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Sechstes Kapitel.

Längst schon hatten Sklaven die Purpurtücher, die zum Schutz gegen die Sonnenstrahlen über den Tafelnden ausgespannt worden waren, eingezogen und aufgerollt; der Bergrand gegenüber verbarg schon die Sonne und zeichnete sich scharf gegen den gelblichen Himmel ab, an dem spärliche Zirruswölkchen hinaufzogen.

Und noch immer konnte das Gastmahl des Attulius kein Ende finden, seltsame, verwunderlich duftende Schaugerichte wechselten mit scharfen Fischspeisen, süßen Kuchen und herrlichen Schalen mit Früchten ab.

Askarich langte sich nur hin und wieder einen Bissen, um den Hausherrn nicht zu beleidigen.

Attulius winkte geschäftig den aufwartenden Dienern, sprang oft von seinem Lager auf, schimpfte, wenn etwas nicht in der richtigen Reihenfolge kam, trank viel Wein und erzählte unaufhörlich, wie er reich geworden sei »mit drei Hühnern fing es an und dies ist das Ende!«; dann stand er aus, zog den Mantel an sich und wies mit einer Herrscherbewegung aus seine Häuser, Gartenanlagen und Weinberge, er nannte die Güter, die ihm gehörten und zeigte, in welcher Himmelsrichtung sie lagen.

Askarich gab sich den Anschein, aufmerksam zuzuhören, er schaute aber unverwandt Regia Donilla an.

Ihre Brüder hatten sie, als sie plötzlich enteilte, verfolgt, jubelnd ihre Hände ergriffen und sie trotz ihres Sträubens wieder zur Tafel gezogen; jetzt saß sie mit gleichgültigem Gesicht da, als sei nichts vorgefallen. Sie trommelte mit den Fingern auf den Tisch und rollte Brotkügelchen, sie richtete sogar, obwohl eine feine scharfe Falte senkrecht auf ihrer glatten Stirne stand, ein paar oberflächliche Fragen an den jungen Franken.

Als Askarich ihr mehrmals einsilbig antwortete, unterließ sie es auch, ihn zu fragen, zog die Unterlippe schmollend ein wenig vor und wandte sich mit Neugier den Gauklern zu, die jetzt austraten, ein Knabe zeigte einen tanzenden Bären, aus dem ein Affe ritt, Tänzerinnen in wallendem Gewand übten zu schrillem Flötenlied ihre Kunst, ein Ionier zauberte Geldstücke unter einen Helm und verschluckte scharfe Messer.

Die Bergspitzen über der Ansiedlung schimmerten rötlich, unten breitete sich schon Dämmerung aus, Rauchstreifen zogen in langen Schwaden das Tal entlang, auf der Mosel trieben ein paar beladene Weinschiffe vorbei, den Saumpfad entlang schritt mit Singen ein bestaubter Menschenzug, der von einem Bittgang zu dem Afflanischen Mutterheiligtum heimkehrte.

Regia hatte Svanhild beauftragt, ihr ein Wolltuch zu bringen, es fröstelte sie ein wenig. Ein kühler Luftzug wehte aus der Eifel, durch die Schlucht gegenüber aus der anderen Seite der Mosel schnitt er hinunter und ließ die Weinblätter an den Pfosten der Terrasse unaufhörlich beben und schaukeln.

Da erhob sich unten im Vorgarten der eintönige, plärrende Gesang eines alten Druiden, eines wandernden, keltischen Bettelpriesters.

Regia sagte zu Svanhild: »Geh hinunter und jage ihn fort, es fröstelt einen noch mehr, wenn man das Gedudel hört.«

Als die Dienerin einen Augenblick zögerte, nahm sich der Vater mit Eifer des Priesters an: »Nur nicht fortjagen, er hat Verwünschungen, die töten, Flüche, die krank machen, er kann mir mit einem Gebet die Trauben vergiften, so daß sie nicht reifen. Dem bösen Hunde lieber einen Knochen! Geh Svanhild und gib ihm den Denar!«

Als Svanhild sich dem Priester nahte, schien es, als wolle der sich auf sie stürzen, mit beiden Armen machte er eine jähe Bewegung, bezwang sich aber, schaute die blonde Dienerin ausatmend an und schnurrte dann, als er das Geldstück empfing: »Dank, dank, ich alter Mann, hast du Leid oder Schmerz, ich kann dir helfen!«

Svanhild dachte nach und sagte dann leichthin, indem sie dem Alten, dessen struppiger, weißer Bart das Gesicht fast ganz verbarg, die Rechte hinhielt: »Ja, hier, ich habe mir das Gelenk verstaucht, weißt du Hilfe dafür?«

»Ich will ein Amulett auflegen,« sagte der Priester mit bebender Stimme, löste mit zitternder Hand eine Schnur, die ihm um den Hals hing und hielt den Ring, der daran hing, an das Gelenk.

