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Fünftes Kapitel.

Unter Führung des Attulius hatten Eumenius und Merogais den sehr geräumigen, an den ansteigenden Berg gelehnten Bau durchschritten, in dem zur Zeit der Weinernte die Gabe des Bacchus gekeltert wurde; heute hallte er wider vom Hämmern, Schaben und Reißen der Böttcher, die schon neue Fässer für den Herbst herstellten und alte ausbesserten.

Von dieser Halle aus gingen, durch schwere Tore verschlossen, wie Strahlen einer Sonne sechs breite Keller tief in den Berg hinein.

Attulius rief den Kellermeister herbei, dessen bläuliche, dicke Backen sich ehrfurchtsvoll aufbliesen, als sein Herr ihm den Auftrag gab, seine beiden Gastfreunde in jenen Keller zu führen, der von einem Bilde Ariadnes aus dem Panther den Namen trug, das war der Lagerraum für die köstlichsten Edelgewächse.

Attulius verabschiedete sich, der Kellermeister zündete die Lampen an und schritt voran, bei den Stufen wandte er sich vorsorglich um und leuchtete.

»Wahre deine Leuchtkünste für den Rückweg, guter Freund,« sagte Eumenius scherzend.

Der Franke sog mit schmunzelndem Gesicht den schweren Weinduft ein, er strich mit der Hand über die langen Reihen gleich großer Fässer, die da aus dem Dunkel austauchten und hinter den dreien wieder verschwanden.

Manchmal klopfte der Kellermeister mit dem Knöchel an ein Faß, manchmal beugte er sich nieder und las eine Bezeichnung, die vorne aus dem Faßboden stand.

Merogais betrachtete seine Bronzelampe. Um den Docht herum war die Gestalt eines Waldmenschen mit Ziegenschwanz und Bocksfüßen abgebildet, der in der Rechten eine lodernde Fackel trug, während sein linker Zeigefinger bedeutungsvoll, Schweigen gebietend, aus den Lippen lag; der Frankenherzog wiegte den Kopf hin und her und lächelte hinter seinem niederhängenden Schnurrbart verdächtig, obs der trunkverheißende Weinduft war, ließ sich nicht entscheiden.

»Waldmensch, du hast ganz recht, ich wette, daß ich ebenso mein Maul halten kann wie du!« murmelte er in sich hinein.

Endlich nach schier endloser Wanderung zeigte sich vorne der rauhe, trockene Schieferfels, aber rechter Hand führte ein schmaler Gang in ein Gemach.

Der Kellermeister entzündete geschäftig sechs Ampeln, ein wohnlicher Raum wurde sichtbar, ein schimmernder Eichentisch und metallene Ruhebänke, mit Rosen bekränzt, in der Mitte des Tisches eine mächtige silberne Schale mit edelstem Wein gefüllt, die Schöpfkelle daneben und Becher ...

An den Wänden kein Schmuck, nur Gewinde von Rosen, Nelken und Wiesenblumen auf dem gewachsenen Fels, dessen ungeglättete Steine eine weißliche Salpeterhaut bedeckte.

Der Kellermeister erhob seine feuchten Augen und flüsterte, als wenn er eine Liebkosung sage: »Neumagener Berg, vierzehn Jahre alt, aus dem Konsulate des Quintus.«

Eumenius nickte: »Gut, schön, und die Taranusberger Auslese?«

Da wurden die Augen des Meisters der Fässer noch feuchter, er zeigte aus eine zweite mit einem Deckel verschlossene Schale, die in einer Nische stand: »Dort, Herr!«

»Vortrefflich, wir brauchen dich nicht mehr, in drei Stunden magst du Nachfragen kommen, ob uns Wein mangelt.«

Der Kellermeister verbeugte sich, nahm seine Lampe und wandelte langsam wieder dem Tageslichte zu, er zerbrach sich den schweren Kopf, weshalb wohl Attulius diesen Wein, den er sonst nur für zwanzig Goldstücke den kleinen Krug verkaufte, diesem Franken zu kosten gab und dann ganz allein, ohne Dienerschaft.

Bald lagen die beiden Trinker, aus Bärenfelle und weiche Lederkissen gebettet, aus den Bänken und hielten den ersten Becher in Händen.

Beide tranken mit Andacht, Eumenius, der auch den Schenk machte, dachte beim Schlürfen daran, wie häßlich es sei, bei solchem Wein zu sitzen und hohe Politik verfolgen zu müssen; und noch dazu bei einem so widerspenstigen Manne; denn schon mehrfach hatte der Römer aus dem Kellergange das Gespräch aus den richtigen Weg zu bringen versucht, immer war ihm der Franke mit irgendeiner gleichgültigen Wendung durch das Garn gegangen.

