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Viertes Kapitel.

Die vom Schäfer mitgebrachte Neuigkeit war in wenigen Minuten im Dorfe herum. Vater Koltz, von Nik und Miriota gefolgt, war mit dem kostbaren Fernrohr in der Hand wieder in sein Haus getreten. Auf dem Straßenüberbau draußen stand nun bloß noch Schäfer Frik, umringt von etwa zwanzig Männern, Weibern und Kindern, zu ihnen waren ein paar Zigeuner getreten, die keineswegs das schläfrigere Element der Werster Bevölkerung bildeten. Alles drängte sich um Frik, alles bestürmte Frik mit Fragen, und wenn der Schäfer Antwort gab, tat er es mit jener stolzen Wichtigtuerei eines Menschen, der eben etwas sehr Wichtiges gesehen hat.

»Jawohl,« sagte er in einem fort, »auf dem Schloß hat's geraucht, auf dem Schlosse raucht's noch, auf dem Schlosse wird's rauchen, solange noch ein Stein auf dem andern liegt.«

»Aber wer kann bloß dort Feuer angemacht haben?« fragte ein altes Weib dazwischen und schlug die Hände ineinander.

»Der Schort!« versetzte Frik, den Teufel bei seinem Siebenbürger Landesnamen nennend, »dieser Halunke versteht sich nun doch mal besser darauf, Feuer anzustecken, als Feuer zu löschen.«

Auf diesen Bescheid hin bemühte sich jeder, den Rauch über der Turmspitze zu erkennen. Schließlich behauptete alles, ihn ganz deutlich zu sehen, obgleich er auf solche Entfernung unmöglich gesehen werden konnte.

Die durch dieses merkwürdige Vorkommnis verursachte Wirkung überstieg alles, was sich denken läßt. Auf diesem Punkte zu verweilen, ist notwendig. Möge sich doch der Leser einmal in eine Stimmung versetzen, die sich mit der Stimmung der Werster Bauern deckt, und er wird sich über den weitern Verlauf dieser Geschichte nicht mehr verwundern. Ich verlange nicht, daß er an übernatürliche Dinge glaubt, wohl aber, daß er sich vor Augen hält, daß dieses unwissende Bauernvolk rückhaltlos daran glaubt. Zu der Scheu, die das Karpathenschloß einflößte, gesellte sich nun, seitdem es aufhörte als leer und einsam zu gelten, das Entsetzen darüber, daß es bewohnt zu sein schien, und bewohnt, Jesus Maria Josef! von was für Wesen!!

In Werst gab es ein Plätzchen, wo es einen guten Trunk gab und wo zufolgedessen alles, was Durst hatte, gern Einkehr hielt, wo aber auch Leute gern verkehrten, bloß um einen kleinen »Plausch« – wie es im österreichischen für Plauderstündchen heißt – zu halten. Daß der erstern mehr waren als der andern, sagt sich wohl jeder Leser allein. Dieses Plätzchen war die Haupt-Herberge oder, richtiger gesagt, die einzige Herberge im Orte.

Wem gehörte dieselbe? einem Juden mit Namen Jonas, einem braven Manne im Alter von etwa 60 Jahren, mit ansprechenden Gesichtszügen, der aber mit seinen schwarzen Augen, seiner krummen Nase, seiner vorhängenden Lippe, seinem glatten straffen Haar, seinem herkömmlichen Zottelbart den ausgesprochenen Semitentypus zeigte. Dienstwillig und gefällig, verborgte er gern in kleinen Summen, ohne hohen Zins zu nehmen, ohne ängstlich zu sein wegen Bürgschaft, hielt aber darauf, daß er sein Geld zum verabredeten Termine pünktlich wieder bekam. Jonas war leider eine Ausnahme im Lande, denn was sonst dort von seinen Glaubensgenossen vorhanden war – der Zahl nach wirklich nicht wenig – trieb neben Gast- und Schankwirtschaft und Kolonialwarenhandel auch Wuchergeschäfte, und der Zeitpunkt, wo Grund und Boden nicht der eingesessenen, sondern der eingewanderten Rasse gehören mußte, war sicherlich nicht mehr fern; wer weiß, ob nicht einmal das Siebenbürgerland, nachdem es mit Palästina vorbei ist, als »Gelobtes Land« in unsern Landkarten erscheinen wird!

