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Unter Eis und Schnee

Heidelberg war leer geworden, die Herren Studenten waren nach Nord und Süd davongeflogen – die Universitätsferien hatten begonnen.

Daisy und Hilde saßen in ihrer »Bude« und überzählten ihre Barschaft. Sie hatten ein erkleckliches Sümmchen von dem ausgesetzten Studiengeld erspart; Daisy war ein wahres Sparsamkeitsgenie, sie hatte auch für Hilde das Rechnungsführen übernommen. Denn Hilde stand noch immer mit allem, was Zahlen hieß, auf dem Kriegsfuß.

Und nun gingen zwei große Briefe ab. Der eine an Hildes Mutter und der andere an Onkel Wilhelm. Es mußte wohl etwas sehr Wichtiges darin stehen, denn die beiden Mädchen liefen jeden Morgen dem Postboten in fieberhafter Erwartung entgegen. Und nach drei Tagen kam die heißersehnte Antwort: Ja, sie durften den Rucksack auf den Rücken schnallen, den Wanderstab zur Hand nehmen und mit Fräulein Geßner, die jedes Jahr nach Tirol ging, in München zusammentreffen. Hilde hatte in eifrigem Briefwechsel mit der älteren Freundin gestanden, und diese dem jungen Mädchen den Vorschlag gemacht, sich ihr diesmal auf ihren Fußwanderungen anzuschließen.

Aus dem kleinen möblierten Zimmer erscholl solch ein zweistimmiges Jubelgeschrei bei Empfang der Erlaubnis, daß die Frau Wirtin erschreckt die Tür öffnete, um nachzuschauen, ob auch ihren »jungen Fräulein Studenten« nichts zugestoßen sei. –

Drei Tage später marschierten sie mit dicksohligen, benagelten Stiefeln, das kecke graugrüne Hütchen flott in das lockige Haar gedrückt durch die Maximilianstraße in München. An ihrer Seite schritt Fräulein Doktor Geßner als Cicerone und machte ihre jungen Reisegefährtinnen auf alle Schönheiten der bayerischen Residenzstadt aufmerksam. Sie wanderten durch die Pinakotheken, besuchten das Hofbräu, und Hilde trank zu Fräulein Geßners Belustigung »a ganze Maß«.

Und dann saß man wieder in dem schwarzen, fauchenden Ungetüm, das so viel Schönheiten erschloß, die vorüberfliegende Landschaft wurde bergiger, immer höher strebten die Gipfel zu den Wolken empor, und schließlich rief Hilde beseligt: »Schnee – ich sehe richtige Schneeberge!«

Nun waren sie mitten drin, rings umgeben von der eisumpanzerten Alpenwelt. Sogar die muntere Hilde verstummte, überwältigt von dieser ewigen Schönheit.

Fräulein Geßner war hier zu Hause. Keine Schneespitze, kein Höhenzug war ihr unbekannt. Die beiden Freundinnen hatten an der Seite eines solchen Reisemarschalls doppelten Genuß von ihrer Tour.

Daisy hatte bereits eine wie Alpenglühen leuchtende Gletschernase, und Hildes Gesicht hatte sich schon zweimal gehäutet.

»Morgen wird früh aufgestanden, meine Damen,« sagte Fräulein Doktor, als man abends nach anstrengendem Tagwerk auf dem heuduftenden Wiesenplan zwischen Hühnern und Ziegen sich der wohlverdienten Ruhe hingab, »morgen haben wir viel vor.«

»Wo soll's denn 'nausgehen?« fragte der biedere Tiroler Wirt, der mit der brennenden Pfeife sich zum Plauschen zu ihnen gesellt hatte.

Fräulein Geßner wies mit der Hand zu den in der untergehenden Sonne purpurn erglühenden Schneefeldern hinauf: »Dort hinüber, erst zur Hütte und dann übermorgen mit Führer weiter über den Gletscher, jenseits ins Tal.«

»Dös ist schon a Leistung,« meinte der Wirt anerkennend, »no, dös Dirndl do,« – er wies auf Hilde – »die moacht's mit Leichtigkeit, dös ist eine – sakra – die läuft jo wie der Teifel!«

Hilde lächelte geschmeichelt, sie war gut Freund mit dem schlichten Tiroler Landvolk, ihre frische, harmlose Art fühlte etwas Verwandtes in dem vertraulichen, geraden Wesen der Bevölkerung. Mancher Bua sah dem bildsauberen Dirndl, das so freundlich mit jedem sprach und den Dialekt so gut verstand, keck in die blitzenden Augen.

