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10. Kapitel

Das gab in der Oberförsterei ein Fragen und ein Erzählen. Man wurde gar nicht fertig damit. Da saßen alle um Steffy herum, die die Heldin des Tages war, und lauschten. Sogar der Oberförster machte sich manche Stunde frei, um zuzuhören, was seinem Kinde alles in der Großstadt passiert war.

Mit Vorliebe berichtete das junge Mädchen von den riesigen Bauwerken Berlins, von den breiten Straßen, von den schönen Plätzen und schließlich kam sie auch auf den »Freischütz« zu sprechen.

»Du dürftest den Wald nicht sehen, Papa. Ich glaube, du würdest vorn hingelaufen sein und hättest gründlich Ordnung gemacht, so ein dummes Stück. Schießt der Mann einen Hirsch und läßt ihn im Walde liegen, und der Fürst wirft seinen Beamten in die Wolfsschlucht. Das sind mir Zustände!«

»Das ist eben Berlin,« sagte Karl verächtlich. »Da ist mir Tannhausen doch lieber.« Und wieder dachte er voll banger Sorge an die Zeit, da er von daheim fortgehen mußte.

So ging es Tag für Tag, immer wieder gab es Neues zu berichten, Steffy wurde nicht müde, zu erzählen. Zwar glitten ihre Gedanken recht häufig zu Alzadore hin, und dann war ihr recht wunderlich zumute. Aber die Freude, endlich wieder daheim zu sein, überwog vorläufig noch alles. Sie rannte wie einst durch den verschneiten Wald, tummelte sich auf dem gefrorenen See und sah nur viel öfter als sonst zu dem Jagdschlößchen hinüber. Mit niemandem sprach sie davon, daß Alzadore wahrscheinlich nächstens mit seiner jungen Frau hierherkommen würde. Schrecklich! Vielleicht wohnte Stella von Hohenburg dann ständig hier in dem Jagdschloß. Aber nein, dieser garstigen Frau gefiel der Wald sicherlich nicht. Sie wollte von den Menschen bewundert werden.

Je öfter sie das Schlößchen ansah, um so mehr drückte es sie, daß sie von Alzadore nicht sprechen durfte, und schließlich erzählte sie der Marie, daß der Herr da drüben sich bald verheiraten werde. Obwohl die Marie das recht wenig interessierte, hörte sie es sich doch geduldig an, und auch Steffy fühlte sich wohler, daß sie ihr übervolles Herz ein wenig erleichtern konnte.

Da sah sie an einem Februartage, daß das eine Fenster im Jagdschloß geöffnet war. Sie erschrak. War Alzadore da? Mit seiner Frau? Oder vielleicht zeigte er seiner Braut seinen Besitz. Wenn sie nur dieser Stella nicht zu begegnen brauchte! An diesem Tage war sie unruhiger denn je, so daß es der Mutier auffiel und sie die Tochter fragte.

Aber Steffy wich wieder verlegen aus, sie mochte von Alzadore nicht sprechen.

So blieb es in der Oberförsterei unbekannt, daß Alzadore, den man noch in Berlin glaubte, wieder Wohnung im Jagdschlosse genommen hatte. Der Oberförster war daher nicht wenig überrascht, als Alzadore an einem Sonntagvormittag seinen Besuch machte. Steffy, die mit der Mutter in der Kirche gewesen war, hielt sich noch in Reifenstein auf, sie hatte jetzt mehr das Bedürfnis, sich einigen jungen Damen des Ortes anzuschließen und erzählte dort von Berlin. So wurde Alzadore heute nur von Herrn und Frau Uhde empfangen, die sich herzlich freuten, den Gelehrten wieder zu sehen. Auch hier sprach man bald von Berlin und erfuhr erst jetzt genauer, daß Alzadore so oft Gelegenheit gehabt hatte, Steffy zu sehen und zu sprechen.

»Ich will Sie nicht lange im Unklaren lassen. Ein ganz besonderer Anlaß trieb mich aus Berlin fort, hierher nach Tannhausen und zu Ihnen.«

Gespannt schaute der Oberförster den Sprecher an.

»Ihr Fräulein Tochter ist nicht anwesend, und ich will daher gleich heute die Gelegenheit benutzen, um Ihnen zu sagen, daß ich Fräulein Steffy schon seit längerer Zeit herzlich liebe und daß ich keinen größeren Wunsch habe, als sie dereinst zur Gattin zu bekommen.«

Alzadore hatte geglaubt, man würde diese Anfrage mit größtem Staunen entgegennehmen. Jetzt erfuhr er aber aus dem Munde der Oberförsterin, daß man schon längst durch Steffy wisse, daß sie Alzadore liebe.