Svanhild taumelte, als sie aus den Ring blickte, faßte ihn an, sah dann blitzschnell dem Alten ins Gesicht.

Zwei Augenpaare bohrten sich ineinander und der Alte flüsterte: »Svanhild, nicht merken lassen.«

Die Magd richtete sich aus, hielt die Hand ruhig und hauchte unhörbar fast: »Theuderich, woher du? Weshalb dieses Blendwerk. Mein Ring, als wir getrennt wurden damals!«

»Seit wann du hier?«

»Ich bin seit sieben Jahren hier Dienerin, vorher in der Stadt, schwer, hier gut.«

Der Druide machte ein paar beschwörende Bewegungen mit beiden Händen über das Gelenk und murmelte: »Weshalb nicht geflohen, deine Sippe glaubt, daß du tot, ich bin nach drei Monaten geflohen ... wir kommen bald ... mit Waffen ... halt Augen offen ...«

Unterdessen war Regia, des Wartens müde und auch froh aufstehen zu können, an das Steingeländer gelaufen, spähte ins Dunkel hinunter und rief: »Svanhild, was schaffst du unten, bist du noch nicht heil?«

»Ich komme, Herrin, der Priester sagt, es müsse noch eine kurze Zeit wirken.«

Der Druide murmelte weiter: »Wir rüsten, es wird Befreiung, sei bereit. Dich lebend zu wissen, ist besser als alles, du Liebe ... aber stille ... stille ... merke aus ... die beiden Franken hier ... von anderem Stamme, aber getreu, Verbündete, einen von ihnen muß ich sprechen, sage ihm meinen Namen ... ohne daß es jemand merkt ... Vorsicht ... Vorsicht.«

Als Svanhild nun hinaufstieg, ging der Druide ein paar Schritte zurück und rief dann in dem Sprachgemisch von Römisch, Gallisch und Fränkisch, wie es an der Grenze üblich war: »Du da oben, junger Krieger, aus deiner Stirn steht Schicksal geschrieben, komm herunter, ich will dir die Zukunft sagen, komm!«

Askarich wollte sich erheben, um der Aufforderung zu folgen, aber Regia, auf das Geländer gelehnt, schaute sich spöttisch um und sagte: »Ach, der junge Held fürchtet sich, läuft einem Druiden nach, möchte seine Zukunft aus der flachen Hand haben.«

Askarich schaute betroffen vor sich hin und ließ sich zögernd wieder auf das Pfühl nieder.

Da beugte sich Svanhild neben ihm, anscheinend um einen niedergeglittenen Silberbecher aufzuheben und raunte: »Theuderich!«

Askarich, ohne sich umzusehen, sprang die rückwärtige Treppe herunter und stand neben dem Druiden.

Der redete in atemloser Eile: »Morgen abreisen, es soll drei Tage früher beginnen, der Kaiser will im Oktober noch eine Legion von Lugdunum heranziehen ... wir müssen vorher Trier und die Festungen haben ...«

Askarich gab ebenso leise zurück: »Gut, ist alles in Ordnung?«

»Alles gut, Varusius beruhigt, ich morgen mit dem Brukterer nach dem Landgut, dann heimwärts.«

Theuderich wollte noch eine Nachricht über Svanhild geben, aber da kam die übrige Tischgesellschaft herbei, Attulius und seine Tochter voraus.

Da erhob der Druide seine Hände, wiegte den weißen Kopf hin und her und begann mit geschlossenen Augen und dumpfer Stimme zu weissagen: »Eine Jungfrau sehe ich, die trägt ein Schwert, sich selbst wird sie ins Herz schneiden, einen Mann sehe ich, goldbeladen, eisgraues, kinderloses Alter trifft ihn, aber immer mehr Gold, immer mehr Gold!«

Attulius ballte die Faust, die Knaben liefen hinter dem Unglücksboten her, aber der war schneller als es seinem Alter zuzutrauen war, im Dunkel der Uferweiden verschwunden.

