Jules Verne
Die Kinder des Kapitän Grant.Zweiter Band
Jules Verne

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiundzwanzigstes Capitel.
Eden

 

Jetzt war nicht die Zeit zum Verzweifeln, sondern zum Handeln. Da die Brücke von Kemple-pier zerstört war, mußte man um jeden Preis den Snowy passiren, um Ben Joyce's Bande an der Twofold-Bai zuvorzukommen. Es wurde auch keine Zeit mit leeren Worten verloren, und anderen Tages, am 16. Januar, untersuchten John Mangles und Glenarvan den Fluß, um den Uebergang einzuleiten.

Die lärmenden und von den Regen geschwellten Wässer fielen noch nicht, sondern wirbelten mit unbeschreiblicher Wuth dahin. Ihnen die Stirn zu bieten, hieß fast, sich dem Tode weihen. Glenarvan stand mit gekreuzten Armen und gesenktem Haupte unbeweglich davor.

»Wollen Sie, daß ich nach dem anderen Ufer schwimme?« sagte John Mangles.

»Nein, John!« erwiderte Glenarvan, der den kühnen jungen Mann an der Hand zurückhielt, »wir wollen warten.«

Beide kehrten nach der Lagerstätte zurück. Der Tag verging in quälender Angst. Wohl zehnmal kehrte Glenarvan zum Snowy zurück. Er suchte ein verwegenes Mittel zu finden, darüber hinweg zu kommen. Vergeblich! Und wäre ein Lavastrom in diesem Bette geflossen, er würde nicht mehr Schwierigkeiten geboten haben.

Während dieser langen verlorenen Stunden widmete Lady Helena, nach dem Rathe des Majors, Mulrady alle erdenkliche Sorgfalt. Langsam kehrte der Matrose zum Leben zurück. Mac Nabbs wagte zu behaupten, daß kein lebenswichtiges Organ verletzt sei. Der Blutverlust bot für die Schwäche des Kranken eine genügende Erklärung. Nachdem die Wunde geschlossen und die Blutung gestillt war, erwartete er seine völlige Wiederherstellung nur von der Zeit und der Ruhe. Lady Helena hatte verlangt, daß er in der Vorderabtheilung des Wagens untergebracht werde. Mulrady war ganz beschämt. Die größte Sorge machte ihm der Gedanke, daß Glenarvan durch seinen Zustand länger zurückgehalten werden könne, und man mußte ihm das Versprechen geben, ihn mit Wilson an der Lagerstelle zurückzulassen, wenn der Uebergang über den Snowy ausführbar würde.

Unglücklicher Weise war Letzteres aber weder an diesem, noch am folgenden Tage möglich. Sich so zurückgehalten zu sehen, brachte Glenarvan ganz zur Verzweiflung. Lady Helena und der Major versuchten vergeblich, ihn zu beschwichtigen und zur Geduld zu ermahnen. Geduld haben, wenn Ben Joyce vielleicht in diesem Augenblicke an Bord der Yacht kam! Wenn der Duncan, seine Taue lösend, mit der Kraft des Dampfes diese verderbenbringende Küste zu erreichen suchte und sich ihr jeden Augenblick näherte!

In seinem Herzen fühlte John Mangles alle Angst Glenarvan's mit. In der Absicht, das vorliegende Hinderniß um jeden Preis zu überwinden, construirte er aus breiter Gummibaumrinde ein Boot nach australischer Art. Die leichten Planken waren durch Holzstangen zusammengehalten und bildeten ein sehr zerbrechliches Fahrzeug.

Der Kapitän und der Matrose stellten am folgenden Tage, am 18., Versuche mit dem schwachen Canot an. Was Geschick und Kraft, Gewandtheit und Muth thun konnten, thaten sie. Aber kaum in die Strömung gelangt, schlugen sie um und hatten ihren waghalsigen Versuch bald mit dem Leben bezahlt. Das Boot verschwand in den Wasserwirbeln. John Mangles und Wilson waren kaum zehn Klafter weit in den Strom hineingekommen, der durch den Regen und das Schmelzen des Schnees angeschwollen und noch eine Meile breit war.