Daisy war schwerfälliger, nicht nur im Klettern, sie traf auch nicht so den richtigen einfachen Ton im Verkehr mit den ehrlichen Menschen; und der Tiroler Dialekt klang an ihr Ohr, als ob es chinesische Laute wären. Hilde neckte sie immer und meinte, sie sei eine steife Amerikanerin. Auch mit der vierbeinigen Bevölkerung konnte sich Daisy nicht so anfreunden wie Hilde. Vor fremden Hunden hegte sie ein unüberwindbares Mißtrauen; die Maulesel, die ihre Rucksäcke öfters zur Höhe schleppten, bezeichnete sie als störrisch; friedlich werdende Kühe hielt sie für wütende Stiere und nahm zur Erheiterung ihrer Gefährtinnen ängstlich Reißaus. –

Eiskalt wehte der Bergwind, als die drei Damen in der Frühe um vier Uhr, zum Weitermarsch gerüstet, aus dem gastfreien Wirtshause traten. Tiefblauer Himmel umspannte die Gletscherwelt und das friedlich im Talkessel schlummernde Dörfchen.

Über blumige, grillendurchzirpte Matten ging es allmählich empor. Dann hörten die hohen Bergföhren nach und nach auf, die Pflanzenwelt wurde struppig, mageres Knieholz umkroch den steinigen Erdboden.

Die drei Wanderinnen schritten wacker aus, ihr treuer Begleiter, der Bergstock, erleichterte die Steile des Aufstiegs. Sie überschritten die italienische Grenze.

»Nichts Versteuerbares?« fragte der schwarzäugige Kontrollbeamte.

Hilde, die als Leithammel meist vorausging, schüttelte das sonnengebräunte Köpfchen.

»Auch keine Zigarren?« lachte der gutgelaunte Grenzaufseher, daß seine weißen Zähne blitzten.

Hilde verneinte verwirrt.

Und umgeben von flimmernden Eisriesen und gigantischen Schneehäuptern erstand plötzlich in ihr ein stilles Waldfleckchen, auf dem sie im Kreise fröhlicher Genossinnen Doktor Werner zum Trotz blauen Zigarrendampf in die Luft gepafft hatte. Wo mochte er jetzt weilen, zu dem ihre Gedanken so oft wanderten? Die Mutter hatte ihr geschrieben, daß Professor Werner seine Sommerreise angetreten habe. Er machte wie alljährlich kühne Besteigungen in den Alpen, aber ob sie ihn in der Schweiz oder in Tirol zu suchen habe, wußte Hilde nicht.

»Hildchen, was kostet das Wort bei Ihnen? Sie haben ja seit einer Viertelstunde in allen Sprachen geschwiegen. Hat der schnauzbärtige Grenzbeamte es Ihnen angetan?« neckte Fräulein Geßner.

Hilde schüttelte den Bann der Erinnerungen ab. Die Gegenwart, der Augenblick war ja auch so märchenhaft schön. In vollen Zügen sog sie den herben, heudurchtränkten Almenduft ein.

Sie hatten die Paßhöhe erreicht, eine gewaltige Steinwüste begann sich längs des Weges zu türmen. Da, ein Marterl, ein junger neunzehnjähriger Bursch, Sepp Steinhuber, hatte hier einer todbringenden Lawine sein junges Leben lassen müssen. Das fröhliche Lachen der drei verstummte – als warnendes Memento mori grinste das Marterl zu ihnen herüber.

Zu ihrer Rechten gähnten die blauen Gletscherspalten des funkelnden Eiskolosses, dem sie morgen keck den Fuß in den Nacken setzen wollten. An die Moräne lehnte sich die Schutzhütte, von der aus der Aufstieg unternommen werden sollte.

Fräulein Doktor war unzufrieden; die Aussicht war nicht so tadellos, wie sie es erwartet hatte. Das rötliche zackige Gestein der Dolomiten lag klar, aber die Zillertaler Alpen waren in Dunstschichten gehüllt. Das weissagte nichts Gutes für den kommenden Tag. Sie sprach eingehend mit den Führern, die auf der Bank vor dem Hause die müden Glieder ruhten und ebenfalls prüfend die sich ballenden Wolken beobachteten.

