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Drittes Kapitel

Ein ›Harmloser‹ auf Reisen.

Im Winter von 1866 auf 67 hatte sich eine Anzahl begabter Journalisten in San Franzisco zusammengefunden, die kümmerlich von der Hand in den Mund lebten. Die bekanntesten unter diesen Glücksjägern, welche mit einander in der Bergmannsschenke speisten, waren Bret Harte, Stoddard, Webb, Mulford und Mark Twain. So drückenden Mangel wie Samuel Clemens, der nicht selten am Hungertuche nagte, litt jedoch keiner von ihnen.

Einmal bot ihm ein Schauspieler, der ihn kannte, fünf Dollars für fünf gute Witze, die er in seiner Rolle anbringen wollte. »Kann leider nicht dienen,« gab ihm der Humorist zur Antwort, »denn fände man fünf Dollars bei mir armem Schlucker, so hielte man mich sicherlich für einen Dieb. Aber auch bei Ihnen, alter Junge, würde gleich jedermann denken, Sie hätten die Witze, die Sie zum besten geben, gestohlen, wenn sie einigermaßen anständig wären.«

Als im Januar 1867 Stoddard und Mulford mit Erfolg öffentliche Vorträge in San Franzisco gehalten hatten, erwachte auch Mark Twains Unternehmungsgeist und er begab sich auf eine Vorlesungstour in den Städten von Kalifornien und Nevada.

Ein Freund von ihm schildert uns seinen Vortrag in Carson City wie folgt:

»Das Publikum kam damals mit größter Bereitwilligkeit zu jeder Unterhaltung herbeigeströmt, die man ihm bot. Auch Mark Twain fand ein volles Haus, als er gegen acht Uhr die Rednertribüne bestieg. Er verbeugte sich höflich und faltete eine riesige braune Papierrolle auseinander, die wie eine Wandkarte aussah. Es stellte sich jedoch heraus, daß es seine Vorlesung war, die er auf große Bogen Packpapier mit Frakturschrift geschrieben hatte. Nun drehte er dem Publikum den Rücken zu, hielt sein seltsames Manuskript dicht an die Lampe, reckte den Hals, als könne er noch immer nicht sehen und fing an zu lesen.

»Sein Thema war die Zukunft Nevadas und er behandelte es auf ganz originelle Weise. Er weissagte, daß eine Periode ungeheuren Reichtums für die Bewohner des Staates im Anzuge sei, forderte sie auf, sich darauf vorzubereiten und erzählte die unglaublichsten Geschichten über schier unmögliche Entdeckungen von Silbergruben und Goldlagern, welche in nächster Zeit bevorstünden. Merkwürdigerweise erschloß sich unmittelbar darauf wirklich die reichste Fundgrube in Virginia City, so daß sich seine Prophezeiungen buchstäblich zu erfüllen schienen. Mark Twains Vorlesung an jenem Abend ist mir immer im Gedächtnis geblieben. Schade, daß sie nie gedruckt worden ist; ich habe in allen seinen Büchern, durch die er später berühmt wurde, kaum etwas Besseres gefunden.«

Mark Twain reiste mehrere Monate lang als Vorleser von einer Stadt zur andern und fand vielen Anklang; daneben schrieb er interessante Briefe an verschiedene Zeitungen des Ostens. Auch sammelte er damals den ersten Band seiner Skizzen, der im März 1867 erschien und nicht nur in Amerika, sondern auch in England begierige Leser fand.

Ueber Panama ging Clemens nun nach New York und von da nach Washington, wo er sich seinen Unterhalt erwarb, indem er Reisebriefe für kalifornische Journale schrieb. Auch als Vorleser trat er in der Bundeshauptstadt auf, wie aus folgender Schilderung hervorgeht:

»Am zweiten Morgen nach meiner Ankunft in Washington,« erzählt er, »kam ein Bekannter in aller Frühe zu mir in den Gasthof. Er weckte mich aus festem Schlaf und legte mir die niederschmetternde Frage vor, ob ich auch wisse, daß ich noch am Abend des selbigen Tages in Lincoln Hall eine Vorlesung zu halten habe? – Ich erwiderte, er müsse wohl übergeschnappt sein, sonst wäre er ruhig daheim im Bette geblieben, statt mir zu so ungelegener Zeit mit dergleichen Abgeschmacktheiten zu kommen. Er aber gab mir, zum Beweis, daß er ganz bei Verstande sei, eine Anzeige im Morgenblatt zu lesen, in welcher stand, daß Mark Twain am Abend einen Vortrag über die Sandwich-Inseln halten werde. Meine Ueberraschung war grenzenlos und mein Aerger nicht gering, denn ich sah wohl, daß irgend jemand mir den schlechten Streich gespielt haben müsse.