So ging auch der 19. und 20. Januar verloren. Der Major und Glenarvan gingen an dem Snowy fünf Meilen weit hinauf, ohne eine praktikable Passage aufzufinden. Ueberall dasselbe Ungestüm des Wassers, dieselbe brausende Schnelligkeit. Der ganze Südabhang der Australischen Alpen wälzte seine Fluthen in diesem einen Bette dahin.

Auf die Hoffnung, den Duncan zu retten, mußte man nun verzichten. Fünf Tage waren schon seit Ben Joyce's Abreise verflossen. Jetzt mußte die Yacht an der Küste und in der Gewalt der Verbrecher sein!

Indeß konnte diese Sachlage unmöglich lange andauern. Das zeitweilige große Wasser verläuft schnell im Verhältniß seiner Heftigkeit. Wirklich bestätigte Paganel am Morgen des 21., daß der übernormale Wasserstand im Sinken sei. Er theilte Glenarvan dieses Resultat seiner Beobachtungen mit.

»Ja, was nützt das aber nun?« antwortete Glenarvan, »es ist zu spät!«

»Doch ist das kein Grund, unseren Aufenthalt hier noch zu verlängern,« warf der Major ein.

»Gewiß,« meinte auch John Mangles. »Morgen wahrscheinlich wird der Uebergang ausführbar sein.«

»Und wird das meine unglückliche Mannschaft retten?« rief Glenarvan.

»Belieben Ew. Herrlichkeit mich anzuhören,« sagte John Mangles. »Ich kenne Tom Austin. Er hatte Ihre Befehle auszuführen und abzufahren, sobald es möglich war. Aber wer sagt uns, daß er bereit war, daß die Havarien des Duncan ausgebessert waren, als Ben Joyce in Melbourne eintraf? Und wenn die Yacht nun nicht in See stechen konnte, und ein oder zwei Tage Aufenthalt erlitt!«

»Du hast Recht, John!« erwiderte Glenarvan. »Es gilt jetzt, Twofold-Bai zu erreichen. Wir sind nur fünfunddreißig Meilen von Delegete.«

»Ja wohl,« sagte Paganel, »und in dieser Stadt werden wir die schnellsten Transportmittel haben können. Wer weiß, ob wir nicht noch rechtzeitig eintreffen, um das Unglück abzuwenden.«

»Vorwärts denn!« rief Glenarvan.

Sofort gingen John Mangles und Wilson daran, ein Fahrzeug von großen Dimensionen herzustellen. Die Erfahrung hatte gelehrt, daß die Rindenstücke dem Strome nicht genug Widerstand leisteten. John fällte also Gummibäume, aus deren Stämmen er ein rohes, aber haltbares Floß herstellte. Die Arbeit war lang und der Tag verging ohne Beendigung des Werkes. Erst am nächstfolgenden ward es vollendet.

Der Wasserstand des Snowy war nun auch merklich zurückgegangen. Der Wirbelstrom wurde zum Flusse, wenn auch zu einem schnellströmenden. Dennoch hoffte John, wenn man auch eine schräge Linie einhielt und die Strömung nur zum Theile beherrschte, das andere Ufer zu erreichen.

Um halb ein Uhr schiffte man Alles ein, was Jeder für eine Tour von zwei Tagen an Lebensmitteln mitnehmen konnte. Der Rest, nebst dem Wagen und dem Zelte, wurde zurückgelassen. Mit Mulrady ging es so gut, daß er schon transportfähig war; seine Wiederherstellung machte eilige Fortschritte.

Um ein Uhr nahmen Alle auf dem Flosse Platz, das eine Leine am Ufer hielt. John Mangles hatte am Steuerbord eine Art Ruder eingerichtet, welches Wilson zu führen hatte, um den Apparat etwas gegen den Strom zu halten und seine Abweichung zu vermindern. Er selbst stand am Hintertheile und suchte mit einem rohen Bootsriemen etwas zu steuern. Lady Helena und Miß Grant nahmen an Mulrady's Seite die Mitte des Flosses ein und waren von Glenarvan, dem Major, Paganel und Robert umringt, welche für den Nothfall zu ihrer Hilfe bereit waren.

