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3. Kapitel. Rosenelfchen.

Drei Tage lang saß Liselotte auf der Strafbank – drei Tage war sie mit Hanni Diefenbach schuß.

Es waren schreckliche Tage.

Daheim hatte Liselotte ihr Mißgeschick in der Schule berichtet, denn sie hatte ja Muttchen versprochen, nichts mehr zu verschweigen. Natürlich hatte es eine tüchtige Strafpredigt gesetzt. Das schlimmste aber war, daß auch die kleinen Geschwister davon Wind bekamen.

»Mußte nu immerfort in der Ecke stehen, gelt?« erkundigte sich Heinz interessiert.

Liselotte antwortete nicht.

»Du schanierst dich wohl mächtig?« Heinz ließ nicht locker.

»Ih wo,« Liselotte tat sehr großartig.

»Ja, das is doch aber eine eklige Blamierung, wenn man auf'n Strafplatz muß,« meinte der Kleine mit ernsthaftem Gesicht.

»Haste denn niß ›Nein‹ gesagt?« mischte sich jetzt auch der Neinerich ins Gespräch.

»Haste doll deweint?« das war das Stimmchen des Weinerichs.

»Dumme Jungs!« Liselotte würdigte sie keiner weiteren Antwort.

»Sag mal, Lilo, warum hast du dich denn eigentlich mit Apothekers Hanni verknurrt?«

Gräßlich – jetzt fing Norbert auch noch an, sie zu quälen!

»Ich – och – machte sie ganz harmlos.

»Jawohl, tu nur nicht so – zwei Tage seid ihr schon nicht miteinander nach Hause gegangen, ich hab's wohl gesehen – nicht mal mit seiner besten Freundin kann sich das Zankteufelchen vertragen!«

Liselotte wurde wütend. Sie versuchte an dem langen Bruder emporzulangen, um ihm eine tüchtige Ohrfeige zu geben – aber Norbert hielt ihre Handgelenke wie mit Schraubstöcken umspannt.

»Au – laß mich los – du bist immer so grob –«

»Erst sage, warum du mit Hanni verkracht bist –«

»Pff – die – ist ja ganz schnuppe –« machte Liselotte verächtlich.

»Na, also?« fragte der Tertianer belustigt.

»Laß mich los – meine Privatangelegenheiten gehen dich nicht im geringsten an!«

Lachend gab Norbert die zappelnde und sich windende Schwester frei.

Aber Liselotte lohnte ihm seine Großmut schlecht. Hast du nicht gesehen, hatte sie ihm die bereits zugedachte Backpfeife ausgewischt, daß es ordentlich knallte.

»Infamer Racker!« da hatte er sie am Grips. Er langte aus der Hosentasche, die er stets mit allerlei Nützlichem, wie alte Gummibälle, Bindfäden, verrostete Federn, Johannisbrot und krummen Nägeln angefüllt hatte, eine lange Schnur heraus. Die schlang er der sich wehrenden Schwester um beide Hände.

»Jetzt bist du meine Sklavin und kommst nicht eher wieder frei, als bis du Lösegeld zahlst,« er sprang zum Jubel der sie umtanzenden kleinen Brüder auf den Kinderstubentisch und band sie hoch oben an der Gaslampe fest.

Liselotte schrie wie am Spieß: »Muttel – Mu–u–ti–«

Aber Mutti war zum Damenkaffee und hörte nicht.

»Was gibst du mir, wenn ich dich losbinde?« Norbert neckte schrecklich gern, aber jetzt tat ihm das Schwesterchen schon wieder leid.

»Noch 'ne Backpfeife« – Liselotte trampelte mit den Füßen.

»Stolz lieb' ich den Spanier – aber dann kannst du in dieser anbetenden Stellung bis übermorgen verharren.« Er nahm voll Gemütsruhe seine Übersetzung vor.

Heinz, der kleine Frechdachs, wagte es, die große Schwester, da sie in Gefangenschaft war, respektlos an dem mit roter Seidenschleife geschmückten Rattenschwänzchen zu ziepen.

