Else Ury
Lotte Naseweis und andere Schulmädelgeschichten
Else Ury

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Eva, das Kriegskind

Die Mittagssonne blinzelte durch die Tüllvorhänge des breiten Fensters in ein gemütliches Berliner Zimmer hinein. Dort pflegte es stets lustig zuzugehen. Denn drei Blondköpfe sorgten für lebhafte Unterhaltung an dem runden Eßtisch: der langaufgeschossene Sekundaner Herbert, die zwölfjährige Annie, mit dem heimlichen Schalk in den Braunaugen, und Klein-Edith, das siebenjährige Nesthäkchen der Familie. Freilich, seitdem der Vater seine Uniform hervorgesucht hatte und ins Feld gezogen war, ging es nicht ganz so lustig mehr wie früher zu.

Der Ernst der Zeit warf einen Schatten auch über die sorglosen Kinder. Herbert war schon reif genug, um die gewaltige Größe des um sein Dasein kämpfenden deutschen Volkes zu verstehen, und widmete seine Kräfte dem Vaterlande als Pfadfinder. Annies Vaterlandspflichten dagegen verkörperte ein grauer Strickstrumpf, der durchaus nicht wachsen wollte.

Die durch die Vorhänge lugende Sonne streichelte warm und zärtlich mit ihren Strahlenfingern die eifrig über die Teller geneigten Blondköpfe. Wärmer und zärtlicher noch aber war der Mutterblick, der die drei blühenden Kinder umfaßte. Wie sie es sich schmecken ließen! Von dem schmausenden Kleeblatt glitt ihr Blick zu der blitzenden Schüssel, in welcher das Gemüse trotz aller Kraftanstrengung der Jugend noch immer kein Ende nahm. Unwillkürlich mußte Frau Professor Trendler an so manches schmächtige Kindergesicht denken, das ihr in diesen Tagen begegnet war.

»Bei uns könnte gut noch eins satt werden,« sagte sie nachdenklich, »ich habe große Lust, mir ein Kriegskind zum Mittagbrot ins Haus zu laden. Auguste kocht stets so reichlich, daß für so ein armes Kleines noch etwas abfällt.«

Die Kinder waren sofort Feuer und Flamme für Mutters Vorschlag. Die Jugend gibt und hilft gern, und außerdem reizt das Neue.

»Fein, Muttchen – fein – neben mir soll es sitzen.« – »Mir brauchst du dann bloß noch die Hälfte meines sonstigen Mittagbrots zu geben.« So ging es über den Eßtisch hin und her, und das Kriegskind bildete mit einem Male den Mittelpunkt der lebhaften Kinderunterhaltung.

In diesem Augenblick riß ein doppeltes Klingelzeichen, das gerade in die »gesegnete Mahlzeit« hineinschrillte, die Kinder aus ihrer Begeisterung.

»Tante Asta – das ist bestimmt Tante Asta!« Wie der Wind war das Nesthäkchen zur Tür hinaus, um der Lieblingstante zu öffnen.

Tante Asta Frenzen bewohnte in demselben Hause die andere Hälfte des gleichen Stockwerks. Für die Kinder war es jedesmal ein Fest, wenn das doppelte Klingelzeichen erschallte. Nach dem frühen Tode ihres Gatten hatte Tante Asta sich fest an die Familie ihrer Schwester angeschlossen; Theo, ihr einziger Sohn, war mit den Professorkindern zusammen aufgewachsen. Trotzdem er über zwei Jahre älter war als Herbert, verband die beiden eine feste Jungenfreundschaft.

Tante Asta war noch immer, obgleich sie schon Ausgangs der Dreißiger sein mochte, eine jugendlich schöne Erscheinung.

Ihr sonst blasses Gesicht war heute lebhaft gerötet. Kaum vermochte sie ihrer Erregung Herr zu werden. War etwas mit Vetter Theo vorgefallen? Als richtige kleine Evastochter ließ Annie ihre neugierigen Augen von der erregten Tante flugs zu dem ihr auf dem Fuß folgenden Vetter gleiten. Und was sie hier sah, bestärkte das Schlauköpfchen in der Annahme, daß es da etwas gegeben haben müsse.

Theos frisches Jungengesicht war rot wie ein Krebs. Bald fuhr er sich mit der Rechten durch das dichte Haar, bald zupfte er mit der Linken an den paar winzigen Blondhärchen, die man allenfalls durch die Lupe gesehen als künftiges Bärtchen bezeichnen konnte. Was mochte der große Theo nur angestellt haben?

Frau Professor, selbst heftig erschrocken beim Anblick ihrer Schwester, hatte inzwischen besänftigend die Hand auf die Schulter der Erregten gelegt.

»Asta, liebes Herz, was ist geschehen – was bringt dich so außer Fassung?« fragte sie mit bebender Stimme.

Statt jeder Antwort schlug Tante Asta beide Hände vor das Gesicht.

Da wandte sich Frau Professor Trendler in jähem Entsetzen an den Neffen.

»Theo – was ist? Habt ihr eine Nachricht von meinem Mann erhalten? Ist Onkel Georg – – –?«

»Nein – nein, keine Sorge, Tante Emmi«, unterbrach der Oberprimaner beruhigend die angstvolle Frage. »Es handelt sich lediglich um mich. Meine Wenigkeit hat Mutter in solche Aufregung versetzt und diesen Aufruhr in unser friedliches Familienleben gebracht.«

»Er will fort, in den Krieg will er! Zur Notprüfung hat er sich heute gemeldet, und dann will er sich sogleich als Freiwilliger stellen. Mein Junge, das einzige, was mir noch geblieben ist, das einzige, wofür ich noch gelebt habe! Ach, womit habe ich solchen Undank verdient!« Frau Astas Schultern bebten in verhaltenem Schluchzen.

»Wenn du doch nur glauben wolltest, daß es kein Undank von mir ist, Mutter! Daß ich die zwingende Notwendigkeit in mir fühle, meine Kraft und mein Leben für das Vaterland einzusetzen. Deutschland braucht junge Kräfte. Es ist ringsum von Feinden umgeben, da ist es die Pflicht eines jeden gesunden Menschen, die heimatliche Erde mit dem letzten Blutstropfen zu verteidigen. Hilf du mir doch, Mutter zu überzeugen.« Bittend ergriff der Jüngling beide Hände der Tante.

Liebevoll strich Frau Professor Trendler über das Haar der jüngeren Schwester. Ihre Stimme klang weich und mild.

»Dein Junge hat recht, Asta, es ist die Pflicht, die ihn hinausruft, Mutterliebe darf ihn nicht davon zurückhalten. Denke an die Tausende und aber Tausende von Müttern, die ihre Söhne in den Kampf ziehen ließen! Denke an unsere Kaiserin, die als leuchtendes Vorbild einer deutschen Frau selbst sechs Söhne hinaussandte, um den Sieg zu erkämpfen. Und habe ich nicht auch mein Liebstes fortgeben müssen, den Vater meiner Kinder? Gott allein weiß, ob er uns heimkehren wird –« Die Stimme wollte der tapferen Frau nicht weiter gehorchen.