Als Merogais den ersten Becher getrunken hatte, goß er sich, die Hilfe des Eumenius abweisend, den zweiten voll und kurz darauf den dritten. Seine Augen begannen zu leuchten, aus seinem Gesichte spielten die rötlichen Lichter der Ampeln ein bewegtes Spiel, er zwang auch seinen Genossen – ders nicht ungern tat – ihm Schritt zu halten, dann lehnte er sich mit einem behaglichen Knurren zurück und sprach: »Heil, Eumenius, dieser Wein ist herrlich, wie glücklich ist, der ihn selbst bauen kann für sich, seine Kinder und seine Freunde! Eigen gebaut muß er doppelt gut schmecken!«

Eumenius dachte bei sich: »sieh an, er kommt von selbst auf den guten Gedanken!« und antwortete laut: »Euch Franken mit Eurer Volksmacht wird es doch nicht schwer werden, Gegenden zu gewinnen, in denen solch ein Wein wächst!«

Merogais wiegte den Kopf hin und her, als sei er bedenklich, so etwas überhaupt nur zu hören. »O, wir sind arme Hirten, wir werden nie zu solchem Wein kommen, wir möchten ja nur genug Brot, Kornland, Viehtrift, aber Wein, und gar solchen, dazu würden wir uns nie versteigen! Aber zum Wohl, hochedler Eumenius!«

Der Redner schenkte schnell wie ein junger Sklave ein. »Nun,« antwortete er, »Karausius, der später Kaiser in England war, zum Beispiel, hätte Euch in solche Weinländer geführt!«

Merogais winkte ab: »Karausius, das ist ja schon jahrelang her, der ist ja längst tot; dein Wohl, Eumenius, es lebe Karausius, das war mal früher, jetzt, seitdem Konstantius und sein Sohn herrschen, ist man froh, wenn man zu essen hat!«

Der Franke lächelte freundlich, Eumenius dachte »ach, daß ich doch bei diesem Goldwein Frieden hätte,« aber die Ungnade des Kaisers fiel ihm ein und er begann von neuem: »Hättet Ihr nicht Lust, ins kaiserliche Heer einzutreten, seht Euch doch Eure Volksgenossen an, Fasold, Malmundus, Arbegast und wie sie sonst heißen, sehen die nicht schmuck aus in ihren Feldherrnwaffen?«

Merogais tat einen tiefen Zug, bis der Becher kopfstand und entgegnete bescheiden: »Ach, für einfache Leute wie wir sind, ist das nichts; wir sind Wiesen, Wälder und Dickichte gewöhnt, Häuser und Paläste und Kasernen sind für uns Käsige! Im übrigen aber nichts für ungut, hoch der Kaiser Konstantin!«

Eumenius tat ihm geschmeidig Bescheid, der Franke schaute nachdenklich in die große Weinschale, Eumenius tat ebenso, ging dann hin und wollte die zweite Sorte herbeitragen. Flinker, als man es seinen weinschweren Gliedern zugetraut hätte, stand Merogais neben ihm, und nun trugen die beiden behutsam die köstliche Last auf den Tisch.

Liebevoll streichelte Merogais über die kühle Rundung des Gefäßes, Eumenius hob den Deckel auf und nun tauchten beide Kämpfer die Nasen in den unvergleichlichen Duft.

Wehmütig erinnerte sich Eumenius an den Kaiser, der ihm vorkam wie ein starres Götterbild, das goldbeladen auf einem Thron von Totenköpfen saß, er schüttelte sich; er schenkte die Becher voll.

Merogais versuchte, schnalzte mit der Zunge und rief, daß die Wände schüttelten: »Halt, das ist aber erst ein Wein!«

Wieder schlürften die beiden einen, zwei, drei Becher.

Merogais stand auf, machte ein paar täppische Tanzschritte durchs Gemach und taumelte auf den Römer zu, er schloß ihn in die Arme, daß dem die Rippen krachten.

»Wart, Bursche, wenn ich dich erst gefangen habe, sollst du mir für diese Bedrückung meiner Person büßen,« dachte Eumenius. Er stand aber selbst nicht mehr fest, es kam ihm vor, als sei seine Nase so groß wie ein gelber Kürbis und wachse und wachse.

Es war höchste Zeit, etwas zu erreichen, sonst hatte ihn selbst Bacchus gefällt. Also stärkere Mittel.

»Edler Merogais, weißt du was? Ganz unter uns gesagt: Konstantin ist ein Knabe, ein hilfloser Knabe, ein Blatt im Winde, wir sind ja mit ihm verraten und verkauft, wird das eine Wirtschaft werden mit diesem Kaiser, der kann ja nicht einmal Trier halten, geschweige Gallien und den Rhein!«

»Aber Eumenius, du schimpfst ja auf deinen Kaiser!«

»So, nun geh hin, Merogais, und zeige mich an!«

Der lag nicht mehr, er saß, den Kopf auf beide Fäuste gestemmt und sah gemächlich zu dem Römer hinüber: »Wie werd ich denn meinen lieben Freund Eumenius anzeigend« fragte er harmlos und nahm einen tüchtigen Schluck.

