Else Ury
Lotte Naseweis und andere Schulmädelgeschichten
Else Ury

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Die kleine Samariterin

Erzählung aus dem Weltkriege 1914/15

Nach einer wahren Begebenheit.

Fern an der russischen Grenze, im Nordosten von Galizien, liegt das armselige Dorf Rawaruska. Es hat keine saubere Straße, keine freundlichen Häuser, kaum daß hier und da ein blühendes Gärtchen mit seinen bunten Nelken etwas Frohsinn in das einförmig graue Bild malt. Lehmhütte an Lehmhütte, mit dürftigem Strohdach gedeckt, so schmiegt sich der Ort in die weite, graugrüne Ebene, in das einsame, braune Moorland.

Das abgelegenste Hüttlein von allen, und das elendste dazu, bewohnte die kleine Rosel mit ihrer Mutter und ihrem Bruder. Aber an der rissigen Hauswand strahlten goldene Sonnenblumen, und auf dem schmalen Streifen Gartenland neben dem Hausbänkchen blühte es vom Frühling bis in den Spätherbst hinein. Schwalben nisteten unter dem Dachfirst und zwitscherten mit dem Dirnlein um die Wette. »Die bringen Glück«, sagte die Mutter.

Und es mußte wohl so sein. Denn trotzdem der Vater schon so manches Jahr unter dem Rasen schlief, trotzdem die Armut sich täglich mit an den sauber gescheuerten Tisch setzte, sah es reinlich und nett in dem Stübchen aus. Der rote Backsteinboden war mit weißem Sand bestreut, die geblümten Kattunvorhänge an dem großen Himmelbett immer frisch gewaschen, und der braune Kieferschrank mit den gemalten Rosen, das Glanzstück des Hauses, noch so schön wie am Hochzeitstage der Mutter.

Aber das allein gab dem Stübchen nicht das helle Gepräge. Ein immer froher und zufriedener Sinn wohnte auch in der kleinen Hütte. Wenn die Mutter im Hause schaffte oder ihre Weidenkörbe für den Verkauf flocht, summte sie ein Liedchen bei der Arbeit. Kam der große Bruder, der Franzl, vom Torfstechen zum Mittag heim, gleich hatte er das Schwesterchen bei den schwarzen Zöpfen und lachte und scherzte mit dem munteren Ding, daß die trockenen Salzkartoffeln ihnen wie der herrlichste Gansbraten mundeten.

Ja, die Rosel! Die hatte der liebe Herrgott in seiner besten Laune erschaffen. Kein Dirnlein im ganzen Umkreis hatte so blanke, schwarze Guckerl und so rosige Wangen. Blitzsauber trotz des vielfach geflickten Röckchens, und so lustig und seelenfroh, daß einem das Herz im Leibe lachte, wenn man es nur anschaute.

Das »Heidehaus« nannten die Leute das abgelegene Hüttlein, und die Rosel, weil sie wie eine wilde Rose da draußen an der sandigen Kiefernheide aufblühte, das »Heideröslein«.

Warum war die Rosel denn stets guter Dinge? Ei, weil sie's eben gar so schön auf der Welt fand. Wenn sie des Morgens mit ihrer Ziege auf die Weide zog, dann kam sie sich wie eine kleine Königin in ihrem Reiche vor. Ob das Barfüßchen mit dem Frühlingswind, der es übermütig an den schwarzen Zöpfen zauste, um die Wette lief, oder ob es auf seinen Stecken gelehnt, still träumerisch über die strohgelben Stoppelfelder, die bräunlichen Sumpfwiesen schaute, stets meinte es, so schön wie in der Heimat könnte es nirgends anderswo sein. Das Heideröslein liebte dieses einförmige, unfruchtbare Grenzland mit den zerzausten Kiefern und den im Winde ächzenden Weidenbüschen, wie sie alles liebte, was sie umgab. Jedes Gräslein, jedes Herrgottskäferlein lag der Rosel am Herzen, und war dabei doch ein ausgelassener Wildfang, dem keine Föhre zu hoch und kein Graben zu breit war.

