Engel vorstellte: in der Luft den Engel Michael, wie er mit dem siebenköpfigen Drachen kämpft. und unten den Luzifer in der Gestalt des scheußlichsten Ungeheuers. Von dieser greulichen Teufelsgestalt war nun sein Kopf so eingenommen, daß, wie erzählt wird, der böse Geist ihm grade so gestaltet im Traume erschien und ihn fürchterlich fragte: warum ihn in dieser schändlichen, bestialischen Bildung vorgestellt, und an welchem Ort er ihn in dieser Unform gesehn habe? Der Maler erwachte aus dem Traum an allen Gliedern zitternd, – er wollte um Hülfe rufen und konnte vor Schrecken keinen Laut hervor- bringen. Von der Zeit an war er immer halb von sich und behielt einen stieren Blick; auch starb er nicht lange darauf. Das wunderbare Gemälde aber ist noch heutigestages an seiner alten Stelle zu sehen. » –

Der fremde Pater ging bald darauf fort und reiste weiter, ohne daß ich einmal Abschied von ihm nehmen konnte. Mir war wie im Traum, als ich alle die schönen Historien. gehört hatte; war in eine ganz neue, wunderbare Welt eingeführt. Begierig fragte ich überall nach, um alle die Bücher von Lebensgeschichten der Maler, besonders auch das Werk des Giorgio Vasari zu kommen; ich las sie mit Liebe und Eifer, und siehe! ich fand diesen Büchern alle die Historien aufgezeichnet, die der treu Pater erzählt hatte. Dieser mir unvergeßliche Mann ist es geleitet sen, der mich auf das Studium der Künstlergeschichte geleistet hat, welches dem Verstande, dem Herzen und der Phantasie viel Nahrung gibt, und ich habe ihm darum gar viele glückliche Stunden zu verdanken.


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