»Bei näherer Erkundigung stellte sich denn auch alsbald heraus, wie die Sache zusammenhing. Einer meiner Freunde vom Theater hatte in der Meinung, mir einen Gefallen zu thun, alle nötigen Vorkehrungen aufs gründlichste getroffen und nur die Kleinigkeit vergessen, mich von seinen Absichten in Kenntnis zu setzen. Die Lincoln-Halle war für den Abend gemietet, die Vorlesung durch Anschlagzettel in der ganzen Stadt angekündigt und alle Zeitungen brachten Anzeigen und besondere Notizen, um das Publikum auf den zu erwartenden Genuß vorzubereiten. Ich war in einer schönen Klemme und wußte mir keinen Rat, denn eine Vorlesung über die Sandwich-Inseln hatte ich weder je gehalten noch aufgeschrieben. Aber das konnte ich doch den Leuten nicht sagen – sie hätten es einfach nicht geglaubt, nachdem sie es auf den Zetteln gedruckt gelesen. Der einzige Ausweg, der mir blieb, war, mich in mein Zimmer einzuschließen und gleich nach dem Frühstück anzufangen, die Vorlesung zu Papier zu bringen. Das that ich denn auch im Schweiße meines Angesichts. Ich wurde wirklich bis halb acht Uhr abends damit fertig und fand bei meiner Ankunft im Saal eine so zahlreiche Zuhörerschaft, wie ich sie nie im Leben gesehen hatte.

»Ich pflegte zwar im allgemeinen mein Manuskript nicht zu benutzen, doch schrieb ich damals die Vorlesung immer nieder und legte die Blätter auf ein Lesepult, wenn ich die Tribüne betrat. Mein Gedächtnis war gut, ich brauchte auch keine Notizen, doch wollte ich für den Notfall das Manuskript bei der Hand haben und mich nicht der Beschämung aussetzen, es erst aus der Tasche ziehen zu müssen. Dies Bewußtsein beruhigte mich und flößte mir Mut ein, so daß keine verlegenen Pausen entstanden. Auch an jenem Abend ging alles gut, aber in meiner ganzen öffentlichen Laufbahn ist mir niemals wieder ein so saueres Stück Arbeit aufgebürdet worden, als das Abfassen jener Vorlesung über die Sandwich-Inseln.« –

Eines Nachmittags saß Mark Twain wie gewöhnlich in seinem kleinen dumpfen Zimmer, rauchte seine Thonpfeife und las mit großem Interesse, daß das Dampfboot ›Quaker City‹ binnen kurzem eine Fahrt nach Europa und dem Heiligen Lande antreten werde. Ohne zu ahnen, an welchem entscheidenden Wendepunkt seines Lebens er stand, schrieb er sofort an seinen alten Freund, General John Mc Comb, der damals Mitbesitzer des in San Franzisco erscheinenden Tagblatts ›Alta Kalifornia‹ war und bat ihn um einen Vorschuß von 1200 Dollars in Gold, den er durch Reisebriefe zu fünfzehn Dollars das Stück zurückerstatten wolle. Es war keine kleine Zumutung für eine kalifornische Zeitung in den sechziger Jahren, doch bewog Mc Comb die andern Teilhaber, das Gesuch zu bewilligen.

So kam es, daß Mark Twain in der ›Quaker City‹ den Ausflug mitmachte, welche eine geschlossene Gesellschaft nach dem Süden Europas und dem Orient unternahm. Kapitän Duncan, der den Dampfer befehligte, behauptet, Clemens habe sich, als er den Platz bestellte, für einen Baptistenprediger von San Franzisco ausgegeben, der seine angegriffene Gesundheit durch die Fahrt wieder herzustellen wünsche. In Wirklichkeit reiste er jedoch als Zeitungskorrespondent und wußte die Gelegenheit vortrefflich auszunützen.

