Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfzehntes Kapitel.

»Die Verbindung mit der Kapelle ist fertig, Orfanik?«

»Ich bin gerade fertig.«

»In den Kasematten der Bastionen ist alles bereitet?«

»Alles.«

»Bastionen und Kapelle sind jetzt direkt mit dem Lugturm verbunden?«

»Jawohl.«

»Und uns wird Zeit zur Flucht bleiben, nachdem wir Strom gegeben haben?«

»Genug.«

»Ist festgestellt worden, ob der auf den Vulkansattel mündende Tunnel frei war?«

»Der Tunnel ist frei.«

Nun folgte einige Augenblicke Stille, während Orfanik wieder die Fackel genommen hatte und die Tiefen der Kapelle ableuchtete.

»Ha, du alte Burg, Burg meines alten Geschlechts!« rief der Baron, »teuer sollst du denen zu stehen kommen, die deinen Wall zu stürmen wagen wollen.«

Rudolf von Görz sprach die Worte in einem Tone, der dem jungen Grafen Grausen einflößte. Drauf sprach Orfanik:

»Vor 50 Minuten hat mir der Draht die Nachricht gebracht, daß im »König Mathias« Rat gehalten würde.«

»Der Sturm ist für heute nacht geplant?«

»Nein, für morgen bei Sonnenaufgang.«

»Seit wann ist dieser Rotzko wieder in Werst?«

»Seit zwei Stunden – mit der von Karlsburg herübergebrachten Polizeimannschaft.«

»Nun, wenn das Schloß auch nicht mehr im Verteidigungszustand ist, so wird es doch unter seinen Trümmern diesen Franz von Telek und jene begraben, die ihm beistehen werden.«

Nach Verlauf einiger Minuten setzte er hinzu:

»Und der Draht hier, Orfanik?« fuhr er fort; »es soll nie offenbar werden, daß er zwischen Schloß und Dorf Werst eine Verbindung herstellte.«

»Das wird nie der Fall sein. Den Draht zerstöre ich.«

Die Zeit ist nun wohl für uns da, die Erklärung gewisser Erscheinungen zu geben, die sich im Laufe dieser Erzählung gezeigt haben und deren Ursprung nicht länger unbeleuchtet bleiben darf.

Unsere Erzählung spielt, wie wir noch ganz besonders betonen wollen, in jenen letzten Jahren des zu Ende gegangenen 19. Jahrhunderts, in welchen die Anwendung der Elektrizität, die wir mit Recht als »die Seele des Alls« betrachten, auf den Höhepunkt ihrer Vollendung gelangte. Der erlauchte Edison und seine Jünger hatten ihr Werk vollbracht.

Unter den mannigfachen elektrischen Apparaten arbeitete das Telephon mit solch erstaunlicher Präzision, daß die von den Schallplatten aufgefangenen Töne frei, ohne Vermittelung eines Hörrohrs, zum menschlichen Ohre gelangten. Was gesprochen, gesungen, ja selbst geflüstert wurde, konnte man auf jede Entfernung hin hören, und zwei durch Tausende von Meilen getrennte Personen unterhielten sich miteinander, wie wenn sie beieinander säßen, ja sie konnten einander sogar, zufolge des jüngst erfundenen Teleskops, in Spiegeln, die durch Drähte verbunden waren, von Angesicht zu Angesicht erblicken.

Schon seit vielen Jahren war Orfanik, der unzertrennliche Kamerad des Barons Rudolf, auf dem Boden der praktischen Verwertung der Elektrizität ein Erfinder erster Klasse. Indessen hat der Leser ja schon gehört, daß seine erstaunlichen Erfindungen nicht jene Aufnahme fanden, die ihnen gebührte. Die gelehrte Welt stand auf dem Standpunkte, in ihm statt eines Genies in seiner Kunst einen Narren zu sehen. Daher stammte der unversöhnliche Haß in der Seele dieses verkannten, beiseite geschobenen, schiffbrüchigen Menschen gegen seinesgleichen.

Unter solchen Verhältnissen machte Orfanik durch einen Zufall Bekanntschaft mit dem Baron von Görz, der ihn zur Weiterführung seiner Arbeiten anspornte, finanziell unterstützte und unter der Bedingung bei sich Unterstand gab, daß ihm das alleinige Recht der finanziellen und wirtschaftlichen Verwertung aller durch Orfanik gemachten Erfindungen zustehen solle.

Diese beiden Persönlichkeiten, jeder für sich ein Original und phantastischer Narr, waren von Natur wie für einander geschaffen. Seit der Zufall sie zusammengeführt hatte, hatten sie sich nicht wieder getrennt, auch nicht als der Baron die Stilla durch alle Städte Italiens verfolgte.

Aber während der Musik- oder Gesangsnarr sich an dem Gesange der unvergleichlichen Künstlerin berauschte, befaßte sich Orfanik ausschließlich mit der Vervollkommnung aller in den letzten Jahren erfundenen elektrischen Apparate, mit der Erweiterung ihrer Anwendungsfähigkeit, und gelangte zu den erstaunlichsten Resultaten.