Nun ergriff auch der Oberförster das Wort. »Obwohl wir Sie erst kurze Zeit kennen, Herr Alzadore, würde ich keinen Augenblick Bedenken tragen, Ihnen mein Kind anzuvertrauen. Sie bieten mir jede Gewähr dafür, daß Steffy glücklich wird. Aber, wenn Sie heute den Wunsch aussprechen, das Kind bald als Gattin heimzuführen, so möchte ich doch dagegen Einspruch erheben. Ich selbst bin vielleicht schuld daran, daß meine Tochter mit ihren siebzehn Jahren bis auf den heutigen Tag ein Kind geblieben ist. Sie weiß nichts vom Leben, nichts von den Pflichten der Ehe. Eine Ehe aber ist viel zu heilig, als daß man unvorbereitet hineingeht. Nehmen Sie mein Mädel, aber lassen Sie sie uns noch ein oder zwei Jahre, dann denke ich, wird sie reif für diesen ernsten Schritt sein.«

Alzadore ergriff freudig die dargebotene Hand des Oberförsters. »Ich stimme vollkommen mit Ihnen überein, Herr Oberförster. Nehmen Sie meinen herzlichsten Dank für Ihre Worte. Und auch Ihnen, gnädige Frau, gebe ich die Versicherung, daß Sie es niemals bereuen werden, mir Ihr teuerstes Kleinod anvertraut zu haben. Für mich gibt es Arbeit genug. Ich werde den größten Teil der kommenden Jahre hier in Tannhausen verleben, und so werde ich Ihr Fräulein Tochter häufig sehen und sprechen. Diese ein oder zwei Jahre werden nicht verloren sein. Unter Ihren Augen wird Steffy heranreifen, und ich werde Gelegenheit haben, das Entfalten dieser Knospe mit zu bewachen. Ich will keine übergebildete Lebensgefährtin, keine Dame, die angekränkelt ist vom Leben und Treiben der Großstadt. Die reizende Natürlichkeit, die Unschuld und Reinheit des Herzens möge Steffy erhalten bleiben. Das ist es, was ich an ihr so sehr liebe, was mich vom ersten Augenblick an zu ihr hinzog.«

»Sie wird noch gar viel lernen müssen, Herr Alzadore. Meine Schwester schreibt mir, daß sie allerlei Törichtes in Berlin angestellt hat. Fürchten Sie nicht die Unerfahrenheit des Kindes?«

»Nein, gnädige Frau. Was Steffy bis zu ihrer Ehe im Vaterhause nicht gelernt hat, das wird sie dann bei mir lernen. Ich nehme sie mit dankbarem Herzen und voll frohen Stolzes dermaleinst aus Ihren Händen und führe sie in mein Heim.«

»Vielleicht ist es ratsam, das Kind noch in Pension zu geben.«

Da wehrte Alzadore bittend ab. »Oh, nein, gnädige Frau. Nicht die gekünstelte Bildung. In keiner Pension, auch in der besten, ist meine Steffy so gut ausgehoben wie hier daheim. Sind Sie, gnädige Frau, nicht die prächtigste Hausfrau, die man sich denken kann? Ist Ihr Heim nicht eine Stätte des köstlichsten Familienlebens? Oh, bitte, gnädige Frau, geben Sie Steffy in keine Pension! Ich möchte sie so haben, wie sie ist, so wie sie sich hier bei Ihnen weiter entwickeln wird. Dann bin ich vollauf zufrieden.«

Frau Uhde seufzte. »Sie hat bisher so wenig lernen wollen. Ich fürchte, Herr Alzadore, ich kann Ihre in mich gesetzten Hoffnungen nicht ganz erfüllen.«

»Haben Sie keine Sorge, gnädige Frau, auch der Lerneifer wird sich einstellen. Ich habe schon den Beweis dafür erhalten.«

Der Oberförster lachte dröhnend. »Na, na, der Beweis. Ich habe auch schon so was läuten hören, auf welche Weise Steffy ihr Wissen angebracht hat. Aber vor allen Dingen erzählen Sie mir erst einmal, wie Sie in der gnädigen Frau hier aus dem Walde, die ein Schloß da irgendwo hat, meine Tochter erkannten.«

Da lachte Alzadore, und dann fing er an zu berichten, aber er umwob wieder das geliebte Mädchen mit so viel sympathischen Zügen, daß Uhde und seine Frau herzlich mitlachten und Steffy nicht zu zürnen vermochten.

Während Frau Uhde sich mit ihren Hausfrauenpflichten entschuldigte und in der Küche verschwand, saßen die beiden Herren gemütlich plaudernd beieinander.

