Jules Verne
Die Kinder des Kapitän Grant.Zweiter Band
Jules Verne

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Neunzehntes Capitel.
Ein Theater-Coup.

Es war eine ganz abscheuliche Nacht. Um zwei Uhr Morgens fing es an zu regnen und bis in den Tag hinein ergossen sich die Gewitterwolken in Strömen. Das Zelt gewährte ungenügenden Schutz, so daß sich Glenarvan und seine Gefährten in das Gefährt zurückzogen. An Schlafen war nicht zu denken, man plauderte über dies und jenes. Nur der Major, dessen kurze Abwesenheit Niemandem aufgefallen war, bildete den stummen Zuhörer. Aber der schreckliche Platzregen strömte unaufhörlich. Man befürchtete deshalb mit Recht, daß der Snowy austreten möge, was für das Gefährt, das im aufgeweichten Boden stak, sehr bedenklich war.

Mehr als einmal gingen Mulrady, Ayrton und John Mangles und untersuchten den Stand des Wassers, und kamen jedesmal von Kopf bis zu Füßen durchweicht zurück.

Endlich wurde es Tag. Es hörte auf zu regnen, aber die Sonnenstrahlen vermochten noch nicht durch die dichte Wolkenschicht zu dringen. Auf dem Boden standen große Lachen gelben Wassers, trübe, schlammige Teiche. Aus dem aufgerührten Boden stiegen fortwährend feuchtwarme Dünste auf und sättigten die Atmosphäre mit gesundheitsschädlichen Miasmen.

Glenarvan hatte von allem Anfang an Sorge um das Gefährt gehabt, denn es war in seinen Augen die Hauptsache. Als man jetzt das plumpe Fahrzeug untersuchte, fand man, daß es mit dem Boden zugleich niedergesunken sei und mitten im zähen Lehm stak; das Vordergestell war fast total verschwunden, das Hintergestell aber bis an die Räderachse.

Man sah ein, daß selbst, wenn Alle, Menschen wie Thiere, ihre äußersten Kräfte aufböten, es seine Noth haben würde, die schwere Maschine wieder in die Höhe zu bringen.

»In jedem Fall,« sagte John Mangles, »muß hier schnell gehandelt werden. Denn wenn dieser Thon erst trocken geworden, erschwert er uns die Arbeit sehr.«

»Also rasch an's Werk!« bemerkte Ayrton.

Glenarvan also machte sich mit seinen beiden Matrosen nebst John Mangles und Ayrton nach dem Gehölz auf, wo die Thiere des Nachts über gewesen waren.

Es war ein Hochwald von Gummibäumen, der einen traurigen Anblick bot. Lauter abgestorbene Stämme standen da in großen Zwischenräumen, seit Jahrhunderten ihrer Rinde entkleidet, wie Korkeichen zur Erntezeit.

Bis zu zweihundert Fuß streckten sie das magere Netz ihrer entlaubten Aeste in die Luft und kein Vogel nistete in dem durchsichtigen Skelett, nicht ein Blatt regte sich in dem vertrockneten Geäst.

Und aus welchem Grunde ist eine solche Erscheinung, die in Australien sehr häufig beobachtet wird, daß ganze Wälder von einer tödtlichen Epidemie befallen werden, herzuleiten? Man weiß es nicht. Weder die ältesten Eingeborenen, noch ihre bereits lange in den Särgen ruhenden Vorfahren haben sie jemals im grünen Zustande gesehen.

Während Glenarvan fortwährend weiter ging und nach dem grauen Himmel aufschaute, auf dem sich auch die kleinsten Zweige der Gummibäume wie feine Zeichnungen abhoben, gerieth Ayrton in Erstaunen, daß sich die Pferde und Ochsen nicht mehr an der Stelle fanden, wo sie hingebracht waren. Doch da die Thiere mit Spannketten gefesselt wurden, konnten sie unmöglich weit fort sein.