Dreizehn Jahre war das Heideröslein, da kam ein Sommer, der war anders als alle, die es bisher erlebt. Der wirbelte selbst in dem ruhigen, weltabgeschiedenen Dörfchen Rawaruska das unterste zu oberst.

Krieg – Krieg – – – bis in das entlegene Heidehaus am Kiefernrand flog herzentflammend die Kunde. Da warf der Franzl seine Torfschaufel beiseite und schnürte das Bündel. Die Mutter gab ihm tränenden Auges ihren Segen, und das Schwesterchen flocht die schönsten Blumen aus dem Hausgärtchen um den Hut des Davonziehenden. Der greise Kaiser Franz Joseph rief die Söhne seines Landes, da war keiner, der nicht begeistert in den heiligen Kampf eilte, das Vaterland vor den eindringenden Feinden, den russischen Kosaken, zu schützen.

In der Dorfschule saß jetzt die Rosel mit heißen Wangen und lauschte den Worten des alten Lehrers. Der erzählte, wie da draußen in der Welt an allen Ecken und Enden der Krieg wild emporloderte, welch ein Sturm der Begeisterung durch Österreich und sein Bruderland, das Deutsche Reich, brauste, wie das ganze Volk sich voll Heldenmut erhoben hatte gegen all die Feinde ringsum. Ja, da blitzte es in den schwarzen Augen des Heiderösleins, und die braungebrannten Hände ballten sich zu Fäusten – ha, wer doch dabei sein könnte! Wenn sie doch auch dem bedrängten Vaterlande ihre Liebe, ihre Opferfreudigkeit beweisen dürfte!

Die kleine Rosel sollte bald mehr von dem Kriege zu sehen bekommen, als sie geglaubt. Von der Grenze her wälzte sich der Schreckensruf über Heideland und Moor: »Die Russen kommen – die Russen kommen!«

Verstörte Menschen aus den Grenzdörfern flüchteten, ihr Hab und Gut im Stich lassend, die staubige Landstraße entlang. Blutrot leuchtete der Himmel gen Osten von den vom Feind in Brand gesteckten Dörfern und Weilern.

Ja, war denn das noch Rosels stilles Heimatsdorf, das so friedlich zwischen Sumpfland und Kiefernheide geträumt? Es wimmelte dort plötzlich von Feldgrauen, in gewaltiger Zahl waren die österreichischen Truppen herangerückt, den mordbrennenden Feind aus dem Lande zu jagen. Jede Hütte hatte an zwanzig Mann Einquartierung. Auch das einsame Heidehaus war plötzlich von tapferen Soldaten überschwemmt und der Mittelpunkt lärmenden Kriegslebens.

Die arme Witwe gab für die braven Vaterlandsverteidiger her, was sie nur besaß. Aus ihrem Himmelbett hatte sie sich und die Rosel ausquartiert in die Kammer des Franzl, denn das Beste war für die jungen Helden, die todesmutig ihr Leben aufs Spiel setzten, gerade gut genug.

Und nun erst das Heideröslein. Das wußte gar nicht, was es den Tapferen alles antun sollte. Frische Ziegenmilch molk es ihnen zur Stärkung, die größten Eier schleppte es für sie herbei, und das schmackhafteste Brot half sie der Mutter kneten. Am erquickendsten aber war ihr froher Sinn, ihr zutraulich heiteres Wesen für die Quartiergäste.