»Hü – hot – jetzt bin ich dein Lakei – hü, Pferdchen – kumm ooch –«

»Du meinst ja Jockei« – Liselotte schlug mit den Füßen wirklich wie ein Pferdchen nach ihm aus.

»Junge, gebrauche doch keine Fremdwörter, wenn du sie nicht kennst, was redest du für einen Stiebel zusammen – na Lilo, wie ist's, soll ich dir die Freiheit schenken?«

»Ja,« Liselotte war jetzt zahm geworden.

»Und das Lösegeld?«

»Den angeknabberten Gummizucker, den ich in meiner Tasche habe –«

»Pfui Deibel – nee, schenke mir einen Radiergummi, du hast zwei, hast Vater neulich erst einen aus dem Bureau abgebettelt, gelt ja?«

Das war ein schwerer Kampf für Liselotte. Den abgelegten Gummi von Vater gab sie schon ganz sicher nicht her, der radierte einfach ideal, und der andere, mit dem konnte man sogar Tintenkleckse herausbringen, allerdings gab es manchmal dabei ein Loch. Das Loch war ausschlaggebend.

»Na, meinetwegen,« sagte sie mit einer Miene, wie Napoleon, als er Elsaß-Lothringen abtreten mußte.

Die Fesseln wurden gelöst – Heinz hielt es für angebrachter, inzwischen zu verduften.

Der Frieden war wieder geschlossen.

So gleichgültig Liselotte auch dem Bruder gegenüber tat, es war ihr durchaus nicht ganz »schnuppe«, daß sie mit der Diefenbach -Hanni – in Schlesien stellt man meist den Vatersnamen vor den Rufnamen – böse war. In den Zwischenpausen ging sie jetzt mit Amtmanns Lenchen, die sie doch eigentlich nicht recht leiden konnte, und mittags pendelte sie verlassen hinter den beiden Apotheker-Flachsköpfen her. Hätte sich nur eine Gelegenheit zum Wiedergutsein geboten, Liselotte hätte sie mit Freuden ergriffen. Aber so mir nichts, dir nichts, sich wieder »anzumeiern«, das ging doch nicht.

Endlich waren die drei Tage um, und Liselotte durfte wieder ihren Platz zwischen Hanni und Suse einnehmen. Noch immer sprachen die Freundinnen nicht miteinander, denn Hanni war von Natur auch etwas bockig. Aber sie äugten doch schon ab und zu zueinander hin und taten, wenn sich ihr Blick zufällig traf, als ob es in der Ecke dort etwas ganz besonders Interessantes zu sehen gäbe. Eine winzige Bleistiftspitze sollte den Seelenbund zwischen den Freundinnen wieder herstellen.

In der Zeichenstunde war's. Liselotte, die Vaters Zeichentalent ererbt hatte, wollte gerade eine besonders schwungvolle Linie machen, als – knips – plötzlich die Spitze ihres Bleistiftes abbrach. Natürlich hatte Fräulein Liederlich weder einen anderen Stift, noch ein Federmesser in der Mappe. Ratlos sah sie sich um. Da schob ihr Hanni, die heimlich auch nur auf eine Gelegenheit wartete, um die Freundschaft wieder zu leimen, ihren schön gefüllten Federkasten hinüber.

Liselotte dankte durch einen kleinen Zettel, auf dem nichts weiter als »Süßer Affenschwanz« stand.

Darauf tastete Hannis Hand unter dem Tisch nach der Liselottes, und in der darauffolgenden Pause wurde die Versöhnung auf der Freundschaftsbank drunten am Wiesenbächlein durch ein halbes Dutzend Küsse besiegelt.

Es war auch hohe Zeit, daß man wieder miteinander reden konnte, denn es gab Dinge von größter Wichtigkeit zu besprechen.