Nebenan hörten sie plötzlich Steffy und Karl sich streiten: »Du bist mir zu dumm,« sagte Steffy in höchster Aufregung. »Auf solchen Quatsch antworte ich gar nichts. Ich halte es mit den Philosophen und schweige.«

»Da bist du schief gewickelt. Die Philosophen haben noch nie geschwiegen. Solche dicke Bücher wie Kant hat kein Mensch verfaßt.«

»Pah, Kant,« sagte Steffy geringschätzig: »Ich halte es mit Schopenhauer.«

Ueber das Gesicht Alzadores glitt beim Nennen dieses Namens ein Lächeln, aber gespannt lauschte er auf die Stimme des geliebten Mädchens.

»Schopenhauer ist ein Idiot,« gab Karl zurück.

»Du hast ihn eben nie gelesen. Wenn du nur einen einzigen Blick in sein berühmtes Werk »Praga und Paraplüema« getan hattest, dann würdest du nicht solchen Unsinn reden.«

Karl lachte schallend. »Du wirst sehr viel von diesem Paraplüa wissen.«

»Oho«, kam es entrüstet aus Steffys Munde. »Aber du scheinst mir eben ein Denken ohne Bewußtsein zu haben. Schopenhauer hat ganz recht, wenn er sagt: Fast möchte man glauben, daß die Hälfte unseres Denkens ohne Bewußtsein vor sich gehe. Ganz besonders bei jungen Leuten ist das der Fall. Meistens kommt die Konklusion, ohne daß die Prämissen deutlich gedacht werden.«

Da hielt Alzadore nicht länger an sich. Er lachte schallend auf, und auch der Oberförster stimmte mit ein. Einen Augenblick war es im Nebenzimmer still, dann öffnete sich behutsam die Tür, aber nur einen kleinen Ritz, Steffys Gesicht schaute durch die Spalte. Sie sah gerade auf Alzadore. »Alle neune!« Das war alles, was sie in ihrer Bestürzung hervorbrachte.

»Komm nur herein, du Philosoph,« rief der Oberförster und zog jetzt seine Tochter, die noch immer regungslos an der Tür stand, ins Zimmer.

Steffy schaute zu allererst im Zimmer umher. Sie hatte das Gefühl, als müsse nun auch Frau von Hohenburg hier sein. Aber als sie niemanden sah, streckte sie Alzadore die Hand hin.

»Ach je, ist das schön, daß Sie hier sind. Aber was wollen Sie eigentlich hier?«

»Ich bleibe vorläufig in Tannhausen, Fräulein Steffy. Hoffentlich ist Ihnen das recht.«

»Sind Sie denn allein hier?« fragte Steffy zurück.

Er lächelte fast unmerklich. »Ganz allein, Fräulein Steffy, nur mit meinem Diener. Der aber tut Ihnen nichts.«

Nebenan lachte jemand.

»Darf ich nicht endlich auch den jungen Helden mit dem Kürbiskopf kennenlernen?« wandte sich Alzadore jetzt an den Oberförster.

Im Nebenzimmer flog eine Tür ins Schloß, und als der Oberförster ging, um seinen Sohn zu holen, war er nirgends zu finden.

Unterdessen fragte Steffy voller Neugierde den ihr gegenübersitzenden Alzadore, wie lange er hierzubleiben beabsichtige und wann er nun endlich nach Australien fahren wolle.

»Sie können es wohl durchaus nicht erwarten, mich loszuwerden, Fräulein Steffy?« Er sah ihr tief in die Augen, daß sie verwirrt wurde.

»Ach, ich meinte ja nur – dann kann die Frau von Hohenburg Sie nicht mehr so verliebt ansehen.«

»Aergert Sie das denn?«

»Natürlich, aber richtig, sie ist ja Ihre Braut, und das gehört doch wohl zu einer Braut.«

Endlich war es so weit, daß Frau Uhde zu Tisch bat. Steffy neigte sich zum Ohr Alzadores. »Kalbsbraten gibt es und hinterher eingelegte Nüsse, das schmeckt gut. Freuen Sie sich darauf?«

»Ja, ich freue mich!« sagte er schlicht.

Jetzt gab es für Karl kein Ausreißen mehr. Er mußte kommen. Er spielte den Gewandten, er verneigte sich tadellos vor Alzadore und redete ein paar wohlgesetzte Worte. Aber Steffy, noch verärgert von vorhin, wollte die Gelegenheit benutzen, dem Bruder eins auszuwischen.

Leise zischte sie ihm ins Ohr: »Kürbisgespenst«.

Karl warf ihr einen wütenden Blick zu und puffte sie in die Seite. Aber Alzadore schüttelte dem zukünftigen Schwager herzlich die Hand.