Man suchte also nach ihnen im Walde, doch vergebens. Ayrton wußte nicht, was er sagen sollte. Er begab sich nach dem Snowy-Fluß, an dessen Ufer prächtige Mimosen stehen, zurück, ohne sie gefunden zu haben. Er ließ jetzt seinen Ruf vernehmen, den sein Gespann wohl kannte, aber kein Laut kam zurück. Der Quartiermeister schien immer unruhiger, und seine Gefährten sahen sich mit sehr verlegenen Mienen an.

Nachdem eine Stunde bereits mit vergeblichem Nachforschen verflossen war und Glenarvan schon zu dem etwa eine Meile entfernten Gefährt zurückzukehren im Begriff war, drang ein Wiehern an sein Ohr. Bald darauf ließ sich auch ein Brüllen vernehmen.

»Dort sind sie!« rief John Mangles und schlich durch das hohe Buschwerk, das im Stande gewesen wäre, eine ganze Heerde zu verdecken.

Glenarvan, Mulrady und Ayrton folgten seinen Spuren und theilten alsbald sein Erstaunen.

Zwei von den Ochsen und drei von den Pferden lagen da, zu Boden gestreckt, wie vom Schlage getroffen, gleich den anderen. Schon waren ihre Cadaver kalt und eine Schaar hungriger Raben krächzte unter den Mimosen und lauerte auf die unerwartete Beute.

Glenarvan und seine Gefährten warfen sich Blicke zu, und Wilson konnte nicht umhin, zu fluchen, wie es ihm in den Mund kam.

»Sei ruhig, Wilson,« sprach zu ihm Lord Glenarvan, der sich übrigens auch nur zur Noth zusammennehmen konnte, »was hilft das jetzt.«

»Ayrton,« sprach er zu diesem, »nehmen Sie den übrig gebliebenen Ochsen und das Pferd mit. Es wird gut sein, daß wir uns bald aus der Verlegenheit ziehen.«

»Wenn das Gefährt nicht im Morast stäke,« meinte John Mangles, »könnten selbst diese beiden Thiere uns in zwei kleinen Tagereisen bis an die Küste bringen. Wir müssen jetzt unter allen Umständen das verfluchte Fahrzeug frei machen.«

»Wir wollen es versuchen, John,« entgegnete ihm Glenarvan. »Kehren wir also jetzt zum Lager zurück, wo man ohnehin über unser langes Ausbleiben unruhig sein wird.«

Ayrton nahm dem Ochsen die Spannriemen ab, und Mulrady dem Pferde, und so zog man denn an dem gewundenen Ufer des Flusses hin.

Eine halbe Stunde später wußten sowohl Paganel wie Mac Nabbs, Lady Helena und Miß Grant, woran man war.

»Den Teufel auch!« rief der Major gegen Ayrton, »schade, daß Sie nicht gleich alle unsere Thiere beim Uebergang über die Wimerra beschlagen ließen.«

»Wie so, mein Herr?« fragte Ayrton.

»Von allen unseren Pferden ist gerade das, welches unter den Händen Ihres Hufschmiedes gewesen ist, dem gemeinsamen Schicksale allein entgangen.«

»In der That,« sagte John Mangles, »es ist ein sonderbarer Zufall.«

»Nur Zufall, allerdings, und nichts weiter«, entgegnete der Quartiermeister, und sah dem Major fest in's Auge.

Mac Nabbs preßte die Lippen auf einander, als wenn er, was ihm auf der Zunge schwebte, zurückhalten wollte. Glenarvan, Mangles und Lady Helena schienen darauf zu warten, daß er seinen Gedanken weiter aussprechen werde, aber der Major schwieg und wandte sich nach dem Wagen hin, den Ayrton jetzt in Untersuchung gezogen.

»Was hat er eigentlich damit sagen wollen?« fragte Glenarvan John Mangles.