»Dir ist noch viel geblieben, Emmi.« Tante Asta wies auf die mit erregten Mienen lauschenden Kinder. »Aber mir – der Junge ist mein ein und alles, wenn er von mir geht, bin ich ganz verlassen.«

»Nimm dir doch ein Kriegskind, Tante Asta!« Ein helles Kinderstimmchen rief es in die schwüle Pause hinein, die den Worten der Tante gefolgt war. »Dann bist du nicht so allein.« Klein-Edith schmiegte den Blondkopf zärtlich an die Schulter der Tante.

»Wen? – was? – ein Kriegskind? – –« Tante Asta sah fragend von der Kleinen zu deren Mutter.

»Ich hatte den Kindern soeben meine Absicht ausgesprochen, ein Kriegskind ins Haus zu nehmen«, beeilte sich Frau Professor Trendler zu erklären, um ihre Schwester auf andere Gedanken zu bringen. »Dieser Plan spukt wohl noch in Ediths Köpfchen.«

»Ein fremdes Kind? Ich weiß nicht, Emmi, ob du recht daran tust, überlege es dir noch reiflich, man kann nicht wissen, welchen Gefahren du deine eigenen Kinder durch den täglichen Umgang aussetzt«, meinte Tante Asta bedenklich.

»Ich glaube, daß es da keiner Überlegung bedarf. In Zeiten der Not soll das Herz und nicht der Verstand den Ausschlag geben«, entgegnete in entschiedenem Ton die Frau Professor.

»Wie du willst, Emmi. Aber das ist ja alles so gleichgültig dem einen, Furchtbaren gegenüber – –« Frau Asta hatte sich erhoben. Ihre weitgeöffneten Augen schienen die Wände des Zimmers zu durchdringen, es war, als ob sie die Schrecken des Krieges schaute.

»Nicht wahr, du wirst Theo deine Einwilligung nicht vorenthalten, Asta?« Auf den flehentlichen Blick des Neffen versuchte Frau Professor noch einmal ihren sich fast immer bewährenden Einfluß auf die jüngere Schwester.

Frau Asta fuhr sich mit der Hand über die Augen, als wollte sie das geschaute Bild mit Gewalt fortdrängen. Alles Blut war aus ihren Wangen gewichen.

»Es würde mir ja nichts nützen, wenn ich nein sagte. Ohne meine Einwilligung würde Theo zwar davon zurückstehen, aber er würde nicht nachlassen, mich zu bestürmen, täglich, stündlich, ich kenne doch meinen Jungen, bis ich schließlich mürbe geworden wäre. Dann schon lieber gleich. Und – und ich will auch nicht weniger opferfreudig sein als die anderen deutschen Mütter.« Leise, ganz leise klangen diese letzten Worte.

Die Kinder hatten sie gar nicht vernommen. Aber Frau Professor Trendler mußte sie wohl verstanden haben, denn sie drückte einen innigen Kuß auf die bleiche Wange der Schwester. »So ist's recht, meine Asta, dein Theo wird ja gesund wieder heimkehren!« flüsterte sie bewegt.

Lautes »Hurra« unterbrach das Zwiegespräch der beiden Damen. Theo hatte voll Glückseligkeit das, was ihm zunächst stand, Klein-Edith, ergriffen, und sprang nun unter hellem Jubelgeschrei, nicht wie ein künftiger Vaterlandsverteidiger, sondern wie ein ausgelassener Junge, mit dem kleinen Bäschen im Speisezimmer umher. Hatte er es nicht vorher gewußt? Drüben bei Tante Emmi kam alles wieder in Ordnung. Noch aus seiner Kinderzeit her wußte das Theo, wenn er einmal irgendeine Dummheit gemacht hatte.

Plötzlich fühlte sich der Glückliche fest am Arm gepackt und an weiteren Sprüngen und Jubelausbrüchen verhindert.

»Du – nimm mich mit – ich bin nur zwei Jahre jünger als du – ich kann ebensogut wie du gegen den Feind ziehen!«

»Na, mein Junge, suche du dir deine Lorbeeren vorläufig nur noch bei Virgil und Homer«, sagte lachend Frau Professor Trendler und gab ihrer sich verabschiedenden Schwester und dem sich stürmisch bedankenden Neffen das Geleit.

Es war einige Tage nach dieser ereignisvollen Mittagsstunde. Theo hatte inzwischen die Notprüfung bestanden und war bereits nach Jüterbog, unweit Berlin, zu seiner militärischen Ausbildung abgereist. Er hatte sich zur Feldartillerie gemeldet. Zum erstenmal in ihrem Leben hatte Frau Frenzen sich von ihrem Sohne, den sie stets mit all ihrer Zärtlichkeit umhegt, trennen müssen. Mit Gewalt hatte sie ihren Schmerz niedergekämpft. Sie wollte stark sein wie all die anderen deutschen Mütter, sie wollte tränenlos ihren Einzigen ziehen lassen.

In dem geräumigen Zimmer mit den weißen Möbeln und den hellgemusterten Vorhängen – Kinderstube wurde es zu Annies heimlicher Empörung immer noch genannt –, in diesem friedlichen Zimmer war es in den letzten Tagen auch ausnahmsweise friedlich zugegangen. Morgen sollte das Kriegskind zum erstenmal seinen Mittagseinzug halten. Das war für die beiden Mädchen noch wichtiger als Theos militärische Laufbahn. Annie legte plötzlich eine erstaunliche Ordnungsliebe an den Tag. In ihren Schubfächern, wo alles wie Kraut und Rüben durcheinander lag, räumte sie gründlich auf. Selbst Ediths Puppenwinkel wurde einer eingehenden Musterung unterzogen.

Ein recht häßlicher, grauer Regentag lag über Berlin. An dem Balkongitter hingen die Wassertropfen wie Glasperlen. Klein-Edith preßte das Näschen fast platt gegen die Fensterscheibe und konnte die Zeit nicht erwarten, bis das Kriegskind da war. Annie überlegte, wie es wohl aussehen mochte. Sie wußte nur so viel, daß der kleine Mittagsgast Eva hieß. Eva – das war ein wunderhübscher Name, sicherlich war Eva auch selbst hübsch! Ohne blonde Locken konnte Annie sie sich nicht vorstellen. Draußen klingelte es.

Annie und Edith überkugelten sich fast, weil beide zugleich zur Tür stürzten. Es war nicht die Erwartete, sondern der Briefträger. Er brachte einen Feldpostbrief vom Vater, der sonst mit Jubel begrüßt wurde. Diesmal aber konnten die Kinder eine leise Enttäuschung kaum niederkämpfen. Wo blieb die Eva denn so lange? Auch die Mutter war noch nicht von ihren Gängen heimgekehrt.

Da erschien Augustes, des Dienstmädchens, breite Gestalt in dem Türrahmen.

»Kinder, das Kriegskind ist eben gekommen. Ach, ist das arme Kind aber blaß, das müssen wir ordentlich rausfuttern«, setzte sie gutmütig hinzu.

Eilends liefen die beiden Schwestern hinter Auguste her zur Küche, während Herbert im Bewußtsein seiner Sekundanerwürde die Dinge an sich herankommen ließ.