Die Herberge »zum König Mathias« – diesen Namen führte die Jonassche Gastwirtschaft – stand in einem andern Winkel des mehrgenannten Straßen-Ueberbaus, dem Schulzenhause gerade gegenüber. Es war eine alte Baracke, halb Holz-, halb Steinbau, stellenweis stark ausgeflickt, aber von grünem Laub dicht überwachsen und von recht ansprechendem Aussehen. Es bestand bloß aus einem Erdgeschoß. Eine Glastür führte von der Straße herein und auf die Straße hinaus. Zuerst trat man in einen großen, saalähnlichen Raum, in welchem Tische für die Trinkgläser und Schemel für die Trinkgäste in Menge standen. Die eine Wandseite nahm ein Schenktisch ein aus wurmstichigem Eichenholz, auf dem es von Tellern, Töpfen und Flaschen blitzte, daneben stand eine Art Schreibpult aus Holz und schwarz lackiert, hinter welchem Jonas den Kunden-Verkehr abwickelte.

Sein Licht erhielt dieser Raum durch zwei in der Giebelseite, nach dem Straßenüberbau zu, und zwei an der gegenüberliegenden Rückwand befindliche Fenster. Von den letztern beiden war eines durch einen dichten Vorhang von Kletter- oder Hängepflanzen verdeckt, so daß nur wenig Licht hindurchgelangen konnte; durch das andere hatte man einen herrlichen Ausblick auf das ganze Untertal des Vulkan. Wenige Fuß unterhalb der Hausmauer vom Orgall-Plateau, wo er entsprang, strömte mit Getöse der Nyad, ein wilder Gießbach, zum Tale hinunter, der walachischen Sil zu, in die er sich ergoß.

Auf der rechten Saalseite, dicht an den Saal stoßend, lag ein halbes Dutzend von Stübchen oder Kämmerchen, zum Nachtquartier hergerichtet für die spärlichen Reisenden, die sich im »König Mathias« vor dem Uebertritt über die Grenze ausruhen wollten. Einer guten Aufnahme zu mäßigem Preise und aufmerksamen Bedienung durch einen umsichtigen, für das Wohl seiner Gäste eifrig besorgten Wirt, der auch einen guten Tabak führte, durften sie sich versichert halten.

Jonas selbst schlief in einer engen Dachkammer, aus der eine noch engere Luke über das blumige Strohdach hinweg einen engbegrenzten Ausblick nach dem Straßenüberbau hinaus gewährte.

In dieser Gastwirtschaft saßen am Abend des 29. Mai die Werster »Honoratioren« beisammen: Vater Koltz, Magister Hermod, Waldhüter Nik Deck mit ungefähr einem Dutzend der besser situierten Ortsbauern, unter denen auch Schäfer Frik, zur Zeit wahrlich nicht der unbedeutendste Mann im Dorfe, ein Plätzchen gefunden hatte. Dagegen fehlte Doktor Patak bei dieser Honoratioren-Versammlung, weil er kurz vorher zu einem alten Patienten gerufen worden war, der bloß auf seine Anwesenheit lauerte, um seinen Uebertritt ins Jenseits zu bewirken. Aber Doktor Patak hatte sein Erscheinen zugesagt. Sobald er im Sterbehause nicht mehr von nöten sei, wollte er kommen.

Bis dahin schwatzte man über das wichtige Tagesereignis, vergaß jedoch Essen und Trinken nicht darüber. Wirt Jonas speiste die Hungrigen mit »Mamaliga«, einer Mehlspeise aus Mais, die mit frischer Milch nicht übel schmeckt; die Durstigen labte er mit einem Fläschchen Rosoglio, einem weißen Kirschschnapse, der zum Heller für das Glas die rumänischen Kehlen wie Wasser hinunter rinnt, oder auch mit Rakju, dem in den Karpathen so vielgetrunkenen Pflaumenschnaps von wesentlich stärkerem Alkoholgehalt. Beim Wirte Jonas war es Sitte, wie schließlich noch erwähnt sei, bloß Leute zu bedienen, die am Tische saßen, denn er hatte von früh an die Beobachtung gemacht, daß Gäste im Sitzen mehr verzehren als Gäste im Stehen. Heute abend schien ein äußerst flottes Geschäft zu winken, denn die Schemel reichten für die anwesenden Gäste nicht aus. Wirt Jonas ging munter von einem Tisch zum andern, mit dem Krug in der Hand, und füllte die »Stamperl«, die geleert, aber kaum gezählt wurden.

