Jules Verne
Die Kinder des Kapitän Grant.Zweiter Band
Jules Verne

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Vierzehntes Capitel.
Die Minen des Alexander-Berges

Im Jahre 1844 entdeckte Sir Robert Impey Murchison, damals Präsident der Königlichen Geographischen Gesellschaft zu London, beim Studium der Gebirgsformationen sehr bemerkenswerte Aehnlichkeiten zwischen der Uralkette und dem Gebirgszuge, der sich unfern der Südküste Australiens von Norden nach Süden erstreckt.

Da nun der Ural ein goldführendes Gebirge ist, fragte sich der gelehrte Geolog, ob dieses kostbare Metall sich nicht auch in der australischen Cordillere wiederfinden möchte, und er täuschte sich nicht.

Wirklich wurden ihm zwei Jahre später einige Goldproben aus Neu-Süd-Wales zugesendet, und er entschied die Auswanderung einer großen Anzahl Arbeiter aus Cornwallis nach den Goldregionen Neu-Hollands.

Als der erste Anstoß gegeben war, strömten Minengräber aus allen Theilen der Erdkugel, und zwar Engländer, Amerikaner, Italiener, Franzosen, Deutsche und Chinesen, zusammen. Erst am 3. April 1851 entdeckte indessen Mr. Hargraves reiche Goldlager, und schlug dem Gouverneur der Provinz Sidney, Sir Ch. Fitz-Roy, vor, gegen die mäßige Summe von fünfhundert Pfund Sterling ihm Kenntniß von den Lagerstätten zu geben.

Sein Anerbieten wurde abgelehnt, doch das Gerücht von dieser Entdeckung verbreitete sich allerwärts. Die Goldsucher wandten sich nach Summerhill und dem Leni's Pond. Die Stadt Ophir ward gegründet und machte sich durch die ausgebeuteten Reichthümer bald ihres biblischen Namens würdig.

Bis dahin war von der Provinz Victoria noch gar nicht die Rede, sie sollte jedoch bald durch den Reichthum ihrer Goldlager weitaus die wichtigste werden.

Wirklich wurden einige Monate später, im August 1851, die ersten Goldgeschiebe der Provinz ausgegraben, und bald befanden sich vier Districte reichlich in Ausbeutung. Diese vier Districte waren die von Bellarat, vom Ovens, von Bentigo und der des Alexander-Berges. Sie waren alle sehr reich; beim Flusse Ovens aber erschwerte die große Wassermenge ungemein die Arbeit; in Bellarat täuschte eine sehr ungleiche Vertheilung des Goldes oft die Berechnungen der Suchenden; in Bentigo endlich entsprach der Erdboden nicht den Anforderungen der Arbeiter. Am Berge Alexander fanden sich alle Bedingungen des Erfolges bei einem gleichmäßigen Boden vereinigt, und dieses kostbare Metall, welches bis vierzehnhunderteinundvierzig FrancsGegen 1200 Mark. per Pfund galt, erreichte die höchste Taxe von allen Märkten der Welt.

Gerade über diesen an traurigen Verlusten und unverhofften Glückszufällen so reichen Ort führte der Weg auf dem siebenunddreißigsten Breitengrade die Sucher nach dem Kapitän Grant.

Nachdem sie am 31. December den ganzen Tag über auf sehr unebenem Terrain, welches Pferde und Stiere ermüdete, gezogen waren, kamen ihnen die abgerundeten Gipfel des Alexander-Berges zu Gesicht. Sie schlugen ihr Lager in einer engen Schlucht dieser kleinen Bergkette auf. Die Thiere suchten sich, mit den Spannriemen an den Füßen, ihr Futter selbst zwischen den Quarzblöcken, die da und dort den Boden bedeckten. Hier war noch nicht die Gegend der ausgebeuteten Terrain-Loose. Erst am anderen Tage, dem ersten des Jahres 1866, drückte ihr Gefährt seine Furchen in die Wege dieser überreichen Landschaft.

Jacques Paganel und seine Begleiter waren hoch erfreut, im Vorüberfahren jenen berühmten Berg, der in australischer Sprache Geboor heißt, zu sehen. Dahin strömte der ganze Schwarm von Abenteurern, Räubern und ehrlichen Leuten. Solche, welche hängen lassen, und Solche, welche es dazu bringen, daß man sie hängt.