Voll Staunen schaute die Rosel den Truppen bei ihren Befestigungsarbeiten zu. Da ward ein Teil der knorrigen Kiefern abgeholzt, da wurde das Heideland aufgerissen und Schützengräben angelegt. Drei- und vierfach hintereinander in langer Linie. Mit Holz und Baumstämmen wurden die Gräben wieder zugedeckt, Erde und Tannenreiser daraufgestreut, daß sie sich für das Feindesauge nicht von dem Erdboden unterschieden. Drinnen aber hatte man Maschinengewehre und Geschütze eingebaut. Auf allen vieren mußten die Bewohner dieser Erdhöhlen durch die kleine, unterirdische Holztür in ihre Behausung kriechen. Rosel schleppte mit ihrer Einquartierung um die Wette Stroh, Decken, einen alten Tisch und ein paar Schemel herbei, um die Schützengrabenvilla zu möblieren. Wie stolz war sie, als an dem einen Graben, den ihre Freunde bezogen, ein Schild prangte, das die Aufschrift trug: »Zum Heideröslein«.

Auch der heranrückende Feind hatte haltgemacht und begann sich in das Heideland einzugraben.

Gar lustig kam der Rosel dieses Höhlenleben vor, wenn sie den zum Schützengraben Abkommandierten Kaffee und warme Suppe zutrug. Aber bald wurde es Ernst – blutiger Ernst.

An einem heißen Augusttage war's. In bleiernem Fahlblau stülpte sich die Himmelsglocke über die glühende Ebene. Da schoß plötzlich eine mächtige Feuersäule hinter dem Kiefernwald in die Höhe, dicke, schwarze Rauchschwaden wirbelten über die Felder und Sumpfwiesen hin. Ein ohrenbetäubendes Krachen folgte, daß das Heidehaus hin und her schwankte, als sei es aus einer Spielzeugschachtel.

»Barmherziger Gott, steh' uns bei!« Die arme Witwe, die nicht anders glaubte, als daß die Hütte über ihnen einstürze, sank in die Knie und zog ihr Kind schützend in die Arme. Ein unaufhörliches Dröhnen und Knattern setzte draußen ein. Jetzt wildrollender Donner der schweren Haubitzen, nun ratterndes Knackknack der Maschinengewehre, und dazwischen wie rasend knatterndes Schnellfeuer aus den Schützengräben.

Es hielt die Rosel nicht im engen Stübchen. Sollte sie sich verkriechen, vielleicht gar den Kopf in Mutters Schürze stecken, während die Tapferen alle da draußen voll Todesmut sich dem Feinde entgegenwarfen?

Ein Höllenlärm durchtoste die heißen Lüfte, als die Rosel vor die Tür ihrer Hütte trat. Heulend kamen die Granaten über die Kiefernkronen daher gefegt, hier und da einschlagend, die Erde aufwühlend, Tod und Verderben ringsum aussäend. Der Atem stockte dem Mädchen vor Erregung – dicht vor ihr da tobte die wildeste, blutigste Schlacht.

Wie Ameisengewimmel waren die Russen aus ihren Gräben hervorgebrochen, im Sturm gingen sie auf die befestigte Stellung der Österreicher vor. Aber vor dem mörderischen Feuer der braven österreichischen Truppen mußten sie sich immer wieder zurückziehen.

Auf beiden Seiten hielt der Schnitter Tod seine reiche Augusternte, wie hingemäht fielen die Tapferen in das sonnenversengte Gras.

Mit entsetzten Augen schaute das Dirnlein in das furchtbare Schlachtgetümmel. Die Mutter wollte es am Röckchen zurück ins Haus ziehen, aber die Kleine wich nicht von ihrem Platz.

Die Hand gegen die blendenden Strahlen der Sonne über die Augen gelegt, so spähte sie mit dem scharfen Blick eines Falken über das Moorland.

Dort – dort drüben hinter dem staubgrauen Weidengebüsch lagen Menschen, brave Österreicher waren dort hingesunken, ob tot oder verwundet, wer konnte es wissen.

Aber vielleicht war den Ärmsten noch zu helfen, vielleicht war es möglich, ihre Schmerzen zu lindern? Wie der Wind eilte das barfüßige Dirnlein davon. Mitten hinein in den Kugelregen, unter den pfeifenden Granaten hinweg. Von reinstem Mitleid getrieben, des eigenen Lebens nicht achtend, so lief das mutige Mädchen über die Moorwiese zum Weidengebüsch.