Es war um halb neun herum. Seit Einbruch der Dämmerung waren, ohne daß man zu einem Ziele gelangte, Debatten im Gange, was bei solchem Falle am besten zu tun sei. Nur in einem Punkte waren die Werster Bauern einig: wenn das Karpathenschloß von unbekanntem Volk bewohnt wurde, so bedeutete das für ihr Dorf eine Gefahr ganz ebenso schlimm wie wenn am Dorfeingang eine Pulvermühle stände.

»Ein sehr ernster Fall!« meinte Vater Koltz.

»Ein sehr schlimmer Fall!« pflichtete Magister Hermod bei, während er vor und nach dieser Aeußerung aus seiner Pfeife eine Wolke aufsteigen ließ.

»Ein ernster Fall, ein schlimmer Fall!« plapperte den beiden Leithammeln die versammelte Bauernschaft nach.

»Allzu sicher ist bei der ganzen Sache,« nahm Wirt Jonas das Wort, »daß der schlechte Leumund, in welchem die Burg steht, der Gegend schon schweren Schaden gebracht hat.«

»Jetzt kommt das noch ganz anders!« rief Magister Hermod.

»Fremde kamen ja ohnehin nicht viel,« bemerkte Vater Koltz mit einem Seufzer.

»Jetzt wird gar keiner mehr kommen,« setzte Wirt Jonas hinzu, dem Seufzer des Schulzen einen vielleicht noch tiefern Wirtsseufzer beigesellend.

»Es denkt schon mancher daran, sich aus dem Staube zu machen und sein Glück anderswo zu versuchen,« bemerkte ein Gast.

»Ich bin mit einer der ersten dabei, sobald ich meinen Wingert verkauft habe,« rief ein Bauer aus der Umgegend.

»Nach Käufern werdet Ihr wohl noch ein Weilchen suchen können, Alterchen,« versetzte der Schenkwirt.

Man merkt, von welchem Standpunkt aus die Debatten im wesentlichen geführt werden: kamen keine Fremde mehr, so ging die Gasthofseinnahme zurück, so ging der Steuerertrag zurück und der Grundstückswert desgleichen. Schon mehrere Jahre war dies der Fall, und nun drohte sich die an sich schon schlimme Lage noch zu verschlimmern, seitdem die bisher stillen Burggeister zu rumoren anfingen. Schäfer Frik meinte, hier seiner Ansicht Ausdruck, wenn auch mit schüchterner Stimme, geben zu sollen.

»Vielleicht wäre es gut –« hub er an.

»Was wäre gut?« fragte Schulze Koltz.

»– wenn man mal oben nachsähe, Schulze?«

Alles blickte einander an. Alles schlug die Augen nieder – und keine Gegenansicht wurde laut.

»Euer Schäfer, Schulze,« nahm da Wirt Jonas nach einer Weile das Wort, »zeigt den einzigen Weg, der sich einschlagen läßt.«

»Hinauf aufs Schloß gehen?«

»Jawohl, Freunde,« entgegnete der Gastwirt; »wenn aus der Turmesse Rauch aufsteigt, so muß doch Feuer angemacht worden sein, und dazu muß doch eine Hand dagewesen sein –«

»Eine Hand,« erwiderte kopfschüttelnd der alte Bauer – »wenn nicht gar eine Kralle –«

»Ob Hand oder Kralle,« sagte der Gastwirt, »ist ziemlich gleichgiltig. Aber wissen muß man, was es bedeutet. Es passiert zum ersten mal, daß aus einer Schloßesse Rauch aufsteigt, seit Baron Rudolf der Gegend den Rücken gewandt hat –«

»Unmöglich wäre es aber nicht, daß es schon öfter oben geraucht hätte, ohne daß es bemerkt worden,« deutete Schulze Koltz an.

»Das kann ich keinesfalls annehmen,« versetzte lebhaft Magister Hermod.

»Das läßt sich im Gegenteil recht wohl annehmen,« bemerkte hierauf der Schulze, »weil wir bisher kein Fernrohr hatten, um zum Schlosse hinaufzugucken.«

Die Bemerkung war richtig. Es konnte schon lange oben rauchen, ohne daß es der Schäfer trotz seiner scharfen Augen gesehen hatte. Gleichviel nun, wie es sich darum verhielt, soviel stand außer Zweifel, daß jetzt Leute im Karpathenschloß sich aufhielten. Diese Tatsache an sich war aber schon mehr als hinreichend, um die Bewohnerschaft von Werst und von Vulkan aufs höchste zu beunruhigen.