Hilde von Thielen war heute mit fünfzehn rosa Briefchen in der Klasse erschienen. Das war nichts besonderes, denn nächste Woche hatte Hilde Geburtstag, und zu solch einem wichtigen Tage durfte ja fast eine jede ihre Schulfreundinnen einladen. Aber es war doch noch etwas Besonderes dabei. Die Einladung lautete:

»Mit Erlaubnis meiner lieben Eltern bitte ich Dich und Deine liebste Puppe, mich Sonntag, den 9. September, zu Schokolade und Abendbrot zu besuchen. Weil es bald Herbst wird, wollen wir in unserem Garten ein Blumenfest machen. Ihr müßt als Blumen verkleidet kommen. Viele Grüße und Küsse von

Deiner Dich liebenden Schulfreundin
Hilde.«

Landrats mußten immer was besonderes haben, das stand fest. Aber ebenso fest stand, daß es eine himmlische Idee war, und daß man sich ganz fürchterlich darauf freute. Wer jetzt mal in der Zwischenpause die Gespräche in der vierten Klasse mitangehört hätte, der wäre erstaunt gewesen über das kolossale Interesse für Botanik. Man hörte nichts als Blumennamen. Jede wollte als die Schönste kommen.

»Ich finde es nicht nett von Hilde, daß sie die Bertram-Suse als einzige von der ersten Bank nicht eingeladen hat, die muß sich doch zurückgesetzt fühlen, wenn sie uns immer davon reden hört,« meinte die feinfühlige Hanni.

Liselotte zuckte die Achsel. »Ja, Hilde hat einen kleinen Sparren im Kopf, aber so richtig zu uns passen tut Suse doch eigentlich auch nicht – sieh mal, ihr Ärmel ist geflickt – ich glaube, sie hat nicht mal ein weißes Kleid.«

»Pfui, Lilo, du hast gerade solchen Sparren wie Hilde, immer tust du, als ob du Suses Vorgesetzter wärst, deine Mutter hat erst neulich gesagt, Suse Bertram wäre ihr mit die liebste von allen Mädels.«

»Ich muß sie ja auch zu meinem Geburtstag einladen – auf höheren Befehl – aber denkst du, sie hat sich schon einmal revanchiert – fällt ihr nicht ein. Und das finde ich eben lumpig.«

Das halblaute Gespräch verstummte, denn Suse gesellte sich zu den Freundinnen.

Liselotte hatte jetzt ganz entsetzlich viel nachzudenken. Erstens darüber, welche Puppe ihr am meisten ans Herz gewachsen war und daher der Ehre teilhaftig werden sollte, mit bei Landrats zu erscheinen. Jeden Tag war es eine andere ihrer recht zahlreichen Kinderschar. Zweitens konnte sie sich über die Blume, die sie wählen sollte, nicht schlüssig werden.

»Was meinst du, Vatchen, wenn ich als Spätrose ginge, sie blühen gerade so schön,« Liselotte warf einen Blick durch das Erkerfenster. Zur Abwechslung sprach sie mal wieder von dem bevorstehenden Fest.

»Unterstehe dich, Krabbe, mir meine letzten Rosen zu plündern!«

»Gehe doch als Brennessel oder als Distel,« meinte Norbert mit scheinheiligem Gesicht.

»Der Esel dazu wäre wenigstens da,« rief Zankteufelchen schlagfertig.

»Die Distel piekt bereits,« Norbert war nicht empfindlich.

»Wie wär's denn mit einem Gänseblümchen?« Weiß der Himmel, durch wen Norbert von der fatalen Gänsegeschichte erfahren. Sicher durch den Bruder einer schwatzhaften Mitschülerin. Das klügste war jedenfalls, den Stich zu überhören.

»Wildfang, ich weiß etwas für dich, wilder Wein ist das passendste,« neckte jetzt auch Vater. »Am Rhein bist du geboren, wild bist du und klettern kannst du gerade so schön.«

»Und kurz angebunden ist sie halt ooch,« witzelte Norbert. Liselotte blieb merkwürdig friedlich.

»Halt ooch – sprich nicht so schlesisch, und laß mir mein Mädel in Ruhe,« begütigte Mutter, »ich weiß etwas viel Schöneres für dich, Lilo, als wilde Rose! Du hast doch das nette rosa Batistkleidchen, das putzen wir ganz und gar mit wilden Rosen aus. An der Südseite des Hauses blühen noch viele.«

»Au ja – au fein – und ins Haar nehme ich einen Rosenkranz!«

»Vergiß bloß die Dornen nicht!« es war mit Norbert heute mal wieder nicht auszukommen.