Beim ersten Bekanntwerden jener großen Entdeckung, im Goldjahre 1851, wurden die Städte, die Felder und die Schiffe von den Bewohnern, den Anbauern und den Seeleuten verlassen. Das Goldfieber wurde epidemisch, ansteckend wie die Pest, und wie Viele gingen daran zu Grunde, die schon ihr Glück fest in der Hand zu halten glaubten! Die verschwenderische Natur hatte, so sagte man, Millionen über mehr als fünfundzwanzig Breitengrade in diesem Wunderlande Australien ausgesäet. Jetzt war die Zeit der Ernte, und die Schnitter eilten zum Einbringen derselben. Das Geschäft des »Diggers«, des Goldgräbers, stand allen anderen voran, und wenn auch nicht zu leugnen ist, daß Viele schon beim Anfange den Strapazen unterlagen, so gelangten doch auch Einige manchmal durch einen einzigen Hieb der Hacke zu Reichthümern. Man schwieg die mißlichen Fälle todt, und hing die Glücksfälle an die große Glocke. Die Letzteren fanden in allen fünf Erdtheilen ihr Echo. Bald strömte eine Fluth Ehrgeiziger aller Classen an den Küsten Australiens zusammen; während der letzten vier Monate des Jahres 1852 landeten in Melbourne allein vierundfünfzigtausend Auswanderer, eine Armee, aber ohne Führer, ohne Disciplin, eine Armee am Tage nach einem Siege, der noch nicht errungen war, kurz, vierundfünfzigtausend Raubgesellen der schlimmsten Art.

Während dieser ersten Jahre toller Trunkenheit herrschte eine unbeschreibliche Unordnung. Doch wußten sich die Engländer mit gewohnter Energie zu Herren der Situation zu machen. Die Policemen und die eingeborenen Gensdarmen verließen die Partei der Diebe zum Besten der ehrlichen Leute. Es trat nun ein Umschwung ein.

Auch Glenarvan sollte von den gewaltthätigen Auftritten des Jahres 1852 Nichts mehr sehen. Dreizehn Jahre waren schon seit dieser Zeit vergangen, und jetzt vollzog sich die Ausbeutung der Goldfelder mit Methode und nach den Vorschriften einer strengen Organisation.

Dazu begannen die Terrain-Loose sich auch zu erschöpfen. Bei der Hast, sie zu durchwühlen, kam man auf ihren Grund. Und wie hatte man nicht diese von der Natur aufgespeicherten Schätze ausgesaugt, da die Goldgräber von 1852 bis 1858 dem Erdboden von Victoria dreiundsechzig Millionen einhundertundsiebentausendvierhundertachtundsiebenzig Pfund SterlingsEintausendzweihundertzweiundsechzig Millionen einhundertneunundvierzigtausendfünfhundertundsechzig Mark = eine und eine Viertel Milliarde = sechshunderteinunddreißig Millionen vierundsiebenzigtausendsiebenhundertundachtzig österr. Gulden. entnommen haben? Die Auswanderer haben sich deshalb in bemerklichem Grade vermindert und haben sich auf noch unangetastete Gegenden geworfen. So werden die in Otago und in Marlborough auf Neu-Seeland neuentdeckten »Goldfelder« thatsächlich von Tausenden zweifüßiger ungefiederter Termiten durchlöchert.Immerhin ist es möglich, daß sich die Emigranten getäuscht haben. In der That sind die goldführenden Lager noch lange nicht erschöpft. Laut neueren Nachrichten aus Australien schätzt man die Loose von Victoria und Neu-Süd-Wales auf fünf Millionen Hectaren; das annähernde Gewicht des goldhaltigen Quarzes würde zwanzigtausendsechshundertundfünfzig Milliarden Kilogramm betragen und die Aufarbeitung desselben mit den gebräuchlichen Hilfsmitteln die Arbeit von hunderttausend Mann während dreier Jahrhunderte erfordern. In Summa schätzt man den Goldreichthum Australiens auf sechshundertvierundsechzig Milliarden zweihundertundfünfzig Millionen Francs = fünfhunderteinunddreißig Milliarden vierhundert Millionen Mark = zweihundertfünfundsechzig Milliarden siebenhundert Millionen österr. Gulden.