»Es freut mich, den oft genannten Bruder Fräulein Steffys endlich kennen zu lernen. Gehört habe ich Sie allerdings schon mehrmals; wenn ich recht vermute, so sind Sie der famose Paukenschläger der abendlichen Serenade, die man mir darbrachte.«

»Sie können ihn ruhig mit du anreden, Herr Alzadore, er ist erst fünfzehn Jahre alt.«

Sofort brauste Karl auf. »Aber du mit deinen siebzehn willst gleich 'ne gnädige Frau sein.«

»Sind Sie denn immer so kampflustig? Zum Kampf gehört Mut.«

»Aber Mut hat er nicht,« fiel Steffy ein, »er ist davongelaufen, und ich mußte die Suppe auslöffeln.«

»Sie bleiben nicht mehr lange in Tannhausen?« wendete jetzt Alzadore das Gespräch.

Aber schon wieder fiel Steffy ein. »Nein, er muß in eine Pension, und die hat er auch nötig.«

»Antworten Sie immer für Ihren Bruder, Fräulein Steffy?«

Da schwieg das junge Mädchen errötend. Und ruhig mußte sie jetzt zuhören, wie sich Alzadore längere Zeit mit Karl über die Schule und anderen gelehrten Kram unterhielt. Aber auch Karl fühlte sich unter dem Blick der dunklen Augen beengt und nahm sich gründlich zusammen, um sich Alzadore gegenüber keine Blößen zu geben. Da schallte des Oberförsters Stimme plötzlich dazwischen.

»Zu Tisch, meine Herrschaften, es ist angerichtet. Nun du Paraplüa, dir ist wohl die Suppe verhagelt.«

Steffy warf einen scheuen Blick auf Alzadore. Gott sei Dank, er lachte nicht, obwohl sie sehr genau wußte, daß dieses verflixte schwere Wort nicht richtig war. Aber für Bruder Karl genügte es. Was wußte denn der von Schopenhauer.

Während des Essens saß sie neben Alzadore und freute sich, ihn allein zur Unterhaltung zu haben. Als er sich dann verabschiedete, drückte sie ihm herzlich die Hand. »Ach ja, kommen Sie nur recht bald wieder. Auch wenn es keine Kalbkeule gibt, können Sie mit uns essen. Es reicht schon.«

Auch die Mutter wiederholte die Aufforderung, und so wurde Alzadore in der nächsten Zeit ein recht häufiger Gast in der Oberförsterei. – –

Die Wochen vergingen. Der Frühling hielt mit Sturm und Regen seinen Einzug, doch bald milderte sich der Kampf in dem All, und laue, milde Lüfte begannen zu wehen und erweckten die schlafende Erde. Die ersten Veilchen öffneten ihre blauen Augen, und an den Sträuchern und Büschen erschienen die kleinen grünen Spitzen, die vorsichtig in die Welt lugten, um zu sehen, ob die Zeit zur vollen Entfaltung bereits gekommen sei.

Auch in die Herzen der Menschen goß sich diese Frühlingsstimmung, Steffy wäre am liebsten den ganzen Tag über im Walde umhergelaufen und hätte mit den Vögeln um die Wette jubiliert. Aber Frau Uhde beschnitt ihr jetzt die Freiheit ganz erheblich. Sie hatte sich einmal bei Alzadore über die Mutter beklagt. Kochen sollte sie lernen, und gute Sitten wollte man ihr beibringen. Als sie aber Alzadore ernst anblickte und fragte, ob sie denn immer so ein unwissendes Mädchen bleiben wollte, da hatte sie geschwiegen und stellte sich jetzt schon manches Mal, ohne daß man sie rief, in der Küche ein, um beim Kochen der Mutter zur Hand zu gehen. Etwas Schreckliches stand ihr allerdings noch bevor. Gleich nach Ostern sollte sie Stunden bekommen. Literatur, Kunstgeschichte und Sprachen. Auch darüber klagte sie zu Alzadore, und wieder gelang es seinen Worten, sie dahin zu bringen, daß Steffy es selbst für notwendig hielt, sich in diesen Fächern weiter zu bilden.

»Denken Sie nur, Fräulein Steffy, wie schön es sein wird, wenn sie Französisch und Englisch sprechen können. Sie werden dann weite Reisen in fremde Länder machen, ja sogar nach Venedig.«

Ihre Lippen verzogen sich schmollend. »Müssen Sie mich denn immer ärgern?«

»Nicht doch, Steffy, liebes Kind!«

Sie wurde brennend rot, aber in ihren Augen war jetzt ein helles Leuchten. »Nun ja,« sagte sie seufzend, »ich will ja lernen, meinetwegen auch persisch, malayisch und,« sie sah ihn mit einem schelmischen Lächeln an, »und spanisch.«

»Abgemacht,« sagte er. »Ich zeige Ihnen dann meine Heimat.«

Da lachte auch sie und lief ihm davon.