»Ich weiß es auch nicht,« erwiderte der junge Kapitän. »Immerhin ist der Major kein Mensch, der Etwas ohne Grund sagt.«

»Da haben Sie Recht, John,« meinte Lady Helena. »Mac Nabbs muß irgend welchen Verdacht gegen Ayrton haben.«

»Verdacht?« sagte Paganel mit Achselzucken.

»Was meinen Sie?« erwiderte Glenarvan. »Kann er es für möglich halten, daß er uns die Thiere getödtet habe? Zu welchem Zweck soll er es gethan haben? Ist denn Ayrton's Interesse nicht ein und dasselbe mit dem unsern?«

»Du hast Recht, lieber Edward,« sagte Lady Helena, »und ich füge noch hinzu, daß uns der Quartiermeister von Anfang unserer Reise an unleugbar Proben von Treue gegeben hat.«

»Allerdings,« erwiderte John Mangles. »Aber was hat es dann mit der Bemerkung des Majors für eine Bewandtniß? Ich muß der Sache auf den Grund kommen.«

»Meint er denn, er sei mit den Sträflingen im Einverständniß? . . .« rief Paganel unvorsichtig.

»Was für Sträflinge?« fragte Miß Grant.

»Herr Paganel ist im Irrthum,« erwiderte John Mangles lebhaft. »Er weiß doch, daß es in der Provinz Victoria keine Sträflinge giebt.«

»Ei wahrhaftig!« erwiderte Paganel, der gerne seine Worte nicht ausgesprochen hätte. »Wo zum Teufel hatte ich auch meinen Kopf? In Australien giebts keine Sträflinge, denn so wie sie ausgeschifft sind, werden die Missethäter ehrliche Leute! Das Klima, wissen Sie, Miß Mary, wirkt bessernd auf die Sitten . . .«

Es erging dem armen Gelehrten, als er seine Uebereilung wieder gut machen wollte, ähnlich wie dem Wagen; er gerieth nur tiefer hinein.

Lady Helena sah ihn an, was ihn ganz außer Fassung brachte. Aber sie wollte ihn nicht noch mehr verlegen machen, und nahm deshalb Miß Mary mit fort nach dem Zelt, wo Mr. Olbinett gerade das Frühstück nach den Regeln der Kunst zubereitete.

»Eigentlich hätte ich es verdient, wegtransportirt zu werden,« sagte Paganel in kläglichem Tone.

»Das denke ich auch«, erwiderte Glenarvan.

Da diese Antwort ernstlich gemeint schien, mußte sie für den würdigen Geographen demüthigend sein. Glenarvan und John Mangles begaben sich jetzt auch nach dem Wagen hinüber.

Ayrton und die beiden Matrosen waren eben damit beschäftigt, ihn wieder aus seiner tiefen Versenkung herauszuziehen. Sowohl der Ochse wie das Pferd, die zusammengespannt waren, boten alle ihre Muskelkraft auf; die Zugriemen waren schon bis zum Zerreißen gespannt, und ebenso konnten die Halsjoche unmöglich noch lange halten.

Wilson und Mulrady schoben an den Rädern, während der Quartiermeister das ungleiche Gespann mit Zuruf und Treibstachel spornte. Aber das schwerfällige Gefährt rührte sich nicht von der Stelle. In dem Thon, der bereits trocken geworden war, wurde es so fest zurückgehalten, als wenn es in hydraulischen Cement eingelassen wäre.

John Mangles ließ jetzt, um ihn nachgiebiger zu machen, den Thon benetzen, aber auch das war vergebens. Das Gefährt blieb unbeweglich. Noch einmal machten Menschen sowohl wie Thiere einen Versuch mit Aufgebot aller ihrer Kräfte. Wofern man nicht die Maschine Stück für Stück auseinander nahm, mußte man darauf verzichten, sie aus dem Schlammloche zu ziehen. Und wenn das Werkzeug fehlte, konnte man selbst an so etwas nicht denken.