»Wenn ich nicht so sanft wie eine Taube wäre, gäbe es doch schon wieder Mord und Totschlag,« dachte Liselotte mit Märtyrermiene.

Aber ihr sanfter Taubensinn hielt nicht lange vor.

Heinz kam aus dem Garten hereingestürmt, sein schwarzes Lederschurzfell voll blühender wilder Rosen.

»Da, Lilo,« sagte der Kleine freundlich, »ich habe dir schon immer welche gepflückt, so weit, wie ich reichen konnte, mehr hat's nich!«

»Mutchen – Muttel – alle Rosen hat er mir abgerissen, so ein Schlingel, nun habe ich morgen keine Rosen, nun muß ich Hilde absagen,« rot wie der Puter draußen auf dem Hof ging sie auf den verdutzten kleinen Wicht los.

Baumeisters Rangen lagen sich mal wieder in den Haaren.

»Mädel« – Mutter ergriff die nach allen Regeln der Kunst boxende Liselotte, während Vater den nun auch rabiat werdenden Heinz, der sich durch ein recht unedles Mittel verteidigte, nämlich durch Spucken, in das Kinderzimmer beförderte. »Kind, du wirst gleich absagen müssen, wenn du dich derartig ungezogen benimmst, der Kleine hat es doch nicht böse gemeint.

»Ja, und Herr Niemann« – das war Heinzens Klassenlehrer – »hat heute erst gesagt, die Wegetion« – Heinz leitete das Wort Vegetation offenbar von Wege her – »nähme jetzt täglich ab, morgen wären sie am Ende schon verblüht« – brüllte der gekränkte Kleine aus seiner Verbannung heraus.

»Komm, Kind, sag' dem Heinz ein freundliches Wort, er wollte dir doch einen Gefallen erweisen,« redete Vater seinem Liebling zu.

»Vaterchen, das kann ich nicht – sieh mal, ganz kurz hat er sie abgerissen, aber« – setzte sie schnell hinzu, als sie Vaters vorwurfsvollen Blick sah, »ich werde ihn dafür nicht mehr verkloppen!«

»Immerhin doch etwas, ihr seid mir schon eine Räuberbande,« Vater unterdrückte ein Lächeln und ging auf seinen Bau.

Liselotte aber lief alle halbe Stunde zu der Südseite der Villa, ob noch nicht wieder eine Rose aufgeblüht sei.

Am nächsten Morgen eilten zweiunddreißig nackte Mädchenfüße zuerst ans Fenster.

Hurra – blauer Himmel, goldener Sonnenschein, Petrus hatte ein Einsehen mit Landrats Blumenfest.

Auch einige wilde Rosen waren über Nacht nachgeblüht, wie Liselotte noch vor dem Kaffeetrinken feststellte. Für sie mochten sie allenfalls genügen, aber Käthchen, das Puppenkind, das gerade so geschmückt werden sollte wie seine Mutter, das mußte ganz sicher zu Hause bleiben.

Sehr viel Aufmerksamkeit war heute nicht in der vierten Klasse der höheren Mädchenschule.

Auf der ersten Bank sprach alles von Blumenkleidern, und Suse Bertram saß mit freundlichem Gesicht dazwischen und hörte zu. Dabei tat ihr doch sicher das Herz weh, daß sie davon ausgeschlossen war.

Liselotte erzählte Hanni traurig, daß sie ihr Käthchen zu Hause lassen müsse, da mischte sich Suse ins Gespräch.

»Ich kann dir noch eine ganze Menge wilder Rosen geben, Liselotte, um unser Häusel hats noch viele, du gehst ja mittags bei uns vorbei,« sagte sie in ihrer netten, bescheidenen Art.

Liselotte wurde röter als eine wilde Rose.

»Suse – das kann ich nicht annehmen – du bist zu freundlich –« stotterte sie verlegen. Nein, das konnte sie wirklich nicht annehmen, sie, die es recht gefunden, daß man Suse nicht eingeladen, die nie mit Suse Bertram zusammen aus der Schule heimging, trotzdem sie denselben Weg hatten! Liselotte fühlte sich tief beschämt. »Suse ist tausendmal besser als du!« dachte sie zerknirscht.