So rückte das Osterfest näher heran. Karl wurde immer gedrückter. Der Gedanke, gleich nach Ostern aus dem Elternhause zu müssen, war ihm entsetzlich, aber es blieb ihm keine Wahl. Schließlich mußte auch hier Alzadore den Geknickten aufrichten. Er verstand es vortrefflich, Karl das Gute jenes Fortgehens herauszustreichen, ihm das Nützliche vorzustellen, so daß sich der Jüngling endlich leichter hineinfügte. –

»Sie sind in den Osterfeiertagen natürlich unser Gast,« sagte Frau Uhde am Karfreitag zu Alzadore, als er abends wieder die Oberförsterei verließ.

»Sie können, wenn Sie wollen, auch schon am Ostersonnabend kommen,« sagte Steffy, »aber nicht vormittags, denn da liefere ich mein Meisterstück.«

»Ihr Meisterstück?« fragte er neugierig.

Frau Uhde seufzte. »Ja. Steffy soll endlich zeigen, was sie in den letzten sechs Wochen gelernt hat. Die Suppe zum ersten Feiertag und die Speise kocht sie ganz allein. Ich sage nichts.«

Steffys Augen strahlten. »Das wird ganz was extra Feines. Ich zerbreche mir schon drei Tage darüber den Kopf. Sie müssen unbedingt zum Essen hier sein.«

Da sagte Alzadore zu, und am nächsten Morgen stand Steffy mit hochroten Wangen in der Küche, kramte allen Grieß, Reis und alle Haferflocken, alle Marmeladen und eingelegten Früchte hervor, prüfte und wählte.

Am Ostersonntag, noch vor der Kirche setzte sie die Suppe zu, die sie dann, bei der Heimkehr weiterkochte.

Dann war alles fertig, sie band sich die Wirtschaftsschürze ab und erschien in dem kleinen Salon. »Es ist alles famos geglückt,« triumphierte sie. »Ihr werdet staunen.«

Zu den Osterfeiertagen hatten sich natürlich alle Familienmitglieder eingefunden, und Alzadore lernte Werner und Leopold kennen und fand besonders an dem ältesten Bruder größten Gefallen. Aber auch die Brüder wunderten sich, daß die sonst so wilde Steffy viel ruhiger und gesitteter geworden war, und bemerkten bald, daß auch ihr Herzchen nicht mehr frei war. Das sagte ihnen der leuchtende Blick, der sich oft zu Alzadore hinstahl, und ihr liebliches Erröten, das jedesmal, wenn sie den Spanier erblickte, über ihre Züge huschte. Werner und Leopold hatten auch bereits von den Eltern erfahren, daß sich Alzadore mit der Absicht trug, Steffy dereinst heimzuführen.

Ehe man sich zum Essen niedersetzte, trat Alzadore an Steffy heran. »Nun werde ich Sie heute auch in Ihren Hausfrauentugenden bewundern können. Also Suppe und Speise stammt von Ihrer Hand?«

Ein stolzes »Ja« klang zurück.

Im letzten Augenblick erschien Frau Uhde. – Man sah es ihr am Gesicht an, daß nicht alles klappte. Sie schien auch verlegen, als sie jetzt die Suppe auftat. Steffy schaute ihr mit Argusaugen zu. Die Mohrrübenscheiben fehlten. Nicht wie sonst schwammen sie in der Fleischbrühe.

»Du hast ja die Mohrrüben vergessen,« platzte sie vorlaut heraus.

Vergeblich zwinkerte ihr die Mutter mit den Augen zu. Als aber Steffy wieder darauf bestand, das Gemüse fehle, da mußte sie mit verlegenem Lachen gestehen, daß ihre Tochter das Wurzelwerk viel zu spät in die Suppe geschnitten habe und daß daher die Brühe nicht sehr wohlschmeckend ausfallen würde. Als man dann die ersten Löffel aß, da zog sich manches Gesicht zusammen.

»Das Salz kostet wohl in diesem Jahre nichts?« neckte Leopold.

»Wir werden einen guten Durst bekommen,« meinte der Oberförster.

Steffy war hochrot im Gesicht. Ja, die Suppe hatte sie gründlich versalzen. Sie sah scheu auf Alzadore, der ohne eine Miene zu verziehen seinen Teller leer aß.

»Schmeckt es Ihnen?« fragte sie schüchtern.

»Ja, es schmeckt mir.«

»Dann bekommen Sie noch einen Teller voll,« bemerkte Steffy.

Aber obgleich er leicht abwehrte, füllte sie ihm selbst den Teller noch einmal voll.