Ayrton, der um jeden Preis die Schwierigkeiten überwinden zu wollen schien, war eben daran, von Neuem alle Kräfte aufzubieten, als Lord Glenarvan dazukam und ihn anrief:

»Halt, Ayrton, es ist genug. Wir müssen die beiden Thiere, die uns geblieben, nothwendig schonen. Während wir unsere Reise zu Fuß fortsetzen, kann das eine von ihnen unsere Damen, das andere unsere Vorräthe fortschaffen. Also können sie uns noch ganz gute Dienste erweisen.«

»Gewiß, Mylord,« entgegnete der Quartiermeister, und spannte die erschöpften Thiere aus.

»Kommen Sie jetzt, meine Herren,« sagte Glenarvan, »und lassen Sie uns zu unserer Lagerstätte zurückgehen, dort die Situation in Erwägung ziehen und zusehen, was für gute und was für schlimme Aussichten sind, und danach dann unsere Entschließung fassen.«

Nach einer kleinen Weile erholten sich unsere Reisenden von dieser schlimmen Nacht durch ein ganz leidliches Déjeuner. Gleichzeitig wurde die Berathung eröffnet und jeder aufgefordert, seine Meinung abzugeben.

Vor Allem indeß handelte es sich darum, den geographischen Ort des Lagers ganz genau zu wissen. Paganel, dem diese Sorge zufiel, machte die Bestimmung mit der gewünschten Schärfe. Nach seiner Berechnung befand sich die Expedition auf dem siebenunddreißigsten Parallelkreis und zwar 147°53' östlicher Lange, am Ufer des Snowy-Flusses.

»Und welches ist genau die Lage der Twofold-Baiküste?« fragte Glenarvan.

»Einhundertundfünfzig Grad,« antwortete Paganel.

»Das wäre also ein Unterschied von zwei Graden und sieben Minuten? . . .«

»Ja wohl von fünfundsiebenzig Meilen.«

»Und Melbourne liegt? . . .«

»Mindestens zweihundert Meilen entfernt.«

»Gut. Da unsere Lage nun genau bestimmt ist, was soll nunmehr geschehen?«

Die Antwort lautete einstimmig: Ohne Verzug nach der Küste sich begeben. Sogar Lady Helena und Mary Grant machten sich anheischig, täglich fünf (englische) Meilen zurückzulegen. Die muthigen Frauen schreckten nicht vor dem Gedanken zurück, die Strecken zwischen dem Snowy-Flusse und der Twofold-Bai, wenn es sein müßte, zu Fuße zu gehen.

»Du bist meine wackere Reisegefährtin, liebe Helena,« meinte Lord Glenarvan. »Aber finden wir,« fragte er, »auch sicher, wenn wir an der Bai ankommen, die Hilfsquellen, deren wir benöthigen?«

»Ohne allen Zweifel,« entgegnete Paganel. »Eden ist eine Municipalstadt, die schon seit einer Reihe von Jahren besteht. Zwischen ihrem Hafen und Melbourne muß sogar ein ziemlich lebhafter Verkehr stattfinden. Ich vermuthe auch, daß wir fünfunddreißig Meilen von hier, zu Delegete, an der Grenze von Victoria, uns frisch verproviantiren können und genügende Transportmittel finden.«

»Und wie ist es mit dem Duncan,« fragte Ayrton, »halten Sie es nicht für angemessen, ihm Meldung zu senden und ihn in die Bai kommen zu lassen?«

»Was halten Sie davon, John,« fragte Glenarvan.

»Ich glaube nicht, daß Ew. Herrlichkeit diesen Punkt beeilen soll,« erwiderte der junge Kapitän, nachdem er darüber sich besonnen. »Es wird noch immer Zeit genug sein, Ihre Befehle Tom Austin zu ertheilen und ihn an die Küste kommen zu lassen.«

»Das ist allerdings klar,« fügte Paganel hinzu.