Nach beendeter Reise kehrte Mark Twain zunächst nach Washington zurück, wo er seine Thätigkeit als Zeitungskorrespondent fortsetzte und die Abfassung seiner großen Reisebeschreibung, durch welche er seinen litterarischen Weltruf begründete, begann. Ein Bekannter aus jener Zeit erzählt über seine damalige Lebensweise:

»In seinem Zimmer herrschte der größte Wirrwarr, den man sich vorstellen kann; auf dem Schreibtisch, der eine förmliche Sehenswürdigkeit war, lag alles durcheinander, neben alten Manuskripten standen nicht selten alte Stiefel. Beim Schreiben legte er das Papier nie auf den Tisch, dazu gab es keinen Raum, auch hätte die aufrechte Stellung ihm nicht behagt. Die Füße auf einem Haufen Manuskripte, den Stuhl nach hinten übergekippt, Notizbuch und Bleistift in der Hand – so war er gewohnt zu arbeiten. Um seine Gedanken in Fluß zu bringen, bedurfte es überdies einer ganz besonderen Atmosphäre von Tabaksqualm, den er ohne Unterlaß aus seiner Pfeife dampfte.« –

Im März 1868 reiste Mark Twain in Geschäften nach San Franzisco, kehrte aber schon nach fünfmonatlicher Abwesenheit wieder in den Osten zurück. Unterwegs auf dem Dampfboot und während des Aufenthalts in Kalifornien vollendete er die › Innocents Abroad‹, zu deutsch ›Die Harmlosen auf Reisen‹, welchen Titel er den Schilderungen seiner Reise auf der ›Quaker City‹ gab, um dadurch seinen naiv unbefangenen Standpunkt als Beurteiler von Land und Leuten anzudeuten. Von New York aus sah er sich dann nach einem Verleger für sein Werk um, es wollte ihm aber damit, nicht nach Wunsch gelingen. Vergebens wandte er sich wohl an ein Dutzend New Yorker Firmen, dann bot er das Buch einem Verleger in Hartford an und schickte es endlich nach Boston und Philadelphia; überall fand er den gleichen Mißerfolg. In höchst begreiflicher Entmutigung legte er das Manuskript nun beiseite, bis es eines Tages zufällig einem seiner litterarischen Freunde in die Hände geriet. Diesem gefiel es ausnehmend und er konnte nicht begreifen, daß nicht jeder erfahrene und urteilsfähige Verleger auf den ersten Blick erkannt habe, welche Anziehungskraft ein von so echtem Witz und Humor übersprudelndes Buch gerade auf das amerikanische Publikum üben müsse.

Es gelang denn auch wirklich, die Amerikanische Verlagsgesellschaft in Hartford zur Herausgabe der ›Harmlosen auf Reisen‹ zu bewegen. Der Entschluß ward den Direktoren schwer, aber sie brauchten ihn nicht zu bereuen. Es wurden etwa 200 000 Exemplare verkauft, mit denen die Verleger etwa 75 000 Dollars Reingewinn erzielten. Mark Twain erhielt die Hälfte der Einnahme und war überglücklich. Außer ›Onkel Toms Hütte‹ hatte noch nie ein Buch einen ähnlichen Erfolg in Amerika aufzuweisen gehabt und mit einem Schlage war der Ruhm des Verfassers begründet.

Nachdem seit der Veröffentlichung der ›Harmlosen auf Reisen‹ bald fünfundzwanzig Jahre verflossen sind, hat sich in den von Mark Twain damals bereisten Ländern so manches verändert, daß das Werk heute lange nicht den unmittelbaren und frischen Eindruck macht wie nach dem Erscheinen. Die gelungensten Episoden aus demselben sind in dem gegenwärtigen Band wiedergegeben.