»Etwas reichlich gesalzen ist sie ja,« meinte Steffy, »aber –«

»Das machen verliebte Leute immer so,« tönte es jetzt von den Lippen Bruder Karls.

»Sie hat es eben auf meinen Wein abgesehen,« fiel der Oberförster ein. »Also Leopold, schenke einmal ein.«

Der Braten war natürlich einwandfrei. Endlich kam die Speise. Man nahm nur behutsam davon. Man wollte erst kosten. Als aber Steffy als erste den Löffel zum Munde führte, da wurde der Ausdruck ihres Gesichtes plötzlich todunglücklich. Tränen traten ihr in die Augen, und ganz fassungslos stieß sie hervor:

»Sie ist nicht zu essen, sie ist ganz angebrannt.«

»Aber, Fräulein Steffy!« Alzadore griff unter dem Tisch nach ihrer Hand. »Sie wird schon schmecken. Um ein wenig Angebranntes kümmert man sich nicht.«

Nein, sie war wirklich nicht zu essen. Außerdem schmeckte sie nach allerlei Gewürzen, niemand aß das bißchen, daß man sich auf den Teller genommen hatte, auf, nur Alzadore. Steffy aber saß mit gesenktem Köpfchen neben ihm und hielt nur mit größter Anstrengung die Tränen zurück. Als man sich dann endlich von Tisch erhob, eilte sie zur Mutter und schluchzte fassungslos:

»Jetzt wollte er sehen, ob ich was gelernt habe, ob ich mich zur Hausfrau eigne, und nun ist alles futsch.«

Frau Uhde tröstete ihr unglückliches Kind. »Es wird ein anderes Mal besser werden,« aber Steffy schüttelte ganz verzagt den Kopf.

»Ich bin wirklich sehr dumm, ich lerne gar nichts, und Spanisch werde ich überhaupt nicht begreifen.«

Als sie dann endlich zu den anderen zurückkehrte, sah ihr Gesichtchen noch ganz verweint aus. Das schnitt Alzadore tief ins Herz. All seine große Liebe wollte sich nicht länger in seinem Herzen zurückhalten lassen, und als ihm jetzt der Oberförster in den Weg trat, da bat er:

»Ein einziges Wort, Herr Oberförster.«

»Wollen Sie 'nen Schnaps?« fragte der Angeredete mit vergnügtem Augenzwinkern. »Die Suppe war verdammt gesalzen, und die Speise muß Ihnen ja im Magen liegen.«

»O nicht doch, Herr Oberförster. Es hat mir alles recht gut geschmeckt.«

»Ich glaube, wenn Ihnen Steffy eine Schuhsohle gekocht hätte, Sie hätten sie auch verschlungen. Aber ob Sie sich das auf die Dauer als Ehemann werden gefallen lassen?«

»Grade deswegen wollte ich mit Ihnen reden, Herr Oberförster. Jeder Blick Steffys sagt es mir, daß sie mich gern hat. Und mir wird es so herzlich schwer, noch länger das Geheimnis allein mit mir herumzutragen. Darf ich zu ihr nicht endlich, endlich von meiner Liebe sprechen?«

Der Oberförster reichte ihm die Hand. »Tun Sie, wie Sie denken, lieber Alzadore. Mit der Heirat wird es aber noch eine gute Weile haben, dazu ist unsere Steffy noch lange nicht reif genug.«

»Aber sie soll wenigstens wissen, Herr Oberförster, daß sie von mir über alles geliebt wird, und auch ich will wissen, daß sie mein ist.«

»Na, meinetwegen, gegen eine Osterverlobung will ich nichts haben. Sehen Sie nur, wie draußen die Sonne lacht. Jetzt werde ich meinen Wildfang in den Garten schicken, er soll mir ein paar Veilchen für den Kaffeetisch suchen. Sie, Herr Alzadore,« der Oberförster lachte, »finden ja den Weg zum Garten, nicht wahr?«

Alzadore antwortete nichts, nur ein leuchtender Blick verriet dem Oberförster, daß er mit seinen Worten einen Menschen überglücklich gemacht hatte.

»Ich gehe mit Veilchen holen,« schrie Karl.

»Unsinn,« rief der Vater, »du bleibst hier. Steffy geht allein.«

»Ach,« entgegnete sie gedehnt, »es ist ja so kalt draußen.«

Der Vater lachte. »Nanu, es ist dir ja nicht zu kalt, im Walde stundenlang herumzulaufen.«

Alzadore trat an sie heran. »Soll ich Ihnen pflücken helfen?«

Sie schaute prüfend auf den Vater.

»Ja, ja,« lachte der Oberförster. »Helfen Sie dem Faulpelz nur.« Da eilten beide davon.

