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Drittes Kapitel. Griechisch-römische Lebensphilosophie

Im Unterschied von der durch Plato und Aristoteles gepflegten systematischen Behandlung wenden sich andere von Sokrates ausgehende Denker nur einer Seite der von diesem geübten Betrachtung, nämlich den Fragen des sittlichen Lebens und Handelns zu. Sie fragen: Zu welchem Zwecke lebt der Mensch? Welches ist das höchste Gut, nach dem er streben soll? Und wie gestaltet er demgemäß sein Leben am zweckmäßigsten? Wir gruppieren sie der Einfachheit wegen nicht zeitlich, sondern nach ihrer sachlichen Verwandtschaft, und erhalten so drei Gruppen: I. die Cyrenaiker und Epikureer, II. die Zyniker und Stoiker, III. die Skeptiker und Eklektiker. Sie werden uns dann zugleich auch auf den Boden des römischen Weltreichs führen.

I. Die Cyrenaiker und die Epikureer

1. Aristipp und die Cyrenaiker

Am wenigsten mit Sokrates' innerstem Wesen gemein hat der mit ihm im Umgang gewesene, aber theoretisch schon vorher, von dem Sophisten Protagoras beeinflußte Aristipp (435 bis 355) aus dem reichen und genußliebenden Cyrene in Nordafrika, ein geistreicher Lebemann, wie ihn Wieland in seinem gleichnamigen Roman schildert. Ihm ist der höchste Lebenszweck die Lust, das eigene Wohlbefinden, wie es die Natur schon Kinder und Tiere lehrt: Genieße froh die Gegenwart, mache dir keine Sorge um Vergangenes oder Zukünftiges! Als Sokrates ihn einmal fragte, ob er lieber zu den Regierenden oder den Regierten gehören möchte, erwiderte er nach Xenophon: »Zu keinen von beiden«: er zieht es vor, sich von den öffentlichen Angelegenheiten überhaupt fernzuhalten, da sie nur Pflichten und Mühen bringen. Natürlich wird der Weise nicht die gröbste, sondern die am wenigsten üble Folgen, dagegen die längste Dauer versprechende Lust wählen; man muß dabei – das ist denn doch ein sokratischer Gedanke – der Einsicht folgen, auch die Herrschaft über den Genuß in der Hand behalten. In Aristipps Sinne ist Tugend Genußfähigkeit. Das war freilich nur eine Lebensphilosophie für wohlhabende Leute.

Aristipps Lehre hielt sich noch länger in Cyrene, daher ihr Name, unter allerlei Modifikationen (Umänderungen im einzelnen). Bei einem seiner Nachfolger, Hegesias, schlug ihre Genußfreudigkeit in das Gegenteil, den Pessimismus, um. Da die gerühmte Glückseligkeit nur selten erreichbar ist, müsse man sich mit Gleichgültigkeit gegen alle Launen des Geschicks wappnen, und gelinge auch das nicht, das in diesem Falle wertlos gewordene Leben lieber wegwerfen. Hegesias' Vorträge in Alexandrien sollen schließlich verboten worden sein, weil sie viele Zuhörer zum Selbstmord getrieben hätten.

In verfeinerter Gestalt erscheint die cyrenaische Genußlehre wieder bei dem fast ein Jahrhundert nach Aristipp lebenden

2. Epikur (341 bis 270) und seiner Schule

Epikur, ein Schulmeistersohn aus Samos, begründete 306 seine Genossenschaft, der auch Frauen angehörten, in seinem Garten bei Athen. In ihren Reihen herrschte ein heitergeselliger Ton, ohne Sittenlosigkeit: mit Unrecht ist Epikurs liebenswürdiger persönlicher Charakter namentlich von den Kirchenvätern und ihnen folgend dem ganzen christlichen Mittelalter verdächtigt worden, bis er und seine Lehre ihre Rettung beziehungsweise Wiedererstehung um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, also nach zwei Jahrtausenden, durch Gassendi erlebten.

Die Epikureer treiben wieder Erkenntnislehre, Psychologie und Naturphilosophie, in letzterer dem demokritischen Atomismus folgend mit gewissen Abweichungen im einzelnen, über die Karl Marx im Jahre 1841 seine Doktorarbeit geschrieben hat. Allein die Hauptsache ist ihnen doch die Frage nach dem höchsten Gut, mithin die Ethik.

Freilich die Religion, wenigstens die der Menge, spielt in dieser Ethik keine Rolle. Marx nennt in seiner Arbeit Epikur den »größten griechischen Aufklärer« und zitiert in dem Vorwort den Satz Epikurs: »Gottlos ist nicht, wer die Götter der Menge verachtet, sondern wer den Meinungen der Menge von den Göttern anhängt.«

Da diese Götter »in den Zwischenräumen der zahllosen Welten in seliger Ruhe sich selbst genügend« leben und in Natur und Welt nicht eingreifen, da ferner die menschliche Seele nach dem Tode mit dem Körper sich in ihre Atome auflöst – wir brauchen deshalb den Tod nicht zu fürchten, denn solange wir da sind, ist der Tod nicht da, und sobald er da ist, sind wir nicht mehr –, so kommt es für den Menschen darauf an, auf dieser Erde ein möglichst glückseliges Leben zu führen. Dabei soll jedoch die vernünftige Einsicht bestimmend sein, der Geist das »Fleisch« – hier findet sich das im Neuen Testament so oft gebrauchte Wort zum ersten Male statt »Körper« – beherrschen. Der Weise beneidet bei Wasser und Brot selbst Zeus nicht. So geht Epikur zwar von dem Egoismus, das ist dem Glücksgefühl des eigenen Ich, aus, aber sein Idealbild unterscheidet sich nicht allzu weit von dem seiner philosophischen Gegner, der Stoiker, insofern auch er unerschütterliche Ruhe des Gemüts bei allen Wechselfällen des Lebens als das zu erstrebende Ziel hinstellt. Dagegen fehlt allerdings der strenge Pflichtgedanke der Unterordnung des einzelnen unter das Allgemeine. Von den Staatsgeschäften hält man sich am besten der damit verbundenen Sorgen halber ganz fern, ja auch von der Eheschließung und Familiengründung. Ohne sie lebt man in größerer Ruhe und Ungestörtheit in ruhig stiller Verborgenheit ein heiter gelassenes Leben, das die Freundschaft hochhält, Milde gegen die Sklaven, Wohlwollen gegen alle Menschen übt und schließlich gestattet, unerträglichen Leiden durch freiwilligen Tod ein Ende zu machen. Der Zweck des Staates besteht bloß in der Sicherung der Gesellschaft gegen das Unrecht, von dem die große Menge nur durch Strafen zurückgehalten werden könne.

II. Die Zyniker und die Stoiker

1. Die Zyniker: Antisthenes und Diogenes

Wie man sieht, war das Lebensideal Epikurs nur eine gemäßigte Ausgabe des cyrenaischen, auch in der Geringschätzung des Wohlhabenden gegen die Masse. Anders bei den Zynikern, deren Lebensphilosophie auf den ersten Blick als eine solche des Proletariats erscheinen könnte.

