Jules Verne
Das Testament eines Excentrischen. Zweiter Band
Jules Verne

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XIV. Die Glocke der Oakswoods

Ein Donnerschlag, den man in allen Theilen der Erdkugel gehört hätte, würde kaum eine solche Wirkung hervorgebracht haben, wie am 24. Juni Schlag acht Uhr morgens im Saale des Auditoriums der Fall der Würfel aus dem Lederbecher des Meister Tornbrock. Die vielen Tausende von Zuschauern, die dem Vorgange – mit dem Gedanken, er könne die letzte Entscheidung im Match Hypperbone bringen – beiwohnten, verkündeten das Resultat in allen Theilen Chicagos, und Tausende von Telegrammen trugen die Nachricht nach allen vier Himmelsgegenden der Alten und der Neuen Welt hinaus.

Der Mann mit der Maske also, der Partner der letzten Stunde, der Homo novus des Codicills, mit einem Wort oder vielmehr drei Buchstaben, X. K. Z. war es, der die Partie und mit ihr die sechzig Millionen Dollars gewonnen hatte!

Schon die Art des Vorwärtskommens dieses Günstlings des Glücks hätte ja nicht wenig auffallen müssen. Während seine sechs Mitbewerber von Unfällen aller Art heimgesucht wurden, während der eine im Gasthause eingesperrt saß, ein zweiter das schwere Brückengeld am Niagarafalle bezahlen mußte, während ein dritter sich im Labyrinth verlor, ein vierter sich in den Schacht gestürzt sah, während drei von ihnen das Gefängniß aufsuchen, alle aber mehr oder weniger an Einsätzen bezahlen mußten, strebte er allein sichern Schrittes vorwärts, ging von Illinois nach Wisconsin, von Wisconsin nach dem District Columbia, von hier nach Minnesota und machte von hier einen Sprung bis ans Ziel, ohne einen einzigen Einsatz entrichtet zu haben, und außerdem bewegte er sich auf einem beschränkteren Gebiete, wodurch ihm besondere Beschwerden und ein größerer Aufwand für die Fahrten gänzlich erspart wurden.

Zeugte dies nicht für eine außergewöhnliche, man könnte sagen, wunderbare Begünstigung des Unbekannten, für das Glück der bevorzugten Menschenkinder, denen im Leben alles und jedes gelingt?

Nun galt es noch zu erfahren, wer jener X. K. Z. eigentlich wäre, und jetzt mußte er bald Farbe bekennen, wenigstens wenn er die ungeheure Erbschaft in Besitz nehmen wollte.

An den verschiedenen Stichtagen und bei seinem Erscheinen in den Postämtern von Milwaukee, Wisconsin, Washington im District Columbia und von Minneapolis in Minnesota waren zwar Neugierige in hellen Haufen zusammengeströmt, sie hatten aber nur einen Mann von etwa fünfzig, andere sagten von etwa sechzig Jahren gesehen, der sofort wieder verschwunden war und dessen Spuren niemand zu folgen vermochte.

Jedenfalls mußten die Leute jetzt aber bald über Vornamen, Familiennamen und Stand des Mannes Aufklärung erhalten, und wenn seine Identität bestätigt war, zählte die Union an Stelle William J. Hypperbone's einen Nabob mehr.

Am 3. Juli, neun Tage nach dem letzten Auswürfeln, befanden sich die andern sechs Partner in folgender Lage:

Zunächst sei vorausgeschickt, daß alle nach Chicago wieder zurückgekehrt waren, ja, alle, die einen voller Verzweiflung, die andern – welche, ist leicht zu errathen – in voller Wuth, und zwei, die sich um diesen Ausgang des Matches kein graues Haar wachsen ließen . . . wer diese beiden waren, brauchen wir wohl auch nicht zu sagen.