»Dös gibt heut schon noch a bös Wetter,« meinte einer.

»Fräulein Geßner, lassen Sie das Unken, Ihr Schmarrn wird kalt,« rief Hilde dazwischen, »wenn's regnet, machen wir's wie die Leute in Sachsen, wir gehen darunter weg.«

»Wees Knebbchen, hären Se, da ham Se recht,« ertönte da eine lachende sächselnde Stimme aus der Hütte; ein Ehepaar aus Leipzig stellte sich den Damen vor und nahm ohne alle Umschweife an ihrem Tische Platz. Man besprach die verschiedenen Reisewege, die Sachsen zollten dem unternehmungslustigen Kleeblatt ihre Anerkennung, daß sie den nicht ungefährlichen Gletscherübergang wagen wollten; und je lauter sie ihren Mut priesen, desto mehr fühlten Hilde und Daisy ihn sinken. Ängstlich blickten sie zu den unheimlichen Gletscherspalten herüber. Welche von ihnen bedrohte ihr junges Leben?

Fräulein Geßner als Wetterprophetin wurde glänzend gerechtfertigt.

Mit einer Geschwindigkeit, wie es nur im Hochgebirge möglich, stürmten Nebel die Schneehalde hinab, und im Umsehen schob sich eine dicke graue Wand vor jeden Ausblick. Und nun begann das Unwetter. Hilde und Daisy lehnten in stummem Entsetzen an den im Sturme erklirrenden Fenstern und schauten dem grausigen Toben der entfesselten Naturmächte zu – es war ein schaurig großartiges Schauspiel.

»O Gott – Hilde – da kommen Menschen, indeed, in diesem Wetter, ein Führer mit einem Herrn – look – er hat die Lodenkapuze ganz über den Kopf gezogen, der Ärmste wird schön durchweicht sein.«

Klirrende Nagelschuhe schlugen draußen auf den Steinboden des Flurs, man hörte die laute Stimme der Wirtin: »No, Gott sei's g'dankt, daß Sie wieder do sein, i hoab mi schon goar zu sehr um Ihnen g'bangt.«

Und dann wurde die Tür geöffnet und mit einem klingenden »Grüß Gott!« trat ein hochgewachsener Mann, den Eispickel in der Hand, in die niedrige Gaststube; die dunkle Lodenkapuze fiel, blondes Haar wurde sichtbar – »Professor Werner!« rief Daisy, während Hilde die triefende Männergestalt entgeistert anstarrte.

»Da hätten wir ja die kühnen Bergsteiger endlich!« rief Gerhard Werner mit froher Stimme, den Schnee von den Sachen schüttelnd und den jungen Damen kräftig die Hand drückend. »Drei Tage liege ich nach dem letzten Brief meiner Mutter, die mir Ihr Reiseprogramm mitgeteilt, nun schon wartend in diesem fürstlichen Palast – mal müssen sie doch kommen, tröstete ich mich von Tag zu Tag mit stoischer Ruhe. Ich glaube, es gibt hier kein Eishaupt mehr im Umkreis, dem ich nicht inzwischen aufs Dach gestiegen bin.«

Fräulein Geßner und Daisy umringten ihn mit einer Freude, wie man sie nur zweitausend Meter überm Meeresspiegel beim Anblick eines bekannten Gesichtes hegt.

Hilde hielt sich zurück. Professor Werner wandte sich zu ihr.

»Fräulein Hilde, Sie empfinden doch meine aufgedrängte Gesellschaft nicht etwa störend?«

Da schlug sie die tiefen Augen mit einem Blick so unaussprechlicher Seligkeit zu ihm auf, daß sich jeder Zweifel in ihm löste.

»Natürlich machen wir die Gletschertour morgen zusammen. So, also einen Führer haben Sie schon – na, dann rolle ich als fünftes Rad am Wagen hinterher. Nein, Fräulein Geßner, wir brauchen keinen zweiten Führer, der Übergang ist für mich Kinderspiel, ich nehme sogar noch eine der Damen ins Schlepptau.«

Und wieder ging sein Blick in stummer Frage zu Hildes braunem Gesichtchen, und ihre sprechenden Augen gaben ihm die gewünschte Antwort.