Gegen elf Uhr kam man im Mittelpunkte der Goldgräbereien an. Da erhob sich eine wirkliche Stadt mit Hüttenwerken, Bankgebäude, Kirche, Kaserne, Landhäuser und Journalbureaux; Hotels, Meiereien, Villen fehlten ebenso wenig. Auch gab es ein sehr besuchtes Theater mit Plätzen zu zehn Schilling. Mit großem Erfolge führte man dort ein locales Schauspiel, mit dem Titel »Francis Obadiah, oder der glückliche Digger« auf. Die Lösung desselben läuft darauf hinaus, daß der Held in der Verzweiflung noch einen letzten Hieb mit der Hacke thut, und einen Goldklumpen von ganz unglaublichem Gewicht findet.

Glenarvan ließ, da er begierig war, die weitverbreitete Ausbeutung des Alexander-Berges zu besuchen, den Wagen unter Ayrton's und Mulrady's Leitung vorausgehen, und wollte ihn einige Stunden später wieder treffen. Paganel war über diesen Entschluß hocherfreut und gab, ganz nach seiner Gewohnheit, den Führer und Erklärer für die kleine Gesellschaft ab.

Auf seinen Rath hin begab man sich nach der Bank. Die breiten Straßen waren macadamisirt und sorgfältig gesprengt. Ungeheure Anschlagzettel der Golden Company (limited), der Digger's General Office und der Nugget's Union fielen in die Augen. Die Association der Kräfte und des Kapitals waren an die Stelle des einzelnen Goldgräbers getreten. Ueberall hörte man die Maschinen arbeiten, welche den Sand wuschen oder den kostbaren Quarz pulverisirten.

Außerhalb der Wohngebäude erstreckten sich die Placers, das sind ausgedehnte zur Ausbeutung bestimmte Terrains. Dort arbeitete die Hacke der von den Gesellschaften angestellten und hochgelöhnten Grubenleute. Kein Auge vermochte alle die Löcher zu zählen, welche die Erde zum Siebe machten. Das Eisen der Spaten erglänzte in der Sonne und warf unaufhörlich strahlende Blitze zurück. Unter den Arbeitenden waren die Typen aller Nationen vertreten. Kein Streit war zu hören; als wohlbezahlte Leute vollendeten sie schweigend ihr Tagewerk.

»Deshalb darf man aber nicht glauben,« sagte Paganel, »daß auf australischem Boden kein einziger fieberhitziger Goldsucher mehr sei, der sein Glück vom Zufalle in den Goldminen abhängig machte. Ich weiß recht wohl, daß der größte Theil seine Arme den Compagnien vermiethet, und das geht nicht wohl anders, da die goldhaltigen Ländereien alle verkauft oder von der Regierung verpachtet sind. Für Denjenigen aber, der Nichts besitzt, der weder pachten, noch kaufen kann, giebt es doch noch einen Weg, sich zu bereichern.«

»Und welchen?« fragte Lady Helena.

»Durch den Gebrauch des ›Jumping‹«, erwiderte Paganel. »So könnten wir, die wir kein Recht auf diese Placers haben, dennoch, – versteht sich bei sehr günstigen Umständen – unser Glück machen.«

»Aber auf welche Weise?« fragte der Major.

»Durch das ›Jumping‹, wie ich eben die Ehre hatte, Ihnen zu sagen.«

»Aber was ist das Jumping?« fragte wiederholt der Major.

»Es ist das eine Art stillschweigender Uebereinkunft zwischen den Goldsuchern, die nicht selten heftige Auftritte und Unordnungen herbeiführt, welche die Behörden aber nie abzuschaffen vermochten.«

»Nun denn, Paganel,« sagte Mac Nabbs, »Sie machen ja, daß uns der Mund wässert.«

»Nun gut; es wird angenommen, daß jede Grube innerhalb des in Angriff genommenen Terrains, an welcher, mit Ausnahme der kirchlichen Festtage, vierundzwanzig Stunden lang nicht gearbeitet wird, der Allgemeinheit verfällt. Wer von ihr Besitz ergreift, kann darin graben und sich Reichthümer sammeln, wenn ihm der Himmel hilft. Also Robert, mein Sohn, suche ein verlassenes Loch zu finden, und es gehört Dir!«

»Herr Paganel,« sagte Mary Grant, »setzen Sie meinem Bruder nicht solche Gedanken in den Kopf.«