Magister Hermod meinte indessen seiner Meinung durch die folgende Bemerkung Geltung schaffen zu sollen:

»Leute, Freunde! – daß ich daran nicht glaube, werdet Ihr wohl gestatten – warum sollten wohl Leute auf den Einfall gekommen sein, Zuflucht im Schlosse zu suchen? Zu welchem Zwecke? und wie sollten sie hinauf gekommen sein?«

»Was für Eindringlinge sollen es denn sonst sein?« rief Schulze Koltz.

»Uebernatürliche Wesen,« versetzte Magister Hermod mit einer Stimme, die ihre Wirkung nicht verfehlte; »warum sollten es nicht Geister oder Gespenster sein? vielleicht Kobolde, vielleicht gar welche von den schlimmen Lamien, die sich in schöner Frauengestalt nahen?«

Aller Blicke hatten sich bei diesen Worten nach der Türe, dem Ofen, den Fenstern der großen Gaststube gewandt; jeder bildete sich schon ein, eins von dem Magister zitierten Gespenstern erscheinen zu sehen.

»Aber, Freunde,« beharrte Jonas, »wenn es Geister sein sollen, die oben im Schlosse Einzug gehalten haben, dann begreife ich nicht, zu welchem Zwecke sie oben Feuer angemacht haben sollen. Zu kochen brauchen doch Geister nicht –«

»Aber ihre Zaubertränke und Hexensalben und all das andere Zeug, das sie zu Beschwörungen usw. brauchen?« wandte der Schäfer ein – »vergeßt Ihr denn, daß, wer brauen will, auch sieden und kochen muß?«

»Ganz entschieden!« pflichtete der Magister bei in einem Tone, der keinen Widerspruch litt.

Es wurde auch kein Widerspruch laut, denn alle stimmten überein, daß es nicht menschliche Wesen, sondern überirdische sein müßten, die sich das Karpathenschloß zum Schauplatz ihres Treibens ausersehen hätten.

Bis zu diesem Augenblick hatte sich Nik Deck an der Unterhaltung noch nicht beteiligt, sondern sich auf Zuhören beschränkt. Die alte Burg mit ihrem geheimnisvollen Gemäuer, ihrem Jahrhunderte alten Ursprung, ihrem feudalen Anstrich hatte ihm allezeit imponiert, hatte allezeit seine Neugierde gereizt. Ja als tapferer Bursch, wenn auch keineswegs frei von dem Aberglauben, der in der ganzen Gegend herrschte, hatte er schon wiederholt Lust gehabt, die Schloßmauer zu ersteigen. Aber Miriota hatte ihn, wie sich wohl denken läßt, von solchem wagehalsigen Unternehmen auf alle Weise abzubringen versucht. Als Bräutigam durfte er sich doch so etwas nicht mehr einfallen lassen! was sie bislang in dieser Hinsicht getröstet hatte, war der Umstand, daß Nik niemals die Absicht, sich das Schloß einmal anzusehen, hatte laut werden lassen; denn sonst hätte ihn kein Mensch, auch sie nicht, zurückhalten können. Das wußte sie, und daß er ein resoluter, zäher Bursche war, der kein gegebenes Wort uneingelöst ließ, wußte sie auch – aber wenn sie hätte ahnen können, mit welchen Gedanken der Jüngling sich in diesem Augenblick befaßte, dann wäre sie ganz gewiß vor Angst vergangen.

Aber Nik Deck schwieg nach wie vor, und so kam es, daß der von dem Schäfer gemachte Vorschlag nicht weiter verfolgt wurde. Wer hätte es auch, solange er seine fünf Sinne noch beisammen hatte, riskieren sollen, dem Karpathenschlosse, nachdem es gar verhext war, einen Besuch abzustatten? jeder brachte die besten Gründe vor, sich von solchem Abenteuer zu drücken, der Schulze war zu alt, der Magister konnte seine Schule, der Gastwirt seine Schenke, der Schäfer seine Herde nicht im Stiche lassen, die andern Bauern hatten bald mit der Ernte, bald mit dem Vieh soviel zu tun, daß sie sich wochenlang nicht aus dem Hause rühren durften. Da ging, zu aller Schreck, plötzlich die Tür auf – aber es war bloß Doktor Patak, und dies kleine Männchen mit dem stattlichen Spitzbauch für eine gespenstische Lamie in berückendem Frauenleib zu halten, wäre doch schließlich dem Dümmsten und Abergläubigsten nicht gut möglich gewesen.

