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Britische Festlichkeiten

Nachdem ich den Niagarafall in Augenschein genommen, begab ich mich auf das kanadische Ufer. Hier traf ich im ersten Hotel mit dem Major des 42. Füsilierregiments und einem Dutzend anderer strammer und gastfreier Engländer zusammen, die mich einluden, im Verein mit ihnen den Geburtstag der Königin zu feiern. Dazu war ich mit Freuden bereit; ich versicherte, daß ich sämtlichen Engländern, die ich je kennen gelernt habe, sehr wohlgesinnt sei, für die Königin aber hege ich Bewunderung und Verehrung, wie alle meine Landsleute. Eine Schwierigkeit würde sich jedoch kaum beseitigen lassen: ich sei nämlich ein grundsätzlicher Gegner von berauschenden Getränken und wisse nicht, wie ich in den schwachen Flüssigkeiten, an die ich gewöhnt sei, einem solchen Geburtstag die gebührende Ehre anthun solle.

Der Major kratzte sich den Kopf und unterwarf die Sache, einer langen und reiflichen Überlegung, es schien jedoch kein erdenkliches Mittel zu geben, das Hindernis aus dem Wege zu räumen. Mir anzuraten, meinen Grundsätzen auch nur zeitweilig untreu zu werden, dazu war er ein Mann von viel zu hoher Bildung. Endlich sagte er jedoch: »Ich hab's! Trinken Sie Sodawasser.«

Dabei blieb es denn. Wir versammelten uns in einem großen, prachtvoll mit Fahnen und grünen Pflanzen ausgeschmückten Saal und nahmen an der Tafel Platz, welche mit leiblichen Genußmitteln, in fester sowohl als flüssiger Form, reich beladen war. Unter witzigen Toasten und trefflichen Reden blieben wir bis lange nach Mitternacht beisammen. Ich war in meinem ganzen Leben nicht so vergnügt und trank 38 Flaschen Sodawasser. Aber mir scheint, das ist doch kein recht geeignetes Getränk zu stärkerem Verbrauch. Als ich am nächsten Morgen aufstand, war ich voll Gas und so straff gespannt, wie ein gefüllter Luftballon. Von meinen Kleidungsstücken paßte mir nichts mehr, – ausgenommen mein Regenschirm. Nach dem Frühstück fand ich den Major wieder mit großartigen Vorbereitungen beschäftigt. Auf meine Frage, was sie zu bedeuten hätten, erfuhr ich, es sei der Geburtstag des Prinzen von Wales, der am Abend festlich begangen werden müsse. Wir feierten ihn also; waren wider mein Erwarten sehr lustig dabei und brachen auch diesmal erst nach Mitternacht auf. Des Sodawassers war ich überdrüssig, ich hielt mich an Limonade und trank mehrere Quart. Man sollte denken, Limonade in Masse genossen, müsse dem Menschen besser bekommen als Sodawasser. Aber das ist ein Irrtum. Am Morgen hatte sie mir den ganzen Magen durchsäuert und meine Zähne so stumpf gemacht, daß ich nichts beißen konnte; es war gerade, als hätte ich den Kinnladenkrampf. Dabei fühlte ich mich schrecklich unwohl und schwermütig.

Bald nach dem zweiten Frühstück traf ich den Major bei neuen Vorbereitungen. Als er sagte, es sei der Geburtstag der Prinzeß Helene, verbarg ich meinen Kummer.

»Wer ist die Prinzeß Helene?« fragte ich.

»Tochter Ihrer Majestät der Königin,« erwiderte der Major.

Ich leistete keinen Widerstand. Am Abend fand die Geburtstagsfeier der Prinzeß Helene statt. Sie dauerte wie gewöhnlich bis tief in die Nacht hinein und ich war wirklich sehr vergnügt. Aber Limonade konnte ich nicht mehr vertragen. Ich trank einige Kübel voll Eiswasser aus.

Am Morgen hatte ich Zahnschmerzen, Krämpfe, Frostbeulen, dazu noch immer stumpfe Zähne und eine ziemlich große Menge Gas im Innern. Den unermüdlichen Major fand ich aber schon wieder am Werk.

»Wem soll denn das gelten?« erkundigte ich mich.

»Seiner königlichen Hoheit, dem Herzog von Edinburgh,« lautete die Antwort.

»Sohn der Königin?«

»Ja.«

»Und heute ist sein Geburtstag? – Sie irren sich doch nicht?«

»Nein, die Feier findet diesen Abend statt.«

Ich unterwarf mich dem neuen Verhängnis. Die Festlichkeit ging vor sich und ich trank ein halbes Faß Apfelwein. Als ich mich am andern Morgen mit mattem, von der Gelbsucht gefärbtem Blick umschaute, gewahrte ich gleich zuerst den Major wieder bei seinen nie endenden Vorbereitungen. Da brach mir das Herz und ich zerfloß in Thränen.

»Wen sollen wir denn heute beweinen?« fragte ich.

»Die Prinzessin Beatrice, Tochter der Königin.«

»Halt,« rief ich, »jetzt ist es an der Zeit, nähere Erkundigungen einzuziehen. Wie lange wird wohl die Familie der Königin noch herhalten? Wer kommt zunächst auf der Liste?«

»Ihre königlichen Hoheiten der Herzog von Cambridge, die Prinzeß Royal, Prinz Arthur, die Prinzessin Mary von Teck, der Großherzog von Mecklenburg-Strelitz, die Großherzogin von Mecklenburg-Strelitz, Prinz Albert Viktor –«

»Genug!« unterbrach ich ihn. »Der Mensch kann viel ertragen, doch alles hat seine Grenzen. Ich bin nur ein Sterblicher. Mit jedem meines Geschlechts will ich's aufnehmen; aber, wer alle Mitglieder dieser Familie feiern und noch am Leben bleiben kann, der muß mehr sein, als ein Mensch – oder weniger. Wenn Sie das alle Jahre durchzumachen haben, so danke ich Gott, daß ich in Amerika geboren bin; ein Engländer zu sein, ertrüge ich bei meiner Leibesbeschaffenheit nicht. Ich kann mich an dem Unternehmen nicht länger beteiligen; meine Auswahl an Getränken ist erschöpft. Ja, für mich giebt es kein Getränk mehr und doch müßte noch auf das Wohl so vieler angestoßen werden! Kein Getränk mehr – und wir stehen sozusagen erst im Vorhof der Familie. Es thut mir wahrhaftig leid, mich zurückzuziehen, aber die bittere Not treibt mich dazu. Ich bin mit Gas gefüllt, meine Zähne sind lose im Munde, ich leide an Krämpfen, an Skorbut, an Zahnweh, Masern, geschwollenen Backen und Kinnladenkrampf, auch habe ich von dem Apfelwein gestern die Cholera bekommen. Meine Herren, trotz der besten Absicht von der Welt bin ich wirklich nicht in der Verfassung, die übrigen Geburtstage mitzufeiern. Ich muß um eine Pause bitten.«‹


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