»Ich scherze ja nur, meine liebe Miß,« entgegnete Paganel, »und Robert weiß das sehr wohl. Er – und Goldgräber! Niemals! Die Erde zu furchen, zu wenden, zu cultiviren, dann zu besäen, und ihr eine Ernte für die gehabten Mühen abzuzwingen – recht schön! Aber sie so wie ein Maulwurf, und ebenso blind wie dieser, zu durchwühlen, um ihr ein wenig elendes Gold zu entreißen, das ist ein trauriges Geschäft, und man muß von Gott und den Menschen verlassen sein, um dieses zu ergreifen.«

Nachdem sie die Hauptstätten der Minen besucht, auch ein abgetretenes Grundstück, das zum großen Theil aus Quarz, dann aus Thonschiefer und Sand bestand, welcher von verwitterten Felsen herrührte, betrachtet hatten, gelangten die Reisenden nach dem Bankgebäude.

Es war das ein sehr umfassendes Bauwerk mit der Nationalflagge am Giebel. Lord Glenarvan wurde durch den Generalinspector empfangen, der im Hause die Honneurs machte.

Dort deponiren die Gesellschaften nämlich gegen Empfangschein das den Eingeweiden des Bodens entzogene Gold. Längst war die Zeit vorüber, daß der Goldgräber durch die Kaufleute der Colonie ausgebeutet wurde. Diese bezahlten ihm in den Placers dreiundfünfzig Schilling für die Unze, die sie in Melbourne für fünfundsechzig wieder verkauften! Freilich ist es wahr, daß der Kaufmann das Risico des Transportes auf sich nahm, und als die Speculanten der Heerstraße sich vermehrten, war nicht immer genügende Schutzbedeckung zur Hand.

Den Besuchern wurden ganz merkwürdige Goldproben vorgelegt, und der Inspector begleitete sie mit sehr interessanten Einzelheiten über die verschiedenen Arten der Gewinnung dieses Metalles.

Im Allgemeinen trifft man es unter zwei verschiedenen Formen, als Waschgold und als Staubgold. Als rohes Metall findet es sich entweder gemengt mit dem angeschwemmten Lande oder in Quarzgänge eingeschlossen. Auch verfährt man behufs seiner Gewinnung je nach der Natur des Bodens, indem man einmal nur die Oberfläche weggräbt, das andere Mal in die Tiefe eindringt.

Das Waschgold liegt im Grunde der Bergströme, der Thäler und Schluchten, nach der Schwere seiner Theile geschichtet, zunächst die Körnchen, dann die Blättchen und endlich die gröberen Körner.

Das Gold dagegen, dessen Muttergestein durch Einwirkung der Luft zersetzt ist, findet sich zusammengehäuft und bildet das, was die Goldgräber »Täschchen« nennen.

Solche Täschchen schließen öfter allein einen ganzen Reichthum ein.

Am Alexander-Berg wird das Gold vorwiegend in thonigen Schichten und den Spalten von Schiefergestein gefunden. Dort finden sich ganze Lager von Goldgeschiebe; dort hat ein glücklicher Gräber manchmal die Hand auf das große Loos in den Placers gelegt.

Nachdem die Besucher die verschiedenen Goldsorten einer genaueren Betrachtung unterzogen hatten, gingen sie noch durch das mineralogische Museum der Bank. Sie sahen, wohl bezeichnet und classificirt, alle Producte, welche den australischen Boden bilden. Das Gold bildet nicht seinen einzigen Reichthum, sondern er kann vollberechtigt als ein großer Schrank betrachtet werden, in welchem die Natur ihre kostbarsten Kleinode bewahrte. Unter den durchsichtigen Mineralien erglänzte der weiße Topas, ein Rival der brasilianischen Topase; der Karfunkel-Granat; der Thallit, eine Art Silicat von schönem Grün; der Rubinbalbaß, der durch scharlachrothe Spinelle und eine rosafarbene Varietät von hoher Schönheit vertreten war; hell- und dunkelblaue Saphire, wie z. B. der Corindon, der ebenso gesucht ist, wie der von Malabar oder Tibet; ferner röthliche Brillanten und endlich ein kleiner Diamantenkrystall, der an den Ufern des Turon gefunden wird. Nichts fehlte an dieser glänzenden Sammlung edler Steine, und das Gold zu ihrer Fassung war ja nicht weit zu suchen. Außer daß man sie alle schon gefaßt gewünscht hätte, blieb wirklich nichts zu wünschen übrig.