Der Begründer dieser Richtung, der Athener Antisthenes (440 bis 370) war denn auch selbst arm und fühlte sich als Vertreter der niederen Klasse, der er angehörte. Von einer thrazischen Mutter stammend, also nur Halbblut, erklärt er Familie, Staat und Vaterland, aber auch Vermögen, Ehre, ja sogar Gesundheit und Freiheit für gleichgültige Dinge.

Es gibt ihm zufolge nur eine Tugend für Mann und Weib, Herrn und Knecht, und sie besteht in der freiwilligen Enthaltsamkeit von allen diesen Gütern, kurz in der Bedürfnislosigkeit. Rückkehr von der überfeinerten Kultur, die zu seiner Zeit besonders in reichen Handelsstädten wie Athen und Korinth Platz gegriffen hatte, zu Natur, Abhärtung, ehrlicher Arbeit ist seine Losung. Vom Wissen hielt er nichts. Vielleicht hatte ihn sein Lehrer Gorgias zu völligem Zweifel an aller Wissenschaft geführt. Antisthenes aber zog daraus, ein antiker Rousseau, den Schluß, daß alle Wissenschaft, die nicht auf das Praktische gehe, eitler Tand sei, alle darauf erbaute Kultur nur ins Verderben führe. Zur reuelosen Lust führt allein die Tugend, und diese besteht in der sokratischen Kraft der Selbstbezwingung. Sklave ist bloß, wer sich von seinen Lüsten beherrschen läßt. Auch hatte er den Mut, die Volksreligion offen zu verwerfen oder doch die Götter- und Heroensagen im Sinne eines reinen Monotheismus, des Glaubens an die eine Gottheit, umzudeuten.

Fast karikiert erscheint, wenn man den Anekdoten der Überlieferung glauben will, Antisthenes' Lehre und die ihr gemäße Lebensführung in der Gestalt des Diogenes aus Sinope in Kleinasien, der später in Korinth lebte und dort 323 starb. Bekannt ist er als der rauhe Sonderling, der umsonst mit der Laterne nach wahren »Menschen« suchte, der, vielleicht mit Absicht gerade in der reichsten und üppigsten Stadt Griechenlands, ein bewußtes Bettlerleben ohne feste Wohnung, mit dürftigstem Gerät, dürftigster Nahrung und Kleidung führte und von dem mächtigen König Alexander als einzige Gunst erbat: Geh' mir ein wenig aus der Sonne! Gewiß, nach dem Derwisch in Lessings »Nathan« ist »der wahre Bettler einzig und allein der wahre König«; aber doch nur im Sinne vollendeter Unabhängigkeit von aller Welt, Personen wie Dingen. Und um dieser willen braucht man durchaus nicht auf alle Segnungen der Kultur zu verzichten und »in einer Tonne zu leben«, wie es der willensstarke, derbwitzige und immer schlagfertige Weise in Korinth getan haben soll. Jedenfalls kann eine solche Bettlerphilosophie keine Lebensphilosophie des arbeitenden Proletariats sein. Und von Sozialismus ist dabei erst recht keine Spur vorhanden; es wäre bestenfalls nur eine Gemeinsamkeit nicht des Besitzens, sondern des Nichtbesitzens.

Anerkennenswert ist andererseits die Selbstbeherrschung, Einfachheit, Abhärtung dieser Zyniker, deren Name höchstwahrscheinlich von dem Gymnasium Kynosárges herrührt, in dem Antisthenes lehrte, nicht von der »hündischen« Lebensweise, derentwegen sie von ihren Gegnern verspottet wurden. Lobenswert in unserem Sinne ist ferner ihr ganz ungriechisches Eintreten für die Aufhebung aller trennenden Schranken der Stände, der Nationalität und des Geschlechts sowie ihre geläuterte religiöse Anschauung, die sie in der Ausübung der Tugend den wahren Gottesdienst erblicken ließ. Dagegen ging ihre Verwerfung aller Kultur und Verherrlichung des »Naturgemäßen« vielfach, namentlich in geschlechtlicher Beziehung, doch ins Rohe über, so daß die Worte »zynisch« und »Zynismus« heute zur Bezeichnung des Schamlosen in Wort und Handlung geworden sind. Für die Wissenschaft haben sie so gut wie nichts geleistet. Dagegen mag ihr freies Bettlerleben in selbstgewählter Bedürfnislosigkeit manchen der überfeinerten Kultur Überdrüssigen angezogen haben, wie denn der vornehme und reiche Thebaner Krates sich seinem Meister Diogenes zuliebe freiwillig seines Reichtums entäußerte und seine ebenso vornehme wie geistreiche Geliebte Hipparchia sein Bettlerleben teilte.

Auch die Ethik der Zyniker, die trotz aller Gegensätze grundsätzlich mit der ihrer cyrenaischen Gegner auf dem nämlichen Boden steht, dem des höchsten Gutes oder der Glückseligkeit, ersteht bald darauf wieder in gemäßigterer Form: in der Stoa.

2. Die Stoiker

Ihr Name stammt von der mit Gemälden geschmückten »bunten« Halle (Stoa) in Athen, wo der Stifter der Schule, Zeno (336 bis 264), lehrte. Er stammte, wie dies übrigens für fast alle dieser nachsokratischen Denker zutrifft, wenn sie auch in der alten Philosophenstadt Athen ihre Lehrwirksamkeit entfalten, nicht aus Griechenland selbst, sondern aus Kleinasien. Die Namen der ihm folgenden Schulhäupter interessieren uns nicht.

Die Hauptsache ist auch bei den Angehörigen der Stoa die Ethik, das heißt die Lehre vom höchsten Gut, das ihnen freilich nicht ohne vorangehende Logik oder Erkenntnislehre wissenschaftlich möglich dünkt. Indes die Logik ist innerhalb des philosophischen Systems nach ihrer Ansicht doch nur der Umzäunung eines Gartens zu vergleichen, dessen Bäumen die Naturlehre (Physik) ähnlich ist, während das Wertvollste, die Früchte, erst die Ethik bringt. Wir können daher ihre wenig eigenartige Logik übergehen und weisen auch nur kurz auf ihre monistische, nahezu materialistische Naturlehre hin, die sie dann gleichwohl mit allerlei an Aristoteles erinnernden Zweckgedanken und mit einem pantheistischen Gottesglauben zu vereinigen wußten.

Ihre Sittenlehre gründet sich auf den stärksten und ursprünglichsten Trieb des Menschen: den der Selbsterhaltung, wendet ihn jedoch alsbald ins Sittliche. Der Natur gemäß heißt zugleich der Vernunft gemäß, sich selbst, seinem innersten Wesen getreu leben. Die Tugend wird in scharfem Gegensatz der Lust entgegengestellt; sie allein reicht aus zur Glückseligkeit und ist durch Wissen zu erlangen. Besonders stark, stärker als bei allen früheren Denkern außer Sokrates, tritt der Pflichtgedanke hervor. Höchstes Ziel des einzelnen muß es sein, aus freier Wahl aufzugehen im Allgemeinen.