Auf den blanken Steinfliesen der Küche hatte sich ein schwärzlicher, kleiner Teich gebildet. Mitten in diesem Regensee stand ein schmächtiges Mädchen, wohl einen halben Kopf kleiner als Annie, mit hilflosen Augen. Schwarze Haare klebten vor Nässe um das schmale, blasse Gesicht, in dem nur die Nase sanfte Röte aufwies. Die dürftige Kleidung war durchnäßt, Tropfen auf Tropfen entrannen ihr und bildeten den kleinen See auf Augustes blanken Fliesen. Vor den neugierig sie betrachtenden Kinderaugen kroch die kleine Eva ganz in sich zusammen.

Das – das war ihr Kriegskind? Die Eva mit den blonden Locken, auf die sie sich so gefreut hatte? Annie war grenzenlos enttäuscht, sie vergaß darüber vollständig, das arme, verschüchterte Ding mit einem freundlichen Wort zu begrüßen, so daß Auguste daran erinnern mußte.

»Na, Kinder, wollt ihr der Eva nicht guten Tag sagen?« meinte Auguste mit deutlicher Mißbilligung. Ihr einfacher Sinn empfand die Kälte des Empfangs für das arme Kind.

Edith, die sich bisher aus Schüchternheit zurückgehalten hatte, ergriff gehorsam die am Körper schlaff herabhängende Rechte des fremden Mädchens.

»Guten Tag, Eva – puh, bist du naß und kalt, wie ein Frosch!« Die Kleine mußte über ihren Vergleich hellauf lachen.

Annie stimmte in das Lachen ein. Eva aber verbarg verschüchtert ihre nasse Hand in den Falten ihres Röckchens.

Das Warten wurde Herbert zu lange. Von dem Lachen der Schwestern angelockt, ließ er seine Sekundanerwürde beiseite und erschien ebenfalls in der Küche.

»Tag, – aber Mädel du triefst ja! Annie, hast du nicht Sachen, die du dem Mädchen leihen kannst. Auf den Tod kann sie sich ja erkälten.« Der umsichtige, fürsorgliche Pfadfinder kam zum Vorschein.

Annie sah den Bruder an, als ob er chinesisch spräche. Was – ihre Sachen sollte sie dem ärmlichen Kinde borgen? War denn Herbert ganz und gar verdreht? Ihre hübschen Sachen? Das tat sie bestimmt nicht.

Die große Uhr im Speisezimmer verkündete die zweite Stunde. In diesem Augenblick ging die Tür auf, und auf die Minute pünktlich wie stets kam Frau Professor Trendler nach Hause.

»Ist ein Brief da vom Vater?« Das war immer ihre erste Frage.

Edith lief ihr bereits damit entgegen.

»Gott sei Dank!« Erleichtert atmete die um den Fernen sorgende Frau auf, als sie sein Lebenszeichen in der Hand hielt.

»Muttchen, die Eva ist draußen in der Küche; das ist ja gar kein Kriegskind, sondern ein Bettelmädel! Und zum Auswinden naß ist sie, die können wir doch nicht in unser Eßzimmer mit hereinnehmen!« Annie flüsterte es aufgeregt der Mutter zu.

»Aber Annie,« sagte Frau Professor, ihre regenfeuchten Sachen ablegend, »ich denke, du bist nicht stolz?« Da senkte das Töchterchen den blonden Kopf. Die menschenfreundliche Frau aber steckte den sehnlichst erwarteten Brief des Gatten in die Tasche. Jetzt gab es Notwendigeres zu tun, als ihn zu lesen. Sie trat in die Küche.

»Willkommen, kleine Eva – armes Kind, bist so in die Regentraufe hineingekommen? Na, dafür gibt's trockene Sachen!« Sie nahm das bei den freundlichen Worten erlöst aufblickende Mädchen an die Hand und führte es in die Kinderstube. Eine schwärzliche Regenspur zog sich hinter ihnen her bis in das weiße Zimmer der beiden Mädchen. Annie kämpfte den Ärger darüber, so gut es gehen wollte, hinunter. Mutters Beispiel wirkte mehr als der stärkste Verweis. Daß Mutter Vaters Brief, nach dem sie sich so gebangt hatte, ungelesen forttun konnte, um dem fremden Mädchen zu helfen, das zeigte Annie am deutlichsten, wie häßlich sie sich selbst benommen hatte.

»So, Kind, erst Schuhe und Strümpfe wechseln, damit es keine Erkältung gibt. Annie, bring' flink ein Paar wollene Strümpfe von dir und Stiefel. Und dann dein ausgewachsenes blaues Matrosenkleid, das hinten im Schrank hängt.«

Annie tat, wie ihr geheißen. Sie brachte die Strümpfe, sie brachte das Kleid. Dann aber blieb sie unschlüssig stehen. Sie besaß außer ihren Schulstiefeln nur noch Sonntagsstiefel, ganz neue, mit Lackkappen. Lackkappen – das war der sehnlichste Wunsch der kleinen Eitelkeit gewesen. Und nun sollte sie ihre schönen, neuen Stiefel dem armen Kinde überlassen – nein, das gewann sie nicht über sich.

»Flink noch die Stiefel, Annie«, ermunterte die Mutter, die den Kampf, der sich auf den offenen, jungen Zügen abspielte, wohl gewahrte.

»Es sind – es sind meine neuen Lackstiefel!« Zögernd, ganz langsam brachte Annie ihre Stiefel herbei.

»Eva wird gewiß ganz gern mal Lackstiefel tragen – so, Kind, nun bist du äußerlich warm, nun wollen wir auch den inneren Menschen mit heißer Suppe aufwärmen. Kommt zu Tische, Kinder.« Frau Professor schritt voran ins Eßzimmer.

Wäre Annie nicht in ihren Schmerz um die verliehenen Stiefel so versunken gewesen, so hätte sie sicherlich mit Staunen wahrgenommen, wie hübsch die Eva jetzt in den netten Sachen aussah. Sie gewünschten blonden Locken hatte sie zwar noch immer nicht, aber ihre großen, dunkelblauen Augen, die so dankbar zu der guten Frau Professor aufsahen, gaben dem schmalen Gesichtchen einen seltsamen Reiz.

Wie still es heute an dem runden Familientisch zuging! Sonst schmatzte es dort doch manchmal nur allzu toll durcheinander. Aber heute kein Wort. Frau Professor las nun endlich mit glücklichen Augen ihren Brief aus dem Schützengraben. Herbert nahm verschiedentlich einen Anlauf zu einer lebhaften Unterhaltung, indem er sich räusperte. Aber weiter kam er damit nicht – was sollte er denn auch mit dem fremden Mädchen reden? Annie schielte betrübt auf die Füße der neben ihr Sitzenden. Nur Klein-Edith unterbrach plötzlich die Stille mit den Worten: »Au, Eva, du schlürfst ja!«

Eine Blutwelle ergoß sich über das blasse Gesicht der Getadelten. Aber auch die andern erröteten peinlich. Da war es wieder die gute Frau Professor, die der mit den Tränen kämpfenden Eva zu Hilfe kam.

»Schau, Edith, die Eva hat es nicht so gut wie du, die hat keine Mutter daheim, die sie darauf aufmerksam macht, daß man die Suppe geräuschlos ißt.«

Edith machte ein betretenes Gesicht und sah mitleidig auf das Kriegskind, das so arm war, daß es nicht einmal eine Mutter zu Hause hatte. Eva aber bemühte sich rührend, ihre Suppe jetzt ohne Schlürfen auszulöffeln.