Nach Verlauf von kaum einer Woche war der von seiner Verwundung nahezu genesene Max Real schon in Gesellschaft Lissy Wag's und Jovita Foley's in die Vaterstadt heimgekehrt. Er wohnte wieder in dem Hause der South Halsted Street, während die beiden Freundinnen ihre Wohnung in der Sheridan Street wieder bezogen hatten.

Jetzt hörte Frau Real, die von dem Anschlag gegen Lissy Wag bereits Kenntniß hatte, erst den Namen des jungen Mannes, dem das junge Mädchen ihre Rettung verdankte.

»Ach, mein Kind . . . mein Kind!« rief sie, Max in die Arme drückend, »Du . . . Du bist es gewesen . . .«

»Da ich aber völlig hergestellt bin, weine nur nicht, Mütterchen! Was ich gethan habe, ist ja für sie geschehen . . . verstehst Du? . . . für sie, die Du baldigst kennen lernen sollst und die Du lieben wirst, wie sie schon Dich ebenso liebt, wie ich sie!«

Noch an demselben Tage stattete Lissy Wag in Begleitung Jovita Foley's bei Frau Real einen ersten Besuch ab. Das junge Mädchen gefiel der vortrefflichen Dame nicht weniger, wie diese der Besucherin. Frau Real überhäufte sie mit Zärtlichkeiten, ohne Jovita Foley zu vernachlässigen, die ja so ganz anders wie jene, in ihrer Art aber doch höchst liebenswürdig war.

Auf diese Weise wurden die drei Personen mit einander bekannt; wegen dessen, was davon die Folge war, müssen wir uns, es zu erfahren, schon noch einige Tage gedulden.

Nach der Abreise Max Real's war bekanntlich Tom Crabbe in Saint-Louis eingetroffen. Wie wüthend John Milner war und wie entehrt er sich fühlte, das bedarf keiner weiteren Schilderung. So viel Geld rein auf die Straße geworfen zu haben, wobei nicht nur die Ausgaben für die Reisen, sondern auch die dreitausend Dollars Einsatz in dem Gefängnißstaate Missouri zu rechnen waren. Dann die Erschütterung des Ansehens des Champions der Neuen Welt gelegentlich des Zusammentreffens mit dem nicht minder unwilligen Cavanaugh, dessen wirklicher Besieger der Reverend Hugh Hunter von Arondale gewesen war. Tom Crabbe freilich verstand nach wie vor nichts von der traurigen Rolle, die er spielte, und ging einfach dahin, wohin sein Traineur ihn führte. Das »Thier in ihm« war völlig befriedigt, wenn es nur täglich seiner sechsmaligen Fütterung sicher sein konnte.

John Milner fragte sich, wie viele Wochen er wohl in dieser Stadt (Saint-Louis) zurückgehalten sein sollte; doch schon am andern Tag erhielt er darauf Antwort: Die Partie war zu Ende und ihm blieb nichts übrig, als nach dem Hause der Calumet Street in Chicago zurückzukehren.

Dasselbe that natürlich auch Hermann Titbury. Vierzehn Tage bewohnte das Ehepaar bereits die prächtige Zimmerflucht, die dem Partner des Match Hypperbone im Excelsior Hotel von New Orleans reserviert worden war. Vierzehn Tage, in denen er wenigstens gut gegessen und getrunken, eine Equipage, eine Dampfyacht und eine Theaterloge zu seiner Verfügung gehabt und überhaupt das bequeme, freudenreiche Leben der Leute geführt hatte, die sich ein solches in folge ihrer großen Einkünfte bieten können. Dieses Leben kostete ihnen freilich täglich zweihundert Dollars, und die schließliche Ueberreichung der Hotelrechnung wirkte auf sie wie ein Keulenschlag. Sie betrug zweitausendachthundert Dollars, und rechnete man dazu die Einsätze in Louisiana, die Geldbuße in Maine, den Verlust durch Diebstahl in Utah und außerdem die unumgänglichen und stets hohen Kosten für die zu durchfahrenden weiten Strecken, so ergab sich ein Gesammtaufwand von nahezu achttausend Dollars.