Eumenius geriet in Eifer: »Und überhaupt das Heer, hast du nicht aus dem Forum gesehen, was das für ausgemergelte Kerle sind, Hungerleider, die kaum mehr ein Schwert halten können? Die machen sich aus Konstantin gar nichts, es brauchte bloß einer zu kommen mit fester Hand.«

»Ja, bei Euch kommt ja so leicht einer mit solcher Hand,« antwortete Merogais blinzelnd, »wir Franken hören das ja nur so aus der Ferne; wie ich jung war, gab's jeden Tag einen anderen Kaiser!«

Eumenius ließ sich nicht stören: »Und die Festungen am Rhein, was sind die noch wert: Vetera, Novaesium, Bonna, Rigomagum, Andernach, Boppard, das sind ja alles Eulenmäuerchen, die einstürzen, wenn einer von Euch mit dem Fuß dagegen stößt.«

Merogais lächelte ungläubig und antwortete höflich: »So, so, trinken wir aus Vetera und Novaesium!«

Dem Römer war aber die unter der Maske verborgene Neugier nicht entgangen, jetzt kam sein stärkster Trumpf.

»Das Volk,« fuhr er eifrig fort, »wartet ja nur, daß jemand kommt und es befreit und die Römer herausjagt, unter uns gesagt, bin ich ja auch keiner, meine Mutter war die Tochter einer fränkischen Frau.«

Und dann begann er, was er bisher verborgen gehalten, flüssig fränkisch weiter zu reden.

Merogais erhob sich feierlich, schwankte um den Tisch herum und lallte: »Bruder! Bruder, wir wollen uns vertragen, das ist ja ganz etwas anderes, wenn du ein Franke bist.«

Singend und johlend fiel er dem Redner abermals um den Hals.

Eumenius verbiß den Schmerz der Umarmung, drückte seinen Gegner noch mehr an sich und flüsterte: »Mein lieber Merogais, ach, wenn du wüßtest – er schluchzte dabei – wie wir hier geknechtet sind, und Gold, Silber, Wein, alles wartet nur aus den, der's holen kommt.«

»Es wird schon jemand aus Rom kommen,« sagte Merogais listig und tätschelte dem Aufgeregten beruhigend den glattgeschorenen Kopf. »Dein Wohl, Eumenius, trinken wir aus Eure Knechtschaft!«

»Ach, Rom,« brach Eumenius los, »das ist ja noch fauler als wir, Ihr seid die Richtigen, Ihr mit Euren vierzigtausend Männern, Ihr braucht ja nur die Hand zu öffnen, und zuzufassen, das weiß ja jeder!«

Merogais schien erstaunt, er schluckte einmal, sah neugierig wie ein Kind aus und fragte dann verwundernd: »Meinst du das wirklich, Eumenius?«

»Was wollte denn Konstantin machen, wenn Ihr einfach ins Land kämt?«

»Was Konstantin machen würde? Euer Wohl, würde er rufen, Euer Wohl in Neumagener Wein!«

Eumenius schüttelte den schlucksenden Franken zornig: »Ach, Possen, dann muß man es mit den Alemannen versuchen, die werden schon kommen, wenn man sie ruft!«

Merogais kniff die Augen zu, als ob er Essig getrunken hätte und sagte dann langsam, gewichtig: »Schade um den schönen Wein!«

Eumenius fragte gespannt: »Wieso?«

»Weil die Alemannen Hornochsen sind ... die nur saufen ... aber nicht trinken, wie wir zwei Bruderherzen!«

Merogais lehnte an die kalte, rauhe Wand, Eumenius saß halb, halb lag er zusammengekauert aus der Ruhebank. Er richtete sich noch einmal mit Anstrengung auf und schrie: »Ihr seid einfach zu feige! zu feige um loszubrechen und das Trevererland zu erobern!«

Merogais erhob, die Augen fast geschlossen, den Kopf und sagte betrübt: »Feige nicht, Eumenius, aber viel zu sehr betrunken, so einfach geht das nicht.«

Eumenius fragte scharf: »Was geht nicht einfach?«

Merogais antwortete murmelnd: »Einzuschlafen, wenn man den Drehschwindel hat!« Aber dann sank er an der pfühllosen Wand auf die feuchten Fliesen und schlief.

Eumenius starrte ins Licht der Ampeln, das sich ihm verhundertfacht hatte, er gähnte: »Der Kaiser schickt mich auf die Inseln ... nach den verfluchten Inseln muß ich ... aber dieser Neumagener Taranusberger ... Auslese ... ist auch etwas wert ...«

Als nach drei Stunden der Kellermeister erschien, erzitterten die Rosengewinde und das Licht der Ampeln und die Schieferwände von ungeheurem, zweistimmigen Schnarchen.

Da setzte sich der Kenner nieder und trank in langen Zügen den Rest der Taranusberger Auslese.


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