Sein Patient war im Jenseits – zum Ruhme, wenn nicht seines Geschicks, so doch seiner Klugheit als Arzt – und nun hätten ihn keine zehn Pferde mehr von dem Kneipabend im »König Mathias« ferngehalten.

»Na, endlich da!« rief Schulze Koltz.

Doktor Patak hatte alle Hände voll zu tun, um jedem Gaste die Hand zu drücken – und es dauerte geraume Zeit, bis die ziemlich ironische Ansprache aus seinem Munde floß:

»Also, Freunde, nach wie vor die Burg, die Euch den Kopf warm macht? die Burg des Schort? o, Ihr Hasen! aber wenn der alte Kasten rauchen will, dann laßt ihn doch rauchen! raucht denn unser Magister nicht auch den ganzen Tag? Na, so was! das Dorf ist schreckensbleich, die Gegend ist schreckensbleich – wohin ich heut den Fuß gesetzt habe, bei allen Patienten ist bloß vom Schloß und seinem Rauch die Rede gewesen – Gespenster und Geister haben sich also drüben eingeheizt? na, warum denn auch nicht? wer Schnupfen hat, der liebt die Wärme, und wie es scheint, friert's im Mai noch in den Turmstuben, es müßte denn gerade sein, daß man sich Brot für's Jenseits hat backen wollen oder backen müssen – nun, wenn's keine Lüge ist, daß der Mensch mal wieder aufersteht, so muß er sich doch dort oben auch ernähren – wer weiß, am Ende sind gar Bäckergesellen vom Himmel ins Schloß hinunter gestiegen und haben sich ihren Backofen dort eingerichtet?«

So jagte ein schlechter Witz aus seinem Munde den andern, wenn auch keiner so recht nach dem Geschmacke der Werster Bauernschaft war. Aber man ließ ihn schwatzen und Witze machen, bis zuletzt der Schulze ihm mit der Frage das Wort abschnitt:

»Sie legen dem Vorgange droben im Schlosse also gar keinen Wert bei, Doktor?«

»Gar keinen, Schulze.«

»Haben Sie nicht früher oft gesagt, daß Sie hinaufgehen wollten, wenn Sie dazu aufgefordert würden?«

»Ich?« versetzte der ehemalige Krankenwärter, nicht ohne einen gewissen Verdruß darüber, daß man sich seiner Worte zu solch ungelegener Zeit erinnerte.

»Na, bitte,« mischte der Magister sich ein, – »haben Sie das etwa nicht gesagt? etwa nicht mehr denn einmal gesagt?«

»Gewiß – ohne Zweifel – gesagt habe ich es – und wenn Ihr es von neuem hören wollt, nun, dann – dann sage ich es Euch abermals –«

»Hier gilt kein Reden, sondern nur Machen –« rief Hermod.

»Machen? was machen?«

»Jawohl, der Magister hat recht, und statt Euch dazu aufzufordern, wollen wir es beim Bitten bewenden lassen,« ergänzte der Schulze.

»Ihr begreift doch, Freunde – ein solcher Vorschlag – eine solche Aeußerung –«

»Nun, Doktor,« nahm da Wirt Jonas das Wort, »da Ihr Euch besinnt, so lassen wir es nicht länger beim Bitten bewenden, sondern stellen, Euren Worten gemäß, die Forderung an Euch –«

»Ihr stellt die Forderung an mich –?«

»Jawohl, Doktor!«

»Jonas, das ist zu weit gegangen,« nahm da der Schulze das Wort, »fordern läßt sich nichts von Patak! wir wissen doch alle, daß er ein Mann von Wort ist, und daß er halten wird, was er versprochen hat – wäre es auch nur, um Dorf und Gegend einen Dienst zu tun –«

»Wie? ist das Ernst? Ihr wollt, ich soll aufs Schloß hinauf?« stotterte der Doktor, und sein rotes Gesicht wurde von fahler Blässe überflogen.

»Darum herum kommt Ihr nicht, Doktor!« rief mit entschiedener Betonung der Schulze.

»Aber, Freunde! seid doch vernünftig, bitte!«

»Wir sind doch vernünftig!« antwortete Jonas.