Suse ließ nicht nach. Sie war glücklich, Liselotte mal einen Gefallen erweisen zu können, denn sie hatte das wilde, schöne Kind von Herzen lieb und wäre, ach, so gern ihre Freundin gewesen. Wenn Liselotte nur nicht stets auf sie herabgesehen hätte!

Aber als sie jetzt mit Suse das kleine, wohlgepflegte Vorgärtchen des Bertramschen Häuschens betrat, da drängte sich Liselotte aufs neue der Gedanke auf: »Wieviel besser ist Suse doch als du!

Was hatte die Suse nicht noch alles zu tun! Geschwind der Mutter zu erzählen, daß sie null Fehler im Diktat geschrieben, den blinden Großvater auf sein Gartenplätzchen in die Sonne zu führen, den Hühnern Futter zu streuen und den kleinen Geschwistern, die ihr entgegensprangen, zärtlich über den Blondkopf zu streichen.

Und wie kam sie nach Hause in die Kinderstube? Meist streitsüchtig und kratzbürstig!

Einen prächtigen Busch wilder Rosen hatte ihr Suse geschnitten, Liselotte mußte in einemfort Einhalt tun, sonst hätte die gute Suse ihr ganzes Häuslein geplündert. Auch Frau Bertram erschien, um noch ein paar extra schöne Rosen hoch oben eigenhändig zu pflücken – sie trug eine Küchenschürze – schon wollte sich das Hochmutsteufelchen wieder bei Liselotte melden. Aber die freundliche und dabei doch so vornehme Art, mit der Suses Mutter zu dem Baumeistertöchterlein sprach, ließ keinen hoffärtigen Gedanken aufkommen.

Als Liselotte nach vielen Dankesworten, mit Rosen beladen, Suses Elternhaus verließ, da kam ihr ein verständiger Gedanke. »In einem geflickten Kleid können die besten Mädel stecken, und in einem kleinen Häuschen können auch feine Menschen wohnen!« Und sie knickste vor Vaters Bausekretär, der zu Tisch nach Hause ging, viel tiefer und ehrerbietiger wie sonst.

Punkt halb vier waren Liselotte und ihr Käthchen fix und fertig. Das ganze Haus lief zusammen, um sie anzusehen. Aber es lohnte sich auch. Bildschön sah die Liselotte aus mit dem rosenroten Kleidchen und dem Rosenkranz in den braunen Locken. Wie ein Rosenelfchen! Auf dem Arm trug sie ihr schöngeschmücktes Käthchen und eine Bonbonniere.

»Grüße schön und sei verträglich – um halb acht kommt Norbert dich abholen –« damit war sie entlassen.

An dem Gitter des Bertramschen Gärtchens stand Suse, um die vorübergehende Schulkameradin zu bewundern. Sie tat das so selbstlos und freudig, daß Liselotte was darum gegeben hätte, wenn Suse hätte mitgehen können. Das arme Ding! Schnell kletterte das Rosenelfchen an dem Gitter hoch und gab ihr einen herzlichen Kuß. Suses Augen strahlten, das war eine größere Freude für sie als eine Einladung zu Landrats.

In dem Thielenschen Garten tummelte sich bereits eine bunte Blumenschar. Allerliebst sahen die Mädelchen aus. Da gab es zwei Vergißmeinnicht, das waren Hanni und Anni Diefenbach, so zart und blauäugig wie die blauen Blumensterne, die ihren Blondkopf umkränzten. Astern und Georginen in allen Farben waren vertreten, Amtmanns Lenchen erschien als Stiefmütterchen, Doktors Ilse als Maßliebchen, Pastors Ruth als blaue Glockenblume, und Wendler-Edith, die ganz besonders geschickt war, hatte sich selbst aus rosa Seidenpapier Apfelblütenzweige gearbeitet.

»Aber ich finde frische Blumen viel poetischer,« flüsterte Liselotte Hanni ziemlich laut zu, denn Edith tat sich doch gar zu sehr mit ihrer Kunst.

Hanni warf ihr einen beschwichtigenden Blick zu.