»Bedenken Sie,« sprach John Mangles weiter, »daß wir in vier bis fünf Tagen bereits in Eden sind.«

»Sie meinen, in vier, fünf Tagen!« entgegnete Ayrton kopfschüttelnd. »Sagen Sie in vierzehn bis zwanzig Tagen, Kapitän, wenn Ihnen Ihr Irrthum nicht später leid sein soll.«

»Zu fünfundsiebenzig Meilen vierzehn bis zwanzig Tage!« rief Glenarvan.

»Mindestens, Mylord. Sie müssen ja den schwierigsten Theil von Victoria durchreisen, eine wahre Einöde, wo Alles fehlt, sagen die Squatters, durch große Strecken Gebüsch, ohne gebahnten Weg, wo sich bis jetzt noch keine Stationen errichten ließen. Nur mit dem Beil oder mit der Fackel in der Hand können Sie marschiren, und glauben Sie mir, rasch werden Sie nicht weiter kommen.«

Ayrton hatte mit fester Stimme gesprochen. Paganel, auf den sich jetzt alle Blicke fragend richteten, erklärte sich durch ein Kopfnicken mit den Worten des Quartiermeisters einverstanden.

»Nun also diese Schwierigkeit zugegeben,« bemerkte John Mangles, »so werden Ew. Herrlichkeit Ihre Befehle in vierzehn Tagen an den Duncan gelangen lassen.«

»Ich muß noch weiter sagen,« fuhr Ayrton fort, »daß die Schwierigkeiten des Weges nicht das Haupthinderniß sind; denn es wird sich auch darum handeln, über den Snowy zu setzen und wahrscheinlich das Fallen seines Wassers abzuwarten.«

»Abzuwarten!« rief der junge Kapitän. »Läßt sich keine Furth aussuchen?«

»Ich glaube schwerlich,« entgegnete Ayrton. »Heute Morgen habe ich ihn vergebens nach einem geeigneten Uebergang abgesucht. Man findet einen solchen überhaupt selten bei einem Flusse, der in dieser Jahreszeit so reißend ist; es ist das ein leidiger Umstand, wider den ich nichts vermag.«

»Ist denn der Snowy so breit,« fragte Lady Glenarvan.

»Breit und tief, meine Dame,« antwortete Ayrton; »ja wohl eine Meile breit und furchtbar reißend. Selbst ein guter Schwimmer käme nicht ohne Gefahr hinüber.«

»Nun, dann bauen wir uns ein Boot!« rief Robert, dem die Sache durchaus nicht bedenklich schien. »Ein Baum wird gefällt und ausgehöhlt, und dann setzen wir uns hinein. Was ist da weiter?«

»Sieh einmal einer den Sohn des Kapitän Grant!« sagte Paganel.

»Er hat ganz recht,« meinte John Mangles. »Es wird uns gar nichts Anderes übrig bleiben; und ich finde es ganz zwecklos, weitere Zeit mit Discussionen zu verlieren.«

»Was denken Sie darüber, Ayrton,« fragte Glenarvan.

»Meiner Ansicht nach, mein Herr, werden wir, wenn uns keine Hilfe kommt, in einem Monat noch immer an den Ufern des Snowy sein.«

»Nun, haben Sie einen besseren Plan?« fragte John Mangles mit einer gewissen Ungeduld.

»Ja, wenn der Duncan Melbourne verläßt und die östliche Küste zu gewinnen sucht.«

»So! Immer der Duncan! Aber in wie fern wird uns seine Anwesenheit in der Bai die Möglichkeit, auch dahin zu gelangen, erleichtern?«

Nachdem Ayrton einige Augenblicke nachgedacht, gab er eine ziemlich ausweichende Antwort.

»Ich will,« sagte er, »meine Meinung nicht aufnöthigen. Wenn ich etwas thue, so thue ich es in unser Aller Interesse, und ich stehe zur Verfügung und breche auf, sobald Ew. Herrlichkeit das Zeichen zum Aufbruch giebt.«

Er schlug die Arme übereinander.