O weh, da sah es bös aus! Blutgetränkt war die Erde. Mit gebrochenen Augen lagen die Toten zwischen den vielen Schwerverwundeten. Der starren Hand des Trompeters war die Trompete entfallen, dem Trommler hatte ein Granatsplitter die Rechte mitsamt dem Trommelstock fortgerissen. Wimmern erklang von den bleichen, von Blutverlust und Fieber verdorrten Lippen der Sterbenswunden. Ach, nur ein Trunk kühlen Wassers!

Da neigte sich plötzlich ein holdes Kindergesicht über die zu Tode Ermatteten. War es ein Engel, der vom Himmel herniedergestiegen war, um ihnen Trost zu bringen?

Nein, ein Bauerndirnlein war's, mit schwarzen Zöpfen und gesticktem Röckchen, aber aus den Augen der Kleinen strahlte himmlisches Mitleid. Sanft legte sie die Hand auf die brennende Stirn der Schwerverletzten, leise und weich, wie es wohl daheim die Mutter, die Gattin getan. Da lösten sich die schmerzverzerrten Züge, friedlicher wurde der Ausdruck der staub- und schweißbedeckten Gesichter. Und als die Kleine jetzt flüsternd fragte: »Kann ich euch helfen?« da rang es sich stöhnend von den Lippen der Verschmachteten: »Wasser – Wasser!«

Wer war schneller, die russischen Kugeln und Schrapnells, welche über die Ebene sausten, oder die braunen Beinchen des Heiderösleins? Schon war es wieder an der Hütte, die größten Krüge riß es vom Küchenbrett, füllte sie mit frischem Wasser und eilte über die Moorheide zum Weidengebüsch zurück, so flink es seine bloßen Füße trugen. Vergeblich klang die angsterfüllte Stimme der Mutter hinter der Kleinen her: »Rosel – Rosel – bleib' da – himmlischer Vater, wenn dich eine Kugel trifft!«

Nicht das Jammern der Mutter, nicht das Pfeifen der Granaten vernahm das mitleidige Mädchen, nur das Stöhnen der Verwundeten. »Wasser – Wasser!« – noch immer hatte es den wehen Ton im Ohr.

Da war der weidenumbuschte Platz erreicht. Den Krug mit dem Labetrunk setzte es behutsam an die brennenden Lippen der Verschmachteten – ha, wie das kühlte, wie das erquickte! Gierig schlürften die Armen das erfrischende Naß, neue Kraft, neuen Mut ließ es durch ihre Adern strömen. Voll Dankbarkeit sahen ihre Augen zu der kleinen Samariterin auf, die, Erquickung spendend, von einem zum andern schritt.

Aber ach – wie schnell waren die Krüge geleert! Noch hatten lange nicht alle Verwundeten das Labsal erhalten, und schon seufzten die bereits Erquickten von neuem nach dem Kühlung bringenden Trunke. Hin und her lief die Kleine zwischen dem Heidehaus und dem Schlachtfeld, unzählige Male, immer wieder. Unermüdlich schleppte sie die Wasserkrüge zu den Verlechzten. Ihre schwarzen Zöpfe flogen, ihre Wangen glühten vor Eifer, reinste Menschenliebe verklärte ihr Gesichtchen. Manch einer lag da, der vor wenigen Stunden noch mit ihr gelacht und gescherzt, seine Lippen flüsterten dankbar: »Das Heideröslein!«

Die Sonne stieg höher, und mit ihr die Furchtbarkeit der Schlacht. Unausgesetzt speiten die Münder der Feldhaubitzen todbringendes Feuer, die Erde bebte, die Luft war erfüllt von singenden Granaten und schwirrenden Schrapnells, von Brausen und Tosen. Aber die braven Österreicher wichen und wankten nicht. Und immer noch schleppte die kleine Samariterin mitten in dem eisernen Hagel die schweren Krüge mit der stets sehnsüchtig erwarteten Labung.

Ahnte denn die Kleine nicht die Todesgefahr, die ihr von allen Seiten drohte?

