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Viertes Kapitel

Mark Twains spätere Werke.

Im Jahre 1872 unternahm Mark Twain eine Reise nach Europa, um mit dortigen Verlegern über die Herausgabe seiner Bücher zu unterhandeln. In England war er schon wohlbekannt und ein willkommener Gast. Er erzählt uns von einem Festmahl in London, zu welchem acht- bis neunhundert Personen Einladungen erhalten hatten und dem er auch beiwohnte. Bei Beginn des Festes wurden die Namen sämtlicher Berühmtheiten verlesen, welche anwesend waren, wobei die Versammlung jeden einzelnen mit mehr oder weniger Beifall begrüßte. Dies fand Mark Twain auf die Dauer ermüdend und er fing an, sich mit seinem Tischnachbar zu unterhalten, bis plötzlich ein wahrhaft betäubender Beifallssturm das Gespräch unterbrach. Von der allgemeinen Begeisterung mit fortgerissen, begann auch er aus Leibeskräften zu klatschen. »Wem gilt denn das?« fragte er endlich verwundert, als sich der Lärm noch immer nicht legen wollte. »Herrn Samuel Clemens,« war die Antwort. Das überwältigte ihn so sehr, daß er die Arme sinken ließ, regungslos sitzen blieb und sich in seiner Verwirrung nicht einmal dankend verbeugte.

Als ›Tom Sawyer‹ 1876 erschien, erreichte Mark Twain den Gipfel seines Ruhms. Das Buch fand ungeheuern Absatz; in kürzester Frist war immer eine Auflage nach der andern vergriffen. Im folgenden Jahre kam das ›Skizzenbuch‹ heraus, eine Sammlung humoristischer Erzählungen und Aufsätze, die der Verfasser gelegentlich in verschiedenen Zeitungsblättern veröffentlicht hatte. Es zeugt von seiner großen Vielseitigkeit und manche Liebhaber Mark Twains geben diesen kleinen Stücken den Vorzug vor seinen größeren Schöpfungen.

Die Reise, welche Mark Twain im Frühling 1878 mit seiner Familie nach Europa machte, lieferte ihm den Stoff für sein berühmtes Buch: ›A Tramp Abroad‹. Der Weg führte ihn durch England, Frankreich und die Schweiz nach Deutschland, wo er sich für den Sommer niederließ und eingehende Studien über Sprache, Sitten, Lebensgewohnheiten und Vergnügungen der Deutschen anstellte. Wir lernen in diesem Buch eine ganz neue und unterhaltende Persönlichkeit kennen, nämlich Twains Reisegefährten Harris, der bald Führer, bald Kurier ist, sich zur Zielscheibe vieler Späße hergeben muß und in allerlei Verlegenheiten gerät. Zu einer wörtlichen und vollständigen Wiedergabe im Deutschen eignet sich ›A Tramp Abroad‹ nicht, dagegen sind die vorzüglichsten Episoden daraus dem sechsten Bande unserer Auswahl einverleibt.

Nach Amerika zurückgekehrt, gab Mark Twain den ›Gestohlenen weißen Elefanten‹ heraus. In diesem Band findet sich auch das berühmte ›Brüder, knipst ein!‹ dessen Ursprung auf eine Einrichtung zurückzuführen ist, die damals versuchsweise in der New Yorker Stadtbahn getroffen wurde. Sie bestand in einer Art gegenseitiger Kontrolle für Schaffner und Reisende; die betreffende Verfügung der Direktion wurde in den Koupees angeschlagen; sie war zufällig so abgefaßt, daß sie sich von selbst zu reimen schien und eine Art Gassenhauer bildete, der bald in aller Munde war. Mark Twain hat diesen Umstand aufs trefflichste benützt, um seinen Witz auszulassen.

Im Jahre 1883 erschien das ›Leben auf dem Mississippi‹, welches ein bedeutendes Bruchstück aus dem eigenen Leben des Verfassers enthält. Im ersten Teil desselben schildert er aufs anschaulichste seine Thätigkeit als Lotse auf einem Dampfer des Riesenstromes, während er im zweiten Teil bei den Veränderungen verweilt, die sich seit dem Bürgerkriege auf dem Mississippi und an dessen Ufern vollzogen haben.

Eine Erzählung ganz eigener Art, mit der Mark Twain selbst seine genauesten Freunde überraschte, ›Prinz und Bettelknabe‹ folgte 1885. Es kann nicht eigentlich unter die humoristischen Schriften zählen, verrät vielmehr die eingehendsten und genauesten Kenntnisse der Zustände Altenglands, die nur als Frucht ausgedehnter Geschichts- und Sprachstudien gewonnen werden konnten.

In ›Huckleberry Finn‹, der Fortsetzung und dem Seitenstück von ›Tom Sawyer‹, das 1886 veröffentlicht wurde, bot der Verfasser seinem Publikum eine hochwillkommene Gabe. Sie berichtet die weiteren Erlebnisse Tom Sawyers und seines Freundes Huckleberry und macht den Leser mit einer Menge neuer Charaktere bekannt, die durch ihre Frische und Eigenart ungewöhnlich anziehend sind.

Ferner hat Mark Twain geschrieben: ›Der amerikanische Prätendent‹, – ›Ein Yankee an dem Hofe König Arthurs‹, – ›Die Jungfrau von Orleans‹. Die erste dieser Erzählungen erschien zwar in deutscher Uebersetzung, bleibt jedoch hinter anderen humoristischen Schöpfungen des Autors zurück. Die beiden anderen Erzählungen verraten gleich dem früher erwähnten ›Prinz und Bettelknabe‹, daß Mark Twain sehr eingehende Studien der altenglischen und altfranzösischen Geschichte getrieben hat; sein Werk über die »Jungfrau von Orleans« ist übrigens durchaus ernster Art. Dagegen zeigt er in seiner Erzählung ›Querkopf Wilson‹ (in deutscher Uebersetzung 1898 im Verlag von Rob. Lutz in besonderer Ausgabe erschienen) wiederum den Humor seiner besten Zeit, ja manche Kritiker schätzen ›Querkopf Wilson‹ als eine der genialsten Gaben des Autors. Die Erzählung spielt in den dreißiger Jahren in einem der damaligen Sklavenstaaten am Mississippi und er hat in ihr den Typus einer Negermutter geschaffen, der in seiner tragi-komischen Gestaltung kaum wirkungsvoller dargestellt werden könnte. Der eigentliche Held der Erzählung ›Querkopf Wilson‹ ist ein Sonderling, dem Mark Twain durch eine Reihe von Sprüchen, die im ›Kalender Wilsons‹ enthalten sind, einen Teil seiner eigenen Lebensweisheit in den Mund gelegt hat. – Von seinem allerneuesten Werk: der ›Reise um die Welt‹ wird später die Rede sein.

Von Mark Twains Büchern sind in Amerika über eine Million Exemplare verkauft worden und ungefähr halb so viele in England und den Kolonien; auch wurden die meisten seiner Werke ins Französische, Italienische, Deutsche, Norwegische und Dänische übertragen.

In Deutschland waren Mark Twains Schriften vor Erscheinen der vorliegenden Ausgabe wenig verbreitet. Erst durch diese, welche den schwer zu verdeutschenden Autor in einer allen Anforderungen entsprechenden guten Übersetzung zu billigem Preis bringt, und zwar durch Auswahl des Allerbesten und für Deutschland Passendsten, hat Mark Twain in Deutschland eine noch immer im Wachsen begriffene Volkstümlichkeit erlangt.


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