»Nun, dann seid gerecht!« nahm der Doktor wieder das Wort – »was habe ich davon, wenn ich dorthin gehe? und was kann ich dort finden? ein paar brave Leute, die sich auf der Burg einen Unterschlupf gesucht haben – die alle andern Leute ungeschoren lassen –«

»Nun,« versetzte der Magister, »wenn Ihr meint, daß es ehrliche Leute sind, die dort oben hausen, so braucht Ihr Euch doch auch nicht zu fürchten – im Gegenteile bietet sich für Euch doch eine ganz hübsche Gelegenheit, Euch als Arzt zu empfehlen –«

»Wenn Sie mich brauchen, mich rufen lassen sollten,« erwiderte Patak, »würde ich nicht Bedenken tragen, glaubt mir, mich nach dem Schlosse hinauf zu begeben. Aber ungebeten erscheine ich nicht gern bei den Leuten und von Gratisbesuchen bin ich erst recht kein Freund.«

»Der Lohn für Eure Mühe soll Euch nicht vorenthalten bleiben,« sagte der Schulze; »liquidiert doch einfach für die Stunde soundsoviel!«

»Und wer bezahlt mich?«

»Ich – wir – just was Ihr liquidiert,« antworteten die meisten der Gäste.

Sichtlich war der Doktor trotz seiner beständigen Mauldrescherei zum allerwenigsten ebenso feige wie seine Werster Mitbauern. Kein Wunder, daß es ihm jetzt, nachdem er sich so oft als Freigeist aufgespielt, nachdem er so oft die Sagen und Mären der Bauern verspottet hatte, nicht eben leicht wurde, die an ihn gerichtete Forderung abzulehnen. Anderseits mochte es ihm in keiner Weise passen, selbst gegen Bezahlung den Weg zum Schlosse hinauf zu machen. Deshalb suchte er nach möglichen und unmöglichen Gründen, solchen Weg als überflüssig und aussichtslos hinzustellen und zu erweisen, daß sich das ganze Dorf bloß lächerlich machen würde, wenn es ihn zur Burg hinauf schickte. Schier kein Ende fand er mit seinen Worten.

»Aber, Doktor,« nahm der Magister wieder das Wort, »mir scheint doch, als ob bei solchem Vorhaben nicht das mindeste für Euch zu riskieren sei, denn an Gespenster und Geister glaubt Ihr doch nicht –«

»Nein, an solches Zeug glaube ich nicht.«

»Nun, wenn es keine Geister sind, die im Schlosse ihr Wesen treiben,« fuhr der Magister fort, »so können sich doch bloß menschliche Wesen dort eingefunden haben, und mit denen macht Ihr Euch eben bekannt.«

Die Ausführungen des Magisters entbehrten der Logik nicht; ihnen zu widersprechen war keine so leichte Sache.

»Einverstanden, Hermod,« antwortete Doktor Patak, »aber es kann doch sein, daß man mich auf der Burg festhält –«

»Doch bloß dann, wenn Ihr willkommen oben seid,« bemerkte Jonas.

»Freilich, freilich – aber wenn sich meine Abwesenheit in die Länge ziehen sollte – wenn mich jemand im Dorfe brauchen sollte –«

»Uns geht es doch durch die Bank ausgezeichnet,« erwiderte der Schulze, »und in ganz Werst haben wir keinen einzigen Kranken, seit Euer letzter Patient seine Fahrkarte ins Jenseits gelöst hat –«

»Rund heraus sagt, wie Ihr es halten wollt,« rief der Gastwirt – »wollt Ihr aufs Schloß gehen oder nicht?«

»Meiner Treu, nein!« antwortete der Doktor; »nicht etwa, weil ich Furcht hätte – o nein! wißt Ihr doch recht gut, daß ich an allen Geisterkram nicht glaube – sondern bloß, weil mir die ganze Sache albern vorkommt, verrückt – aufs Schloß hinauf zu tanzen, weil aus der Turmesse Rauch aufgestiegen ist – Rauch, der am Ende gar kein Rauch ist – nein! das fällt mir nicht ein, entschieden nicht! aufs Karpathenschloß hinauf laufe ich solcher Dummheit wegen nicht!«

»Nun, dann werde ich gehen!«

Der diese Worte sprach, war Nik Deck. Es waren die ersten Worte, durch die er sich an der Unterhaltung beteiligte.

»Du – Nik –?« rief Vater Koltz.

