Wilhelm Heinrich Wackenroder
Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders
Wilhelm Heinrich Wackenroder

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Von den Seltsamkeiten des alten Malers Piero di Cosimo aus der Florentinischen Schule

Die Natur, die ewig emsige Arbeiterin, fertigt, mit immer geschäftigen Händen, Millionen Wesen alles Geschlechtes und wirft ins irdische Leben hinein. Mit leichtem, spielendem Scherze mischt sie, ohne hinzusehen, die Stoffe, wie sie sich nun schicken mögen auf mannigfache Weise zusammen, und überläßt ein jedes Wesen, das ihrer Hand entfällt, seiner Lust und seiner Qual. Und ebenso wie sie manchmal in den Reichen des Leblosen mutwillig seltsame und monströse Gestalten unter die Menge wirft; bringt sie auch unter den Menschen alle Jahrhunderte einige Seltenheiten hervor, welche sie zwischen Tausende gewöhnlicher Art versteckt. Aber diese seltsamen Geister vergehen gleich den allergemeinsten: die wißbegierige Nachwelt sammelt aus Schriften die einzeln gestammelten Laute zusammen, die sie uns schildern sollen; allein wir gewinnen kein faßliches Bild und lernen sie niemals völlig verstehen. Konnten doch auch die, welche sie mit Augen sahen, sie nicht völlig begreifen, ja sie begriffen sich selber kaum. Wir können sie, wie im Grunde alles in der Welt, nur bloß mit leerer Verwunderung betrachten. –

Diese Gedanken sind bei mir rege geworden, indem ich in den Historien der alten Maler auf den wunderbaren Piero di Cosino gestoßen bin. Die Natur hatte sein Inneres mit einer immer gärenden Phantasie erfüllt, und seinen Geist mit schweren und düstern Gewitterwolken bezogen, so daß sein Gemüt immer in un- ruhiger Arbeit war, und unter ausschweifenden Bildern umher trieb, ohne jemals sich in einfacher und heiterer Schönheit zu spiegeln. Alles an ihm war außerordentlich und ungewöhnlich die alten Schriftsteller wissen nicht kräftige Worte genug zusammenzuhäufen, um uns einen Begriff von dem Unmäßigen und Ungeheuren in seinem ganzen Wesen zu geben. Und doch finden wir bei ihnen nur wenige einzelne, zum Teil sogar unerheblich scheinende Züge aufgezeichnet, welche uns den Abgrund sei Seele keineswegs gründlich kennen lehren, noch zu einem vollendeten, harmonischen Bilde zusammenfließen; aus welchen wir aber dennoch das Tieferliegende wohl ohngefähr ahnden könne.

Piero di Cosimo trug schon in seiner Jugend einen lebendigen, immer beweglichen Geist, und eine überfüllte Einbildungskraft in sich herum, wodurch er sich früh vor seinen Mitschülern auszeichnete. Seine Seele erfreute sich nie, still auf einem Gedanken oder einem Bilde zu ruhen; immer zog ein Schwarm von fremden, seltsamen Ideen durch sein Gehirn und entrückte ihn aus der Gegenwart. Manchmal, wenn er bei der Arbeit saß, und dabei zugleich etwas erzählte oder auseinandersetzte, hatte ihn seine immer für sich allein umhertummelnde Phantasie unvermerkt auf so entlegene Höhen entführet, daß er auf einmal stockte, der Zusammenhang der gegenwärtigen Dinge sich vor seinen Augen verwirrte, und er alsdann seine Rede wieder von vorn anheben mußte. Menschliche Gesellschaft war ihm zuwider; am besten gefiel er sich in einer trüben Einsamkeit, wo er, in sich gekehrt, seine umherschweifenden Einbildungen verfolgte, wohin sie ihn führten. Immer war er allein in einem verschlossenen Gemach und führte eine ganz eigene Lebensart. Er nährte sich mit immer gleicher, einförmiger Speise, die er sich selber, zu jeder Zeit des Tages, da er Lust hatte, bereitete. Er litt nicht, daß sein Zimmer gereinigt ward; auch widersetzte er sich gegen das Beschneiden der Fruchtbäume und Rebstöcke in seinem Garten; denn er wollte überall die wilde, gemeine und ungesäuberte Natur sehen, und hatte seine Lust an dem, was andern Sinnen zuwider ist. So hatte er auch einen geheimen Reiz, bei allen Mißgeburten in der physischen Natur, bei allen monströsen Tieren und Pflanzen lange zu verweilen; er sah sie mit unverrückter Aufmerksamkeit an, um ihre Häßlichkeit recht zu genießen, er wiederholte sich ihr Bild nachher immerfort in Gedanken, und konnte es, so widrig es ihm auch am Ende ward, nicht aus dem Kopf bringen. Von solchen mißgeschaffenen Dingen hatte er nach und nach, mit der schärfsten Emsigkeit, ein ganzes Buch zusammengezeichnet. Oft auch heftete er seine Augen starr auf alte, befleckte, buntfärbige Mauern, oder auf die Wolken am Himmel, und seine Einbildung ergriff aus allen solchen Spielen der Natur mancherlei abenteuerliche Ideen zu wilden Schlachten mit Pferden oder zu großen Gebirgslandschaften mit fremdartigen Städten. – Große Freude empfand er an einem recht heftigen Platzregen, der von den Dächern herab prasselnd auf das Pflaster stürzte; – dagegen fürchtete er sich wie ein Kind vor dem Donner und hüllte sich, wenn ein Gewitter am Himmel tobte, eng in seinen Mantel ein, verschloß die Fenster und kroch in einen Winkel des Hauses, bis, es vorüber war. Halb verrückt machte ihn das Schreien kleiner Kinder, das Glockengeläut, und das Singen der Mönche. – In seinen Reden war er bunt und außerordentlich; ja, zuweilen sagte er so vortrefflich-komische Sachen, daß die es hörten, sich vor Lachen nicht halten konnten. In Summa, er war so beschaffen, daß die Leute seiner Zeit ihn für einen höchst verwirrten und beinahe wahnsinnigen Kopf ausgaben.