Ins Herz, das heißt in den Geldbeutel getroffen, wurden Herr und Frau Titbury von dem Schlage ganz ernüchtert, und nach der Rückkehr in das Haus der Robey Street kam es zwischen ihnen zu den heftigsten Streitigkeiten, wobei die Gattin dem Gatten vorwarf, sich in dieses ruinöse Abenteuer, trotz allem, was sie dagegen eingewendet hätte, eingelassen zu haben, und wobei sie ihm haarklein bewies, daß alles Unrecht auf seiner Seite liege. Seiner Gewohnheit gemäß gewann Herr Titbury diese Ueberzeugung schließlich auch selbst, zumal da das schreckliche Hausmädchen, auch ihrer Gewohnheit nach, für die Herrin Partei nahm. Man kam deshalb überein, die Ausgaben für den Haushalt aufs neue zu beschränken. Das hinderte das würdige Paar indeß nicht, in der Erinnerung an die köstlichen, im Excelsior Hotel verlebten Tage zu schwelgen . . . Doch welches Entsetzen, als sie sich aus ihren Träumen wieder in die traurige Wirklichkeit versetzt sahen!

»Ein Ungeheuer, dieser Hypperbone . . . ein abscheuliches Ungeheuer!« rief wiederholt Frau Titbury.

»Sie hätten seine Millionen gewinnen oder sich gar nicht in die Sache mengen sollen!« bemerkte die Hausmagd.

»Natürlich . . . sich gar nicht hineinmengen,« rief die Matrone, »und das hab' ich meinem Manne ja tausendmal gesagt! . . . Einem solchen Dickschädel soll aber einer Vernunft beibringen!«

Die Welt wird leider niemals erfahren, wie der Eheherr der Frau Titbury an diesem Tage noch weiter tituliert wurde.

Harris T. Kymbale? . . . Nun, Harris T. Kymbale war aus der künstlichen, zur Eröffnungsfeier der Eisenbahn zwischen Medary und Sioux Falls City veranstalteten Collision mit heiler Haut hervorgegangen. Noch vor dem Stoße hatte er auf die Bahnstrecke hinausspringen können und war nach mehrfachen Purzelbäumen, als bestände er aus Kautschuk, ohnmächtig am Fuße der Böschung und geschützt gegen die Explosion der beiden Locomotiven liegen geblieben. Ohne Zweifel kommt es ja auch in Amerika vor, daß zwei Locomotiven einander kitzeln und sich durcheinander schieben, es ist aber selten, daß man davon vorher benachrichtigt wird, während die in genügender Entfernung zu beiden Seiten der Bahn harrenden Zuschauer in diesem Falle sich das Schauspiel ohnegleichen hatten leisten können.

Leider hatte es Harris T. Kymbale in seinem augenblicklichen Zustande nicht mitgenießen können.