Glenarvan verabschiedete sich von dem Inspector der Bank mit herzlichem Danke für seine Freundlichkeit, von der sie so ausgedehnten Gebrauch gemacht hatten. Dann wurde der Besuch der Placers fortgesetzt.

So wenig auch Paganel an den Schätzen dieser Welt hing, so that er doch keinen Schritt, ohne diesen freigebigen Boden mit den Blicken zu mustern. Er unterlag der Versuchung, und die Neckereien seiner Begleiter vermochten das nicht zu ändern. Jeden Augenblick bückte er sich und hob einen Kiesel auf, ein Stückchen Erz oder verwitterten Quarz; er prüfte sie aufmerksam und warf sie dann verächtlich weg. Das dauerte während des ganzen Spazierganges fort.

»He, Paganel,« fragte ihn der Major, »haben Sie Etwas verloren?«

»Gewiß,« entgegnete Paganel, »man hat in diesem an Gold und Edelsteinen reichen Lande immer verloren, was man nicht gefunden hat. Warum sollte ich nicht gern ein kleines Gewicht von einigen Unzen, oder auch ein solches von einigen zwanzig Pfund mit wegnehmen.«

»Und was thäten Sie damit, mein werther Freund?« sagte Glenarvan.

»O, darum würde ich nicht verlegen sein,« erwiderte Paganel, »ich würde es meinem Vaterlande widmen. Ich deponirte es bei der Bank von Frankreich . . .«

»Die es auch annehmen sollte?«

»Gewiß, in Form von Eisenbahnobligationen!«

Man beglückwünschte Paganel wegen der Art und Weise, wie er seinen etwaigen Goldfund »seinem Heimatlande widmen« werde, und Lady Helena wünschte ihm, den größten Nugget der Welt zu finden.

Immer scherzend durchzogen so die Reisenden den größten Theil des in Abbau befindlichen Terrains. Ueberall ging die Arbeit regelmäßig, mechanisch, aber ohne allen Eifer von statten.

Nach zweistündigem Spaziergange machte Paganel auf ein sehr anständig erscheinendes Gasthaus aufmerksam, wo er auszuruhen und die Zeit bis zum Wiedereintreffen des Wagens abzuwarten vorschlug. Lady Helena stimmte zu, und da es in einem Gasthause nicht ohne Erfrischungen abgeht, so ließ Paganel den Gastwirth einige landesübliche Getränke auftragen.

Man brachte für jede Person einen »Nobler«. Ein Nobler aber ist ein ganz ehrlicher Grog, nur ein umgekehrter. Statt daß nämlich ein kleines Glas Branntwein in ein großes Glas Wasser gegeben wird, nimmt man hierbei ein kleines Glas Wasser zu einem großen Glase Branntwein, versetzt es mit Zucker und trinkt es. Das war doch etwas zu australisch, und zum großen Erstaunen des Gastwirths ward der Nobler, gekühlt durch eine große Flasche Wasser, zum gewöhnlichen englischen Grog.

Dann plauderte man von den Minen und Minirern. Trotzdem Paganel von dem Gesehenen sehr befriedigt war, meinte er doch, daß es früher, in den ersten Jahren der Ausbeutung des Alexander-Berges, weit merkwürdiger ausgesehen haben müsse.

»Die Erde war damals,« sagte er, »siebartig durchlöchert, von einer Legion emsiger Ameisen, und welcher Ameisen, angegriffen! Alle Emigranten hatten deren Begierde, aber nicht deren Vorsicht. Das Gold wurde in Thorheiten weggeworfen. Man vertrank, man verspielte es, und das Gasthaus, wo wir uns befinden, war ›eine Hölle‹, wie man früher sagte. Der Fall der Würfel führte zu Messerstreitigkeiten. Die Polizei vermochte Nichts dagegen, und manchmal mußte der Gouverneur der Colonie mit den regulären Truppen gegen die empörten Goldgräber ausrücken. Doch gelang es ihm, sie zur Vernunft zu bringen; er verlieh jedem Goldgräber ein Patent, welches indeß nicht ohne Mühe zu erhalten war, und so waren Alles in Allem die Unordnungen hier geringer, als in Californien.«