Beim Fleisch allerdings zeigte es sich wieder, daß niemand Eva bisher darauf aufmerksam gemacht hatte, gesittet zu essen, und sie daher auch Gabel und Messer nicht richtig zu gebrauchen verstand.

Annie saß starr. Sie wunderte sich nur, daß ihre Mutter das unmanierliche Mädchen ohne jede Rüge ließ. Annie hatte noch nicht genug Überlegung, um einzusehen, daß man nicht gleich am ersten Tage das arme Ding kopfscheu machen durfte. Frau Professor tat, als sähe sie gar nicht, daß Eva das Messer in den Mund führte.

Sie berichtete aus des Vaters Brief, daß es ihm gut ginge und daß er sich sehr über die Briefe seiner drei Kinder gefreut habe. Dann wandte sie sich an die kleine Fremde.

»Schreibst du deinem Vater auch fleißig, Eva?«

»Ja, so oft ich kann, und ich stricke ihm auch Strümpfe, aber am Tage komme ich nur wenig dazu.« Evas blasses Gesicht hatte, als sie von ihrem Vater sprach, Farbe bekommen.

»Hast du denn so viel Schularbeiten zu machen, Eva?« erkundigte sich Annie erstaunt.

»Ach nein, dazu habe ich immer erst abends Zeit. Aber ich muß der Tante helfen, umsonst kann sie mich nicht bei sich behalten, denn sie ist ja nur eine entfernte Base vom Vater.«

»Da bist du gewiß schon eine tüchtige Hilfe im Hause, Eva?« sagte Frau Professor freundlich. Sie war froh, daß jetzt das Eis gebrochen war und die Jugend sich miteinander unterhielt. Auch Herbert beteiligte sich nun am Gespräch. Er erkundigte sich, ob Evas Vater in Frankreich oder Rußland stehe, und ob er schon mal verwundet sei. Eva gab, nachdem die erste Schüchternheit überwunden war, verständige Antwort.

Nach Beendigung der Mahlzeit stellte sie die gebrauchten Teller aufeinander und schickte sich an, sie in die Küche zu tragen.

»Ach, laß doch das,« meinte Annie ein wenig von oben herab, »das macht die Auguste. Komm lieber in unser Zimmer, dann zeigen wir dir unsere Spiele und Bücher.«

Eva sah fragend zu Frau Professor hin. »Ich – ich dachte, ich könnte vielleicht der Auguste beim Abwaschen helfen. Die Tante sagt immer: ›Umsonst ist nichts im Leben‹, und ich habe hier doch das gute Essen bekommen.«

»Wie traurig, daß ein Kind für alles Gute, was es erhält, sich zu einer Gegenleistung verpflichtet fühlt«, dachte Frau Professor Trendler. Laut aber sagte sie: »Wenn es dir Freude macht, Eva, wird es der Auguste sehr angenehm sein, wenn du ihr ein wenig hilfst. Hast du denn aber auch noch Zeit, Kind, erwartet dich die Tante nicht zurück?«

»Nein, Tante hat gesagt: ›Nimm's nur wahr! Und den Kaffee‹, hat sie gesagt –« Eva stockte plötzlich. Es kam ihr trotz aller Ehrlichkeit zum Bewußtsein, daß sie die Worte der Tante: »Den Kaffee brauchst du ihnen auch nicht zu schenken« doch wohl nicht wiederholen konnte.

Die kluge Frau Professor forschte nicht weiter. Sie erriet den ungesprochenen Satz. Eva ging mit Auguste in die Küche, und die Kinder setzten sich an ihre Schularbeiten. Die wollten heute aber gar nicht vorwärts gehen. Wenigstens bei Annie nicht. Jeder Winkel, jedes Schubfach ihres für den Empfang des Kriegskindes so schön aufgeräumten Zimmers erinnerte sie an die Enttäuschung. Daß die Eva ganz anders aussah, als sie sich vorgestellt hatte, das war schließlich zu überwinden. Aber daß sie nachmittags nicht mit zum Spielen hereinkam, daß sie vorzog, in der Küche draußen zu bleiben!

Während aber Annie französische Vokabeln in dem großen Wörterbuch nachschlug, ertappte sie sich mehrfach bei dem Gedanken, daß sie auch lieber der Auguste geholfen hätte.

Als Auguste den Kaffee hereinbrachte, war sie des Lobes voll über die tüchtige Hilfe.

»Das müßten Frau Professor mal sehen, wie unser Kriegskind zupackt. So klein und schwach sie aussieht, die arbeitet Ihnen wie ein Großer. Fix und fertig sind wir mit unserer Küche – und sie ist doch nur ein halbes Jahr älter als unser Anniechen.«

»Unser Anniechen« machte ein bitterböses Gesicht. Daß Auguste es wagte, sie mit dem fremden Mädchen zu vergleichen, und noch dazu zu dessen Gunsten, kränkte sie sehr. Aus Ärger darüber sprach sie beim Kaffee kein Wort mehr mit der Eva. Um so lebhafter unterhielt sich Edith mit ihr.

Der Kaffee war beendigt, das Kriegskind machte Miene, sich zu verabschieden. »Darf ich mir in der Kinderstube wieder meine Sachen anziehen? Auguste war so freundlich, sie zu trocknen«, wandte sie sich bescheiden an Annie.

Die tat, als ob sie schwerhörig wäre. Kinderstube – solche Frechheit von der Eva!

»Die Sachen sollst du behalten, Eva«, nahm da Frau Professor statt ihres ungnädigen Töchterleins das Wort. »Dein altes Kleid ist am Ärmel schon entzwei, und auch die Stiefel scheinen mir nicht mehr wasserdicht zu sein. Auguste wird dir alles einpacken.«

Eva vermochte zuerst kein Wort vor Glück herauszubringen.

»Wie – all die feinen Sachen – –« stammelte sie schließlich.

»Meine Lackstiefel etwa auch?« Annie glaubte ihren Ohren nicht zu trauen.

»Du kommst vorläufig mit deinen festen Schulstiefeln aus, zur Not hast du ja auch noch die Halbschuhe.« Die Mutter sagte es in so bestimmtem Ton, daß es dagegen keine Widerrede gab. Aber Annies Empfindungen für das fremde Mädchen wurden dadurch nicht freundlicher.

Nachdem Evas Bekleidung noch von ihrer Wohltäterin durch einen alten Lodenumhang, dessen Kapuze den Kopf vor dem Regen schützte, ergänzt worden war, ging das Kriegskind voller Dankbarkeit heim.

Heim? Ach, es war kein trauliches Zuhause, in das Eva zurückkehrte. Hätte Annie den wenig freundlichen Empfang, der Eva zuteil wurde, mitansehen können, dann hätte das Mitleid in ihrem Herzen wohl die Oberhand gewonnen. Denn Annie hatte trotz ihrer kleinen Fehler ein weiches Gemüt.

Am nächsten Tage erschien das Kriegskind wieder in seiner alten Kleidung. Nur der eine Ärmel hatte eine Veränderung erfahren. Auf den zerlöcherten Ellbogen hatte Eva einen großen Flicken genäht. Freilich mit mehr gutem Willen als Kunstfertigkeit. Auch verschönte die grüne Farbe des Flickens das graue Kleid durchaus nicht.