Erst drei Stunden später, als eine Arbeitercolonne die Strecke aufräumte, fand man einen bewußtlosen Menschen am Fuße des Bahndammes. Die Leute hoben ihn auf, trugen ihn nach dem nächsten Hause und besorgten einen Arzt, der bald feststellte, daß der Unbekannte nicht tödlich verletzt sei. Dann brachte man ihn auch wieder zu sich, fragte ihn aus, erfuhr, daß er der vierte Partner im Match Hypperbone und wie es ihm gelungen war, in diesem zu vollständiger Zerstörung bestimmten Zuge Platz zu nehmen. Dafür bekam er die verdienten Vorwürfe, doch verurtheilte man ihn nur zur Entrichtung der gewöhnlichen Fahrtaxe, da man auf den amerikanischen Bahnen sein Billet noch unterwegs oder gar erst am Reiseziele bezahlen kann. Man telegraphierte das Vorkommniß an den Director der »Tribune« und schickte den unklugen Reporter auf kürzestem Wege nach Chicago, wo er am 25. in seiner Wohnung in der Milwaukee Avenue eintraf. Natürlich war der unerschrockene Harris T. Kymbale bereit, sofort wieder abzufahren, den Match fortzusetzen und wenn es sein mußte, von einem Ende der Vereinigten Staaten zum andern zu fliegen. Auf die Nachricht hin, daß die Partie am Tage vorher zu Gunsten des X. K. Z. beendigt worden sei, blieb ihm nichts anderes über, als sich in Ruhe zu fügen und interessante Schilderungen der letzten Ereignisse, an denen er persönlich betheiligt gewesen war, abzufassen. Jedenfalls hatte er bei der Sache weder Zeit noch Mühe verloren, und welch unverlöschliche Eindrücke behielt er von seinem Besuche Neumexikos, Südcarolinas, Nebraskas, Washingtons nebst Süddakotas, abgesehen von der originellen Weise, in der er allein die Bahnstrecke zwischen Medary und Sioux Falls City eingeweiht hatte.

Seine Eigenliebe als wohlunterrichteter Reporter erlitt aber an empfindlichster Stelle einen argen Stoß durch eine Enthüllung, die ihm manche Scherzrede und Spöttelei der kleinen Presse einbrachte. Diese betraf den Bären, den er in den Schluchten von Idaho gesehen hatte, den Grizzly, der sich bei jedem Donnerschlage bekreuzigte, jenen Ursus christianus, für den er damals die so treffende Bezeichnung erfand. Es hatte sich dabei aber ganz einfach um einen braven Landmann gehandelt, der von einem Rauchwaarenhändler das Fell eines prächtigen Plantigraden nach Hause trug. Weil es da grade in Strömen regnete, hatte der Mann sich in das Fell eingehüllt, und da er Angst hatte, bekreuzigte er sich als guter Christ bei jedem Blitzstrahl.

Harris T. Kymbale lachte schließlich selbst mit, sein Lachen war aber von der Farbe der Flagge, die auf dem dreiundsechzigsten Felde triumphierend zu entfalten, Jovita Foley versagt geblieben war.

Was die fünfte Partnerin angeht, wissen wir, unter welchen Umständen sie mit ihrer Freundin, Max Real und Tommy nach Chicago zurückgekommen war, wobei sich Tommy ebenso verzweifelt über den Mißerfolg seines Herrn, wie Jovita Foley über den Lissy Wag's gezeigt hatte.

»So lerne doch endlich verzichten, meine arme Jovita!« ermahnte sie dann Lissy Wag, »Du weißt doch, daß ich von Anfang an nicht darauf gerechnet habe . . .«

»Ich aber habe darauf gerechnet!«

»Daran hast Du unrecht gethan.«

»Du übrigens bist alles in allem nicht zu beklagen!«

»Ich beklage mich ja auch nicht,« antwortete Lissy Wag lächelnd.

»Entgeht Dir auch die Erbschaft Hypperbone's, so bist Du immerhin kein armes Mädchen ohne Mitgift . . .«

»Wie meinst Du das?«

»Jawohl, Lissy! . . . Nach jenem X. K. Z., der als Erster das Ziel erreicht hat, bist Du als Zweite ihm am nächsten gewesen, und Dir fallen also alle Einsätze zu.«

»Wahrhaftig, Jovita, daran hab' ich noch mit keiner Silbe gedacht!«

»Nun ja, doch ich denke eben für Dich, Du sorglose Lissy; es ist eine recht nette kleine Summe, deren rechtmäßige Empfängerin Du bist!«

In der That ergaben ja die tausend Dollars an der Niagarabrücke, die zweitausend im Gasthause von New Orleans, die zweitausend beim Labyrinth in Nebraska, die dreitausend im californischen Thale des Todes, nebst den neuntausend Dollars, die successive im Gefängniß von Missouri zu entrichten gewesen waren, zusammen siebzehntausend Dollars, die ohne Widerrede laut Tenor des Testaments dem Zweitankommenden, hier also der fünften Partnerin, gehörten. Und doch hatte Lissy Wag, wie sie soeben eingestand, daran gar nicht, sondern an ganz andere Dinge gedacht.