»Sind wir fertig, Wilson?« fragte John Mangles seinen Matrosen.

»Ja, Kapitän,« erwiderte Wilson, der sein Ruder mit kräftiger Faust ergriff.

»Achtung also, und halte uns gegen den Strom.«

John Mangles band das Floß los, und mit einem kräftigen Stoße trieb er es in die Wellen des Snowy. Die ersten fünfzehn Klafter weit ging Alles zum besten. Wilson vermochte der Abweichung zu widerstehen. Aber bald wurde das Fahrzeug von einem Wirbel erfaßt; es drehte sich um sich selbst, ohne daß weder Ruder noch Riemen es in gerader Richtung erhalten konnten. Trotz ihrer Anstrengungen waren Wilson und John Mangles bald in gerade umgekehrter Stellung, die eine Benutzung der Ruder völlig unmöglich machte.

Man mußte sich fügen, denn es gab kein Mittel, diesen Wirbelbewegungen des Flosses zu steuern. Es drehte sich mit schwindelnder Schnelle und wich dabei ab. John Mangles stand aufrecht, mit blassem Gesicht und knirschenden Zähnen, und sah auf das wirbelnde Wasser.

Indessen trieb das Floß in der Mitte des Snowy; es befand sich von seiner Abfahrtsstelle eine halbe Meile stromab. Dort hatte die Strömung ihre größte Gewalt, aber da sie damit die Wirbel brach, verlieh sie dem Apparate sogar einigen Halt.

John und Wilson ergriffen ihre Ruder wieder und gelangten dazu, das Fahrzeug in einer schrägen Richtung fortzubewegen. In Folge dieses Manoeuvres näherte man sich jetzt mehr dem linken Ufer. Nur fünfzig Klafter waren sie noch davon entfernt, als Wilson's Ruder glatt wegbrach. Das nicht mehr gehaltene Floß wurde abwärts getrieben. John wollte auf die Gefahr hin, auch seinen Riemen zu zerbrechen, widerstehen. Wilson vereinte, mit schon blutenden Händen, seine Anstrengungen mit den seinen.

Endlich gelang es, und das Floß stieß nach einer mehr als halbstündigen Ueberfahrt an das steile Ufer des Stromes. Der Stoß war heftig; die Stämme wichen auseinander, die Stricke rissen, und wirbelnd drang das Wasser vor. Die Reisenden hatten nur Zeit, sich an die überhangenden Ufergebüsche anzuklammern. Sie zogen Mulrady und die beiden halberstarrten Frauen zu sich. Kurz, Alle wurden gerettet, aber der größte Theil der eingeschifften Nahrungsmittel und die Waffen, mit Ausnahme des Karabiners des Majors, trieben mit den Trümmern des Flosses hinab.

Der Fluß war überschritten, aber fast mittellos befand sich die kleine Gesellschaft fünfunddreißig Meilen von Delegete, mitten in den unbekannten Wüsten an den Grenzen von Victoria. Dort begegnet man weder Colonisten, noch Squattern, denn die Gegend ist nicht bewohnt, außer von wilden und räuberischen Bushrangers.

Man beschloß also ohne Verzug weiter zu reisen. Mulrady sah wohl ein, daß er die Quelle von Verlegenheiten war; er verlangte also zurückzubleiben, und das sogar ganz allein, um Hilfe von Delegete aus zu erwarten.

Glenarvan schlug das ab. Er konnte Delegete nicht unter drei, die Küste nicht unter fünf Tagen, das heißt, am 26. Januar, erreichen. Seit dem 16. hatte der Duncan voraussichtlich Melbourne verlassen. Was verschlugen ihm einige Stunden Aufschub?