»Das ist keine Antwort, Ayrton,« entgegnete Glenarvan. »Theilen Sie uns Ihren Plan mit, und wir wollen ihn sogleich besprechen. Was ist Ihr Vorschlag?«

Ayrton sprach darauf in ruhigem und festem Tone:

»Mein Vorschlag geht dahin, in dem hilflosen Zustande, in dem wir uns gegenwärtig befinden, nicht auf's Gerathewohl über den Snowy zu gehen. Hier, an dieser Stelle, müssen wir Unterstützung abwarten, und diese kann nur vom Duncan kommen. Lassen wir uns also hier nieder, wo es uns an Lebensmitteln nicht fehlt, und Einer von uns überbringe Tom Austin den Befehl, daß er in die Twofold-Bai einlaufen soll.«

Dieser unerwartete Vorschlag wurde mit einigem Erstaunen aufgenommen, und John Mangles verhehlte nicht, wie sehr er ihm mißfiel.

»Während dieser Zeit,« fuhr Ayrton fort, »wird entweder der Wasserstand des Snowy fallen, und es dann möglich sein, eine Furth durch ihn zu finden; oder, wenn Sie auf ein Uebersetzen mit einem Boote zurückkommen müssen, so haben wir Zeit dafür, es herzustellen. Das ist, Mylord, mein Vorschlag, den ich Ihrer Billigung vorlege.«

»Gut, Ayrton,« sagte Glenarvan jetzt. »Ihr Vorschlag verdient in ernste Erwägung gezogen zu werden. Seine größte Schattenseite ist die, daß er eine Verzögerung veranlaßt, aber er erspart auch wieder große Beschwerden, und vielleicht auch ernstliche Gefahren. Wie denken Sie darüber, meine Freunde?«

»Reden Sie, lieber Mac Nabbs,« sagte Lady Helena. »Seitdem wir berathen, hören Sie blos zu und lassen nur höchst selten ein Wort hören.«

»Da Sie mich denn nach meiner Meinung fragen,« erwiderte der Major, »so will ich sie Ihnen ganz offen heraus sagen. Ayrton hat, wie mir scheint, als Sachverständiger und vorsichtig gesprochen, und ich schließe mich seinem Vorschlage an.«

Man war auf eine solche Antwort desselben am wenigsten gefaßt, denn bis jetzt waren in Bezug auf diesen Gegenstand die Ansichten von Mac Nabbs und Ayrton immer auseinander gegangen. Auch Ayrton sah den Major ganz betroffen an. Paganel, Lady Helena und die Matrosen waren sehr geneigt, das Vorhaben des Quartiermeisters zu unterstützen. Nachdem der Major es gethan, trugen sie nicht das geringste Bedenken mehr.

Somit erklärte denn Glenarvan den Plan Ayrton's im Princip für angenommen. Zu John aber sprach er:

»Meinen Sie nicht, daß uns die Klugheit gebietet, so zu handeln, an den Ufern des Flusses zu bleiben, und auf die Transportmittel zu warten?«

»Ich meine,« erwiderte John Mangles, »wenn ein Bote von uns über den Snowy kommen kann, können wir es auch!«

Alles blickte auf den Quartiermeister; der aber lachte wie ein Mann, der seiner Sache sicher ist.

»Der Bote braucht gar nicht über den Fluß zu setzen,« entgegnete er.

»Ach so!«

»Er schlägt einfach die Straße nach Lucknow ein, die ihn direct nach Melbourne führt.«

»Zweihundertundfünfzig Meilen soll er zu Fuß zurücklegen!« rief der junge Kapitän.

»Nein, aber zu Pferde,« erwiderte Ayrton. »Es ist uns doch ein gutes Reitpferd geblieben. Damit läßt sich der Weg in vier Tagen machen. Rechnen Sie zwei Tage dazu, um mit dem Duncan in die Bai hinüber zu fahren, dann noch vierundzwanzig Stunden, um in das Lager zurückzukehren, so kommt eine Woche heraus, in welcher der Bote sammt der Mannschaft wieder hier sein kann.«

Der Major stimmte durch Kopfnicken den Worten Ayrton's bei, und es kam nur darauf an, den in Wahrheit wohl überlegten Plan auszuführen.

