Wilhelm Heinrich Wackenroder
Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders
Wilhelm Heinrich Wackenroder

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Einige Worte über Allgemeinheit, Toleranz und Menschenliebe in der Kunst

Der Schöpfer, welcher unsre Erde und alles, was darauf ist, gemacht hat, hat das ganze Erdenrund mit seinem Blick umfaßt, und den Strom seines Segens über den ganzen Erdkreis ausgegossen. Aber aus seiner geheimnisvollen Werkstatt hat er tausenderlei unendlich-mannigfaltige Keime der Dinge über unsre Kugel hergestreut, die unendlich-mannigfaltige Früchte tragen, und zu seiner Ehre zu dem größesten, buntesten Garten hervorschießen. Auf wunderbare Weise fährt er seine Sonne um den Erdball in gemessenen Kreisen herum, daß ihre Strahlen in tausend Richtungen zur Erde kommen, und unter jedem Himmelsstriche das Mark der Erde zu verschiedenartigen Schöpfungen auskochen und hervortreiben.

Mit gleichem Auge ruht er in Einem großen Moment auf dem Werke seiner Hände, und empfängt mit Wohlgefallen das Opfer der ganzen lebendigen und leblosen Natur. Das Brüllen des Löwen ist ihm so angenehm wie das Schreien des Rentiers; und die Aloe duftet ihm ebenso lieblich als Rose und Hyazinthe.

Auch der Mensch ist in tausendfacher Gestalt aus seiner schaffenden Hand gegangen: – die Brüder eines Hauses kennen sich nicht, und verstehen sich nicht; sie reden verschiedene Sprachen, und staunen übereinander: aber er kennt sie alle, und freut sich aller; mit gleichem Auge ruht er auf seiner Hände Werk, und empfängt das Opfer der ganzen Natur.

Auf mancherlei Weise hört er die Stimmen der Menschen von den himmlischen Dingen durcheinander reden, und weiß, daß alle, – alle, wär es auch wider ihr Wissen und Willen, – dennoch ihn, den Unnennbaren, meinen.

So hört er auch die innere Empfindung der Menschen in verschiedenen Zonen und in verschiedenen Zeitaltern verschiedene Sprachen reden, und hört, wie sie miteinander streiten und sich nicht verstehen: aber dem ewigen Geiste löst sich alles in Harmonie auf; er weiß, daß ein jeder die Sprache redet, die er ihm angeschaffen hat, daß ein jeder sein Inneres äußert, wie er kann und soll; – wenn sie in ihrer Blindheit untereinander streiten, so weiß und erkennt er, daß für sich ein jeglicher recht hat; er sieht mit Wohlgefallen auf jeden und auf alle, und freut sich des bunten Gemisches.

Kunst ist die Blume menschlicher Empfindung zu nennen. In ewig wechselnder Gestalt erhebt sie sich unter den mannigfaltigen Zonen der Erde zum Himmel empor, und dem allgemeinen Vater, der den Erdball mit allem, was daran ist, in seiner Hand hält, duftet auch von dieser Saat nur ein vereinigter Wohlgeruch.

Er erblickt in jeglichem Werke der Kunst, unter allen Zonen der Erde, die Spur von dem himmlischen Funken, der, von ihm ausgegangen, durch die Brust des Menschen hindurch, in dessen kleine Schöpfungen überging, aus denen er dem großen Schöpfer wieder entgegenglimmt. Ihm ist der gotische Tempel so wohlgefällig als der Tempel des Griechen; und die rohe Kriegsmusik der Wilden ist ihm ein so lieblicher Klang, als kunstreiche Chöre und Kirchengesänge.

Und wenn ich nun von ihm, dem Unendlichen, durch die unermeßlichen Räume des Himmels, wieder zur Erde gelange, und mich unter meinen Mitbrüdern umsehe, – ach! so muß ich laute Klagen erheben, daß sie ihrem ewigen großen Vorbilde im Himmel so wenig ähnlich zu werden sich bestreben. Sie zanken miteinander, und verstehen sich nicht, und sehen nicht, daß sie alle nach demselben Ziele eilen, weil jeder mit festem Fuße auf seinem Standort stehen bleibt, und seine Augen nicht über das Ganze zu erheben weiß.

Blöden Menschen ist es nicht begreiflich, daß es auf unserer Erdkugel Antipoden gebe, und daß sie selber Antipoden sind. Sie denken sich den Ort, wo sie stehen, immer als den Schwerpunkt des Ganzen, – und ihrem Geiste mangeln die Schwingen, das ganze Erdenrund zu umfliegen, und das in sich selbst gegründete Ganze mit einem Blicke zu umspielen.

Und ebenso betrachten sie ihr Gefühl als das Zentrum alles Schönen in der Kunst, und sprechen, wie vom Richterstuhle, über alles das entscheidende Urteil ab, ohne zu bedenken, daß sie niemand zu Richtern gesetzt hat, und daß diejenigen, die von ihnen verurteilt sind, sich ebensowohl dazu aufwerfen könnten.

Warum verdammt ihr den Indianer nicht, daß er indianisch, und nicht unsre Sprache redet?