Vor dem Veilchenbeet blieb Steffy ganz plötzlich stehen. »Hat Sie die Suppe sehr gekratzt? Ach, ich bin noch gar sehr dumm. Nicht einmal kochen kann ich.«

»Das werden Sie alles noch lernen, Fräulein Steffy. Wenn Sie erst einmal eine Hausfrau sind, dann kommt das alles von ganz allein.«

»Hausfrau,« wiederholte sie gedehnt. »Ich werde niemals Hausfrau sein.«

»Warum denn nicht?« fragte er zurück.

»Wir müssen Veilchen suchen,« lenkte sie ab.

»Wenn nun aber ein Mann zu Ihnen käme und sagte: Liebe kleine Steffy, ich möchte dich doch zu meiner Frau haben, trotz der angebrannten Suppe. Was würden Sie dann sagen?«

»Ich habe schon vier Veilchen, und Sie haben noch keins.«

»Und wenn dieser Mann Sie dann an der Hand nehmen würde, gerade so wie ich es jetzt tue, und Sie fragen würde: Wollen Sie meine liebe kleine Frau sein?«

Sie stand vor ihm mit tief gesenktem Kopf und starrte auf die Veilchen nieder. »Wir wollen davon nicht reden,« stotterte sie. »Fragen Sie lieber Ihre Braut und nicht mich.«

»Ich habe noch keine Braut, Fräulein Steffy, aber ich denke, recht bald eine zu haben.«

»Wir wollen Veilchen suchen.« Jetzt würgten Tränen in ihrer Kehle. Da riß er sie in seine Arme.

»Steffy, fühlst du es nicht, wie gut ich dir bin? Weißt du denn nicht, daß dir mein ganzes Herz gehört?«

Nur einen einzigen Augenblick sah sie zu ihm auf, dann schmiegte sie sich lachend in seine Arme.

»Ich bin's! Ich! Und die angebrannte Suppe macht gar nichts aus?«

In übergroßer Zärtlichkeit drückte er ihr Blondköpfchen an seine Brust. »Steffy, liebe, liebe Steffy!«

»Ach Gott,« jubelte sie, »ich bin ganz dämlich! Mir ist ja fast, als ob alle meine Gedanken sich verwirrten. Mich willst du zur Frau, Herr Alzadore?« Dann lachte sie. »Ja, ich bin wirklich ganz verdreht,« und mit einem reizenden Schelmenlächeln schaute sie jetzt zu ihm auf. »Fast möchte man glauben, daß die Hälfte unseres Denkens ohne Bewußtsein vor sich gehe. Meistens kommt die Konklusion – –«

Er schloß ihr mit einem Kusse den Mund. »Meine Steffy denkt jetzt nicht mehr an Schopenhauer und kümmert sich mehr um Haushalt und um ihre Stunden. Willst du das tun, Liebling?«

»Ja, ich will! Oh, was wird der Karl dazu sagen, daß ich nun wirklich eine gnädige Frau werde.«

Alzadore strich ihr zärtlich über das Blondhaar. »Eine gnädige Frau wirst du noch nicht, kleine Steffy. Du bist meine liebe kleine Braut und lernst jetzt brav und fleißig, denn niemand darf heiraten, ohne daß er nicht gründlich etwas gelernt hat. Auch dir wird die Erkenntnis bald kommen, daß eine Ehe eine ernste und heilige Sache ist, zu der man sich würdig vorbereiten muß.«

Schweigend lauschte sie seinen Worten. »Da muß ich mich noch sehr ändern? Nicht wahr?«

»Schau auf deine Eltern, sie werden dir den rechten Weg weisen.«

Da schlang auch sie plötzlich ihre Arme um seinen Hals: »Ich habe dich ganz schrecklich lieb. Es ist zu gut, daß ich damals mit dem Ast kein Unglück angerichtet habe.«

Wieder küßte er sie. Ihre kindliche Natürlichkeit, die sich immer wieder zeigte, entzückte ihn stets aufs neue. Und als sich Steffy jetzt so fest in seinen Arm schmiegte, da erfuhr er aus ihrem Munde, daß sie unbewußt schon immer ihn geliebt haben mußte, und immer fester schlossen sich seine Arme um die zierliche Gestalt.