Der Führer war angewiesen, auf alle Fälle, wie auch das Wetter wäre, um drei Uhr zu wecken; und mit einem ängstlich prüfenden Blick in die dunkeldrohenden Wolkenmassen trennte man sich frühzeitig. Fräulein Geßner schlief mit der Gemütsruhe einer bewährten Hochtouristin den Schlaf des Gerechten, während Daisy und Hilde sich erregt in den feuchtkalten Betten wälzten. Die erste wirklich ernste Tour morgen stand im unheimlichen Dunkel der Nacht gespensterhaft drohend vor ihnen. Leise übte Daisy im Bett die aus dem Baedeker gelernten Notsignale. Hilde dagegen dachte nicht ganz so intensiv an das Morgen – »er« war ja bei ihr, da fühlte sie sich sicher vor allen Lawinen und Tücken des Gletschers.

Graue Frühdämmerung umwob noch die Hütte, als man zum Aufbruch bereit in die eisigkalte Hochgebirgsluft hinaustrat. Man hatte lange geschwankt, ob man die Tour wagen sollte; Neuschnee war in der Nacht gefallen und erschwerte das Vorwärtskommen. Die Lust am Abenteuerlichen aber hatte gesiegt. Schneebrille und Gletscherhandschuhe waren angetan, der Führer mit Proviant ausgerüstet, und nun stieg man langsam den steinigen Pfad bis zum Schneefeld empor, der sich längs der Moräne aufwärts zog.

Dann wurde angeseilt.

Daisy bebte vor Erregung, als ihr das Seil um die Hüften geschlungen wurde; sie ging als die am wenigsten Geübte zwischen dem Führer und Fräulein Geßner. Hilde wurde von Professor Werner »an die Leine« genommen, wie er sich ausdrückte; zärtlich strich sie über den harten Hanfstrick, der sie an ihn knüpfte.

»Vorwärts!« kommandierte Gerhard Werner, und die Karawane setzte sich in Bewegung. Hinein ging's in die unendlichen, blendenden Schneefelder; bis zu den Knien versanken die Damen in den weichen Schneemassen. Hilde stapfte wacker in Gerhard Werners Fußstapfen. Der vorausgehende Führer war bereits mit den beiden andern Damen von dem wogenden Nebelmeer verschlungen. Hildes Atem ging von der Anstrengung des Steigens schnell. Aber ein nie gekanntes Gefühl umfing sie, hier in der beklemmend großartigen Welt des bläulichen Eises und des unabsehbaren Schnees so ganz allein mit ihm, die einzigen lebenden Wesen in der starren, toten Gletscherwüste.

Gerhard Werner sah besorgt aus, die jagenden Nebelfetzen bedeuteten Unwetter – nur kein Schneesturm jetzt, ehe man die gefahrvollen Gletscherspalten bis zum Firnsattel umschritten hatte! Von Zeit zu Zeit blieb er, auf seine Eisaxt gestützt, stehen und wandte das gerötete Antlitz ermutigend der nachfolgenden Hilde zu.

»Geht's noch, mein tapferer kleiner Kamerad?«

Sie nickte glückselig, und alle Müdigkeit verflog vor seinem Blick.

Der Führer wartete jetzt auf den Nachtrab und gab Anweisung, wie die Gletscherspalten zu umgehen seien.

Und weiter – fest angezogen lag jetzt das Seil, vorsichtig prüfte Professor Werner den Boden, ehe er den Fuß aufsetzte.

»Links treten!« schrie er Hilde plötzlich zu. Diese aber in der Aufregung des Augenblicks wandte sich rechts, der Schnee unter ihrem Fuße wich, langsam glitt sie hinab.

Gerhard Werner fühlte einen starken Ruck am Strick – voll Geistesgegenwart warf er sich platt auf die Erde und versuchte, die totenbleiche, am Seil schwebende Hilde aus der Spalte zu sich emporzuziehen. Wenn das Seil riß oder der weiche Schnee, an den er sich klammerte, nicht mehr trug, dann waren sie beide verloren. Dieser Gedanke gab ihm übermenschliche Kraft, noch ein Anziehen, und Hilde flog neben ihm in den Schnee.

Ihre Augen waren fest geschlossen, der Schreck hatte sie der Sinne beraubt. Gerhard Werner kniete nieder, lehnte die leichte Gestalt an sich, und sie mit den Armen stützend, rieb er zart und leise Hildes Schläfen mit Schnee. Er war so vertieft in seine Sorge um sie, daß er das dumpfe Grollen überhörte, das schaurig von den gigantischen Eisblöcken zurückgeworfen wurde.