»Kann denn,« fragte Lady Helena, »Jedermann das Geschäft als Minengräber treiben?«

»Ja, Madame, dazu braucht man keinen akademischen Grad. Es genügen schon ein Paar tüchtiger Arme. Die vom Elend getriebenen Abenteurer kamen bei den Minen meist ohne alles Geld an; die Reichen mit einer Axt, die Armen mit einem Messer; Alle brachten zu der Arbeit aber einen Feuereifer mit, den sie einer gewöhnlichen ehrlichen Beschäftigung gewiß nicht gewidmet hätten. Der Anblick dieser Goldfelder war einzig in seiner Art! Der Boden war bedeckt mit Zelten, mit Pfortsegeln, kleinen Hütten und Baracken aus Lehm, aus Brettern und aus Laubwerk. In der Mitte ragte das Zelt des Gouvernements, mit der britischen Flagge geziert, hervor, die blauen Zwillichzelte der Regierungsagenten und die Etablissements der Wechsler, der Goldhändler, der Handelsleute, die auf diesen ganzen Reichthum und die Armuth speculirten. Diese Alle haben sich gewiß bereichert. Man mußte die Diggers sehen im rothwollenen Hemd, wie sie im Wasser und im Kothe lebten. Die Luft war erfüllt von dem fortwährenden Geräusch der Aexte und von übelriechenden Ausdünstungen, die von in Fäulniß übergehenden Thiergerippen herrührten. Ein erstickender Staub umhüllte wolkenähnlich diese Unglücklichen, die ein ungeheures Sterblichkeitscontingent lieferten; ja in einem Lande mit weniger gesunder Luft wären sie wohl bald vom Typhus decimirt worden. Und dann, wenn diese Abenteurer noch einen endlichen Erfolg gehabt hätten! Aber gar so viel Elend fand keinen Ersatz, und wenn man genau nachzählte, würde sich herausstellen, daß auf einen Gräber, der sich bereicherte, hundert, zweihundert, ja vielleicht tausend elend und verzweifelt umgekommen sind.«

»Könnten Sie uns wohl sagen, Paganel,« fragte Glenarvan, »wie bei der Goldgewinnung verfahren wurde?«

»Das war höchst einfach,« antwortete Paganel. »Die ersten Gräber betrieben das Geschäft als Goldwäscher, wie es noch in einigen Theilen der Cevennen in Frankreich in Gebrauch ist. Die Gesellschaften gehen jetzt anders zu Werke; sie gehen gleich bis zu der Quelle selbst, bis zu dem Erzgange zurück, der den Goldstaub, die Flitter und das Geschiebe liefert. Die Goldwäscher begnügten sich aber, den goldhaltigen Sand zu waschen, und damit genug. Sie höhlten den Erdboden aus, sammelten die Erdschichten, die ihnen Etwas zu enthalten schienen, und behandelten sie mit Wasser, um das kostbare Metall daraus abzuscheiden. Dieses Waschen geschah mittels eines Instrumentes amerikanischen Ursprungs, das ›Craddle‹ oder Wiege hieß. Es bestand aus einem fünf bis sechs Fuß langen Kasten, einer Art offenen und in zwei Felder getheilten Bahre. Das erste war mit einem groben Siebe ausgestattet, das über anderen Sieben mit immer engeren Maschen angebracht war. Das andere Feld wurde nach unten zu enger. An dem einen Ende brachte man nun den Sand auf das Sieb, schaffte Wasser darauf, und bewegte oder wiegte vielmehr den Apparat mit der Hand. Die Steine blieben dabei auf dem ersten Siebe, das Mineral und der Sand je nach ihrer Größe auf den anderen und die ausgewaschene Erde ging sammt dem Wasser an dem unteren Ende wieder heraus. Das war die am gewöhnlichsten benutzte Hilfsmaschine.«

»Aber diese mußte man doch zunächst haben,« sagte John Mangles.

»Man kaufte sie von reich gewordenen oder ruinirten Goldgräbern,« antwortete Paganel, »je nach dem sich das traf, oder man behalf sich eben, so gut es ging.«

»Und wie ersetzte man sie dann,« fragte Mary Grant.