Und doch wollt ihr das Mittelalter verdammen, daß es nicht solche Tempel baute wie Griechenland? –

O so ahndet euch doch in die fremden Seelen hinein, und merket, daß ihr mit euren verkannten Brüdern die Geistesgaben aus derselben Hand empfangen habt! Begreifet doch, daß jedes Wesen nur aus den Kräften, die es vom Himmel erhalten hat, Bildungen aus sich herausschaffen kann, und daß einem jeden seine Schöpfungen gemäß sein müssen. Und wenn ihr euch nicht in alle fremde Wesen hineinzu fühlen, und durch ihr Gemüt hindurch ihre Werke zu empfinden vermöget; so versuchet wenigstens, durch die Schlußketten des Verstandes mittelbar an diese Überzeugung heranzureichen. –

Hätte die aussäende Hand des Himmels den Keim deiner Seele auf die afrikanischen Sandwüsten fallen lassen, so würdest du aller Welt das glänzende Schwarz der Haut, das dicke, stumpfe Gesicht, und die kurzen, krausen Haare, als wesentliche Teile der höchsten Schönheit angepredigt, und den ersten weißen Menschen verlacht oder gehaßt haben. Wäre deine Seele einige hundert Meilen weiter nach Osten, auf dem Boden von Indien aufgegangen, so würdest du in den kleinen, seltsamgestalteten, vielarmigen Götzen den geheimen Geist fühlen, der, unsern Sinnen verborgen, darinnen weht, und würdest, wenn du die Bildsäule der medicäischen Venus erblicktest, nicht wissen, was du davon halten solltest. Und hätte es demjenigen, in dessen Macht du standest und stehst, gefallen, dich unter die Scharen südlicher Insulaner zu werfen, so würdest du in jedem wilden Trommelschlag, und den rohen, gellenden Schlägen der Melodie, einen tiefen Sinn finden, von dem du jetzt keine Silbe fassest. Würdest du aber in irgendeinem dieser Fälle, die Gabe der Schöpfung oder die Gabe des Genusses der Kunst, aus einer andern Quelle, als aus der ewigen und allgemeinen, der du auch jetzt alle deine Schätze verdankest, empfangen haben? –

Das Einmaleins der Vernunft folgt unter allen Nationen der Erde denselben Gesetzen, und wird nur hier auf ein unendlich größeres, dort auf ein sehr geringes Feld von Gegenständen angewandt. – Auf ähnliche Weise ist das Kunstgefühl nur ein und derselbe himmlische Lichtstrahl, welcher aber, durch das mannigfach geschliffene Glas der Sinnlichkeit unter verschiedenen Zonen sich in tausenderlei verschiedene Farben bricht.

Schönheit: ein wunderseltsames Wort! Erfindet erst neue Worte für jedes einzelne Kunstgefühl, für jedes einzelne Werk der Kunst! In jedem spielt eine andere Farbe, und für ein jedes sind andere Nerven in dem Gebäude des Menschen geschaffen.

Aber ihr spinnt aus diesem Worte, durch Künste des Verstandes, ein strenges System, und wollt alle Menschen zwingen, nach euren Vorschriften und Regeln zu fühlen, – und fühlet selber nicht.

Wer ein System glaubt, hat die allgemeine Liebe aus seinem Herzen verdrängt! Erträglicher noch ist Intoleranz des Gefühls, als Intoleranz des Verstandes; – Aberglaube besser als Systemglaube.

Könnt ihr den Melancholischen zwingen, daß er scherzhafte Lieder und muntern Tanz angenehm finde? Oder den Sanguinischen, daß er sein Herz den tragischen Schrecknissen mit Freude darbiete?

O lasset doch jedes sterbliche Wesen und jedes Volk unter der Sonne bei seinem Glauben und seiner Glückseligkeit! und freuet euch, wenn andere sich freuen, – wenn ihr euch auch über das, was ihnen das Liebste und Werteste ist, nicht mit zu freuen versteht.

Uns, Söhnen dieses Jahrhunderts, ist der Vorzug zuteil geworden, daß wir auf dem Gipfel eines hohen Berges stehen, und daß viele Länder und viele Zeiten unsern Augen offenbar, um uns herum und zu unsern Füßen ausgebreitet liegen. So lasset uns denn dieses Glück benutzen, und mit heitern Blicken über alle Zeiten und Völker umherschweifen, und uns bestreben, an allen ihren mannigfaltigen Empfindungen und Werken der Empfindung immer das Menschliche herauszufühlen.

Jegliches Wesen strebt nach dem Schönsten: aber es kann nicht aus sich herausgehen, und sieht das Schönste nur in sich. So wie in jedes sterbliche Auge ein anderes Bild des Regenbogens kommt, so wirft sich jedem, aus der umgebenden Welt, ein anderes Abbild der Schönheit zurück. Die allgemeine, ursprüngliche Schönheit aber, die wir nur in Momenten der verklärten Anschauung nennen, nicht in Worte auflösen können, zeigt sich dem, der den Regenbogen, und das Auge, das ihn siehet, gemacht hat.

Ich habe meine Rede angefangen von ihm, und ich kehre wieder zu ihm zurück: – wie der Geist der Kunst, – wie aller Geist von ihm ausgeht, und durch die Atmosphäre der Erde, ihm zum Opfer wieder entgegendringt.-


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