Mit einem tiefen Seufzer schlug Hilde die Lider auf und sah über sich zwei so liebevolle bange Augen, daß sie die ihren verwirrt wieder schloß.

Aber auch Gerhard Werner mußte plötzlich geblendet die Wimpern senken. Ein jäher Blitzstrahl flammte zuckend über das flimmernde Eis.

Und nun setzte der Schneesturm ein in tollem Wirbel, daß man die Hand nicht vor Augen sehen konnte. Gerhard Werner riß seinen Lodenumhang aus dem Riemen und hüllte die vor Kälte und Aufregung zitternde Hilde warm hinein. Und wieder schlang er schützend den Arm um sie.

Widerstandslos ruhte das einst so eigensinnige Köpfchen an Professor Werners Brust. Hilde hielt die Augen noch immer geschlossen.

Jetzt aber richtete sie sich ein wenig auf.

»Sie werden ja ganz naß, Herr Doktor – Herr Professor,« verbesserte sie sich schnell, »bitte, nehmen Sie Ihren Umhang zurück.«

Da zog er ihren Kopf in der braunen Mantelkapuze wieder sanft an sich, da hatte alles pedantische Überlegen und Zweifeln, ob sie auch reif genug sei, ein Ende.

»Für Sie will ich weder Doktor noch Professor Werner sein – weißt du keinen andern Namen für mich, Hilde?« fragte er flüsternd.

Wild dröhnender Donner verschlang ihre leise Erwiderung, aber Gerhard Werner mußte sie wohl verstanden haben.

Unter Donner und Blitz hatte sich die spröde Hilde gegeben.

Immer noch wirbelten die Schneeflocken, eisig empfand Gerhard plötzlich trotz des innern Feuers die durch das Lodenwams dringende Nässe, sie mußten weiter, wollten sie sich nicht dem sicheren Tode aussetzen.

Laute Rufe schallten plötzlich zu den beiden herüber – jetzt noch einmal –

Ein heller Juchzer aus Gerhard Werners Mund antwortete.

Dem Führer war das lange Ausbleiben der beiden aufgefallen; er hatte seine beiden Damen in der bereits erreichten Unterkunftshütte zurückgelassen, um nach ihnen zu suchen.

Bald hatten auch Gerhard und Hilde den Firnsattel erreicht, voller Besorgnis sahen Fräulein Geßner und Daisy nach ihnen aus.

»Wo haben Sie denn bloß gesteckt?« riefen sie ihnen entgegen.

»Hilde in einer Gletscherspalte,« lachte Gerhard Werner überselig, »und als ich sie dann glücklich heraus hatte, wußten wir, da in dem Schneesturm das Weiterkommen unmöglich war, die Zeit nicht besser anzuwenden, als – uns miteinander zu verloben!«

Das gab einen Jubel und eine Überraschung – »na warte, du Scheinheilige, dir glaub' ich nie mehr,« lachte Daisy in inniger Freude.

Und bei dampfender Erbssuppe wurde dann die Verlobung gefeiert hoch oben unter Schnee und Eis.

»Hast du auch einen Mann?« fragte die Frau, welche die Hütte bewirtschaftete, die danebenstehende Daisy.

Daisy schüttelte verlegen den Kopf.

»Dann mußt halt Umschau halten,« meinte die Frau ernsthaft. Und Daisy dachte leise seufzend an einen, der niemals ein studiertes Mädel lieben konnte ...

Sie stiegen wieder zu der kleinen Alltagswelt herab, aber Hilde und Gerhard nahmen das andächtige Festtagsgefühl aus der ewigen Gletscherwelt mit sich.

Die Mütter in dem stillen Vorstadthaus empfingen ihre vereinten Kinder in heller Glückseligkeit.

Hilde hängte ihre gelehrten Bücher an den Nagel, denn Gerhard Werner wollte durchaus nicht bis zur Beendigung des Studiums auf seine Hilde warten. Nicht einmal das Physikum, das sie gerne noch machen wollte, um doch wenigstens den ganzen »Kram« nicht umsonst gelernt zu haben, wurde ihr zugebilligt. Aus der jungen Studentin wurde ein eifriges und umsichtiges Hausmütterchen, und als der Rosenmonat wieder ins Land zog, führte Professor Gerhard sein junges Weib heim.


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