Attulius legte seine Arme um Regia, die riß sich unwillig los: »Das ist dein Lügendruide, das ist Betrug, hättest du ihm zehn Denare gegeben, hätte er dir hundert Enkel geweissagt, und für hundert vielleicht tausend.«

Attulius sah sich scheu um und sagte leise: »Ich fürchte nichts, nur das furchtbare, dunkele, unentrinnbare Schicksal.«

* * *

Es war Nacht.

Askarich saß am Fenster seines Gemaches, schwarz drückten von allen Seiten die Gebirge auf ihn nieder, aber darüber stand der gewölbte Himmel, und die Sterne spiegelten sich einzeln scharf und klar in dem glatten Moselfluß.

Nun tönten von der Bergstraße her die Signale und das Rasseln der kaiserlichen Post, das Askarich gestern, als er nach Noviomagus fuhr, oft gehört hatte, selten klang das Gebell eines Hundes und der Ruf eines Wächters.

Drüben aus dem steileingeschnittenen Tal schallte das Huhu der Ohreule übers stille Land, das gab leisen Widerhall von den Felswänden her.

Der schwere Gartenduft vermischte sich mit dem Hauch der Bergwälder; das dürre Buchenlaub der Schluchten, Heidekrautbüschel, die der heiße Tag gedörrt hatte, das Harz der Tannendickichte und die Gräser der Hochmoore sandten ihren Brodem meilenfern aus der Eifel hinunter.

Askarich wollte an Theuderich denken, an die Abfahrt morgen, an die Pflicht. Er drückte seine glühende Stirn an den kalten Stein der Brüstung.

»Regia Donilla, du Schöne.«

Er sah sich an der Spitze von tausend Kriegern, er hörte den Schlachtgesang, aber immer wieder sah er Regia Donilla.

Er versuchte, sich ihre ganze Gestalt vorzustellen, es gelang ihm nicht, wie er sich auch mühte ... aber die Hände, die Schultern, den Mund.

»Du bist nicht würdig, ihre ganze Gestalt zu sehen, du liebst sie nicht genug,« sprach er zu sich selbst.

Da kamen geschwungene Fackeln durch den Garten, Lachen und Getümmel, zehn Diener brachten auf einer Bahre Merogais hinein, schlafend, schnarchend.

Die prustenden, weingeröteten Backen, der verwilderte Schnurrbart, die stämmigen Glieder des Kriegers waren in ihrer trunkenen Schlaffheit erbärmlich anzuschauen.

Geekelt wandte sich der junge Franke ab, obwohl er diesen Anblick gar oft ertragen hatte; diesmal quälte und verletzte er ihn.

Wie ein Bündel legten die Begleiter den schweren Mann aus sein Pfühl. Dabei erwachte Merogais halb und murmelte: »Ja, ja, ein Kerl bin ich doch, der alte Merogais, huhu, und all die schöne Taranusberger Auslese ...!«

Dann aber drehte er sich aufschnarchend der Wand zu.

Mit Wünschen für eine geruhsame Nacht entfernte sich der Schwarm mit Fackeln und Bahre.

Askarich war wieder allein mit seiner Sehnsucht.

Er beugte sich zum Fenster hinaus, doch Regias Gemächer lagen in derselben Fluchtlinie. Die Bäume aber fingen wie ein Vorhang das Licht, das aus ihren Räumen kam und strahlten es grün wieder, da sah er Schatten auf- und abhuschen und schweben.

Schluchzend birgt er seinen Kopf in den Händen, steht auf, setzt sich wieder, und plötzlich, als sei ein Bienenschwarm hinter ihm her, springt er auf, reiht an den armdicken Efeuästen, die das Haus beziehen, ob sie ihn tragen, schwingt sich hinaus, klettert hinunter und eilt durch den verlassenen Vorgarten zur Mosel.

Erst als er mit breiten, langen Schwimmstößen das schlafende Wasser teilt, wird ihm ruhiger, bald läßt er sich aus dem Rücken treiben, bald taucht er seine Brust tief in die Flut.

Es lockt ihn ein kindisches Spiel mit den gespiegelten Sternen, er greift danach und läßt die goldschimmernde Welle aus der Hand vergleiten.

Tief saugt er die Heideluft aus den Wäldern ein.

Regia Donilla! Ihre Gemächer liegen jetzt im Dunkel, kein Licht in Neumagen ist noch wach.

Es wird ruhig in ihm, er klettert nicht wieder zu seinem Fenster hinaus, er legt sich unter dem Fenster Regias in den Rasen und wacht dem Morgen zu.

Er weiß jetzt, sein Zug wird kein Raubzug gegen Trier sein, sondern ein Brautzug nach Neumagen.


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