Es gab auch noch eine andere Person, auf die Max Real zwar kaum eifersüchtig sein konnte, an die aber seine Verlobte – es ist wohl überflüssig, zu sagen, daß eine eheliche Verbindung zwischen dem jungen Maler und dem jungen Mädchen eine beschlossene Sache war – doch wiederholt dachte. Diese Person war, der Leser erräth es gewiß, der ehrenwerthe Humphry Weldon, der während der Krankheit Lissy Wag's das Haus in der Sheridan Street mit seinem Besuche beehrt hatte und von dem damals die dreitausend Dollars zur Entrichtung des dreifachen Einsatzes im Gefängniß von Missouri herrührten. War er vielleicht auch nur ein Wettlustiger, »der – wie man sagt – seinem Gelde nachlief«, so hatte er die Gefangene doch nicht minder zu Dank verpflichtet, und diese wartete nur darauf, ihn dafür schadlos zu halten. Sie bewahrte ihm auch von jeher eine dankbare Erinnerung und würde ihm gern wieder begegnet sein. Bis jetzt hatte ihn aber noch niemand irgendwo gesehen.

Zum Abschluß dieses Situationsberichtes mögen noch einige Worte über Hodge Urrican folgen.

Am 22. Juni, als er sich in Wisconsin befand, war das letztemal für ihn gewürfelt worden. Fünf Augen – eins und vier – waren dabei gefallen und danach hatte er das einunddreißigste Feld, den Staat Nevada aufzusuchen. Das bedingte eine neue Reise von etwa zwölfhundert Meilen (1930 Kilometer), die er aber auf der Union Pacificbahn zurücklegen konnte, denn Nevada, einer der am schwächsten bevölkerten Bundesstaaten, obgleich er der Größe nach die sechste Stelle einnimmt, wird von Oregon, Idaho, Utah, Arizona und Californien umschlossen. Um das Unglück voll zu machen, hatte William J. Hypperbone in diesen Staat freilich den Schacht verlegt, in den der hierher verschlagene Spieler einen Kopfsprung machen sollte.

Die Wuth des Commodore erreichte nun ihren Gipfel. Er beschloß, an Meister Tornbrock schwere Rache zu nehmen, sobald die Partie zu Ende wäre, und Turk erklärte, er werde dem Notar an die Kehle springen, ihn mit den Zähnen erwürgen, ihm den Leib aufreißen und seine Leber verschlingen u. s. w.

Mit der ihm eigenen Hastigkeit verließ Hodge Urrican Milwaukee noch am 22., sprang, nach Absendung der in Folge des letzten Wurfs fällig gewordenen dreitausend Dollars an die Adresse des Notars, mit seinem unzertrennlichen Begleiter in den Zug und dampfte Hals über Kopf nach Nevada.

In dessen Hauptstadt Carson City sollte die orangefarbene Flagge spätestens am 6. Juli eingetroffen sein.

Wenn Nevada, nach dem Willen des Verstorbenen, auf der Karte des Matches mit dem Schachte bedacht worden war, erklärte sich das durch die hier wirklich in großer Anzahl vorhandenen Schächte, natürlich Bergwerksschächte, denn was die Ausbeute an Gold und Silber betrifft, nimmt Nevada in der Union die vierte Stelle ein. Seinen Namen trägt es mit Unrecht, denn die Nevadakette liegt außerhalb seines Gebietes, die Namen seiner wichtigsten Städte, Virginia City, Gold Hill und Silver City erklären sich dagegen meist von selbst. Sie sind sozusagen auf Silbererzgängen erbaut, wie vor allem Comstock Lode, und es giebt hier Schächte, die bis zur Tiefe von zweitausendsiebenhundert Fuß (823 Meter) in die Eingeweide der Erde hinunterreichen.

