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Einleitung

Verga

Giovanni Verga wurde in Catania im Jahre 1840 geboren. Er lebt auch heute noch dort und verbringt den Sommer zum größten Teil in Vizzini, einem Dorf in der Nähe von Catania, wo er genügend Gelegenheit hatte, das Leben der Bauern gründlich zu beobachten und zu studieren. – Seine Bauerngeschichten sind im wahrsten Sinne des Wortes » documents humains«. Sie schildern in schlichter und kraftvoller Weise das eigenartig romantische Seelenleben dieser Naturmenschen.

Verga selbst sagt in einem Brief an einen Freund, daß er, als er seine Bauerngeschichten schrieb, nicht die Absicht gehabt habe, mit sprachlichen Feinheiten und stilistischem Zierat zu prunken, sondern daß er diese Erzählungen genau so nieder geschrieben habe, wie er sie auf den Feldwegen gesammelt hat, nahezu mit den gleichen Worten und Wendungen, wie er sie aus dem Munde der Bauern vernommen. Er selbst hatte stets eine unendliche Freude an diesen Schilderungen, die er »den Forschungen im großen Buche des menschlichen Herzens« verdanke. Er ist der Meinung, daß sich diese Freude und Genugtuung auch auf jene Leser übertragen werde, »die es lieben, den nackten, unverfälschten und ungeschmückten Begebnissen gegenüberzustehen, ohne bei der Lektüre gezwungen zu sein, zwischen den Zeilen zu lesen und durch die Lupe des Schriftstellers zu schauen«.

»Der geheimnisvolle Vorgang,« so schreibt Verga, »durch den die menschlichen Leidenschaften entstehen, sich aneinanderreihen, sich miteinander verknüpfen, sich durchkreuzen und auf ihren unsichtbaren Wegen oftmals in so widerspruchsvoll scheinender Weise sich entwickeln, wird noch lange Zeit die mächtige Anziehungskraft jenes psychologischen Phänomens bilden, das man den ›Inhalt einer Erzählung‹ nennt, und dem die moderne Analyse mit wissenschaftlicher Genauigkeit zu folgen bestrebt ist.«

Verga gibt in diesen Bauerngeschichten in vielen Fällen bloß, wie er sagt, den Ausgangs- und den Endpunkt. Dies, meint er, werde wohl jenen Lesern genügen, die die Empfindung seiner Freude und Befriedigung an dieser Arbeit teilen; später einmal werde es vielleicht allen genügen.

Das nämliche schriftstellerische Prinzip verfolgt Verga auch bei seinen Romanen. »Ich habe die Überzeugung,« so schreibt er, »daß der Triumph des Romans, des vollkommensten und menschlichsten aller Kunstwerke, erst dann erreicht werden wird, wenn die Zusammengehörigkeit und gegenseitige Anschmiegung und Anpassung aller seiner Teile so vollkommen sein wird, daß der dichterische Schöpfungsprozeß ein ebenso großes Geheimnis bleiben wird, wie die Entwicklung der menschlichen Leidenschaften selbst; wenn der Einklang seiner Formen so vollkommen, die Echtheit seiner Wirklichkeit so klar, sein Wesen und seine Daseinsberechtigung so notwendig sein werden, daß die Hand des Künstlers absolut unsichtbar bleiben wird. Dann wird auch der Roman den Stempel des wirklichen Ereignisses tragen, und man wird den Eindruck gewinnen, als sei das Kunstwerk ›aus sich selbst heraus geworden‹, als sei es selbständig gereift und spontan entstanden gleich einer natürlichen Begebenheit, ohne auch nur einen einzigen Berührungspunkt mit seinem Autor zu haben, ohne in seinen lebendigen Formen das Gepräge des Geistes zu tragen, dessen Erzeugnis es ist, ohne einen Schimmer des Auges, das es erschaute, ohne eine Spur der Lippen, die dessen erste Worte stammelten als das schöpferische › fiat!‹ – Der Roman wird also erst dann auf seinem Höhepunkt anlangen, wenn er um seiner selbst willen sein wird, so wie er sein muß, voll frisch pulsierenden Lebens und dabei unveränderlich gleich einem ehernen Denkmal, dessen Schöpfer den göttlichen Mut gehabt hat, sich unsichtbar zu machen und in seinem unsterblichen Werke zu verschwinden.«