Sein Geist, der unaufhörlich, wie siedendes Wasser im Kessel, kochte, und Schaum und Blasen auftrieb, hatte ganz vorzügliche Gelegenheit, sich bei den Mummereien und mutwilligen Aufzügen, welche zur Zeit des Karnevals in Florenz gehalten wurden, in allerhand neuen und fremden Erfindungen zu zeigen, so daß diese Festlichkeit durch ihn erst eigentlich das ward, was sie vorher nie gewesen war. Unter allen den außerordentlichen und vielbewunderten feierlichen Aufzügen aber, welche er anordnete, zeichnete sich einer so besonders und eigen aus, daß wir eine kurze Erzählung davon hersetzen wollen. Die Veranstaltungen dazu waren insgeheim gemacht, und ganz Florenz ward also dadurch auf das äußerste überrascht und erschüttert.

In der bestimmten Nacht nämlich, indem das Volk, der ausgelassensten Freude preisgegeben, jauchzend in den Straßen der Stadt umherschwärmte – ward der Haufen auf einmal vor Schrecken auseinandergesprengt und sah sich mit Bestürzung und Erstaunen um. Es näherte sich durch die dämmernde Nacht, schwer und langsam, ein schwarzer, ungeheurer Wagen, von vier schwarzen Büffeln gezogen, und mit Totenbeinen und weißen Kreuzen bezeichnet, – und auf dem Wagen stolzierte eine mächtig-große Siegergestalt des Todes, mit der fürchterlichen Sense bewaffnet, zu deren Füßen lauter Särge auf dem Wagen herumstanden. Aber der langsame Zug hielt an:- und bei dem dumpfen Dröhnen von seltsamen Hörnern, deren banger, schauerlicher Ton Mark und Gebein durchzitterte – und bei dem zauberhaften Schein entfernter Fackeln –, stiegen, – wobei alles Volk von einem stillen Grauen ergriffen ward, – aus den sich öffnenden Särgen langsam weiße Gerippe mit halbem Leibe hervor, setzten sich auf den Sarg und erfüllten die Luft mit einem finstern, hohlen Gesange, der, von den Hörnertönen durchmischt, das Blut in den Adern gerinnen machte. Sie sangen darin von den Schrecknissen des Todes, und daß alle, die jetzt lebendig sie anschauten, bald auch solche Knochengestalten sein würden wie sie. Rings um den Wagen herum, und hinter dem Wagen, drängte sich ein großer, verworrener Troß von Toten, mit Larven gleich Totenschädeln auf dem Haupt, schwarz behangen, mit weißen Gebeinen und weißen Kreuzen bezeichnet, und auf hageren Pferden sitzend, – und jeglicher hatte ein Gefolge von vier andern schwarzen Reitern mit Fackeln und einer ungeheuren schwarzen Fahne mit Totenschädeln und Gebeinen und weißen Kreuzen bezeichnet; – auch von dem Wagen schleppten zehn große schwarze Fahnen herunter; – und während des langsam-schleichenden Zuges sang das ganze Totenheer, mit dumpfbebender Stimme, einen Psalm Davids ab. –