Es sind wirkliche Silberbrunnen, doch Silberbrunnen, die die Wahl des Testators ebenso wie die Wuth dessen, der sich dahin geschickt sah, rechtfertigen.

Der letzte Partner sollte jedoch gar nicht bis hierher kommen. Am Morgen des 24. erfuhr er in Great Salt Lake City die große Neuigkeit.

Die Partie war zu Gunsten des X. K. Z., des Siegers in Match Hypperbone, beendigt.

Der Commodore Urrican begab sich demnach – in welcher Gemüthsverfassung, kann man sich leichter denken als schildern – nach Chicago zurück.

Wir übertreiben nicht, wenn wir sagen, daß man auf beiden Seiten des Atlantischen Oceans jetzt wirklich einmal aufathmete. In den Wettbureaus wurde es ruhig. Die Makler schöpften wieder Athem. Die eingegangenen Wetten würden so prompt reguliert, daß es der von Speculationen erfüllten Welt zur Ehre gereichte.

Für alle aber, die an der nationalen Partie, wenn auch nur platonisch, betheiligt gewesen waren, blieb noch ein dunkler Punkt, gewiß nicht der unwichtigste, aufzuklären.

Wer war X. K. Z. und würde er sich nun zu erkennen geben? . . . Das unterlag wohl keinem Zweifel, denn wenn einer sechzig Millionen Dollars einzuheimsen hat, bewahrt er sein Incognito wohl nicht weiter und versteckt er sich nicht hinter unverständliche Buchstaben. Der glückliche Gewinner mußte sich persönlich vorstellen, und das that er auch sicherlich.

Doch wann und unter welchen Bedingungen? . . . Eine Frist war im Testamente nicht vorgesehen. Immerhin glaubte niemand, daß der Sieger lange ausbleiben könnte . . . höchstens ein paar Tage. Genannter X. K. Z. befand sich in Minnesota, in Minneapolis, als ihm die Depesche mit dem Ergebnisse des letzten Würfelfalls zuging, und ein halber Tag genügte für die Fahrt von Minneapolis nach Chicago.

Es verstrich indeß eine ganze Woche und noch eine ohne Nachricht von dem Unbekannten.

Eine der Ungeduldigsten war selbstverständlich Jovita Foley. Das nervöse Persönchen muthete Max Real zu, täglich zehnmal auf Kundschaft auszugehen oder gleich im Auditorium zu bleiben, wo der glücklichste von den »Sieben« doch zuerst auftauchen mußte. Max Real hatte jetzt freilich ganz andre Dinge im Kopfe.

Da rief Jovita Foley voller Aufregung:

»O, wenn ich ihn hier hätte, den Glückspinsel!«

»So mäßige Dich doch, meine Liebe,« bat sie Lissy Wag.

»Nein, ich mäßige mich nicht, Lissy, und wenn ich ihn hier hätte, fragte ich ihn, wie er sich habe unterstehen können, die Partie zu gewinnen . . . er . . . ein Herr, dessen Namen man nicht einmal kennt!«

»Meine liebe Jovita,« fiel Max Real da ein, »wenn Sie ihn fragten, müßte er doch da sein und brauchte sich nicht erst noch zu erkennen zu geben!«

Es braucht niemand zu verwundern, daß die beiden Freundinnen noch nicht wieder in das Geschäft des Herrn Marshall Field zurückgekehrt waren, um ihre Stellen wieder anzutreten. Lissy Wag sollte hier ja überhaupt eine Nachfolgerin erhalten, und Jovita Foley wollte die Abwickelung der ganzen Angelegenheit abwarten, ehe sie in ihr Bereich als erste Verkäuferin zurücktrat, denn jetzt schwirrte ihr noch zu vieles durch den Kopf.