Wie man aus diesen prächtigen Worten, die einen überzeugenden Einblick in des Dichters Seele gewähren, ersieht, gehört Verga zu jenen Schriftstellern, die den Inhalt über die Form stellen. Er will uns keine stilistischen Kunstwerke und Kunststücke geben, er will uns nicht »literarisch« kommen (o Gott, wieviel Unfug ist mit dem Wort »literarisch« in den letzten Jahren getrieben worden!), sondern er will das nackte Leben so schildern, wie er es erschaut, beobachtet und gefühlt hat, die menschliche Seele so bloßlegen, wie er sie ergründet hat. – Deshalb wählt er für seine Geschichten die Form der improvisiert volkstümlichen Erzählung, so daß wir den Eindruck gewinnen, als seien es die sizilianischen Dorfbewohner selbst, die uns da, kunstlos und schmucklos, in ergreifend simpler, naiver und primitiver Weise, in derbem und keckem Ton, von ihren, von südländischer Schwermut und Glut durchtränkten, kleinen und großen Leiden und Leidenschaften berichten.

Verga hat sich eben jene schöne schriftstellerische Keuschheit und Bescheidenheit bewahrt, die es mit sich bringen, daß der Dichter der Ansicht ist, er schulde dem Publikum wohl seine Werke, nicht aber seine Person.

Aus diesen Gründen hat auch Verga bei allen Premieren seiner dramatischen Werke – » Cavalleria rusticana« (»Bauernehre«), » La Lupa« (»Die Wölfin«), » In Portineria« –, trotzdem das Publikum stets stürmisch nach dem Dichter verlangte, sich nie öffentlich gezeigt. Er hat jedesmal den Proben beigewohnt und sein Augenmerk darauf gerichtet, daß das Lokalkolorit, selbst in den scheinbar unbedeutendsten Einzelheiten, mit minuziösester Genauigkeit wiedergegeben werde. Aber während der Erstaufführungen seiner Werke, von denen die » Cavalleria rusticana«, auch ehe noch Mascagni sie in Musik setzte, sich die Welt erobert hatte, blieb der Dichter dem Theater ferne. Gewöhnlich erwartete er, anscheinend gleichgültig, in irgendeiner kleinen Wirtsstube die Nachricht vom Erfolg.

Er wohnte auch den beiden ersten deutschen Aufführungen der »Bauernehre« bei, die, in meiner Übersetzung, vor ungefähr zehn Jahren in Frankfurt am Main und in Berlin stattfanden; und auch dort blieb er seinem Prinzip treu, vor dem Publikum nicht zu erscheinen. Als ich ihm damals zuzureden wagte, er möge dieses Prinzip im Auslande ausnahmsweise brechen, da antwortete er mir in seiner geraden und drastischen Art: » Non sono mica una bestia rara!« – »Ich bin ja doch kein seltenes Tier, das man anstaunt!«

Verga ist nicht nur der hervorragendste, sondern auch einer der fruchtbarsten Romanschriftsteller und Novellendichter Italiens. Seine in Italien populärsten Werke – die bloß zum Teil in die deutsche Sprache übertragen worden sind – sind die Romane und Erzählungen » I carbonari della montagna«, » Una peccatrice«, » Storia di una capinera«, » Nedda«, » Tigre reale«, » Eros«, » Rosso malpelo«, » I Malavoglia«, » Il marito di Elena«, » Mastro Don Gesualdo«, » Eva« und » I ricordi del capitano d'Arce«.

Ferner hat Verga außer diesen Romanen und den genannten Bühnenwerken noch elf Bände Novellen und Dorfgeschichten veröffentlicht, von denen ich hier die besten in deutscher Sprache – unter möglichst getreuer Beibehaltung ihrer charakteristischen Form und ihres volkstümlich-ursprünglichen Tones – wiederzugeben bemüht bin.

Gmunden, im Sommer 1908.
Otto Eisenschitz.


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