»Durch eine Platte, meine liebe Mary, durch eine einfache Eisenplatte; man schwang die Erde, so wie es mit dem Korne geschieht, nur sammelte man statt der Getreidekörner manchmal Goldkörner. Im ersten Jahre hat mancher Goldgräber ohne andere Auslagen sein Glück gemacht. Sehen Sie, meine Freunde, das war die gute Zeit, trotzdem ein Paar Stiefeln hundertfünfzig Francs (= hundertzwanzig Mark = sechzig österr. Gulden) kosteten und man zehn Schilling für ein Glas Limonade bezahlte! Wer zuerst kommt, hat doch immer den Vorzug. Das Gold war da überall, im Ueberfluß, auf der Oberfläche des Bodens; die Bäche flossen in einem Bette von Metall; man fand solches fast in den Straßen von Melbourne; man macadamisirte mit Goldpulver. So betrug der Werth des kostbaren Metalls, das vom 26. Januar bis zum 24. Februar unter Regierungsschutz vom Alexander-Berg nach Melbourne gebracht wurde: acht Millionen zweihundertachtunddreißigtausendsiebenhundertfünfzig Frs. (= sechs Millionen fünfhundertundeinundneunzigtausend Mark = drei Millionen zweihundertfünfundneunzigtausend und fünfhundert österr. Gulden). Das macht im Mittel hundertvierundsechzigtausendsiebenhundertfünfundzwanzig Francs den Tag!«

»Ungefähr die Civilliste des Kaisers von Rußland,« sagte Glenarvan.

»Der arme Mann!« versetzte der Major.

»Berichtet man auch von besonderen Glücksfällen?« fragte Lady Helena.

»Von einigen, Madame.«

»Und sie sind Ihnen bekannt?« sagte Glenarvan.

»O, gewiß!« erwiderte Paganel. »Im Jahre 1852 fand man in dem Districte von Ballarat einen Goldklumpen, welcher fünfhundertdreiundsiebenzig Unzen wog; einen anderen in Gippsland von siebenhundertzweiundachtzig Unzen und im Jahre 1861 einen von achthundertvierunddreißig Unzen. Endlich entdeckte ein Goldgräber in Ballarat einen Klumpen von fünfundsechzig Kilogramm (= hundertdreißig Pfund), der, das Pfund zu siebenzehnhundertzweiundzwanzig Francs (= dreizehnhundertsiebenundsiebenzig sechs Zehntel Mark = sechshundertachtundachtzig österr. Gulden achtzig Kreuzer) gerechnet, zweihundertdreiundzwanzigtausendachthundertsechzig Francs = hundertneunundsiebenzigtausendundachtundachtzig Mark = neunundachtzigtausendfünfhundertvierundvierzig österr. Gulden beträgt! Eine Hacke, welche mit einem Hieb elftausend Francs = achttausendundachthundert Mark = viertausendundvierhundert österr. Gulden Rente einbringt, ist denn doch eine schöne Hacke.«

»In welchem Verhältniß wuchs die Production des Goldes seit der Entdeckung dieser Gruben?« fragte John Mangles.

»In ganz enormem Maße, lieber John. Diese Produktion, welche im Anfang des Jahrhunderts nur siebenundvierzig Millionen Francs (= Siebenunddreißig sechs Zehntel Millionen Mark = Achtzehn neun Zehntel Millionen österr. Gulden) betrug, wird gegenwärtig, inbegriffen die Minen von Europa, Asien und Amerika, auf neunhundert Millionen Francs (= siebenhundertundzwanzig Millionen Mark = dreihundertundsechzig Millionen österr. Gulden), ja eine Milliarde Francs (= achthundert Millionen Mark = vierhundert Millionen österr. Gulden) angeschlagen.«

»Also, Herr Paganel,« sagte der junge Robert, »giebt's an der Stelle, worauf wir eben stehen, vielleicht viel Gold?«

»Ja, lieber Junge, es stecken da Millionen! Wir gehen darüber umher! Wir mißachten es!«

»Australien ist also ein bevorzugtes Land?«

»Nein, Robert,« versetzte der Geograph. »Die golderzeugenden Länder gehören nicht zu den gesegneten. Da sind die Leute nur Faullenzer, niemals ein kräftiger, arbeitsamer Menschenschlag. So geht's in Brasilien, Mexico, Kalifornien, Australien. Wie weit ist's im neunzehnten Jahrhundert gekommen! Ein Land, wo Eisen wächst, nicht Gold, mein Lieber, hat den Vorzug vor den anderen.«

 


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