»Nun, meine Freunde, handelt es sich darum, unseren Boten zu wählen. Es wird, wie ich nicht verkenne, eine schwierige und gefahrvolle Reise sein. Wer will sich für seine Gefährten aufopfern und unsere Instructionen nach Melbourne bringen?«

Unverzüglich erboten sich dazu Wilson, Mulrady, John Mangles, Paganel und selbst Robert. John namentlich bestand fast eigensinnig darauf, daß ihm diese Mission übertragen werde. Da ergriff Ayrton, der sich bis jetzt noch nicht gemeldet hatte, das Wort und sagte:

»Wenn es Ew. Herrlichkeit recht ist, so will ich die Reise auf mich nehmen. Ich kenne doch das Land einigermaßen. Wie oft schon bin ich durch seine gefährlichsten Strecken gereist. Ich finde mich da heraus, wo ein Anderer unfehlbar hängen bleibt. Ich bitte deshalb in gemeinsamem Interesse, mich nach Melbourne begeben zu dürfen. Es genügt ein Wort, um mich bei Ihrem Stellvertreter zu accreditiren, und in sechs Tagen verpflichte ich mich, den Duncan in die Twofold-Bai hinüber zu führen.«

»Gut gesprochen,« entgegnete Glenarvan. »Sie sind ein Mann von Einsicht und Muth, und Sie werden wohl auch Glück haben.«

Offenbar war der Quartiermeister geeigneter als irgend ein Anderer, diese schwierige Mission auszuführen. Das sah ein Jeder ein, und beschied sich. Nur John Mangles machte einen letzten Einwand, indem er sagte, die Anwesenheit Ayrton's sei durchaus nothwendig zur Auffindung der Spuren der Britannia oder Harry Grant's. Aber der Major entgegnete ihm, die Expedition bliebe an den Ufern des Snowy gelagert, bis Ayrton zurückkomme, und daß es gar nicht in der Absicht liege, ohne ihn die wichtige Nachforschung anzustellen, folglich könne auch seine Abwesenheit die Interessen des Kapitäns in keinerlei Weise beeinträchtigen.

»So reisen Sie denn also, Ayrton,« sagte Glenarvan. »Lassen Sie sich die Sache angelegen sein und kommen Sie über Eden nach unserem Lager am Snowy zurück.«

Des Quartiermeisters Auge glänzte im Gefühl der Befriedigung. Er wandte das Gesicht ab, aber, so schnell er es immer that, John Mangles war es doch aufgefallen. Instinctmäßig fühlte John, wie sein Verdacht gegen Ayrton nur zunahm.

Der Quartiermeister traf nun seine Vorkehrungen zur Abreise, wobei ihm die beiden Matrosen zur Hand gingen, indem der eine sein Pferd, der andere die Reisevorräthe besorgte. Unterdessen schrieb Glenarvan den Brief an Tom Austin.

Er befahl dem Unterbefehlshaber des Duncan, sich unverzüglich in die Bai Twofold zu begeben. Er empfahl ihm den Quartiermeister als einen Mann, der sein volles Vertrauen verdiene. Nach Ankunft an der Küste solle Tom Austin eine Abtheilung Matrosen der Yacht unter Ayrton's Befehl stellen . . .

Als Glenarvan an dieser Stelle seines Briefes war, fragte ihn Mac Nabbs, der ihm beim Schreiben zusah, in auffallendem Tone, wie er den Namen Ayrton schreibe.

»Ei nun, so wie man ihn ausspricht,« erwiderte Glenarvan.

»Das ist irrig,« fuhr der Major ruhig fort. »Man spricht ihn aus Ayrton, aber man schreibt ihn Ben Joyce!«

 


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