»Wie kommt es denn, daß du heute wieder in deinen alten Kleidern erscheinst?« fragte Annie gleich.

»Die neuen sollen gewiß für den Sonntag bleiben, nicht wahr, Eva?« Frau Professor ergriff statt der verlegenen Eva das Wort.

Das Kriegskind errötete, es schwankte. Dann aber trug Evas Ehrlichkeit den Sieg davon.

»Die Tante – die Tante meinte, ihre Tochter Grete könne die Stiefel besser gebrauchen als ich. Und Friedachen hätte das Kleid auch notwendiger. Und ich – ich habe ja auch das gute Essen –« Trotzdem Eva sich selbst Trost zusprach, konnte sie es nicht verhindern, daß eine Träne über ihre Wange lief.

»Na, da soll doch aber – –« Das war selbst für Frau Professor zu viel. Mit der eigennützigen Tante wollte sie mal Rücksprache nehmen. Annie schlich sich zu Eva und streichelte voll Mitleid deren Hand. Selbst der Schmerz über ihre Lackstiefel trat hinter das warme Mitgefühl mit dem armen Kriegskind zurück.

Annie hatte ihre Schularbeiten heute bereits fertiggestellt. Als Eva nach beendeter Mahlzeit mit den Tellern wieder in die Küche hinausging, stellte sich Fräulein Annie ebenfalls ein.

»Ich helfe auch«, verkündete sie und sah dabei etwas unsicher zu Auguste hin, was sie wohl zu ihrer plötzlichen Hilfsbereitschaft für ein Gesicht machte.

Doch die Küchenfee sagte nichts weiter als: »Na, denn man los!« Drin im Zimmer aber stellte Frau Professor Trendler frohlockend fest, daß der Umgang mit dem Kriegskind, den Schwester Asta als so gefährlich angesehen hatte, entschieden schon günstig auf ihre Große wirkte.

Wie der Wind ging das Trocknen der Teller, Annie schaffte mit Eva um die Wette. Sie fand es höchst merkwürdig, daß ihr heute die Arbeit so flink von der Hand ging. Dabei war das doch gar nicht so wunderbar. Es lag einfach daran, daß sie sonst stets ein brummiges Gesicht dazu gemacht hatte und heute freudig dabei war. Lange vor Kaffeezeit war die Arbeit getan, und Eva konnte nun Annies aufgeräumte Schubfächer, ihre Spiele und Bücher bewundern.

Doch hierbei erlebte sowohl Annie wie Edith wieder eine Enttäuschung: das Kriegskind verstand nicht zu spielen. Zu groß war die Eva noch nicht dazu, sie zählte ja knapp ein halbes Jahr mehr als Annie. Aber das Kind der Armut hatte nie viel Zeit zum Spielen gehabt. Durch den frühen Tod der Mutter war Eva schon in dem Alter, in dem sonst Kinder ihr Püppchen wiegen, Vaters kleine Hausfrau geworden. Jetzt bei der Tante wurde ihre Arbeitskraft bis zum späten Abend ausgenützt. Daher war Eva ein körperlich zartes, geistig frühreifes Mädchen geworden.

Edith wollte Puppenschule spielen, aber Eva mußte mit den ihrer Obhut anvertrauten Puppen nichts anzufangen. Beim Quartettspiel darauf zeigte es sich, daß selbst Edith schon besser die berühmten Dichter, Komponisten, Maler, Entdecker und Erfinder kannte als das Kriegskind.

»Du weißt doch aber auch gar nichts, lernt ihr das denn nicht in eurer Schule?« sagte Annie, wenig beglückt von den Kenntnissen der neuen Genossin.

»Von Schiller und von Goethe hat Fräulein uns erzählt, aber die anderen kenne ich nicht.« Eva war ziemlich verlegen.

»So will ich dir eine Geschichte vorlesen, zuhören wirst du doch wenigstens können.« Annie griff nach einem Buch und begann zu lesen. Nach einem Weilchen, als die Erzählung besonders schön wurde, spähte die junge Vorleserin zu ihrer Zuhörerin hin, was die wohl für ein Gesicht dazu mache. Edith saß mit hochroten Bäckchen und lauschte. Aber Eva – nein, war das denn zu glauben – da war das Mädel tatsächlich eingeschlafen! Der Kopf mit den dunklen Flechten war nach vorn gesunken, und die Lippen waren halb geöffnet.

»Du – Eva – du schläfst ja – nein, aber solch eine Schlafmütze!« Annie rüttelte das erschrockene Mädchen aus Leibeskräften.

»Verzeih –« Eva fuhr erschreckt hoch. »Ich mußte heute schon um fünf Uhr aufstehen, weil ich noch vor der Schule Wäsche einseifen sollte. Beim Vorlesen wird man so müde, wenn man nichts tut – hast du nicht vielleicht ein Strickzeug, das du mir leihen könntest? Dann bleibe ich gewiß munter«, versprach sie eifrig.

Annie zögerte. Es tat ihr leid, daß sie die arme Eva, die schon so früh aus den Federn hatte müssen, so unsanft geweckt hatte. Und ein Strickzeug? Sehr schön sah das ihrige nicht aus, Annie war es peinlich, es Eva zu zeigen.

»Du strickst wohl nicht für unsere Krieger?« fragte da Eva, die ihr Zögern mißdeutete, erstaunt.

Annie wurde rot. Die einfache Frage Evas brachte es ihr zum Bewußtsein, wie wenig werktätig ihre Vaterlandsliebe eigentlich war. »Ich – ich habe ein Paar Strümpfe für meinen Vetter Theo, der bald ins Feld kommt, angefangen«, sagte sie kleinlaut. Sie zog den mit niedlichen Löchern versehenen Strumpf hervor. »Jetzt bin ich beim Abnehmen, das ist aber schwer, nicht?«

Eva griff nach dem Strickzeug. »Gib, ich mache es dir, mir wird es gar nicht schwer. Ich habe schon gestrickt, ehe ich in die Schule kam. Aber was hast du für Knoten drin!«

»Laß es liegen, wenn dir's nicht gefällt.« Beleidigt wollte Annie ihr das Strickzeug wieder fortnehmen. Da sah Eva sie so erschrocken und traurig an, daß Fräulein Ungestüm besänftigt innehielt. Sie steckte das Gesicht schnell wieder ins Buch und fuhr in ihrer Geschichte fort. Die Stricknadeln klapperten lustig die Begleitung dazu.

Da wurde die Tür hastig geöffnet, und Herbert stürmte ins Zimmer.

»Annie, du mußt so gut sein und mir ganz flink einen Knopf annähen. Er ist mir eben abgerissen, und ich muß fort, habe heute Dienst.« Das klang sehr wichtig aus dem Munde des Herrn Pfadfinders.

»Du siehst doch, daß ich jetzt lese.« Die Schwester ließ sich nicht stören.

»Sei doch nicht so ungefällig, es eilt doch – –«

Aber als Annie immer noch keine Anstalten machte, sich vom Platze zu rühren, erhob Eva sich schüchtern.