»Nein, mein Freund, ich will Niemanden verlassen. Wir werden eine Bahre herstellen und Dich abwechselnd tragen.«

Die Tragbahre wurde aus Eucalyptusästen, die mit Zweigen überdeckt wurden, hergestellt, und Mulrady mußte wohl oder übel darauf Platz nehmen. Glenarvan wollte selbst der Erste sein, seinen Matrosen zu tragen, und während er an dem einen Ende und Wilson am anderen anfaßte, setzte man sich in Gang.

Welch' trauriger Anblick, und wie übel endete diese so glückverheißend begonnene Reise! Jetzt suchte man nicht mehr nach Harry Grant. Dieses Land, wo er nicht war und nie gewesen war, drohte Denen, die seine Spuren suchten, verderblich zu werden. Und wenn nun seine kühnen Landsleute die australische Küste erreichten, sollten sie nun auch den Duncan nicht mehr vorfinden, um sie wieder heimzuführen!

Schweigend und peinvoll verging dieser erste Tag. Von zehn zu zehn Minuten löste man sich im Tragen der Bahre ab. Alle Begleiter des Matrosen unterzogen sich ohne eine Klage dieser Mühe, welche durch eine beträchtliche Hitze noch vergrößert wurde.

Abends lagerte man sich, nach Zurücklegung von nur fünf Meilen, unter einer Gruppe Gummibäume. Der Rest des Proviants, der dem Schiffbruch entgangen war, bildete die Abendmahlzeit. Jetzt war nur noch auf den Karabiner des Majors zu rechnen.

Die Nacht war garstig; es fiel auch noch Regen, und erst spät ward es Tag. Man setzte sich wieder in Gang. Nicht zu einem Schusse hatte der Major Veranlassung. Diese traurige Gegend war noch mehr als Einöde, da sie selbst nicht von Thieren belebt war.

Zum Glück entdeckte Robert ein Trappennest und in demselben ein Dutzend große Eier, welche Olbinett unter heißer Asche kochte.

Diese machten, nebst einigen Portulakpflanzen, welche im Grunde eines kleinen Hohlwegs wuchsen, am 22. das ganze Frühstück aus.

Der Weg wurde nun außerordentlich schwierig und schmerzensreich. Die sandigen Ebenen waren von »Spinefex« bedeckt, ein stacheliges Gras, das in Melbourne den Namen »Porc-épic« führt. Es zerriß die Kleider und verletzte die Füße. Trotzdem beklagten sich die muthigen Damen nicht; sie schritten tapfer mit gutem Beispiele voran, wobei sie Den und Jenen durch ein Wort oder einen Blick ermunterten.

Abends machte man am Fuße des Bulla-Bulla und an den Ufern des Jungalla-Flusses Rast. Das Abendessen wäre sehr mager ausgefallen, hätte nicht Mac Nabbs zuletzt noch ein großes Murmelthier, einen »Mus conditor« erlegt, der rücksichtlich des Nahrungswerthes in bestem Ansehen steht. Olbinett briet ihn, und jener hätte noch seinen guten Ruf übertroffen, wenn er – nur die Größe eines Hammels gehabt hätte. Indeß, man mußte sich begnügen und nagte ihn bis auf die Knochen ab.

Am 23. setzten sich die müden, aber immer entschlossenen Reisenden wieder in Gang. Nachdem sie den Fuß des Berges umzogen hatten, überschritten sie lange Wiesen, deren Gräser aus Wallfischbarten zu bestehen schienen. Es war ein Wirrsal von Stacheln, ein Gemenge spitziger Bajonnette, durch welche ein Weg erst mit Hilfe des Beiles oder des Feuers gebahnt werden mußte.

An eben diesem Morgen war von keinem Frühstück die Rede. Es kann nichts so Dürres geben, als diese mit Quarzbrocken besäete Gegend. Nun machte sich aber nicht allein der Hunger, sondern auch ein quälender Durst fühlbar. Eine glühende Atmosphäre verdoppelte diese Qualen. Nicht eine halbe Meile in der Stunde legte Glenarvan mit den Seinen zurück. Wenn dieser Mangel an Wasser und Lebensmitteln bis zum Abend andauerte, so wären sie wohl auf diesem Wege umgefallen, um nicht wieder aufzustehen.