Nach dem dramatischen Abschluß, den die Laufbahn der Sängerin genommen hatte, war der Baron aus Neapel verschwunden, um sich in Orfaniks Begleitung nach seinem Felsschloß in den Karpathen zurückzuziehen, in der Absicht, dort ein paar Jahre lang in völliger Abgeschlossenheit zu leben.

Niemand sollte nun die Rückkehr auf die alte Burg seiner Ahnen wissen, niemand davon erfahren, niemand sollte auf den Gedanken kommen, ihm dort einen Besuch zu machen. Daß es nicht schwer war für die beiden Männer, sich den zum Leben notwendigen Unterhalt im Schlosse zu schaffen, mag noch bemerkt sein. Mit der über den Vulkansattel führenden Straße bestand vom Schlosse her eine Verbindung und auf diesem Wege besorgte ein ehemaliger Lakai des Barons, den niemand in der Gegend kannte, zu bestimmten Terminen alles was die beiden Männer zum Leben brauchten.

Was von der verfallenen Burg an Baulichkeiten noch stand, vornehmlich der Turmbau in der Mitte, war nicht so verfallen wie man auf den ersten Blick zu glauben geneigt war, und auch wohnlicher als nach den Bedürfnissen seiner Gäste notwendig war. Was Orfanik zu seinen Experimenten an Materialien brauchte, besaß er auf Jahre hinaus. Hier konnte er sich, durch nichts gestört, mit seinen erstaunlichen Arbeiten aus den Gebieten der Physik und Chemie befassen – und mit der Zeit kam ihm der Einfall, sich ihrer zum Zwecke der Fernhaltung ungelegenen Besuchs zu bedienen. Dem Baron war dies nur recht. An erster Stelle mußte es diesem aber von Wert sein, über alles unterrichtet zu sein, was im nächsten Orte vorging. Der dem Schlosse nächstgelegene Ort war das kleine Dorf Werst. Die Herstellung einer telephonischen Verbindung zwischen dem Schlosse und der Gaststube des »Königs Mathias«, in welcher die Dorf-Honoratioren allabendlich verkehrten, geschah durch Orfanik auf nicht minder geschickte als heimliche Weise unter den einfachsten Bedingungen. Ein Kupferdraht in Isolierschicht wurde vom obersten Stockwerk des Lugturms unter dem Gießbache bis zu dem Dorfe geleitet. Orfanik quartierte sich als Tourist auf eine Nacht im »König Mathias« ein, um diesen Draht mit der großen Gaststube zu verbinden, womit begreiflicherweise, da es sich bloß darum handelte, den im Strombett liegenden Draht zu dem Fenster der Hinterfront, das überhaupt niemals geöffnet wurde, hinaufzuleiten, keinerlei Schwierigkeiten verbunden waren. Als unter dem dichten Laube der telephonische Apparat angebracht war, wurde der Draht daran befestigt, und da der Apparat eingerichtet war, sowohl zur Aufnahme wie zur Abgabe des Schalls, so konnte der Baron durch ihn alles, was im »König Mathias« gesprochen wurde, hören und auch alles, was er verlautbaren wollte, verlautbaren.

Während der ersten Jahre wurde die Ruhe der Burg in keiner Weise gestört. Der schlimme Ruf, in welchem sie stand, war hinreichend, die Werster Bauern von ihr fernzuhalten. Zudem wußte ja alles in der Gegend, daß sie seit dem Abscheiden der letzten Diener der Baronin nicht mehr bewohnt wurde. Von dem Moment aber an, da der Schäfer über dem Turm Rauch hatte aufsteigen sehen, gingen die tollsten Gerüchte in der Gegend um, und was aus ihnen entstand, ist dem Leser ja zur Genüge bekannt.

Von da ab erwies sich die zwischen Schloß und Dorf hergestellte Verbindung als äußerst nützlich, denn der Baron konnte sich über alles unterrichtet halten, was im Dorfe vorging. Durch den Telephondraht erfuhren sie, daß sich der Waldhüter zur Burg hinauf begeben wollte, und auf demselben Wege wurde die Warnung nach der Gaststube geleitet, die von allem Besuch der alten Felsenburg abhalten sollte. Da der Waldhüter sich trotzdem nicht abhalten lassen wollte, beschloß der Baron ihm eine Lektion zu geben, die ihm und allen andern die Lust zu solchen Wagnissen vertreiben sollte. Orfaniks allzeit arbeitsfähiger Apparat brachte in jener Nacht eine Reihe von Erscheinungen hervor, die rein physischer Natur, aber so beschaffen waren, daß sie weit und breit in der Gegend Schrecken und Entsetzen wachriefen, wie das Läuten der Kapellenglocke, das intensive Streulicht, das zufolge von Beimischung von Seesalz allen Gegenständen, die es traf, ein geisterhaftes Aussehen lieh, die nebelhornartigen Töne, aus Apparaten bewirkt, aus denen die komprimierte Luft mit schrecklichem Getöse austritt, die photographischen Schattenrisse von Ungetümen, erlangt durch Reflektoren von mächtigem Umfang, nicht zum wenigsten endlich die durch Einführung von Platten zwischen das Gras der Grabensohle, die in Kontakt standen mit Batterien, und deren Strom bewirkte Erscheinung, daß der Doktor mit den Nägeln seiner Stiefelsohlen am Boden festgehangen hatte, wie endlich die elektrische Ladung aus den Batterien des Laboratoriums, die den jungen Waldhüter in dem Augenblicke getroffen hatte, als er mit der Hand auf das Eisen der Zugbrücke faßte.