Es ist sehr merkwürdig, daß dieser unerwartete Totenaufzug, so viel Schrecken er auch anfangs verbreitete, doch von ganz Florenz mit dem größten Wohlgefallen betrachtet ward. Schmerzliche und widrige Empfindungen greifen mit Macht durch die Seele, halten sie fest und zwingen sie gleichsam zur Teilnahme und zum Behagen; und wenn sie überdies mit einem gewissen poetischen Schwunge die Phantasie anfallen und aufregen, so können sie das Gemüt in einer hohen und begeisterten Spannung erhalten. Daneben möcht ich auch noch sagen, daß solchen ausgezeichneten Geistern, wie dieser Piero di Cosimo war, vom Himmel eine wunderbare geheime Gewalt eingepflanzt zu sein scheinet, durch die fremden und außerordentlichen Dinge, welche sie tun, die Köpfe, auch des gemeinen großen Haufens, einzunehmen. –

Obwohl Piero von seiner unruhigen finstern Phantasie unaufhörlich geneckt, umhergejagt und ermüdet ward; so hatte der Himmel ihm doch ein hohes Alter beschieden; ja, wie er dem achtzigsten Jahre nahe kam, ward sein Geist von immer wilderen Phantastereien verfolgt. Er quälte sich bei der großen körperlichen Schwäche und allem Elend des Alters dennoch immer für sich allein und wies alle Gesellschaft und mitleidige Hülfe ungestüm von sich. Dann wollte er noch arbeiten und konnte doch nicht, weil ihm die Hände gelähmt waren und beständig zitterten; dann kam er in die äußerste Bosheit und wollte seinen Händen Gewalt antun; aber indem er so ergrimmt für sich murmelte, fiel ihm wieder der Malerstock oder gar der Pinsel auf die Erde, daß es ein Jammer anzusehen war. Er konnte sich mit dem Schatten zanken und über eine Fliege in Zorn geraten. Daß er seinem Ende nahe wäre, wollte er noch immer nicht glauben. Er redete sehr viel davon, was es für ein Elend sei, wenn eine langsame Krankheit mit tausend Martern den Körper recht nach und nach aufzehre, daß ein Blutstropfen nach dem andern absterbe. Er fluchte auf Ärzte, Apotheker und Krankenwärter und beschrieb, was es fürchterlich sei, wenn einem nicht Speise, nicht Schlaf gegönnt werde, wenn man sein Testament machen müßte, wenn man die Anverwandten um das Bett herum weinen sähe. Dagegen pries er denjenigen glücklich, der auf dem Hochgericht mit einem Streich aus der Welt gehe; und was es schön wäre, vor so vielem Volk, und unter den Tröstungen und Gebeten des Priesters und den Fürbitten von Tausenden, zu den Engeln im Paradiese hinaufzusteigen. In solchen Gedanken schwärmte er unaufhörlich fort: bis man endlich eines Morgens, ganz unerwartet, ihn unten an der Treppe in seinem Hause tot liegen fand. –

Dies sind die sonderbaren Züge von dem Geiste dieses Malers, welche ich dem Giorgio Vasari treulich nacherzählt habe. Was ihn als Maler betrifft, so berichtet uns derselbe Autor von ihm, daß er am liebsten wilde Bacchanale und Orgia, fürchterliche Ungeheuer oder sonst irgend schreckhafte Vorstellungen gemalt habe; rühmt ihn indes wegen des höchst mühseligen und eigensinnigen Fleißes in seinen Bildern. Wie denn derselbe Vasari, in dem Leben eines andern ebenfalls schwermütigen Malers[Nämlich des Florentiners Giovanni Antonio Sogliani], die Bemerkung macht, daß dergleichen tiefsinnige und melancholische Geister sich oftmals durch eine besondere, eiserne Geduld und Emsigkeit im Arbeiten auszuzeichnen pflegten.

Dem sei nun wie ihm wolle, so kann ich nicht glauben, daß dieser Piero di Cosimo ein wahrhaft-echter Künstlergeist gewesen sei. Ich finde zwar eine gewisse Übereinstimmung zwischen ihm und dem großen Leonardo da Vinci (welchen jener auch in der Malerei sich zum Muster nahm); denn beide wurden von einem immer lebendigen, vielsinnigen Geiste umhergetrieben – jener aber in finstere Wolkenregionen der Luft –, dieser unter die ganze wirkliche Natur und unter das ganze Gewimmel der Erde.

Der Künstlergeist soll, wie ich meine, nur ein brauchbares Werkzeug sein, die ganze Natur in sich zu empfangen, und, mit dem Geiste des Menschen beseelt, in schöner Verwandlung wiederzugebären. ist es aber aus innerem Instinkte, und aus überflüssiger, wilder und üppiger Kraft, ewig für sich in unruhiger Arbeit, so ist er nicht immer ein geschicktes Werkzeug, – vielmehr möchte man dann ihn selber eine Art von Kunstwerk der Schöpfung nennen,

In dem tobenden und schäumenden Meere spiegelt sich der Himmel nicht; – der klare Fluß ist es, worin Bäume und Felsen und die ziehenden Wolken und alle Gestirne des Firmamentes sich wohlgefällig beschauen. –


 << zurück weiter >>