Wenn dem Menschen aber Alles fehlt, wenn er aller Hilfsmittel baar vor dem Augenblicke steht, wo er die Stunde zum Erliegen in der Noth gekommen wähnt, gerade dann offenbart sich die eingreifende Hand der Vorsehung.

Wasser lieferte sie in den »Cephaloten«, einer Art Blumenkelche, welche, mit wohlschmeckender Flüssigkeit gefüllt, von den Aesten eines korallenförmigen Strauches herabhingen. Alle erquickten sich daran und fühlten sich von neuem Leben durchströmt.

Die Nahrung bestand in derselben, welche die Eingeborenen genießen, wenn Wild, Insecten und Schlangen zu fehlen anfangen.

In dem ausgetrockneten Bette eines Flusses entdeckte Paganel eine Pflanze, deren vortreffliche Eigenschaften ihn öfters von einem Collegen aus der Geographischen Gesellschaft beschrieben worden waren.

Es war das der »Nardou«, eine Kryptogame aus der Familie der Wasserlinsen, dieselbe Pflanze, welche Burke und King in den Wüsten des Binnenlandes das Leben gefristet hatte.

Unter ihren kleeähnlichen Blättern saßen trockene Keimkörperchen von der Größe einer Linse, die, zwischen zwei Steinen gemahlen, eine Art Mehl liefern. Daraus wurde ein grobes Brod hergestellt, das doch die Qualen des Hungers stillte.

Diese Pflanze fand sich hier sehr reichlich vor; Olbinett ließ davon eine so große Menge einsammeln, daß die Ernährung der Gesellschaft damit auf mehrere Tage gesichert war.

Am andern Tage, am 24., machte Mulrady einen Theil des Weges zu Fuße. Seine Wunde war völlig vernarbt. Die Stadt Delegete war nun blos noch zehn Meilen entfernt, und am Abend lagerte man unter 149° der Länge auf der Grenze von Neu-Süd-Wales.

Ein feiner und durchdringender Regen fiel seit mehreren Stunden. Sie wären ganz obdachlos gewesen, wenn John Mangles nicht zufällig eine verlassene und zerfallene Schnitterhütte entdeckt hätte. Man mußte sich mit dieser elenden, aus Zweigen und Stroh bestehenden Zuflucht begnügen. Wilson wollte zum Backen des Nardou-Brodes Feuer anzünden und sammelte zu dem Ende dürres Holz, welches auf dem Boden umherlag.

Als er es aber anzünden wollte, gelang es ihm nicht; die große Masse eines thonartigen Stoffes, den es enthielt, verhinderte seine Entzündung. Es war dies das unverbrennliche Holz, dessen Paganel in seiner Aufzählung australischer Producte Erwähnung gethan hatte.

Man mußte also auf das Feuer, in Folge dessen aber auch auf Brod verzichten und sich in der nassen Kleidung schlafen legen, während die in den hohen Aesten versteckten Spottvögel die bedauernswerthen Reisenden noch zu verlachen schienen.

Doch war Glenarvan nun am Ende seiner Leiden. Es war die höchste Zeit. Die beiden jungen Damen machten heroische Anstrengungen, aber ihre Kräfte nahmen stündlich ab. Sie gingen nicht mehr, sie schleppten sich nur.

Am andern Tage brach man mit der Morgenröthe auf. Um elf Uhr kam Delegete in Sicht, das in der Grafschaft Wellesley, fünfzig Meilen von der Twofold-Bai, gelegen ist.

Dort waren neue Transportmittel bald beschafft. Da er sich so nahe der Küste wußte, zog auch wieder neue Hoffnung in Glenarvan's Herz. Vielleicht wäre er bei weniger Verzögerung noch vor dem Duncan dort angekommen. In vierundzwanzig Stunden sollte er nun bei der Bai anlangen!