»Darf ich ihn vielleicht annähen?« fragte sie freundlich.

»Doch wenigstens ein gefälliges Frauenzimmer«, sagte Herbert anerkennend.

»Bitte, Annie, wo ist Garn und Nadel?« Eva sah sich in dem Zimmer um.

»Ich werd's schon selber machen.« Ärgerlich über das Lob des Bruders, das gleichzeitig einen Tadel für sie selbst bedeutete, begann Annie auf das unschuldige Kleidungsstück loszusticheln. Au – da hatte sie sich gestochen. Das Blut tropfte vom Finger, und Eva mußte nun doch den Knopf annähen.

Als das Kriegskind heute heimging, fühlte es bedrückt, daß Annie irgend etwas gegen sie habe. Sie wußte nicht, daß die ungleiche Stimmung des blonden Mädchens dem peinlichen Gefühl entsprang, daß das arme Kind besser war und mehr leistete als sie selbst.

Der Sonntag kam heran und mit ihm Theo auf Urlaub. Von jeher hatten Tante Asta und ihr Sohn Sonntag mittags bei Frau Professor Trendler gespeist. Heute freuten sich die Kinder doppelt auf ihre Gäste. Was würde Theo alles von seinem Kasernenleben erzählen! Annie war nicht weniger begierig, was Tante Asta wohl zu dem Kriegskinde sagen würde. Sie hatte es bisher noch nicht gesehen. Ob die Eva heute auch in ihrem schlechten Kleide kommen würde? Annie schämte sich heimlich vor Tante Asta, in der sie stets die Verkörperung alles Schönen sah.

Als man dann beim Essen saß und zwischen den sonntäglich gekleideten Menschen das arme Kind in seinem dürftigen Röckchen, da fühlte sich Tante Asta in ihrer Überzeugung bestärkt, daß die Schwester nicht recht daran getan habe, das Mädchen an ihren Tisch zu nehmen. Eva wagte die Augen nicht von ihrem Teller zu heben und war dabei doch die Tage zuvor schon ganz zutraulich gewesen. Tante Asta ahnte nicht, daß sie selbst in ihrer blonden Schönheit auf das fremde Kind einen solch starken Eindruck machte, daß es wieder ganz verschüchtert war. Vor lauter Bewunderung vergaß Eva wieder, daß man die Suppe nicht laut schlürfen sollte. Als sie aber auch das Fleisch in ihrer alten Weise aß, bemerkte Annie, daß Tante Asta einen sprechenden Blick mit der Mutter wechselte. Die Folge davon war, daß Frau Professor Trendler ihre Große nach Tisch zu sich winkte.

»Hör' mal, Kind, sage es der Eva nachher, wenn ihr allein seid, daß sie sich das Fleisch mit dem Messer schneiden soll, ehe sie es zum Munde führt. Aber freundlich, Annie, daß es sie nicht verletzt. Ich glaube, das ist ihr weniger unangenehm, als wenn ich es ihr sage.«

Freilich, hätte Frau Professor Trendler voraussehen können, wie ihre Tochter sich dieses Auftrages entledigte, würde sie den anderen Weg doch wohl vorgezogen haben.

Die beiden Frauen saßen friedlich beieinander, und unterhielten sich. Frau Professor berichtete, um das Mitleid ihrer Schwester für ihren jungen Schützling zu wecken, von dessen traurigen Familienverhältnissen. Daß das Mädchen niemand weiter habe als den im Felde stehenden Vater und die selbstsüchtige Tante, die das arme Kind ausnutzte. »Das Kleid, das ich Eva geschenkt habe, hat die Frau für ihre kleine Tochter genommen und gleich ein Stück davon abgeschnitten, damit sie es nur nicht wieder zurückgeben müsse. Ich glaube, sie läßt das Kind zu den übrigen Mahlzeiten hungern, weil es ja mittags bei mir reichlich zu essen bekommt. Wenn ich nicht fürchten müßte, daß das Mädchen ihren bescheidenen Kreisen entfremdet und an ein Leben gewöhnt wird, wie sie es später vielleicht nicht haben kann, würde ich Eva am liebsten während der Abwesenheit des Vaters ganz ins Haus nehmen. Es ist mir in den paar Tagen schon ans Herz gewachsen, unser Kriegskind, in seiner rührenden Bescheidenheit und seinem freudigen Diensteifer.«

Eine aufgebrachte Mädchenstimme unterbrach diese Unterredung. Es war die Annies. Dazwischen vernahmen die lauschenden Damen unterdrücktes Weinen.

»Dummes Ding, brauchst doch nicht gleich loszuheulen, wenn ich dir sage, daß ich mich vor Tante Asta geschämt habe, wie unmanierlich du ißt. Und daß du beleidigt bist und künftig lieber bei Auguste in der Küche essen willst, das zeigt eben deutlich, daß du nicht zu uns paßt – –« Da stand Tante Asta plötzlich im Türrahmen.

»Ich finde, Annie, daß du jetzt erst Grund hast, dich vor mir zu schämen«, sagte sie ernst, wie sie sonst nie mit der Nichte zu sprechen pflegte. Dann trat sie auf die leise vor sich hin weinende Eva zu und streichelte ihr freundlich den gesenkten Kopf. Der war's, als ob eine gütige Fee sich zu ihr neige.

»Weine nicht, Eva,« tröstete nun auch Frau Professor, »Messer und Gabel richtig zu behandeln, das wirst du schon lernen. Ich glaube aber, daß meine Annie von dir mehr zu lernen hat.«

Annie war puterrot geworden. Sie fühlte jetzt erst, wie sehr sie Eva gekränkt hatte, und wie stets tat es ihr hinterher leid. Abends vor dem Einschlafen grübelte sie, wie sie wohl ihr häßliches Wort an dem Kriegskind wieder gutmachen könnte. Erst als sie etwas herausgefunden hatte, schlief sie beruhigt ein.

Am anderen Tage machte Annie bei Tisch den Vorschlag, Liebesgaben an Evas Vater zu senden. Das dankbare Aufleuchten der dunkelblauen Mädchenaugen zeigte Annie, daß sie das richtige getroffen hatte. Eifrig wurde beraten, was alles zu schicken sei; jeder steuerte etwas zu – sogar Tante Asta und Auguste.

Am nächsten Sonntag hatte auch Tante Asta eine Überraschung für Eva. Sie lud das Kriegskind ein, sie zu besuchen. Das war für Eva der Gipfelpunkt aller Seligkeit, denn ihre Verehrung für die schöne Frau war noch gestiegen. Aber als sie dann zu Frau Trendler zurückkehrte, da trug sie statt des geflickten grauen Kleides ein wunderschönes grünkariertes. Das hatte Tante Asta eigenhändig für Eva geschneidert.

Die Sonntage kamen und gingen, Woche reihte sich an Woche. Draußen tobte der Krieg. Siegesbotschaften trafen ein, ließen die Herzen höher schlagen und die Fahnen im Winde flattern. Dann zog ein Sonntag herauf, so ein rechter goldener, der brachte großes Herzeleid über Tante Asta. Ihr Theo mußte fort mit seinem Regiment, nach Rußland hinein, noch ehe Annies Strümpfe fertig waren.