Der Weise oder Tugendhafte (das ist nach stoischer Auffassung dasselbe) ist frei von allen Leidenschaften: Lust und Trauer, Furcht und Begierde, die als unvernünftige Regungen der Seele zu bekämpfen sind (stoische Apathie). Alle äußeren Güter, ja selbst das Leben sieht der stoische Weise, ähnlich wie die uns schon bekannten Zyniker, die denn auch bei der Stoa in hohem Ansehen standen, als gleichgültig an. Der Weise allein ist in Wahrheit frei, reich, glücklich, ein König, ja den Göttern gleich. Der Mensch besitzt entweder alle Tugenden oder gar keine, ist entweder wacker und weise oder ein Tor und Schlechter. Diese starre Trennung konnte freilich gegenüber der tatsächlichen Wirklichkeit nicht aufrechterhalten werden; so schob man denn zwischen Weise und Toren eine Klasse der »Fortschreitenden« ein. Auch machte man allmählich einen doch sittlich recht bedenklichen Unterschied zwischen dem unbedingt Gebotenen und dem bloß »Angemessenen«, wie denn die Stoa später besonders stark in moralischer Kasuistik, das heißt in der Aufstellung und Entscheidung von Fällen war, wo ein Konflikt zwischen verschiedenen Pflichten vorzuliegen schien. (Zu solcher Kasuistik gelangt leicht, wer sich allzuviel bloß theoretisch mit Moralvorschriften beschäftigt, vergl. die Scholastik des Mittelalters, den Jesuitismus der Neuzeit!)

Auch der Standpunkt der Selbstgenügsamkeit (»Autarkie«) des einzelnen Weisen konnte nicht starr festgehalten werden, da er dem anderen Grundsatz von dem Aufgehen ins Allgemeine widersprach. So wurden denn Freundschaft, Ehe und Staat nicht verworfen, sofern sie sittlich gestaltet sind. Im Grunde kann es freilich, da nach stoischer Anschauung in allen Menschen die gleiche Vernunft lebt, nur ein Gesetz, ein Recht, einen Staat geben. Alle Menschen sind Brüder, der echte Stoiker folglich Kosmopolit (»Weltbürger«). Schon der Stifter der Stoa (Zeno) hat das Ideal eines Weltstaats entworfen, in dem keine Gerichtshöfe, Tempel, Gymnasien und – Tauschmittel mehr nötig sind: eine Mischung also von anarchistischen und sozialistischen Gedanken, die insofern auch in einem losen Zusammenhang mit der Wirklichkeit standen, als um diese Zeit (300 v. Chr.) das nationale Dasein Griechenlands aufgehört und dem Weltreich Alexanders und seiner Nachfolger Platz gemacht hatte. Jedenfalls hat die stoische Lehre vom »Naturrecht« viele Jahrhunderte lang bis tief in die Neuzeit hinein das europäische Denken beherrscht. In religiöser Färbung werden wir der Philosophie der Stoa auf dem Boden des römischen Kaiserreichs wieder begegnen.

III. Skeptiker und Eklektiker

Von den sich vielfach heftig untereinander befehdenden »Schulen« der Akademiker, Peripatetiker, Stoiker und Epikureer behauptete jede, im Besitz der wahren Lebensweisheit zu sein. Demgegenüber mußte der bereits in der Sophistik (Gorgias, die »Eristiker« mit ihren Trugschlüssen!) so stark aufgetretene Zweifel ( Skepsis, eigentlich die bezweifelnde Erwägung) aufs neue sich regen, zumal da die politische und wirtschaftliche Zerrüttung der griechischen Welt, trotzdem ihre Kultur einen großen Teil des Morgenlandes erobert hatte, vom dritten vorchristlichen Jahrhundert ab immer stärker wurde. Man unterscheidet eine ältere, mittlere und jüngere Skepsis.

Die Vertreter der ersteren sind zwei Südgriechen: ein gewisser Pyrrhon (gest. 275) aus Elis und sein Schüler Timon aus Phlius bei Korinth (gest. 235). Auch für diese Skeptiker, die naturphilosophisch an Demokrit angeknüpft zu haben scheinen, besteht, wie für den letzteren und eigentlich für alle die genannten Philosophenschulen, das höchste Gut in der unerschütterlichen Seelenruhe. Nur glauben sie auf viel einfacherem und unmittelbarerem Wege zu diesem Ziele gelangen zu können, nämlich durch das »Ansichhalten« des Urteils, das den Geist von verwirrenden und beunruhigenden Irrtümern befreit. Die Beschaffenheit der Dinge an sich, so lautet ihre Lehrmeinung, ist uns durchaus unbekannt. Wir dürfen deshalb nie etwas mit Sicherheit behaupten wollen, sondern höchstens sagen: »Es scheint mir so«, müssen also mit unserem Urteil an uns oder zurückhalten. Darum scheinen doch diese älteren Skeptiker ernste Wahrheitsucher gewesen zu sein, die in den positiven Wissenschaften erfahren waren.

Stärker scheint die Zweifelsucht in der sogenannten »mittleren« Akademie, das heißt den Platonikern des dritten und zweiten Jahrhunderts v. Chr., gewaltet zu haben, über die wir in der Hauptsache nur durch Cicero, freilich unvollkommen, unterrichtet sind. Von ihnen soll unter anderen Arkesilaus sogar seinen eigenen Satz, daß wir nichts wissen können, wiederum anzweifeln zu müssen geglaubt haben, während er nach Sextus Empirikus (Seite 64) damit nur seine Schüler hätte auf die Probe stellen wollen. Und Karneades, der doch – zuerst, soviel bekannt – eine Theorie der Wahrscheinlichkeit aufgestellt hat, soll nach dem Kirchenvater Laktanz an einem Tage eine Rede für die Gerechtigkeit, am folgenden eine dagegen gehalten haben. Daß er dem stoischen Beweis für das Dasein Gottes aus der zweckmäßigen Einrichtung des Weltalls das Vorhandensein der Übel in der Welt und andere Widersprüche entgegenhielt, mochte sein Andenken freilich der Kirche nicht empfehlen.

Die »neueren« Akademiker, die Cicero 87 in Rom und 79/78 zu Athen hörte, gaben die Skepsis auf und führten statt dessen einen flachen Eklektizismus (wörtlich: »Auswahl«-Philosophie) ein. Die Wahrheit liege in dem, worin alle echten Philosophen übereinstimmten, was in allen Hauptpunkten bei Platonikern, Aristotelikern und Stoikern der Fall sei. Wir werden diesem Eklektizismus vor allem bei Cicero wieder begegnen, wollen jedoch zunächst die weitere Entwicklung des Skeptizismus in Griechenland zu Ende führen, obwohl wir damit bereits in die nachchristliche Zeit hineinkommen.

Änesidém von Kreta, der im ersten Jahrhundert vor oder um die Zeit vor Christi Geburt lebte, knüpft an die ernstere Lehre des älteren Skeptizismus wieder an. Wenn er zehn verschiedene Arten, den Zweifel zu begründen, aufstellt, so will er damit eigentlich nur die Bedingtheit alles menschlichen Erkennens durch die Verschiedenheit der Zustände, Gegenden, Bildung, Sitten, Sinneswerkzeuge usw. beweisen in bewußtem Anschluß an Heraklits Lehre vom ewigen Fluß aller Dinge. Das Denken dieser Skeptiker ist ernstlich auf Erforschung der Wahrheit gerichtet, die sie nicht, wie Gorgias, lächelnd aufheben, sondern durch ihr prüfendes Zweifeln, ihre Warnung vor voreiliger Selbstzufriedenheit erst recht begründen wollen. Deshalb nannten sie ihre Lehre auch »Anleitung«.