Zu Mittag verließen nach erquickender Ruhe alle Reisenden in einer mit fünf kräftigen Pferden bespannten Postkutsche Delegete schon wieder. Die Postillone führten, auf das Versprechen eines reichlichen Trinkgeldes, den schnellen Wagen auf einer wohlgehaltenen Straße dahin. Nicht zwei Minuten verloren sie beim Wechseln der Pferde, welches von zehn zu zehn Meilen statt fand. Es schien, als hätte Lord Glenarvan das Feuer, das ihn selbst verzehrte, auch ihnen mitgetheilt.

Den ganzen Tag und auch die Nacht hindurch fuhr man mit einer Geschwindigkeit von sechs Meilen die Stunde.

Am andern Tage verkündete bei Sonnenaufgang ein dumpfes Murmeln die Nähe des indischen Oceans. Man mußte um die Bai herumfahren, um ihr Ufer am siebenunddreißigsten Grade der Breite, genau an dem Punkte, wo Tom Austin die Reisenden erwarten sollte, zu erreichen.

Als das Meer sichtbar wurde, richteten sich Aller Augen suchend in die Ferne. War der Duncan wohl durch ein Wunder der Vorsehung da, hin und her fahrend, wie einen Monat vorher, bei der Ueberlandreise nach Cap Corrientes, an der argentinischen Küste?

Nichts war sichtbar. Himmel und Wasser verschwammen am Horizonte. Kein Segel belebte den weiten Ocean.

Eine Hoffnung war noch übrig. Vielleicht hatte Tom Austin in der Twofold-Bai selbst ankern zu sollen geglaubt. Das Meer war hier gefährlich, und ein Schiff war in der Nähe derartiger Küstenstrecken nicht sicher.

»Nach Eden!« befahl Lord Glenarvan.

Sogleich schlug der Wagen den Weg ein, der an dem Ufer der Bai hinführte, und fuhr nach der fünf Meilen entfernten kleinen Stadt Eden.

Die Postillone hielten unfern des Signalfeuers, welches den Zugang zum Hafen bezeichnet. Einige Fahrzeuge ankerten auf der Rhede, aber auf keinem Maste flatterte die Flagge von Malcolm.

Glenarvan, John Mangles und Paganel verließen den Wagen, eilten nach der Douane und fragten die Beamten und alle in den letzten Tagen Angekommenen aus.

Seit einer Woche war kein Schiff in die Bai eingelaufen.

»Sollte er nicht abgefahren sein!« rief Glenarvan, der durch einen gewissen, dem Menschenherzen so nahe liegenden Hoffnungsschimmer noch nicht verzweifeln wollte. »Vielleicht sind wir noch vor ihm angekommen!«

John Mangles senkte den Kopf. Er kannte Tom Austin. Sein zweiter Officier würde die Ausführung eines Befehles nie um zehn Tage verzögert haben.

»Ich muß wissen, woran ich bin, sagte Glenarvan, die Gewißheit ist immer besser als der Zweifel!«

Eine Viertelstunde später wurde an den Syndicus der Schiffsmäkler in Melbourne ein Telegramm abgelassen. Dann ließen sich die Reisenden nach dem Hotel Victoria führen.

Zwei Stunden später kam die telegraphische Antwort an Glenarvan zurück, welche folgendermaßen lautete:

»Lord Glenarvan, Eden.

Twofold-Bai.

Duncan ist am 18., unbekannt wohin, abgesegelt.

J. Andrew. S.-M.«

Die Depesche entfiel Glenarvan's Händen.

Es war kein Zweifel mehr! Die schöne schottische Yacht war in Ben Joyce's Händen zu einem Piratenschiffe geworden!

So endete diese unter so verheißenden Aussichten begonnene Reise durch Australien. Die Spuren des Kapitän Grant und der Schiffbrüchigen schienen unwiderruflich verloren; dieser Mißerfolg kostete einer ganzen Schiffsbesatzung das Leben.

Lord Glenarvan unterlag in dem Streite, und diesen unerschrockenen Forscher, den selbst die verschworenen Elemente nicht in den Pampas aufzuhalten vermochten, mußte die Schlechtigkeit der Menschen nun auf dem Australischen Continente überwinden.

 

Ende des zweiten Bandes.

 


 << zurück