Unter den Passagieren des Dampfers ›Quaker City‹, mit welchem Mark Twain diese denkwürdige Fahrt nach Europa unternahm, befand sich auch die Familie des Richters Langdon aus Elmira im Staate New York.

Ein Sohn des Richters wird uns unter dem Namen ›Dan‹ in den ›Harmlosen auf Reisen‹ vorgestellt, seine Tochter Olivia aber, eine hübsche, talentvolle junge Dame, die damals etwas leidend war, machte einen tiefen Eindruck auf das Herz des Humoristen.

Die Nähe von Elmira mag wohl Mark Twain bestimmt haben, sich um eine Redakteurstelle in Buffalo zu bewerben, wenigstens finden wir ihn gegen Ende des Jahres 1869 dort an der Zeitung ›Expreß‹ beschäftigt. Bei gelegentlichen Besuchen in Elmira erneuerte er die Bekanntschaft mit Fräulein Langdon und hegte bald das sehnlichste Verlangen, sie die Seine nennen zu dürfen. Die Familie war sehr wohlhabend und lebte in den angesehensten Verhältnissen; doch es gelang dem feurigen Bewerber, alle Schwierigkeiten, die sich der Erfüllung seines Wunsches entgegenstellten, zu überwinden. Im Februar 1870 ward die Hochzeit gefeiert und eine glücklichere Ehe wird wohl auf Erden selten zu finden sein. Es war ein Bund zweier Herzen, dem alle äußeren Wechselfälle des Lebens nichts anzuhaben vermochten. Die Neuvermählten bezogen zuerst ihr eigenes behaglich eingerichtetes Haus in Buffalo, das ihnen der Schwiegervater am Hochzeitstage zum Geschenk gemacht hatte. Im Herbst 1870 gab Clemens jedoch seine Stellung am Buffalo Expreß auf, dessen Miteigentümer er zuletzt gewesen war, und zog nach Hartford in Connecticut. Die ›Harmlosen auf Reisen‹ brachten ihm bedeutende Summen ein, er war jetzt ein wohlhabender Mann und brauchte seine Feder nicht mehr in den Dienst der Tagespresse zu stellen, sondern konnte schreiben wann und wo es ihm beliebte, da seine Geisteserzeugnisse stets reißenden Absatz hatten.

1871 erschien ein neues Buch von ihm, › Roughing it‹, in welchem er mit köstlichem Humor sein abenteuerliches Leben unter den Goldgräbern schildert. Das Werk fand großen Beifall, was der Verfasser in seiner humoristischen Weise besonders der anregenden Wirkung des Tabaks zuschreibt. »Von meinem achten Jahre an,« berichtet er, »begann ich unmäßig zu rauchen, monatlich etwa hundert Zigarren; als ich zwanzig Jahre alt war, verbrauchte ich zweihundert den Monat und mit dreißig Jahren hatte ich es bis dreihundert gebracht. In meinem fünfzehnten Jahre rauchte ich einmal drei Monate lang gar nicht, ob das aber eine gute oder schlechte Wirkung hatte, erinnere ich mich nicht mehr. Mit zweiundzwanzig Jahren wiederholte ich den Versuch; mit vierunddreißig hörte ich anderthalb Jahre lang ganz auf zu rauchen. Meine Gesundheit wurde nicht besser davon, wahrscheinlich, weil an derselben überhaupt nichts auszusetzen war. Damals schrieb ich nur zum Zeitvertreib dann und wann einen Journalartikel, und eine Abnahme meiner Geisteskräfte war mir nicht gerade aufgefallen. Als ich mich nun aber eines Tages daran machte, laut abgeschlossenen Vertrags für einen Verleger ein Buch zu schreiben – nämlich › Roughing itIn unser« Ausgabe betitelt: »Nach dem fernen Westen« und: »Im Gold- und Silberlande.« (Band 4 und 5 der humoristischen Schriften.) – da fühlte ich, wie schwer es mir wurde. In drei Wochen brachte ich nur sechs Kapitel fertig. Nun wußte ich, was die Glocke geschlagen hatte; ich gab den Kampf auf, rauchte wieder meine dreihundert Zigarren, verbrannte die sechs Kapitel und beendete das ganze Buch mit Leichtigkeit in drei Monaten.«


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