Wilhelm Heinrich Wackenroder
Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders
Wilhelm Heinrich Wackenroder

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Die Größe des Michelangelo Buonarroti

Wohl ein jeglicher Mensch, der ein fühlendes und liebendes Herz in seiner Brust trägt, hat im Reiche der Kunst irgendeinen besondern Lieblingsgegenstand; und so habe auch ich den meinigen, zu welchem mein Geist sich oft unwillkürlich, wie die Sonnenblume zur Sonne, hinwendet. Denn öfters, wenn ich in meiner Einsamkeit betrachtend dasitze, so ist es, als stände hinter mir ein guter Engel, der mir unversehens die Säkula der alten Maler von Italien, wie ein großes, fruchtreiches episches Gedicht mit einer gedrängten Schar lebendiger Figuren, vor meinen Augen aufsteigen ließe. Immer von neuem zeigt sich mir diese herrliche Erscheinung, und immer von neuem wird mein Blut dabei auf das innigste erwärmt. Es ist doch eine köstliche Gabe, die der Himmel uns verliehen hat, zu lieben und zu verehren; dieses Gefühl schmelzt unser ganzes Wesen um und bringt das wahre Gold daraus zu Tage.

Mein Blick fällt diesmal auf den großen Michelangelo Buonarroti, einen Mann, über welchen schon so mancher seine unbehülfliche Verwunderung oder seinen vorwitzigen Hohn und Tadel vorgebracht hat. Ich kann aber nicht mit vollerem Herzen von ihm zu reden anheben, als es sein Freund und Landsmann Giorgio Vasari in dem Eingange zu seiner Lebensbeschreibung getan hat, welcher von Wort zu Wort also lautet:

«Während daß so viele sinnreiche und vortreffliche Köpfe, nach den Vorschriften des berühmten Giotto und seiner Nachfolger, der Welt Proben von dem Talente zu zeigen strebten, welches durch den wohltätigen Einfluß der Gestirne und durch die glückliche Komplexion ihrer Geisteskräfte in ihrem Innern erzeugt war, und sich alle beeiferten, durch die Vortrefflichkeit der Kunst die Herrlichkeit der Natur nachzuahmen, um so viel möglich den -höchsten Gipfel der Wissenschaft, welchen man wohl ausschließlich <Erkenntnis> nennen mag, zu erreichen, obwohl all ihr Ringen vergeblich war; – unterdessen wandte der gütige Regierer aller Dinge sein Auge gnädiglich auf die Erde hin, und indem er nun wahrnahm all die eitle Anstrengung so unendlich vieler mühseliger Versuche, die unablässig heiße Lernbegier ohne die geringsten Früchte, und die eingebildeten Meinungen der Menschen, so entfernt von der Wahrheit als Finsternis vom Licht; – da be schloß er, um uns aus solchen Irrtümern zu reißen, einen Geist auf die Erde herabzuschicken, welcher durchaus, in jeglichem Teile aller Kunst, durch eigene Kraft sollte Meister werden. Er sollte der Welt ein Vorbild aufstellen, was Vollkommenheit sei in der Kunst des Zeichnens, der Umrisse und der Lichter und Schatten (welche den Bildern die Ründung geben), und wie man als Bildhauer mit Einsicht arbeiten müsse, und auf welche Weise man Gebäuden Festigkeit, Bequemlichkeit, schöne Verhältnisse, Anriehmlichkeit und Reichtum an allerlei Zieraten der Baukunst zu geben habe. Überdas aber wollte der Himmel ihm die wahre Tugendweisheit zur Begleitung und die süße Kunst der Musen zur Zierde geben, auf daß die Welt ihn vor allen bewundern und erwählen sollte zum Spiegel und Muster im Leben, in Werken, in Heiligkeit der Sitten, ja in allem irdischen Wandel, und er von uns vielmehr für ein himmlisches Wesen als für ein irdisches geachtet werden möchte. Und weil Gott sah, daß in jenen besondern Künsten, nämlich der Maler-, Bildhauer- und Baukunst, als in Dingen von so vieler Emsigkeit und Übung, die Eingebornen des Toskanischen Gebietes seit jeher unter allen sieh vornehmlich hervorgetan haben und meisterlich geworden sind (denn sie sind zu Anstrengung und eifriger Geistesarbeit jeder Art, vor allen andern Nationen Italiens vorzüglich geneigt) – so wollte er ihm Florenz als die würdigste Stadt von allen zur Heimat anweisen, damit die verdiente Krone aller Tugenden ihm von einem Mitbürger aufs Haupt gesetzt werden könnte.»

Mit solcher Verehrung redet der alte Vasari von dem großen Michelangelo und drängt am Ende seine allgemeine Bewunderung, auf eine schöne und menschliche Weise, in ein herzliches patriotisches Gefühl zusammen und freut sich inniglich, daß dieser Mann, den er wie einen Herkules unter den Helden der Kunst verehrt, mit ihm denselben kleinen Raum der Erde zur Heimat gehabt hat. Er beschreibt das Leben des Buonarroti am allerausführlichsten, und tut oft recht gutmütig-stolz darauf, daß er seiner vertrautesten Freundschaft genossen.