Liselotte biß sich auf die Lippen. Da hätte sie bei einem Haar doch schon wieder Streit angefangen.

Das Geburtstagskind hatte sich in eine kleine Gärtnerin verwandelt. Sie trug ein weißes Kleid mit grünen Schleifen, ein zierliches, mit grünem Band besetztes Mullschürzchen und einen Florentiner mit Blättergirlande.

Man knickste vor Hildes Mutter, bestellte die aufgetragenen Grüße, bewunderte den Geburtstagstisch und verglich seine Puppenkinder. Dann blies Herbert, der Sextaner, auf seiner Trompete zur Schokolade. Im Garten waren zwei Tafeln gedeckt. An der einen nahmen die lebenden Blümchen Platz, an der anderen die aus Porzellan, Zelluloid und Biskuit. Hilde hatte ein allerliebstes Puppentischchen hergerichtet. Jetzt erschien sie mit der großen Gießkanne, um den lebenden Blumen zu trinken zu geben. Die flüchteten kreischend. Aber Hilde lachte hinter ihnen her, denn die Gießkanne war leer. Um so besser mundete darauf die Geburtstagsschokolade, sogar die winzigen Täßchen der dummen Puppenkinder, die nicht einmal Schokolade zu würdigen verstanden, trank man den Kindern recht wenig mütterlich fort.

Nun ging's ans Spielen. Natürlich zuerst Tellerdrehen mit Blumennamen. Dann schlug Amtmanns Lenchen »Sprichwörter raten« vor. Alle waren einverstanden, nur Liselotte murrte.

»Ach was, immer das dumme Raten, wir wollen lieber irgendein Laufspiel im Garten arrangieren!« Die wilde Hummel hatte keine Ruhe.

Doch als Hanni sie bat: »Sei doch kein Spielverderber, Lilo,« schwieg sie und dachte an Mutters Ermahnung.

Aber das war gemein von Lenchen, daß sie, als Liselotte raten mußte, den Spruch vorschlug:

»Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben.
Wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt!«

Nur um sie zu ärgern und um sich hervorzutun, denn Amtmanns Lenchen war die einzige in der Klasse, die bereits »Wilhelm Tell« gelesen hatte.

Liselotte revanchierte sich nachher beim Krokettspiel. Da war sie Meisterin. Und jedesmal, wenn Lenchen ihre Kugel gerade durch einen Reifen bugsieren wollte, krokettierte Liselotte dieselbe hohnlachend ans andere Ende der Welt. Sie schlug sich zwar dabei einmal tüchtig mit dem Holzhammer auf den Fuß, aber das schadete nichts.

Dann wurde Schule gespielt, das war stets das Hauptvergnügen bei allen Kindergesellschaften. Dabei zeigte sich Lenchen wieder höchst boshaft. Als Klassenerste durfte sie zuerst Herr Dr. Schwarz sein, der eine etwas näselnde Stimme hatte und daher am besten nachzuahmen war.

»Na, da wollen wir mal das Gänschen in den Gänsestall sperren, Liselotte, setz' dich hier nach vorn auf die Strafbank –« näselte sie, wie es der Lehrer jüngst getan.

Pfui – so 'ne Gemeinheit! Und Hildes Mutter war dabei und sogar Herbert. – »Ich spiele nicht mehr mit!« rief Rosenelfchen, während ein großer Tautropfen an ihrer Wimper perlte, und stürmte davon. Vergißmeinnicht, Apfelblüte und Gärtnerin hinter ihr her, während die übrigen dem Stiefmütterchen wegen ihrer taktlosen Bemerkung Vorwürfe machten.

Liselotte war nicht zu beruhigen. Ihr Stolz war aufs tiefste verwundet. Sie wollte noch vor dem Abendbrot nach Hause. Nur Hildes Bitten, ihr doch nicht den schönen Geburtstag zu verderben, gelang es, das Rosenelfchen wieder in den Blumenkreis zurückzuführen. Aber Stiefmütterchen und wilde Rose sahen sich nicht mehr an.

Frau von Thielen machte dem Schulespielen ein Ende.