»Grüßen Sie, bitte, meinen Vater, wenn Sie ihn sehen!« bat Eva, als Theo auch ihr abschiednehmend die Hand reichte.

Der versprach's lachend. Ihm kam der Ernst der Stunde in seiner jugendfrohen Sorglosigkeit und strahlenden Siegesgewißheit kaum zum Bewußtsein. Da biß Frau Asta die Zähne zusammen, fest, ganz fest, um dem ins Feld Ziehenden kein trauriges Gedenken an seine Mutter mitzugeben. Stark sein, das war die Pflicht der Daheimbleibenden!

Aber als dann die Tür hinter dem stattlichen jungen Krieger ins Schloß geflogen, als vom Fenster aus nichts mehr von ihm zu sehen war als ein Zipfelchen seines feldgrauen Mantels, konnte Tante Asta es trotz ihres Vorsatzes nicht hindern, daß Tropfen um Tropfen über ihre Wangen rollten.

Da legten sich zwei hartgearbeitete Kinderhände schüchtern in die ihren und ein tränenunterdrücktes Stimmchen flüsterte: »Weinen Sie nicht, liebe Frau Frenzen, er wird gesund wiederkehren!« Und als Tante Asta sich umwandte, schaute sie in das schmale Gesicht des Kriegskindes, aus dem ihr die blauen Augen in hingebendem Mitleid entgegenleuchteten.

»Du bist ein liebes Mädchen!« sagte Tante Asta leise und küßte die kleine Fremde auf die Stirn. Der war's, als ob der Sonnentag da draußen jetzt noch einmal so golden zum Fenster hereinstrahlte.

Wieder reihten sich die Tage aneinander, gleichmäßig wie Perlen auf einer Schnur. Feldpostkarten stempelten sie zu Freudentagen.

Ende Oktober feierte Annie ihren dreizehnten Geburtstag. Als Kriegsgeburtstag sollte er in bescheidenster Art begangen werden. Annie selbst hatte einen Vorschlag gemacht, der zeigte, daß sie im Grunde ein gutes Herz hatte. Sie wollte auf die Geschenke verzichten und das Geld dafür den armen Verwundeten stiften. Frau Professor, die ihre Kinder schon früh zur Selbstlosigkeit erziehen wollte, hatte natürlich nichts dagegen. Nur einen Wunsch hatte Annie, sich nachmittags ihre drei liebsten Freundinnen einladen zu dürfen. Auch damit war die Mutter einverstanden.

»Willst du Eva nicht auch dazu bitten, Kind?« fragte sie.

Annie nagte an ihrer Unterlippe.

»Muttchen, das geht wirklich nicht«, stieß sie, dann rotwerdend, heraus, denn sie wußte ganz genau, daß die Mutter anderer Meinung sein würde. »Ich habe Eva sehr gern, aber sie paßt nicht zu uns. Denke nur, was würden meine Freundinnen dazu für ein Gesicht machen, wenn ich sie mit einem Mädchen aus der Gemeindeschule zusammen einlüde! Und Irene von Schober überhaupt, die immer so vornehm tut – –« Annie schielte unsicher zur Mutter hinüber, die sie mit keinem Wort unterbrach. Aber das traurige Gesicht, das sie zu den hochmütigen Worten ihres Töchterchens machte, sprach mehr als Worte.

»Na ja,« begann Annie aufs neue, im deutlichen Gefühl ihres Unrechts, »mir wäre ja die Eva recht, aber wenn meine Freundinnen nachher nicht nett zu ihr sind, das täte mir doch leid.«

»Ja,« platzte da Herbert los, der bisher ein stummer Zeuge der Unterhandlungen gewesen war, »dann sagst du den dummen Mädchen einfach das Wort, das unser Kaiser beim Ausbruch des Krieges gesprochen hat: ›Es gibt keine Parteien mehr!‹ Ich selbst« – der Herr Sekundaner warf sich in die Brust – »habe gestern als Pfadfinder einen großen Eimer Essen eine Viertelstunde lang zum Bahnhof geschleppt, weil unser Träger erkrankt war. Ging mir auch gegen meinen Stolz, aber den habe ich eben bezwungen und mir gedacht: es ist für unsere Verwundeten, die haben mehr für dich getan! Basta!«

Aber es war Annie doch eine große Erleichterung, als Eva schweren Herzens ablehnte, weil die Tante sie nicht den ganzen Nachmittag entbehren konnte.

Einige Tage später sagte Eva mit niedergeschlagenen Augen und zuckenden Lippen: »Frau Professor, ich darf nicht mehr kommen, die Tante will's nicht haben. Sie sagt jeden Tag, daß ich zu viel Zeit versäume, und wenn ich mich woanders sattessen könne, brauche ich ihr auch sonst nicht zur Last zu liegen. Ich bin heute das letztemal hier –« Das Mädchen kämpfte mit den Tränen.

Die um den Tisch Sitzenden sahen erschrocken drein. In diesem Augenblick fühlten sie es erst, wie sehr sich das Kriegskind in ihren Kreis hineingefügt hatte, wie nahe es ihrem Herzen stand. Edith fing an zu weinen: »Eva soll nicht fortgehen, Eva soll bei uns bleiben!« Auch die anderen konnten sich ein Mittagessen ohne das Kriegskind gar nicht mehr denken.

Frau Professor versprach, mit Evas Tante zu reden. Die Folge dieser Unterredung war, daß Eva mit einer Schachtel, in der ihre paar Habseligkeiten zusammengepackt waren, für die Dauer des Krieges zu Frau Trendler übersiedelte. Die gute Frau Professor konnte es nicht über sich gewinnen, das ihr liebgewordene Mädchen der hartherzigen Verwandten zu überlassen. Evas rührende Dankbarkeit war Lohn genug. Das Mädchen wußte nicht, was sie jedem einzelnen der Familie von den Augen ablesen sollte.

Allzu beneidenswert war Eva übrigens auch jetzt nicht, dafür sorgte Annie. Bei dem ständigen Beisammensein kam ihre leicht erregbare Natur recht oft zum Durchbruch. Sobald ihr irgend etwas fehlte, was bei ihrer Unordentlichkeit öfters vorkam, sollte Eva es verworfen haben. Suchte dann die Geschmähte stillschweigend danach und zog das Vermißte aus irgendeinem Winkel hervor, in dem Annie es liegen gelassen hatte, dann schämte sich die und war doppelt lieb gegen Eva. Aber bei der nächsten Gelegenheit machte sie's wieder so. Dabei lernte Annie doch so mancherlei unbewußt von dem Kriegskind. Nicht nur das Stricken, nein, vor allem Gefälligkeit und ein gleichmäßig freundliches Wesen.

Anfang Dezember war's. Eine eigene Weihnachtsfreude herrschte in diesem Jahre in allen Häusern. In den Kinderstuben wurden keine Wunschzettel geschrieben, da halfen kleine Hände voll freudigen Eifers beim Packen der Weihnachtspakete für die fern von der Heimat weilenden Krieger. Niemals war die weihnachtliche Freude eine reinere gewesen als in diesem ernsten Jahre.