O doch! Aber stärker als die Vorstellungen der Mutter, tausendmal gewaltiger als Furcht und Grauen war die Barmherzigkeit in der Brust dieses kleinen Bauernmädchens.

Ach, wie glücklich war die Rosel, daß sie jetzt auch ihr Teil beitragen konnte für das teure Vaterland!

Da – was ist das?

Heulen – Sausen – ein erdberstender Krach dicht neben ihr. Goldene Kreise flirren vor den Augen des Mädchens, dann – tiefe Nacht. Das Kind ist zu Boden gerissen, der Krug ist den hilfsbereiten Händen entglitten. Purpurn sickert ein Blutstrom von dem linken Fuß der Rosel, unbarmherzig hat ein Schrapnellschuß das barmherzige Kind schwer getroffen.

Die Sinne waren dem Heideröslein geschwunden, tiefe Ohnmacht hielt sie umfangen. Sie merkte nicht, daß ein österreichischer Soldat sie sanft in die Arme nahm und geschwind zur Hütte trug. Sie hörte nicht das Klagen und Jammern der entsetzten Mutter. Sie wußte nicht, daß draußen immer noch Kanonendonner krachte, die ganze Nacht hindurch, während elektrische Scheinwerfer, wie gespenstische Riesenfinger in fahlem Weiß am schwarzen Himmel entlangtasteten.

An dem Strohlager der kleinen Samariterin stand der Oberstabsarzt. Einer ihrer aus dem Schützengraben abgelösten Freunde hatte ihn eilends herbeigeholt. Mit ernstem Blick prüfte er die entsetzliche Wunde und legte den Notverband an. Unter seinen Händen schlug die Rosel wieder die Augen auf.

»Du bist ein kleines Heldenmädchen!« sagte er mit warmer Stimme und strich ihr sanft das wirre Haar aus der Stirn.

Da lächelte das Heideröslein trotz der furchtbaren Schmerzen.

Zur Mutter aber sprach der Arzt draußen vor der Tür: »Liebe Frau, wenn Sie Ihr tapferes Kind am Leben erhalten wollen, müssen Sie mit der Kleinen nach Wien, heute noch. Die Verwundung ist so schwer, daß nur die Kunst unserer ersten Chirurgen, die sorgfältigste Pflege und Abwartung, wie die Kleine sie hier im Dorfe nicht haben kann, sie zu retten vermag. Ich kann zu jeder Stunde mit meiner Truppe weiterrücken müssen, dann haben Sie nicht einmal einen Arzt hier.«

Rosels Mutter stimmte unter Tränen zu. Ach, sie wollte ja alles tun, alles, wenn ihr nur ihre kleine Rosel erhalten blieb.

Durch die Fürsprache des Oberstabsarztes nahm ein Lazarettzug, der Verwundete nach Wien brachte, das Kind und seine Mutter mit. Einsamer noch ward es in dem entfernten Heidehaus.

Die Kunde aber von dem Heldenmute der kleinen Samariterin von Rawaruska flog von Mund zu Munde. Durch alle Zeitungen, durch alle Länder, ging ihr Name. Bekannt und berühmt war das weltfremde, kleine Bauernmädchen plötzlich draußen in der großen Welt geworden.

Doch während man allenthalben ihre Barmherzigkeit, ihren Opfermut bewunderte, rang die kleine Heldin mit dem Tode. Der Brand war in die Wunde getreten und drohte das junge Leben zu vernichten. Noch im Eisenbahnzuge mußte ein Arzt sie operieren und den Fuß abnehmen.

Als die Rosel aus der Betäubung erwachte, lag sie in einem schönen, reinen Bett des großen Wiener Spitals. Ach, hier war es gut sein! Freundliche Schwestern neigten sich in rührender Fürsorge über das Lager der kleinen Patientin. Jede einzelne war bemüht, dem braven Kinde durch treueste Pflege seine Nächstenliebe zu vergelten.