»Ihr seid mir ja nette Pflanzen, am Ende kommt es noch zu einer Blumenschlacht,« lachte sie. »Jetzt gibt es eine Verlosung, Liselotte darf mir dabei helfen.« Hildes Mutter wollte die beleidigte Kleine auszeichnen. Das gelang ihr, Rosenelfchens trübseliges Gesichtchen klärte sich wieder auf.

Liselotte durfte als Glücksgöttin die zusammengerollten Lose verteilen und die Nummern mit den darauffallenden Gewinnen ausrufen.

Stiefmütterchen mogelte. Ganz deutlich hatte Rosenelfchen es gesehen. Sie hatte ein Los gezogen, es aufgemacht und es dann wieder unter die anderen geschoben. Doch es erschien Liselotte niedrig, sie zu blamieren. Aber als Lenchen ein Gesicht schnitt, weil sie statt des Pudeltintenwischers, auf den sie sich gespitzt hatte, Abziehbilder erhielt – sie mußte sich wohl verlesen haben – und durchaus mit Hanni, der rechtmäßigen Eigentümerin des Pudels, tauschen wollte, konnte sich Liselotte doch nicht enthalten, zu sagen: »Hättest besser mogeln sollen!«

Darauf geschah etwas in der Naturgeschichte noch nie Dagewesenes: Stiefmütterchen färbte sich purpurrot!

Nun war es wieder Zeit zum Futtern, und das war allen eine höchst willkommene Abwechslung, Berge mit belegten »Schnitten« wurden vertilgt, sogar »Kinderbowle« gab es. Den Knalleffekt aber bildete die Riesensahnenspeise.

Hildes Eltern standen dabei und freuten sich, wie derb die zarten Blümlein einhauen konnten.

Nach dem Abendessen aber machte die holde Blumenschar den Gastgebern noch eine besondere Freude. Auf dem großen Rasenrondell tanzten sie im silbernen Vollmondschein den in der Schule einstudierten Reigen und sangen dazu »Maiglöckchen läutet in dem Tal«. Das war höchst stimmungsvoll.

Lange hielt die poetische Stimmung nicht an, denn die Herren Brüder kamen zum Abholen, und Herbert kam mit seinem Leierkasten. Nun ging erst die eigentliche Tanzerei los. Die Blümchen drehten sich graziös im Kreise, aber die Herren Kavaliere waren steif wie die Böcke und täppisch wie junge Bären. Die kleinen Damen zogen es vor, lieber untereinander zu tanzen, und die jungen Herren, der übriggelassenen Sahnenspeise den Garaus zu machen.

»Es war wundervoll – einfach herrlich –gottvoll – vielen, vielen Dank – so famos war's noch nie –« damit zogen die Blümelein endlich von dannen.

Nur Rosenelfchen, die beiden Vergißmeinnicht, Glockenblume und Maßliebchen blieben noch zurück, denn das Geburtstagskind hatte sie heimlich darum gebeten.

Und nun machte Hilde den Blümchen im Garten bei Mondenschein feierlich den Vorschlag, von heute an ein Kränzchen zu bilden. Jubelnd stimmte man ein.

»Wollen wir nicht auch Bertram-Suse dazu auffordern?« bat Hanni schüchtern.

»Nein – du bist wohl nicht recht – sie war doch heute überhaupt nicht hier und ist daher auch gar keine richtige Blume,« ereiferte sich Hilde.

Glockenblume und Maßliebchen erklärten sich mit allem einverstanden. Rosenelfchen aber schwieg.

Selbst auf dem Nachhausewege blieb die wilde Rose, die noch eben so ausgelassen gewesen, merkwürdig einsilbig. Was war es nur, daß sie mit einemmal gar nicht mehr so froh und vergnügt sein konnte? Daß die welken Röslein, die Suse ihr gepflückt, wie Feuer auf ihrer Seele brannten? Und daß der Mond, der auf sie niederblickte, plötzlich ein bitterböses Gesicht machte?

Auch in ein enges Stübchen schaute der Mond. Dort schlief bereits ein kleines Mädchen und lächelte im Traum. Es träumte gerade von dem Kuß eines Rosenelfchens.

* * *


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