Diesem Skeptizismus, den wir heute vielleicht eher Positivismus nennen würden, huldigten vor allem die Ärzte und andere Männer der positiven Naturforschung. In dem ägyptisch-griechischen Alexandria hatte sich um 200 n. Chr. eine förmliche Schule »empirischer Ärzte« gebildet, die sich im Gegensatz von »dogmatischer« Erörterung der Krankheitsursachen rein an die Beobachtungen der Erfahrung hielten. Ihr philosophischer Wortführer war einer aus ihrer Mitte: Sextus mit dem Beinamen Empirikus, dessen uns erhaltene Schriften allerdings durch ihre Trockenheit und Weitschweifigkeit bei allem Scharfsinn enttäuschen. In der Ethik hielten übrigens auch diese jüngeren Skeptiker an der »Ataraxie«, das heißt unerschütterliche Ruhe des Gemüts, als dem höchsten Gute der Seele fest.

IV. Römische Philosophen

Mit unseren letzten Ausführungen befinden wir uns, der Zeit wie dem Orte nach, bereits auf dem Boden des römischen Weltreichs. Von einer besonderen römischen Philosophie darf man nicht reden. Eine solche gibt es nicht. Der römische Volkscharakter war von jeher viel zu sehr dem Praktischen, unmittelbar Nützlichen zugewendet, als daß die idealen Geistesmächte, Wissenschaft und Kunst, bei ihm hätten gedeihen können. Philosophie insbesondere galt dem echten alten Römer als unnützer Wortkram oder im schlimmeren Fall gar als religions- und sittengefährlich. Hatte doch der früheste römische Dichter (Ennius) durch ein naturphilosophisches Lehrgedicht und eine Übersetzung der Schriften des griechischen Aufklärers Euemeros »Unglauben« in das römische Lesepublikum hineingetragen. So wurden denn auf Betreiben des bekannten alten Markus Porcius Cato, der den Sokrates für einen mit Recht zum Tode verurteilten Schwätzer erklärte, in den Jahren 173 bis 155 dreimal Senatsbeschlüsse gefaßt, welche die nach Rom gekommenen griechischen Redelehrer und Philosophen aus der Stadt auswiesen. Im letzten Falle war es ein Dreiblatt von je einem bekannten Platoniker, Peripatetiker und Stoiker. Indes durch solche Gewaltmaßnahmen war das Eindringen griechischer Philosophie auf die Dauer nicht aufzuhalten. Insbesondere um den hochgebildeten jüngeren Scipio, den Besieger Karthagos (gestorben 129), bildete sich ein Kreis, welcher der neuen Bildung begierig entgegenkam.

Am besten lag dem Staatssinn und der Mannhaftigkeit ( virtus, das lateinische Wort für »Tugend«), aber auch dem Tugendstolz und der Neigung zu moralischer Kasuistik, die dem echten Römer eigen war, von der griechischen Philosophenschule die stoische, zumal in ihrer wesentlich praktischen Ausprägung in der »mittleren« Stoa, die sich geschickt sowohl den anderen philosophischen Richtungen wie der römischen Sinnesweise anzupassen wußte, insbesondere der römischen Rechtswissenschaft und Religion. Zu ihr bekannten sich daher so bedeutende Männer wie Stilo und G. Scävola, »die Begründer der wissenschaftlichen Philologie und wissenschaftlichen Jurisprudenz« (Mommsen). Von dem griechischen Stoiker Panätius, der die Seele dieses Kreises war, stammte wahrscheinlich auch Scävolas, des römischen Pontifex Maximus – d. h. obersten Priesters, heute noch die lateinische Bezeichnung des Papstes – Lehre von der dreifachen Theologie der Dichter, Staatsmänner und Philosophen: die sagenhafte Darstellung der ersteren sei unwahr und unwürdig, die zweite, die den herkömmlichen Gottesdienst aufrechthält, unentbehrlich, die dritte vernunftgemäße zwar wahr, jedoch für die Menge – unbrauchbar!

Die philosophischen Lehrer der Römer blieben vorderhand Griechen, die griechisch redeten und griechisch schrieben. So der ein halbes Jahrhundert nach Panätius lebende Posidonius (130 bis 50), eine Art Universalgelehrter, dessen glänzende und vielbesuchte Vorträge auf der Insel Rhodus unter anderen Pompejus, der bekannte römische Feldherr und Politiker, und der berühmte Redner Cicero in ihrer Jugend gehört hatten. Denn es wurde allmählich unter der vornehmeren Jugend Roms als ein Erfordernis höherer Bildung angesehen, nach den Hauptstätten griechischer Weisheit: Athen, Rhodus und Alexandria zu gehen, um dort, wie heute auf der Universität, zu »studieren«. Das bedeutete damals: Belehrung über die Aufgabe des Menschen und den besten Weg zur Glückseligkeit, daneben etwas theoretische Vorbildung für die erstrebte öffentliche Laufbahn in sich aufzunehmen.

Der einzige bedeutendere philosophische Denker, den Rom selbst in seiner republikanischen Zeit hervorgebracht hat, war der jung gestorbene Lukrez (Titus Lukretius Carus, 97 bis 55 v. Chr.). Auch er ist kein schöpferischer Philosoph, sondern hat nur die Lehre Epikurs lebendig in sich aufgenommen. Aber sein uns glücklicherweise erhaltenes, in dem uns durch Goethe und Schiller vertrauten Versmaß des Hexameters abgefaßtes großes Lehrgedicht »Über die Natur der Dinge« weiß doch den an sich trockenen Stoff durch inneres Feuer und lebensvolle Schilderungen aus Natur- und Menschenleben in kraftvoll altertümlicher Sprache zu beleben. Als den Uranfang der Dinge sieht er mit Demokrit und Epikur die Atome an, aus denen in bestimmten Verbindungen auch die Empfindungen entstehen, die, wie besonders die Geschlechtsliebe in Buch IV, streng materialistisch erklärt werden. Die Seele ist einerlei mit der Wärme und dem Lebenshauch, der mit dem Tode aus unserem Körper entweicht. Die zweckmäßige Einrichtung der uns bekannten Welt ist nur ein besonderer unter vielen denkbaren Fällen. Nächst ihrer Entstehungsgeschichte wird auch eine höchst interessante Entwicklungsgeschichte der Lebewesen, besonders der Menschheit von ihrem Urzustand an in Sprache, Künsten, Staat und Religion gegeben. Wahre Frömmigkeit besteht nicht in gottesdienstlichen Zeremonien – im Gegenteil, die Religion hat sich nach Lukrez allezeit als eine Quelle von Aberglauben, Täuschung und allen möglichen anderen Übeln auf Erden bewiesen –, sondern darin, daß man »alles mit beruhigtem Geiste zu betrachten vermag«. Ein neuer Beweis der Vereinbarkeit von theoretischem »Materialismus« mit edler sittlicher Gesinnung.