Auch bei Frau Trendler wurden große und kleine Päckchen mit Tannenzweigen versehen. Aber zwischen ihren blühenden Kindern stand ein blasses Mädchen in schwarzem Trauerkleide. Eva hatte kein Weihnachtspaket in die Ferne zu senden. Ihr Vater war gefallen. Bei einem Sturmangriff in Polen war er von der feindlichen Kugel getroffen und, nachdem er für seine Tapferkeit das Eiserne Kreuz erhalten hatte, seinen schweren Wunden erlegen.

Mit warmer Liebe umgaben alle das arme Kind, das jetzt ganz allein stand. Von Annies Herz spülten die Tränen, die Eva so still für sich weinte, um keinen damit zu belästigen, alle Schlacken hinweg. Sie schloß innige Freundschaft mit der Verwaisten. Auch Tante Asta nahm sich des armen Kindes getreulich an. Einen Tag in der Woche mußte Eva von nun an bei ihr zubringen. Es machte der jetzt vereinsamten Frau Freude, das kluge Mädchen zu fördern. Sie gab ihr Sprach- und Musikunterricht, denn Eva sollte zu Ostern in Annies Klasse kommen, um später ihr Lehrerinnenexamen zu machen. So hatte Tante Asta die Zukunft des Kriegskindes mit ihrer Schwester überlegt. Aber konnte Eva immer bei Frau Trendler bleiben?

Vorläufig hatte Tante Asta keine Zeit, über diesen Punkt nachzugrübeln. All ihre Gedanken flogen nach Rußland. Von dort waren in den ersten Wochen regelmäßig Feldpostkarten eingetroffen. Theo war gesund und konnte die Zeit nicht erwarten, die Feuertaufe zu erhalten. Nur seinen jugendlichen Übermut hatte der Ernst des Krieges etwas gezügelt. Aber auf einmal waren die so sehnlichst erwarteten Nachrichten ausgeblieben. Gingen wieder Truppenverschiebungen vor, daß keine Post herauskam? Tante Asta wartete und wartete, von Tag zu Tag unruhiger, und mit ihr die anderen Bewohner des Stockwerks. Eva vergaß den eigenen Schmerz, als sie die verehrte Tante Asta sich sorgen sah.

Ein grauer Dezembermorgen warf seinen Frühdämmerschein in das gemütliche Heim der Frau Frenzen, als draußen die Flurklingel ertönte. Die angstvolle Mutter war bereits an der Tür, um selbst die Postsachen in Empfang zu nehmen. Mehrere Karten hielt sie in der Hand – das war doch nicht Theos gerade Schrift? Es flimmerte der erregten Frau vor den Augen – das waren ja ihre eigenen Schriftzüge! Ihre Karten kamen zurück, dann – – eine Ohnmacht war mitleidig genug, die Sinne der armen Mutter zu betäuben.

Als Tante Asta wieder zu sich kam, lag sie auf dem Sofa, und vor ihr kniete Eva, die sich in liebevollster Weise um sie mühte. Immer dienstbereit, hatte Eva die Briefe für Frau Trendler hereinholen wollen und dabei die ohnmächtige Frau in ihren Armen aufgefangen. Durch die kalten Umschläge, die sie sogleich voller Umsicht der Tante auf die Stirn legte, kehrte die Besinnung bald zurück.

»Tante Asta, liebe Tante Asta, regen Sie sich doch nicht so auf!« flehte Eva in höchster Sorge. »Ihr Sohn lebt, sicherlich lebt er, es steht ja nur ›vermißt‹ auf den Karten!«

Wie ein Ruck ging es durch die schlanke Gestalt der Liegenden.

Theo war nicht gefallen – ein Hoffnungsstrahl, jäh und blendend wie ein Blitz, flammte vor der armen Mutter auf, daß sie ihre Augen vor dem grellen Licht bedecken mußte. Vermißt – das war noch nicht tot, er konnte verwundet und gefangengenommen sein – mit allen Fasern klammerte sich das Mutterherz an diese Möglichkeit.

Aber als Tag für Tag verging, ohne daß eine nähere Nachricht eintraf, erlosch der Hoffnungsstrahl langsam wieder. Die Verwandten hatten nicht den Mut, das verglimmende Feuer zu schüren, sie selbst glaubten nicht mehr, daß Theo lebte. Nur Eva war felsenfest davon überzeugt, daß Herr Theo wiederkommen würde. Darum war ihre Gegenwart jetzt der zwischen Bangen und Hoffen Schwebenden eine Wohltat.

So kam der Heilige Abend heran, an dem die Lichter des Friedens aufflammen. Frieden – ach, wohin war der Friedensengel geflohen? Draußen tobte der Krieg, und in den Häusern hatte er die Familienmitglieder voneinander gerissen. Wohl denen, deren Gedanken die fernen Lieben am heutigen Abend noch in den Schützengräben beim Auspacken der heimatlichen Pakete suchen konnten!

Abseits von den blonden Kindern der Frau Professor beugte ein dunkelhaariges Mädchen den Kopf tief über seinen Gabentisch. Niemals war Evas Weihnachtstisch so reich ausgefallen; liebevolle Fürsorge hatte das Kriegskind mit nützlichen Sachen und Büchern bedacht. Und doch waren Evas Augen feucht, trotzdem sie für alles Gute so dankbar war. Drüben lasen die anderen vereint den Weihnachtsbrief des Vaters. Evas Sinnen aber flog zu einem stillen Soldatengrab auf fremder Erde.

Da legte sich ihr ein Arm leicht um die Schulter.

»Wir zwei sind heute einsam, Eva« – Frau Astas Stimme klang tränenschwer – »wir zwei gehören heute zusammen.«

Liebebedürftig schmiegte sich das Mädchen an sie. Da war es Frau Asta, als höre sie Klein-Ediths helle Kinderstimme wieder, wie damals vor Monaten: »Nimm dir doch ein Kriegskind, Tante Asta, dann bist du nicht so allein!«

Fester schlang die hochgewachsene Frau den Arm um das zarte Mädchen.

»Wir gehören zusammen, Eva,« wiederholte sie noch einmal innig, »heute und allezeit! Willst du bei mir bleiben, Kind, als Ersatz für meinen Theo?«

Wieder perlten Tränen von Evas Augen, aber das waren Tränen des Glückes.

Augustes breite Gestalt schob sich zur Tür herein. »Es ist noch eben 'ne Weihnachtspost gekommen, auch für die gnädige Frau Frenzen.« Ihre roten Finger reichten Tante Asta einen unansehnlich gewordenen Brief.

Die Tante erblaßte als sie ihn öffnete. Nur zu gut kannte sie die lieben Schriftzüge. Brachte der Brief ihr die letzten Grüße ihres Theo?

In einer Spannung, die das Herz klopfen machte, umstanden die anderen die Lesende. Tante Asta ließ das Blatt sinken. Ein seliges Lächeln erhellte ihr Gesicht, und ihre Lippen flüsterten: »Mein Gott, ich danke dir!«

»Lebt er?« Kaum wagte es jemand zu fragen.

Da zog Tante Asta in überströmender Glückseligkeit die neben ihr stehende Eva in die Arme.

»Er lebt – mein Junge lebt – in Gefangenschaft ist er geraten. Am Weihnachtsabend wurde er mir wiedergeschenkt, er und mein liebes Töchterlein!«

Eva, das Kriegskind, hatte eine Heimat gefunden.



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