»Kommst du nun bald mit den Veilchen?« Das war Karls Stimme, die die beiden auseinanderriß. »Oh, Verzeihung, ich wollte nicht stören.«

»Bleiben Sie nur hier, Karl,« rief Alzadore heiter. »Nun können Sie als erster Ihrer lieben Schwester gratulieren. Wir haben uns verlobt.«

Karl machte ein überlegenes Gesicht. »Es überrascht mich durchaus nicht, Herr Alzadore. So ein kleines bißchen ist man doch Frauenkenner, und ich habe das ja schon längst gewußt.«

»Ei, ei, nun sehen Sie nur, was Sie für ein Menschenkenner sind,« lächelte Alzadore. »Trotzdem, mein lieber Karl, hätten Sie Ihrem Schwesterchen wirklich schon ein paar glückwünschende Worte sagen können.«

Da war der eben noch so stolze Jüngling wieder verlegen, dann aber rief er laut: »Ich mache den Herold, also kommt!«

So gingen sie ins Haus zurück. Alzadore hielt Steffy fest in den Armen. Sie fühlte sich so beglückt und so geborgen, und all ihr Uebermut schwieg. Aber als jetzt Alzadore zu den ihrigen sprach, als sich die Geschwister um sie drängten, da konnte sie all den stürmischen Jubel, der ihr Herz erfüllte, nicht mehr zurückhalten. Sie zappelte in Alzadores Armen, befreite sich schließlich aus ihnen und drehte sich wie ein Wirbelwind im Zimmer herum. Dann flog sie Alzadores wieder an den Hals.

»Einen Indianer krieg ich, und der Mohr, bedient mich der auch? Einen Diener habe ich! Du, Karl, ich kriege einen Diener!«

Frau Uhde schüttelte verzweiflungsvoll den Kopf. Solch ein Benehmen halte sie noch niemals von einer Braut gesehen.

»Nach Spanien komm' ich und nach Venedig. Auf den Markusplatz!« dann aber verstummte sie plötzlich, denn sie erinnerte sich, daß sie sich ja auch mit Venedig so sehr blamiert hatte. Schüchtern hob sie ihr Gesicht zu Alzadore. »Willst du mich wirklich?«

»Ich sagte dir schon, Steffy, du wirst noch viel lernen müssen.«

Treuherzig erfaßte sie seine Hand. »Ja, das will ich wirklich, das verspreche ich dir. Ein so kluger Mann, wie du einer bist, darf keine dumme Frau haben. Nicht wahr?«

Er drückte ihre dargebotene Hand kräftig. »So ist es recht, Liebling. Ich wußte es ja, als ich dich wählte, daß du ein wackerer, guter und lieber Kamerad sein willst.«

 

Steffy hat redlich versucht, ihr Wort zu halten. Mit Verwunderung sahen die Eltern, daß sich das junge Mädchen von Woche zu Woche zu ihrem Vorteile veränderte. Sie lernte fleißig und eignete sich auf allen Gebieten ein recht anerkennenswertes Wissen an. Die Eltern und Alzadore bemühten sich, dieses Wissen noch zu erweitern, und gern und freudig nahm das junge Mädchen alle Belehrungen entgegen. Ihr Frohsinn und ihr Uebermut kamen allerdings wieder zum Vorschein. An kleinen tollen Streichen fehlte es jetzt auch nicht, aber gerade das liebte Alzadore an seiner Steffy. Auch im Kochen machte sie gewaltige Fortschritte, und schon als dann im Herbst Alzadore wieder einmal als Tischgast im Familienkreise weilte, war das ganze Mahl von Steffy hergerichtet worden.

Klattermanns waren während der Sommermonate einige Wochen nach Tannhausen gekommen. Man hatte fröhliche Tage verlebt und beschlossen, im kommenden Winter Steffy wieder einige Monate nach Berlin zu schicken, damit sie dort ihren Gesichtskreis erweitern konnte. Ohne Bangen sah das junge Mädchen dieser Zeit entgegen, denn sie fühlte es von selbst, daß sie in ihrem Auftreten viel sicherer geworden war, und daß sie jetzt nicht mehr allem so fremd gegenüberstand wie früher. Der Gedanke, daß Alzadore hier in Tannhausen den größten Teil des Jahres zubringen würde, beglückte sie. Nur wenige Monate würde man in anderen Großstädten verleben, würde Reisen machen, dann aber kehrte man wieder nach Tannhausen zurück. So sah Alzadore seine Braut sich immer herrlicher und köstlicher entwickeln, und Steffy übertraf alle seine Erwartungen. Obgleich sie ein schönes Wissen in sich vereinigte, war ihr doch nichts von ihrer ursprünglichen Frische genommen worden, und so sahen alle ohne Sorgen dem Augenblick entgegen, da Alzadore das holde Mädchen vor den Traualtar der kleinen Kirche zu Reifenstein führte. Als sie dann heimgekehrt, in Brautkranz und Schleier von Bruder Karl in die Arme geschlossen wurde, da lachte ihr glückliches Gesicht.

»Siehste Karlemann, nun bin ich doch eine richtige gnädige Frau geworden!«


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