Doch wir wollen uns nicht an dem bloßen Anstaunen dieses großen Mannes begnügen, sondern vielmehr in seinen inneren Geist hineingehen, uns in den eigentümlichen Charakter seiner Werke hineinschmiegen. Es ist nicht genug, ein Kunstwerk zu loben: «es ist schön und vortrefflich», denn diese allgemeinen Redensarten gelten auch von den verschiedenartigsten Werken; wir müssen uns jedem großen Künstler hingeben, mit seinen Organen die Dinge der Natur anschauen und ergreifen und in seiner Seele sprechen können: «Das Werk ist in seiner Art richtig und wahr

Die Malerei ist eine Poesie mit Bildern der Menschen. So wie nun die Poeten ihre Gegenstände mit ganz verschiedenen Erfindungen beseelen, je nachdem ihnen vom Schöpfer ein verschiedener Geist eingehaucht ist; so auch in der Malerei. Einige Dichterr beleben ihr ganzes Werk innerlich mit einer stillen und geheimen poetischen Seele; bei andern aber bricht die überfließende, üppige dichterische Kraft in jedem Momente der Darstellung hervor.

Dies ist dieselbe Verschiedenheit, welche ich zwischen dem göttlichen Raffael und dem großen Buonarroti finde: jenen möchte den Maler des Neuen, diesen des Alten Testamentes nenn denn auf jenem – ich wage den kühnen Gedanken auszusprechen – ruhet der stille göttliche Geist Christi, – auf diesem, Geist der inspirierten Propheten, des Moses und der übrigen Dichter des Morgenlandes. Hier ist nichts zu loben und zu tadeln, sondern ein jeglicher ist, was er ist.

So wie die inspirierten orientalischen Dichter, von der inwohnenden, mit Gewalt sich regenden himmlischen Kraft, zu auf ordentlichen Phantasien getrieben wurden und aus innerlich Drange die Worte und Ausdrücke der irdischen Sprache durch lauter feurige Bilder gleichsam in die Höhe zwangen; so erqriff auch die Seele des Michelangelo immer mit Macht das Außerordentliche und Ungeheure und drückte in seinen Figuren eine gespannte, übermenschliche Kraft aus. Er versuchte sich gern erhabenen, furchtbaren Gegenständen; er wagte in seinen Bild die kühnsten und wildesten Stellungen und Gebärden; er drängte Muskeln auf Muskeln und wollte in jede Nerve seiner Figuren die hohe poetische Kraft stempeln, wovon er erfüllt war ergründete das innerliche Triebwerk der Menschenmaschine bis in die verborgensten Wirkungen; er spürte die härtesten Schwierigkeiten in der Mechanik des menschlichen Körpers auf, um sie zu bekämpfen, und um die üppige Fülle seiner Geisteskraft auch den körperlichen Teilen der Kunst auszulassen und zu befriedigen: – gerade so wie Dichter, in denen ein nicht zu löschen lyrisches Feuer brennt, sich an großen und ungeheuren Ideen » genügen, sondern vornehmlich auch in dem sichtbaren, sinnlichen Werkzeuge ihrer Kunst, in Ausdruck und Worten, ihre kühne und wilde Stärke abzudrücken streben. Die Wirkung ist, an den orten, groß und herrlich: der innere Geist des Ganzen leuchtet dann auch aus jedem der einzelnen äußeren Teile hervor. –

Also erscheint mir der vielbeurteilte Buonarroti, und wer ihn in dieser Gestalt, unter den alten Malern ins Auge faßt, der mag wohl mit Erstaunen und Bewunderung fragen: Wer malte vor ihm wie er? Woher nahm er die ganz neue Größe, von welcher vorher kein Auge jemals wußte? Und wer hat ihn auf die vorher unbekannten Wege gebracht?

Es ist in der Welt der Künstler gar kein höherer, der Anbetung würdigerer Gegenstand als: – ein ursprünglich Original! Mit emsigen Fleiße, treuer Nachahmung, klugem Urteil zu arbeiten – ist menschlich; aber das ganze Wesen der Kunst mit einem ganz neuen Auge zu durchblicken, es gleichsam mit einer ganz neuen Handhabe zu erfassen ist göttlich.

Indessen ist es das Schicksal der Originale, eine elende Schar von Nachbetern hervorzubringen, und Michelangelo weissagte dies von sich selber, wie es nachmals zutraf. Ein Original schwingt sich mit einem kühnen Sprunge auf einmal bis an die Grenze des Kunstgebiets, steht kühn und fest da, und zeigt das Außerordentliche und Wundervolle. Es gibt aber für den blöden Geist des Menschen fast nichts Außerordentliches und Wundervolles, an dessen Grenze nicht ganz nahe Torheit und Abgeschmacktheit läge. Die jämmerlichen Nachbeter, denen die eigene Kraft zum festen Stande mangelt, irren blind umher, und was sie nachbilden, ist, wenn es mehr als schwaches Schattenbild sein soll, verzerrte Übertreibung.

Die Zeit des Michelangelo, die Anfangsepoche der italienischen Malerei, ist überhaupt allein das Zeitalter der Maleroriginale. Wer malte vor Correggio wie Correggio? vor Raffael wie Raffael? – Allein es ist, als wenn die allzu freigebige Natur in dieser Zeit sich an Kunstgenie arm geschenkt hätte; denn die besten späteren Meister, bis auf die neuesten Zeiten, haben fast alle kein anderes Ziel gehabt, als irgendeinen der ersten Ur- und Normalkünstler, oder auch gar mehrere zusammen, nachzuahmen, und sind auch nicht leicht auf andre Weise groß geworden, als indem sie vortrefflich nachgeahmt haben. Selbst der hohe und wohlverdiente Ruhm, welchen die Reformatorschule der Caracci sich erworben hat, ist auf kein anderes Verdienst gegründet, als daß sie die in Verfall geratene Nachahmung jener alten Ahnherren durch würdige Beispiele wieder in die Höhe brachte. Und wen ahmten jene Ahnherren selber nach? Sie schöpften die ganze neue Herrlichkeit aus sich selber.


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