»Ja – ich – doch unter der Bedingung, daß mich Patak begleitet.«

Die Worte hatte Nik Deck direkt an den Doktor gerichtet, der sich mit einem energischen Sprunge dagegen verwahrte.

»Meinst du wirklich, Waldhüter?« entgegnete er – »ich soll mit dir mitlaufen? Freilich, das wäre gar kein übler Spaziergang zu zweit – wenn er bloß Zweck hätte – wenn man sich bloß drauf einlassen könnte – na, weißt du was, Nik? ich denke, du läßt die Finger davon, und ich desgleichen! es führt ja nicht einmal ein Weg zum Schlosse hinauf – schließlich kommen wir gar nicht hinauf –«

»Ich habe gesagt, daß ich hinaufgehe,« rief Nik Deck, »und was ich gesagt habe, gilt – ich gehe!«

»Aber ich habe nichts gesagt, ich nichts!« rief der Doktor, mit Händen und Beinen strampelnd, als wenn ihn jemand am Kragen genommen hätte.

»Doch – Ihr habt's gesagt – habt's mehr als einmal gesagt –« versetzte Jonas.

»Jawohl! jawohl!« rief einstimmig die ganze Versammlung.

Gedrängt von allen auf einmal, sah sich der einstige Krankenpfleger keinen Rat mehr. Ach, wie leid tat es ihm, sich mit seiner Mauldrescherei in solche Patsche gebracht zu haben. Daß man ihn beim Worte nehmen und zwingen würde, seine Reden wahr zu machen, das hatte er sich doch nicht träumen lassen – und nun stand es so, daß er gar nicht mehr zurück konnte, wenn er sich nicht zum Gespött von ganz Werst und ganz Vulkan obendrein machen wollte – wohl oder übel mußte er nun schon gute Miene zum bösen Spiele machen.

»Na, wenn Ihr's nicht anders wollt, will ich ja mit Nik hinaufgehen,« sagte er, »wenn es auch nicht den geringsten Zweck hat.«

»Bravo, Doktor, bravo!« schrieen alle Gäste des »König Mathias« wie aus einem Munde.

»Und wann brechen wir auf, Waldhüter?« fragte Patak, einen gleichgiltigen Ton anschlagend, der seine Feigheit nur schlecht verbergen konnte.

»Morgen in aller Frühe,« antwortete Nik Deck.

Auf diese letzten Worte folgte ziemlich lange Stille: ein Beweis dafür, daß die Aufregung des Schulzen und der Bauern echt war. Gläser und Krüge waren geleert, und doch stand niemand auf und niemand dachte daran, obwohl es schon spät war, den Fuß aus der großen Stube zu setzen und sich auf den Heimweg zu machen. Drum dachte Jonas, daß die Gelegenheit günstig sei, mit einer neuen Lage Rosoglio und Rakju aufzuwarten – als plötzlich die tiefe Stille durch eine Stimme unterbrochen wurde, die langsam, doch ziemlich deutlich die Worte sprach:

»Nikolaus Deck, geh morgen nicht aufs Schloß – geh nicht hinaus – sonst geschieht dir Unglück!«

Wer hatte so gesprochen? – woher rührte diese Stimme, die niemand bekannt war, die aus einem unsichtbaren Munde zu dringen schien? Es konnte bloß eine Geisterstimme, eine Stimme aus der andern Welt sein! – Das Entsetzen stieg auf den Höhepunkt – keiner wagte den andern anzusehen – keiner wagte ein Wort zu sprechen – –

Der Tapferste, ohne Frage Nik Deck, wollte nun wissen, woran er sich zu halten habe. Daß die Worte in der Gaststube selbst gefallen waren, unterlag keinem Zweifel. Der Waldhüter hatte von allen zuerst den Mut, sich der Truhe zu nähern und sie zu öffnen.

Niemand drinnen!

Nun stieß er die Gaststubentür auf, trat ins Freie, lief auf dem Straßenüberbau bis zur Werster Hauptstraße.

Niemand da!

Kurz darauf hatten der Schulze, der Magister, der Doktor, der Waldhüter, der Schäfer und alle Bauern die Schenke und ihren Wirt verlassen, und dieser beeilte sich seine Tür doppelt zu verschließen.

In dieser Nacht verbarrikadierten sich die Werster Bauern, als wenn ihnen Gott weiß welche phantastische Erscheinung zu nahen drohe, in ihren Häusern. Im ganzen Dorfe herrschte der Schrecken.


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