Ein »Philosoph« ganz anderer Art war der berühmte Markus Tullius Cicero (106 bis 43), der, nachdem er zum Zweck seiner rednerischen Ausbildung in Athen und Rhodus griechische Professoren der verschiedensten Philosophenschulen gehört, erst in seinen letzten drei Lebensjahren, durch den Umschwung der politischen Verhältnisse zu unfreiwilliger Muße verdammt, eine Menge philosophischer Bücher zusammenschrieb. Über sein Verfahren hierbei bekennt er seinem vertrauten Freund Attikus brieflich sehr offen: »Es sind Abschriften, die mit ziemlich geringer Mühe zustande kommen; ich tue nur die Worte hinzu, die ich im Überfluß besitze.« In der Tat kommt ihm nur das Verdienst zu (falls man es als ein solches betrachten will), seine Landsleute und mittelbar auch uns mit den Nachzüglern der griechischen Philosophie in formschöner, aber auch recht oberflächlicher, öfters auch irreführender Darstellung zuerst bekanntgemacht zu haben. Wir würden uns daher mit ihm überhaupt nicht zu beschäftigen brauchen, wenn er nicht von jeher, beinahe bis zur Gegenwart, ein so großes literarisches Ansehen besessen hätte. Gewiß, er hat einen glänzenden Stil, aber dem entspricht nicht der Inhalt. Schwierige Probleme läßt er am liebsten beiseite, scharfe Begriffsbestimmungen sind seine Sache nicht. Das merken auch schon unsere Primaner, die sich fast sämtlich aus dem römischen Schönredner trotz seiner formalen Vorzüge nichts machen. In der Erkenntnislehre huldigt er der verschwommenen Wahrscheinlichkeitslehre der mittleren und neueren Akademie, die Physik interessiert ihn nur, insoweit sie mit dem Gottesglauben in Beziehung steht. Sein Lieblingsgebiet ist dagegen die Moralphilosophie mit Tugend, Vorsehung und Unsterblichkeit, voll der schönsten Gemeinplätze. Wie es mit seinem Charakter steht, hat sein in allen Farben schillerndes politisches Leben gezeigt, und was von seinen schönen Redensarten von Menschenliebe, Humanität und dergleichen zu halten ist, seine tatsächliche soziale Stellungnahme. Von irgendwelchen sozialen Pflichten der Besitzenden ist in seinem ganzen breitspurigen Buche »Über die Pflichten« kaum je die Rede; dagegen bezeichnet er ebendort das »Gewerbe aller Lohnarbeiter, deren körperliche, nicht geistige Arbeit gekauft wird«, als »eines Freien unwürdig und schmutzig«; denn »der Lohn selbst« ist bei ihnen »nur das Handgeld ihrer Knechtschaft«. Er aber betrachtet die sozialen Verhältnisse lediglich vom Standpunkt der »Gutgesinnten« oder »Besten« (Optimaten), das heißt der herrschenden Klassen: des regierenden Senatoren- und des großkapitalistischen Ritterstandes. Er blieb daher auch trotz seines schwächlichen Charakters immer ein verbissener Feind aller Reformversuche, zumal radikaler Art, der »aufrührerischen« Gracchen und gar des »verruchten« Katilina, denn »was kann es für eine größere Pest geben als Ausgleichung der Güter!« Den armen Quiriten (römischen Bürgern) gönnt er nicht die von einem ihrer Vertreter, der Volkstribunen, geforderten Ackerstellen, wohl dagegen – Gnadenspenden der Aristokratie, Zirkusspiele, den Aufenthalt in der Hauptstadt und auf dem Forum (Markt), das dort auszuübende freie Stimmrecht und – ihre Würde!

Trotz alledem und obwohl bei ihm als philosophischem Dilettanten (bloßem »Liebhaber« der Philosophie) von ernsthafter Methode nicht die Rede sein kann, ist ihm jedenfalls das Verdienst zuzuerkennen, daß er die philosophische Begriffssprache, insbesondere die termini technici, Fachausdrücke, für die Römer geschaffen hat. Und da auch er mit seiner Verteidigung der auf der »Übereinstimmung aller Völker« beruhenden göttlichen Vorsehung, Tugend, Willensfreiheit usw. sowie mit seiner ganzen, jede schroffe Hervorkehrung von »Prinzipien« sorgfältig vermeidenden Art, ebensowenig wie Aristoteles, bei der Kirche Anstoß erregte, so ist er nächst diesem der einflußreichste Lehrer des Mittelalters gewesen.

Cicero kann nicht als Anhänger einer bestimmten Schule, sondern nur als Eklektiker bezeichnet werden. Ähnlich der Dichter Horaz, der sich selbst gelegentlich einmal scherzhaft als »Schweinchen von der Herde Epikurs« verspottet, indes doch das stoische Wort gesprochen hat: »Wenn der Erdkreis zerbrochen wankt, werden seine Trümmer einen Unerschrockenen treffen,« im übrigen »auf keines Meisters Worte schwören« wollte. Von sonstigen bekannten Römern aus Cäsars und Augustus' Zeit werden der junge Cato und M. Brutus als Stoiker, Ciceros Freund Attikus und Cassius als Epikureer, Crassus als Peripatetiker, der gelehrte Vielschreiber Varro als Eklektiker bezeichnet.

Von bedeutenderen lateinschreibenden philosophischen Schriftstellern und geborenen Römern kommt neben Lukrez und Cicero eigentlich nur noch Lucius Annäus Seneka (3 bis 63 n. Chr.), der Erzieher und Minister des Kaisers Nero, in Betracht. Ganz in die Gattung populärer »Lebensphilosophie« gehören seine zahlreichen, meist in Briefform abgefaßten, kleineren Aufsätze über alle möglichen sittlich-religiösen Gegenstände, unter anderem über die Vorsehung, die Standhaftigkeit, die Gemütsruhe, den Zorn, die Milde, die Wohltaten usw. Auch er weiß seine der Stoa entlehnten Gedanken in sehr schöne Worte zu fassen: »Sich selbst getreu sein« ist das Ziel, »Tun, nicht Reden lehrt die Philosophie«. Ganz im Widerspruch zum Altrömertum wird Mitleid, Milde, Weltbürgertum, Menschenliebe, ja selbst Feindesliebe gepredigt. Auch die Sklaven sind unsere Brüder, denn ihr Geist wird nicht zum Sklaven. Er ist der große Römer, der sich gegen die grausame Volksunterhaltung der Fechterspiele ausgesprochen hat. Immerhin werden diese edlen Gedanken häufig durch übermäßige Rhetorik und ein gewisses Haschen nach Effekt überwuchert. Bekanntlich hat er sich ja auch als leitender Minister unter Nero von den Versuchungen der Macht nicht freigehalten, indes die Abweichungen seiner Taten von seinen Worten schließlich doch durch einen entschlossenen Tod gesühnt.

Endlich ist bei Seneka noch eine starke religiöse Färbung, die dem früheren Stoizismus fehlt, festzustellen, ja sogar eine auffällige Verwandtschaft mit christlichen Gedankengängen. Er ist im Gegensatz zu dem männlichen Selbstvertrauen der alten Stoa tief durchdrungen von dem Gefühl menschlicher Schwäche, sehnt sich nach Erlösung aus den Banden des Leibes und preist den Tod als Erretter von dem Erdenelend, das für uns nur eine Prüfungszeit ist, und als Beginn eines neuen Lebens in einem erhofften besseren Jenseits. Dazu kommt Glaube an Gott als unserem Vater, Ergebung in seinen Willen, Dankbarkeit für seine Wohltaten. In der Tat sind die Übereinstimmungen mit dem Christentum so stark, daß man ihn zum heimlichen Christen hat stempeln wollen und sogar ein erdichteter Briefwechsel zwischen Seneka und dem Apostel Paulus Glaube finden konnte.