Wie der Baron gerechnet hatte, hatten diese Vorgänge in die abergläubischen Bauerngemüter auf zwei Meilen im Umfange von Werst von dem Karpathenschlosse ein solches Grausen gesenkt, daß er sich vor weiteren Behelligungen sicher meinen durfte. Da war Franz von Telek in das Dorf gekommen. Auch dessen Unterhaltungen mit dem Schulzen und den übrigen Bauern hatte der Draht unter dem Bette des Gießbachs hin zur Burg empor getragen – der Baron hatte vernommen, daß nicht bloß ein Besuch des Schlosses auf dem Programm des jungen Grafen stand, sondern daß sich derselbe sogar mit dem Gedanken trug, den mutmaßlichen Bewohnern des Karpathenschlosses die Karlsburger Polizei auf den Hals zu hetzen. Da hatte er beschlossen, den Grafen durch die Stimme und die Erscheinung der Stilla in die Burg zu locken – wie ihm das gelungen, und was daraus zunächst weiter gefolgt war, weiß der Leser aus dem bisherigen Lauf der Erzählung.

Zu seinem höchsten Verdrusse hatte der Baron es nicht zu ändern vermocht, daß der Leibhusar des Grafen, dessen Mißtrauen aufs höchste gestiegen war, den Weg nach Karlsburg allein gemacht und die dortige Polizei alarmiert hatte. Ein Kommando lag nun im Dorfe. Sich gegen solche Uebermacht zur Wehr zu setzen, wäre sicher zwecklos gewesen; die gegen Patak und Nik Deck in Anwendung gebrachten Mittel hätten sich als unzulänglich erweisen müssen, denn die Polizei mißt Teufelsspuk und dergleichen Dingen keinen Glauben bei. Deshalb hatte er sich vorgenommen, sein altes Ahnenschloß von Grund aus zu zerstören, und er wartete mit Orfanik bloß noch auf den richtigen Augenblick. Ein elektrischer Strom lag in Bereitschaft, das unter Turm, Bastionen, Kapelle und anderweit gelegte Dynamit zur Explosion zu bringen. Auch zu ihrer Flucht waren die notwendigen Vorbereitungen auf das ausgiebigste getroffen worden.

Was von diesem Gespräch zu den Ohren des Grafen gelangt war, hatte ihn von allem unterrichtet, was die Vergangenheit betraf und wie es sich um die Ereignisse derselben verhielt. Ach! warum war es ihm nicht möglich, den Eintritt in die Kapelle zu erzwingen und sich auf diese beiden Männer zu werfen! bei dem Grimm, der ihn beherrschte, hätte er sie niedergestochen und unschädlich gemacht, hätte er ihr schreckliches Vorhaben vereiteln können.

Aber was im gegenwärtigen Augenblicke unmöglich war, ließ sich vielleicht ausführen, wenn der Baron mit Orfanik die Kapelle verlassen hätte? wenn er ihnen folgte, bis zum Turme hinauf? Dort könnte er vielleicht, wenn Gott ihm beistand, Gerechtigkeit üben!

Baron Rudolf und Orfanik waren schon unterwegs. Franz ließ sie nicht aus den Augen. Wo suchten sie den Ausgang? führte von hier aus ein Gang zur Wallmauer, oder stand die Kapelle durch einen Korridor mit dem Lugturm in Verbindung? schien es doch, als ob alle Gebäude der Burg untereinander verbunden wären. Alles dies hatte so lange wenig zu sagen, wie sich dem jungen Grafen kein Hindernis entgegenstellte, zu dessen Bezwingung seine Mittel nicht ausreichten.

Da fanden von neuem Worte, zwischen dem Baron und Orfanik gewechselt, den Weg zu seinen Ohren.

»Hier ist also nichts mehr zu verrichten?«

»Nein.«

»Dann trennen wir uns hier.«

»Ist es also nach wie vor Ihre Absicht, allein im Schlosse zu bleiben?«

»Ja, Orfanik! – brechen Sie sogleich auf – Sie wissen ja, durch den Tunnel des Vulkansattels.«

»Aber Sie?«

»Ich weiche erst im letzten Augenblick von der Burg.«

»Es bleibt also dabei, daß ich Sie in Bistritz erwarte?«

»Ja – in Bistritz –«

»Adieu denn, Baron Rudolf – da es Ihr Wille ist, lasse ich Sie hier allein.«

»Ja – denn ich will noch einmal – noch einmal in dieser letzten Nacht, die ich im Schlosse meiner Ahnen lebe, die Stimme der Göttlichen hören!«

Kurz darauf war der Baron mit Orfanik aus der Kapelle verschwunden.


 << zurück weiter >>