Am Bette saß die Mutter und hielt die Hand ihrer kleinen Rosel. Ihre Züge waren vergrämt, ihre Augen trübe geworden von vielen Tränen. Auch als das Töchterchen zwar noch mit matter, aber verständlicher Stimme flüsterte: »Mutterle, nun werde ich bald wieder ganz gesund sein!« wollten sich ihre Mienen nicht aufhellen.

Lieber Gott, wie sagte sie es dem armen, ahnungslosen Kinde bloß, daß es künftig nur noch einen Fuß haben sollte? Wie würde der Wildfang es ertragen, nie mehr umherspringen zu können wie andere Kinder?

Die Schwester nahm der bekümmerten Mutter die schlimme Botschaft ab. Mit weicher Stimme teilte sie der Kleinen das Notwendige mit.

Aber die Rosel brach nicht in Tränen aus, wie man geglaubt. Auch in diesem schicksalsschweren Augenblick versagte die Opferwilligkeit der Kleinen nicht. Ganz still lag sie da, nur um einen Schein blasser war sie wohl geworden. Dann aber wandte sie sich liebevoll zu der mit trostlosen Augen auf sie blickenden Mutter und flüsterte: »Nicht weinen, Mutterle, ich bin stolz darauf, daß ich meinen Fuß für unser Vaterland hab' hergeben dürfen!«

Viele Wochen mußte das heldenmütige Mädchen auf seinem Schmerzenslager ausharren. Sorgen quälten die Mutter. Was sollte aus ihrem Kinde werden, sobald es aus dem Spital entlassen würde? Welche traurige Jugendzeit stand der Rosel bevor, wenn sie mit dem einen Fuß in das kümmerliche galizische Heimatdorf zurückkehrte!

Als die arme Witwe eines Tages wieder schweren Herzens an die Zukunft dachte, öffnete sich die Tür des Krankenzimmers. Der Professor, der die Kleine behandelte, trat herein.

»Schau, Rosel,« sprach er, sich liebevoll zu der kleinen Kranken niederneigend, »dies hier schickt dir unser guter Kaiser Franz Joseph zum Dank dafür, daß du gar so barmherzig zu seinen Soldaten gewesen bist!« Damit legte er ihr ein funkelndes, goldenes Halsband mit blitzenden Steinen auf die Decke.

Die Rosel wagte sich nicht zu rühren. War's nicht gerade wie in dem Märchen von der Prinzessin im Heidemoor, das die Mutter ihr früher an Winterabenden erzählte?

»Ei, Rosel, sag', freust du dich denn gar nicht?« fragte der Professor lächelnd.

Da schlug das Kind die schwarzen Augen, leuchtend in Glückseligkeit, zu ihm auf und strich zärtlich über die kaiserliche Gabe.

Befriedigt wandte sich der Arzt an die arme Bauernfrau, die sprachlos vor Staunen auf das huldvolle Geschenk blickte.

»Ihnen, liebe Frau, schickt unser guter Kaiser tausend Kronen zur Pflege für unsere brave, kleine Rosel. Lassen Sie nur den Mut nicht sinken. Was ärztliche Kunst vermag, soll Ihrem Töchterchen zuteil werden. Die Technik ist heutzutage weit vorgeschritten, man wird es kaum sehen, daß die Kleine einen künstlichen Fuß bekommt. Auch später wird Majestät für das tapfere, kleine Mädchen sorgen und ihm eine gute Erziehung zuteil werden lassen.« Der Professor streichelte noch einmal die vor Freude geröteten Wangen der Rosel und schritt dann zur Tür hinaus, zwei glückliche Menschen zurücklassend.

Springen und umhertollen wie einst kann die Rosel jetzt freilich nicht mehr. Doch sie entbehrt es nicht, darf sie doch statt dessen viel lernen. Alle Welt ist lieb zu ihr. Sie selbst aber trägt ihren künstlichen Fuß mit dem gleichen Stolz wie ein Krieger sein Eisernes Kreuz.

Der Name der kleinen Samariterin von Rawaruska wird unvergessen bleiben.



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