Ihre Ungeduld war thatsächlich ein Spiegelbild der öffentlichen Meinung in den Vereinigten Staaten und im Auslande. Je mehr Zeit verstrich, desto mehr wucherte bei den Leuten die Phantasie. Die Presse, vorzüglich die Sportpresse, schlug darin geradezu über die Schnur. Die Leute bestürmten den Meister Tornbrock, holten sich aber stets nur die nämliche Antwort. Der Notar versicherte, über den Träger der rothen Flagge nichts näheres zu wissen . . . er kannte ihn nicht . . . er konnte nicht sagen, wohin er sich von Minneapolis aus, wo die Depesche ihm persönlich ausgeliefert worden war, wohl gewendet haben möge. Die Neugierigen drängten, sie baten ihn inständigst . . .

»Er wird ja kommen, wenn es ihm gelegen erscheint,« begnügte sich Meister Tornbrock zu antworten.

Da hielten es die Partner, außer Lissy Wag und Max Real, nicht ohne eine gewisse Berechtigung, für angezeigt, ein Wörtchen dreinzureden. Wenn der Gewinner sich nicht einfand, konnten sie ja behaupten, daß die Partie gar nicht gewonnen sei und wieder aufgenommen und fortgesetzt werden müsse.

Der Commodore Urrican, Hermann Titbury und John Milner als Bevollmächtigter Tom Crabbe's, die sich von ihren Rechtsanwälten hatten aufhetzen lassen, verkündeten öffentlich, daß sie den Testamentsvollstrecker des Verstorbenen verklagen würden. Die Journale, von denen sie während des Matches unterstützt worden waren, stellten sich auch jetzt auf ihre Seite. In der »Tribune« erschien von Harris T. Kymbale ein geharnischter Artikel gegen X. K. Z., dessen Existenz man überhaupt abzuleugnen anfing, und der »Chicago Herald«, der »Chicago Inter-Ocean«, der »Daily New Record«, die »Chicago Mail« und die »Freie Presse« traten mit unglaublicher Heftigkeit für die Sache der Partner ein. Ganz Amerika gerieth über die neue Wendung der Dinge in Feuer und Flamme. Es war ja z. B. auch unthunlich, die Sache bezüglich der Einsätze zu ordnen, so lange die Identität des Siegers nicht unbestreitbar festgestellt war. Darüber herrschte nur eine einzige Meinung und man erörterte bereits eine Riesenkundgebung durch ein Meeting im Auditorium. Wenn X. K. Z. sich nicht nach Verlauf von . . . einstellte, sollte Meister Tornbrock das Auswürfeln wieder anfangen. Tom Crabbe, Hermann Titbury, Harris T. Kymbale und der Commodore Urrican, ja selbst Jovita Foley, wenn sie an Stelle Lissy Wag's eintreten dürfte, erklärten sich bereit, sofort nach jedem beliebigen Staate der Konföderation, wohin das Los sie auch schickte, abzureisen.

Die Aufregung der Menge erreichte einen solchen Grad, daß die Behörden sich endlich einmischen mußten, vorzüglich in Chicago. Sie mußten hier den Mitgliedern des Excentric Club und dem Notar, dem man alle Schuld zuschrieb, einen persönlichen Schutz gewähren.

Da ereignete sich am 15. Juli, drei Wochen nach dem letzten Würfeln, durch das der Mann mit der Maske Sieger geworden war, ein ganz unerwarteter Zwischenfall.

Am genannten Tage, um zehn Uhr siebzehn Minuten vormittags, verbreitete sich mit Blitzesschnelle das Gerücht, daß auf dem Oakswoodsfriedhofe die Glocke auf dem Mausoleum William J. Hypperbone's unausgesetzt und mit aller Macht läute.

 


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