Die religiöse Färbung des Stoizismus dauert auch nach Seneka noch fort, auch unter den nun wieder griechisch schreibenden Anhängern dieser Richtung. So vor allem in den Schriften des in Kleinasien geborenen und als Sklave nach Rom gekommenen, später dort freigelassenen Epiktét (um 50 bis 120), der durch die Vorträge des edlen Musonius Rufus für die stoische Ethik gewonnen wurde und diese dann selbständig erst in der Hauptstadt, dann, nach der Vertreibung der Philosophen von dort durch den grausamen Kaiser Domitian, in der kleinen Hafenstadt Nikópolis in der nordgriechischen Landschaft Epirus lehrte. Er ist ein volkstümlicher Sittenprediger, der wie Sokrates, dem er auch in seinem unscheinbaren Äußeren ähnelte (er war überdies an einem Fuße lahm, angeblich infolge einer Mißhandlung während seiner Sklavenzeit), seinen Zuhörern ins Gewissen redet und bei ihnen denn auch großen Erfolg hatte. Der Philosoph soll vor allem Seelenarzt sein, das kranke Gemüt heilen. Wie bei Seneka, den er an Lauterkeit des Charakters übertrifft, finden sich auch bei ihm eine ganze Reihe christlicher Züge, die ich vorzeiten einmal in einer besonderen Abhandlung »Christliche Gedanken eines heidnischen Philosophen« dargestellt habe (»Preußische Jahrbücher«, August 1897). Auch er hat eine reine und hohe Vorstellung von Gott, dessen Kinder wir alle sind, dessen Schickungen wir daher mit Ergebenheit und Geduld ertragen sollen. Er fordert Reinheit der Gesinnung, Mäßigkeit, Barmherzigkeit, Sanftmut und Geduld neben dem Zorn, wo er not tut, ferner allgemeine Menschenliebe, die sich auch auf die Sklaven erstreckt, zu deren Gunsten Familie, Freundschaft, Staat stark zurücktreten: alles Züge, die ganz unantik sind, vielmehr, wie insbesondere auch das Verbot des Schwörens und des Ehebrechens, an die neutestamentliche Auffassung erinnern.

Dennoch ist ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Christentum, wie er von einzelnen Theologen vermutet worden ist, nicht bloß äußerlich nicht nachzuweisen, sondern auch aus inneren Gründen abzulehnen. Denn im Gegensatz zu der christlichen Offenbarungsreligion ist bei Epiktet die Vernunft, im Gegensatz zu dem christlichen Demuts- und Gnadenbegriff bei ihm das rüstige Vertrauen auf die eigene Kraft der alleinige Maßstab. Der Kern seiner Lehre besteht in der Unterscheidung dessen, was nicht bei uns steht, dem wir uns ruhig fügen müssen, und dessen, was in unserer Macht steht: dessen Bewußtsein uns zu kraftvoller Ausübung des höchsten uns verliehenen Gutes, der Willensfreiheit, anspornen soll. Auch fehlt bei ihm der Glaube Senekas an ein persönliches Fortleben nach dem Tode, und erklärt er auch im Notfall das freiwillige Ausscheiden aus dem Leben für erlaubt.

Gleichzeitig mit Seneka und Epiktet tauchte übrigens, als Rückschlag gegen die Überkultur und Sittenverderbnis der Kaiserzeit, auch der Zynismus wieder auf: zum Teil in edlen, sittlich hochstehenden Männern, zum Teil freilich auch in solchen, die unter seinem Deckmantel müßiggängerischem Schmarotzertum, persönlicher Eitelkeit und ungesitteten Manieren huldigten, wie sie der Spötter Lucian in seinen Satiren ergötzlich beschrieben hat.

Die letzte bemerkenswerte Gestalt unter den Stoikern der Kaiserzeit ist ihr Vertreter auf dem Kaiserthron selbst: der edle Mark Aurél (121 bis 180). Seine griechisch geschriebenen »Selbstbetrachtungen« stimmen ihrem Inhalt nach meist mit den »Unterhaltungen« Epiktets überein. Nur macht sich bei dem kaiserlichen Philosophen eine spiritualistische, ja fast mystische Wendung bemerkbar, die den Unterschied zwischen dem Geist und seiner leiblichen Hülle stark betont, den Leser auffordert, sich auf sich selbst zurückzuziehen, mit seinem »Genius« sich zu besprechen.

So leitet er zu der letzten philosophischen Wendung des Altertums über.

V. Die Theosophie des Neuplatonismus. Schluß

Die neue Religion des Christentums hätte ihre weltgeschichtlichen Erfolge nicht oder doch nicht so rasch erringen können, wenn ihr nicht verwandte Strömungen auf dem Boden der antiken Weltanschauung entgegengekommen wären. Wir sahen die Sehnsucht aus dem Ekel an der Gegenwart nach einem rettenden Neuen, das man nicht mehr von der menschlichen Vernunft, sondern von irgendeiner Art übernatürlicher Offenbarung erwartet, bereits mehrfach sich ankündigen. Man griff, und zwar vor allem in der überzivilisierten Haupt- und Weltstadt selbst, aus Überdruß an den bisherigen Weltanschauungen, die sich nicht bewährt zu haben schienen, nach allen möglichen ausländischen Religionskulten: der ägyptischen Isis-, der persischen Mithras-Verehrung, kurz zu Mystik und Aberglauben aller Art. Dem suchte auch die Philosophie ihrerseits, bewußt oder unbewußt, Rechnung zu tragen, indem sie immer stärker in Theosophie (»Gottesweisheit«) überging und sich dabei an diejenigen Richtungen altgriechischer Weisheit anlehnte, welche diesem Drange die meisten Anknüpfungspunkte zu bieten schienen: die pythagoreische und die platonische.

Unsere Darstellung darf sich darüber um so kürzer fassen, als das Eigentümliche dieses Neupythagorismus und Neuplatonismus weniger in philosophischen als theologischen Anschauungen besteht: neben einer rein geistigen Auffassung der Gottheit, Annahme einer Reihe von »Dämonen« oder halbgöttlichen Wesen und Glauben an besonders von Gott begnadete Menschen, wie Pythagoras, Plato und den um 200 n. Chr. das römische Reich durchziehenden Apollonius von Tyana, dem man vielfältige Wundertaten, Jungfrauengeburt, Allmacht und Allwissenheit, Auferstehung, geheimnisvolles Verschwinden von der Erde, wie einem heidnischen Gegenbild Christi, andichtete. Im Sittlichen aszetische Richtung: Unterdrückung des »Fleisches«, der Sinnlichkeit, Enthaltung von Fleisch und Wein, vom Tieropfer, von der Ehe, einfaches Linnengewand, Gütergemeinschaft, wie sie sich ähnlich schon seit etwa 150 v. Chr. bei der jüdischen Sekte der Essçner im Ostjordanland gezeigt hatte. Von den gemäßigteren griechischen Neupythagoreern sei hier nur der milde und edelgesinnte Plutarch aus Böotien (50 bis 125 n. Chr.) erwähnt, der freilich berühmter durch seine Lebensbeschreibungen bedeutender Griechen und Römer geworden ist. (Karl Moor in Schillers »Räubern«: Mich ekelt's dieses tintenklecksenden Säkulums, wenn ich in meinem Plutarch lese von großen Männern!)

Die eigentliche Theosophie entwickelte sich stärker bei den phantasiereicheren Morgenländern. So hatte sich eine Verschmelzung jüdischen und griechischen Geistes vor allem in der großen Handelsstadt an der Nilmündung Alexandrien angebahnt, die schon seit dem Verfall des griechischen Mutterlandes, etwa von 300 an, zum Hauptsitz der Gelehrsamkeit wurde und, neben Observatorien, botanischen, zoologischen und anatomischen Instituten, besonders durch ihre weltberühmte Bibliothek glänzte. Hier begegneten sich nicht bloß der Handel und die Sprachen, sondern auch die Religionen aller Weltteile, hier war schon bald nach Beginn des dritten Jahrhunderts vor Christus das Alte Testament, angeblich von siebzig Gelehrten, daher »Septuaginta« genannt, in die Weltsprache des Griechischen übersetzt worden. Der Verschmelzung jüdischen Denkens mit griechischer Philosophie gibt vor allem der vornehme alexandrinische Jude Philo Ausdruck, ein Zeitgenosse Jesu, 25 vor bis 50 nach Christi Geburt lebend, der unter Kalígula als Führer einer jüdischen Gesandtschaft in Rom erschien.

Philo ist zwar in erster Linie Jude, hält nicht bloß den Urtext des Alten Testaments, sondern sogar auch dessen Übersetzung durch die »Siebzig« Wort für Wort von Gott inspiriert (»eingegeben«) und bewundert Moses als größten Philosophen. Aber er verehrt doch daneben auch Pythagoras, Plato und andere griechische Denker und hält sich darum für berechtigt, die Bibel in weitestem Maße bildlich auszulegen. Der Baum des Paradieses bedeutet ihm die Gottesfurcht, Kain die Sophistik usw. Da das wahre Sein, wie er mit Plato anerkennt, im reinen Denken liegt, so muß auch Gott als das eine, unbeschränkt einfache, gänzlich eigenschaftslose »Seiende« gedacht werden. Gott ist über alles Endliche so erhaben, daß wir nur begreifen können, daß er existiert, nicht was er ist. Seine Werkzeuge sind die »Ideen«, zum Beispiel die des Wahren, Guten und Schönen, die oft als bloße »Kräfte«, wie seine Macht und Güte aufgefaßt, oft aber auch als seine dienenden Geister (Engel) zu Personen umgestaltet werden. Die oberste, alle übrigen in sich zusammenfassende Kraft, der Vermittler zwischen Gott und Welt, genauer die Gottheit als wirkende und schaffende Kraft, ist der Logos, eigentlich Wort oder Gedanke, der auch als erstgeborener »Sohn Gottes«, Tröster, Weltseele bezeichnet wird und so dem christlichen Verfasser des sogenannten Evangeliums Johannis eine willkommene Gelegenheit gab, an diese Lehre anzuknüpfen. Die höchste Aufgabe des Menschen ist, Gott immer ähnlicher zu werden durch den Sieg des Geistes über das Fleisch und Ausrottung der Leidenschaften, womit jedoch mönchische Weltflucht bei ihm nicht verbunden ist. Aber nur durch die Gnade Gottes wird der Mensch gerecht; er allein wirkt das Gute in uns. Die höchste Seligkeit, hinter der alles Denken und Wollen zurücktritt, ist das selbstvergessene Sichversenken in die Gottheit.

Philo hat eine mannigfache Wirkung geübt: auf verschiedene neutestamentliche Schriften (außer auf das vierte Evangelium auch auf die Briefe an die Kolosser, Epheser, Hebräer), auf die christliche Mystik, auf die Methode, religiöse Urkunden zu einem spekulativen System umzudeuten; zunächst aber auf die Philosophie des im dritten nachchristlichen Jahrhundert emporkommenden letzten philosophischen Systems der Antike, den

Neuplatonismus

Als Begründer der neuen Lehre gilt der Sackträger Ammonius von Alexandrien (175 bis 242), der bereits im Christentum erzogen war, aber, als er »Philosophie und Vernunft gekostet« hatte, zum hellenischen Glauben zurückkehrte. Das überragende Haupt der Schule jedoch wurde sein Schüler

Plotin (204 bis 270),

der gleichfalls aus Ägypten stammte, aber nach seines Lehrers Tode nach Rom ging, wo er eine eigene Schule begründete und sich durch seine lautere Persönlichkeit wie durch den begeisterten Schwung seiner Lehre in weiten Kreisen, unter anderen auch bei dem Kaiser Galliénus und seiner Gemahlin, große Verehrung erwarb, so daß schon ein Plan entworfen wurde, eine Philosophenstadt Platonópolis (Plato-Stadt) in Kampanien zu gründen, die auch politisch-wirtschaftlich nach Platos Ideal eingerichtet werden sollte.

Gleich Plato schätzt auch Plotin Mathematik und Dialektik, nennt auch er das Denken ein Schauen und ein Erzeugen oder Gebären, ist auch er der Meinung, daß alle Dinge, die ganze »Natur« durch das begriffliche Denken erst erzeugt werden. Allein im Unterschied von Plato, mindestens dem Jüngling und dem Manne, beginnt er wie Philo – und noch entschiedener und bewußt systematischer – mit dem Begriff, mit dem eine besonnene Philosophie allenfalls abschließt: dem des Ur-Einen, das auch als das Gute oder die Gottheit bezeichnet wird, und von dessen Beschaffenheit wir uns nicht den geringsten Begriff machen können. Aus der Überfülle dieses Ur-Einen geht durch »Ausstrahlung« zunächst der Geist hervor, der in sich schon eine Zweiheit, nämlich ein Erkennendes und ein Erkanntes, begreift und der durch die Ideen, Urbilder und bewegende Kräfte, weiter wirkt. Sein von ihm ausstrahlendes Abbild ist die Seele, als Welt wie als Einzelseele die Vermittlerin zwischen der geistigen und der Körperwelt, indem sie nach den von ihr angeschauten Ideen aus der Materie die Sinnenwelt formt: so daß wohl auch zwei Seelen, eine höhere, rein geistige, und eine niedere, die Körperwelt formende, unterschieden werden. Und so folgt – nicht zeitlich, sondern gedanklich – eine unendliche Stufenreihe weiterer »ausgestrahlter« Wesen oder Kräfte, mit stets abnehmender Vollkommenheit bis zur niedrigsten und unvollkommensten, der form- und bestimmungslosen »Materie«. Immerhin vermag auch sie das Bild durchgängiger Harmonie, das die Welt als Ganzes bietet, nicht zu stören.

In der Abkehr von der Einheit zum Zwiespalt und der Vielheit, vom Ewigen zum Zeitlichen, vom wahrhaft Seienden zu dem Nichtigen und Kraftlosen liegt zugleich das Wesen des »Bösen«, das eigentlich nur in dem Mangel des Guten besteht. Damit sind wir bei Plotins Ethik angekommen, die ein durchaus idealistisches Gepräge trägt. Das Gute ist um seiner selbst willen zu erstreben, es ist im Grunde, aller Verschiedenheit der Zeiten und Sitten zum Trotz, nur eines; selbst Gott wäre ohne Tugend ein bloßer Name; und die Tugend, einerlei mit unserem eigenen Selbst, duldet keinen Herrn über sich. Gleichwohl erhält diese verhältnismäßig selbständige Sittenlehre schließlich eine immer stärkere religiöse Färbung. Unser Beruf ist es, unseres Ursprungs eingedenk, mit allen Kräften der göttlichen Urheimat unserer Seele wieder zuzustreben. Das geschieht aber nur durch einen Reinigungsprozeß unseres eigenen Ich, der schließlich zu dem Höchsten, was sich denken läßt, einen Zustand bewußtloser Verzückung (Ekstáse), trunkener Versenkung in die Gottheit, völliges Eins werden mit dem Ur-Einen, gelangt, das wir dann in liebendem Schauen genießen. Plotin selber wollte diese höchste Seligkeit nur einmal in seinem langen Leben genossen haben.

Lösen sich so bei Plotin Logik, Physik und Ethik schließlich in religiöse Mystik auf, so fehlt als letzte im Bunde auch die Ästhetik, neben dem Wahren und Guten das Schöne nicht. Auch hier gilt es emporzusteigen von seinen Abbildern zu dem Ur-Schönen. Die Sehnsucht nach ihm nennt er, wie Plato, den Eros. Die Schönheit liegt in der Bewältigung des Stoffes durch die Idee, dem Durchleuchten des Idealen in der sinnlichen Erscheinung. Der wahre Künstler schafft nicht als bloßer Nachahmer der Natur, sondern nach den in seiner Seele wohnenden Urbildern des Schönen. Freilich im letzten Grunde ist das Ur-Schöne mit dem Guten einerlei.

Die griechische Volksreligion suchte Plotin, ähnlich wie Philo die jüdische, durch geistige Umdeutung ihrer Sagen und Gebräuche mit seiner Lehre in Übereinstimmung zu bringen. Er selbst begnügte sich mit einem inneren Gottesdienst. »Die Götter müssen zu mir kommen, nicht ich zu ihnen,« sagte er, als ihn einst ein Schüler in einen Tempel mitnehmen wollte. Und seine letzten Worte sollen ganz seiner Lehre entsprochen haben: »Ich versuche jetzt das Göttliche in mir zu dem Gott im All zurückzuführen.«

So hat Plotin noch einmal ein großes, tief durchdachtes philosophisches System aufgestellt, das aber doch im letzten Kern mit seiner übertriebenen Abwendung von Welt und Sinnlichkeit etwas Ungesundes enthält, wie es in dem Worte seines Biographen Porphyrius zum Ausdruck kommt: »Es sah aus, als ob er sich schäme, in einem Körper zu stecken.«

Mit Plato ist auch Plotin erst von der Renaissance wieder aufs neue gewürdigt worden. Seine unmittelbaren Schüler und Nachfolger waren unbedeutend. Von ihnen wollte der eben genannte Porphyrius (232 bis 304) des Meisters Lehre nur erläutern und popularisieren. Das folgende Jahrhundert verballhornisierte sie sozusagen. Denn wie soll man es anders nennen, wenn der syrische Grieche Jamblíchus (gest. 330) Plotins »Ur-Einem« ein noch »unaussprechlicheres« Urwesen voraussetzt und als dessen Ausstrahlungen mit orientalischer Phantasie eine wahre Musterkarte von Gottheiten erfindet: drei intelligible und drei intellektuelle Gotteskräfte (christliche Dreieinigkeit?), dann zwölf himmlische Götter (die olympischen?), die sich weiter zu 36, dann zu 360 vervielfachen; darauf 72 Arten (!) von unterhimmlischen, 42 von Naturgöttern; endlich ein ganzes Heer von Erzengeln, Engeln, Dämonen und Heroen. Zu seinen Anhängern gehörte auch der edelgesinnte, aber phantastische Kaiser Julian, von der Kirche »der Abtrünnige« zubenannt, der noch einmal, aber vergeblich als »Romantiker auf dem Throne der Cäsaren« (361 bis 363), wie ihn D. F. Strauß und Ibsen geschildert haben, den antiken Götterglauben wiederherzustellen suchte, übrigens in dem von seinen Schriften, Briefen und Reden Erhaltenen keine selbständigen philosophischen Gedanken aufweist. Zu dem neuplatonischen Kreise gehört auch die 415 von einem fanatischen Christenpöbel zu Alexandria ermordete jungfräuliche Philosophin Hypátia.

Im fünften Jahrhundert setzte sich der Neuplatonismus in der von den alten Philosophenschulen allein noch bestehenden platonischen zu Athen fort, wandte sich aber, nachdem der alte Glaube endgültig im Kampfe gegen den »Galiläer« unterlegen war, wieder mehr gelehrter Tätigkeit, insbesondere der Erklärung platonischer und aristotelischer Schriften zu: kurz, es ist »Epigonen«-(Nachkommen-) Tätigkeit. Der bedeutendste dieser Gelehrten ist der Syrer Próklus (410 bis 485), der, von plotinischen Grundgedanken ausgehend, drei Entwicklungsstufen alles Seienden: ein Beharren, Hervorgehen und Sichzurückwenden annimmt, dessen System als Ganzes jedoch eine Mischung philosophischen Tiefsinns und dürrer Gelehrsamkeit, dialektischen Scharfsinns und kritiklosen Wunderglaubens bildet. – Der letzte Vertreter eines wieder zur Besonnenheit zurückgekehrten, mit stoischen Anschauungen gemischten Neuplatonismus im weströmischen Reich ist der auf Befehl des Ostgotenkönigs Theoderich hingerichtete, übrigens äußerlich schon dem Christentum angehörige edle Römer Boëthius (480 bis 525), der in seinem Kerker, sich selbst zur Tröstung, eine von zwar nicht christlichem, aber doch echt religiösem Geiste durchwehte, in lateinischer Prosa abwechselnd mit Versen gehaltenen Schrift »Über den Trost der Philosophie« niederschrieb, deren Grundgedanke die Überwindung der Leidenschaften durch die Vernunft und das Vertrauen auf die göttliche Vorsehung bildet. In demselben Jahre 529, in dem die Gründung des ersten Benediktinerklosters auf der Höhe von Montecassino (im Neapolitanischen) den endgültigen Sieg einer neuen Weltanschauung verkündete, hob der oströmische Kaiser Justinian die letzte antike Philosophenschule zu Athen als unchristlich auf, zog ihr Vermögen ein und verbot allen weiteren Vortrag heidnischer Philosophie. Die letzten sieben Platoniker – wie am Anfang, so stehen auch am Ende der griechischen Philosophie »sieben Weise« – wanderten nach Persien aus, in dessen Herrscher sie einen Philosophenfreund zu finden hofften, kehrten jedoch bald enttäuscht zurück. Damit schließt die Geschichte der antiken Philosophie, die erst nach beinahe einem Jahrtausend wieder zu neuem Leben erwacht.


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