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3. Kapitel

Am zeitigen Vormittag machte sich Angela mit Steffy auf den Weg. Sie nahmen nicht den Kahn, denn sie fürchteten, man könne sie bemerken und fragen, was sie drüben beim Jagdschlößchen wollten. So wanderten die beiden jungen Mädchen durch den Wald, aber von Steffys Seite kam keine fröhliche Unterhaltung in Gang. Ihr war heute nicht recht wohl zumute. Furcht war es weniger. Sie schämte sich ein wenig vor dem Fremden, der sie vielleicht doch wieder erkennen würde. Plötzlich hielt sie Angela zurück.

»Du, Angela, es geht nicht, daß ich so diesem Indianer gegenübertrete. Er erkennt mich sicher. Wie wäre es, wenn ich mich ein bißchen veränderte?«

Angela lachte. »Was willst du denn jetzt wieder für eine Maskerade vornehmen?«

»Ich werde mir ein älteres, würdigeres Aussehen geben. Wenn ich etwa wie fünfzig aussehe, wird mir der Indianer solchen tollen Streich nicht zutrauen. Meinst du nicht auch?«

Angela sah der Kusine lachend ins Gesicht. »Wie willst du das denn fertig bringen?«

»Paß mal auf.« Sie löste die Flechten und versuchte einen Scheitel. Aber die widerspenstigen Haare wollten nicht recht folgen. »Wir müssen sie tüchtig mit Wasser ankleben. Dort drüben ist ein kleiner Bach, der soll helfen.«

Sie liefen hin, Steffy machte sich die Hände naß, und unter großen Schwierigkeiten gelang es auch wirklich, die Haare zu scheiteln und an beiden Seiten fest über die Ohren zu legen. »Nun muß ich noch einen festen Knoten am Hinterkopf zusammendrehen, das macht alt.«

Gesagt, getan. Auch diese Arbeit gelang, aber nach fünfzig Jahren wollte Steffy Uhde doch nicht aussehen.

»Aber ein bißchen anders sehe ich doch aus?« forschte sie gespannt.

»Natürlich,« stimmte Angela bei. »Niemand wird dich wiedererkennen.«

So ging Steffy beruhigter weiter. Aber als das Jagdschlößchen in Sicht kam, war ihr doch wieder recht unbehaglich zumute.

»Wenn ich nur wüßte, was ich dem schrecklichen Manne sage, damit er nicht merkt, daß wir mit der Sache zusammenhängen.« Aber ganz plötzlich jauchzte sie auf. »Halt, ich hab's. Ein bißchen Schwindelei wird mir der liebe Gott sicherlich nicht übelnehmen.«

Mutig ging sie auf das Schlößchen zu, öffnete die Flurtür und betrat das Innere des Hauses. Der schwarze Diener, der die Schritte gehört hatte, kam herbei und fragte sie in einem sehr mangelhaften Deutsch nach ihrem Begehr. Aber noch ehe sie sich verständlich gemacht hatte, wurde eine andere Tür geöffnet, und sie stand Rodrigo Alzadore gegenüber. Angela, der es äußerst peinlich war, das fremde Haus zu betreten, war an der Tür stehen geblieben, so daß Alzadore jene nicht sehen konnte.

Würdig neigte Steffy das Haupt. »Verzeihen Sie, mein Herr, daß ich es wage, in Ihr Heim einzudringen. Aber ich komme in einer sehr delikaten Angelegenheit. Haben Sie vielleicht zufällig in Ihrer Behausung einen roten Vorhang gefunden, der nicht zu Ihrem Eigentum gehört?«

»Wollen Sie nicht nähertreten, meine Gnädige?«

Die Sprache des Mannes klang schwer, seine Stimme war dunkel. Steffy dachte an die Waffe und lehnte dankend ab. –

»Ich danke sehr, aber ich möchte Sie nicht belästigen. Ich möchte Sie nur bitten, mir den roten Vorhang zurückzugeben.«

Prüfend glitten die Blicke des Gelehrten an dem jungen Mädchen herab. »Mit wem habe ich das Vergnügen?«

Steffys Augen irrten suchend hin und her. »Ich bin Frau Gswschkwi,« murmelte sie so undeutlich, daß es beim besten Willen nicht möglich war, diesen halb hingehauchten, halb geniesten Namen zu verstehen.

»Sehr erfreut, aber ich bitte doch, näherzutreten.«

Nur sehr zögernd folgte sie seiner Aufforderung und trat, ihm voran, in das Bibliothekzimmer. Sie erkannte es sofort wieder, denn hier auf der Schwelle hatte sie schon einmal als weiße Frau gestanden. Unter seinen, sie förmlich durchbohrenden Blicken wurde ihr doch unbehaglich, sie wandte scheu die Augen zur Seite und wiederholte:

»Haben Sie den roten Vorhang oder nicht?«

»Gewiß, mir wurde gestern abend ein solcher Vorhang ins Haus gebracht. Die Geister der hiesigen Gegend scheinen sehr liebenswürdig zu sein. Ich weiß nun aber nicht, ob ich dieses Stück, das ich auf so eigentümliche Weise bekam, wieder herausgeben darf?«

Steffy hob den Blick und bemerkte ein eigentümlich spöttisches Lächeln um seine Mundwinkel. Ihre Verlegenheit nahm zu, eine dunkle Röte huschte über ihr Gesicht.

»Ich sehe, ich muß Ihnen leider den Zusammenhang erklären, und bitte für die Ungezogenheit meines – meiner Tochter um Entschuldigung. Meine Tochter hatte sich den Spaß gemacht – –. Meine Tochter wußte nicht, daß das Haus bereits bewohnt ist, und auch meine beiden Söhne machen häufig dergleichen Unsinn. Ich bin darüber sehr betrübt, aber Sie können doch eine Mutter für die übermütigen Streiche ihrer Kinder nicht zur Rechenschaft ziehen.«

Jetzt sah sie auf, um schnell wieder den Blick zu senken. Immer forschender ruhten die Augen Alzadores auf ihrem Körper.

»So, so, also diese beiden merkwürdigen Gestalten waren Ihre Kinder. Ich hätte kaum vermutet,« fügte Alzadore mit leichtem Lächeln hinzu, daß Sie, gnädige Frau, schon eine erwachsene Tochter haben.«

»Nicht wahr?« beeilte sich Steffy zu erwidern, »man glaubt mir gar nicht, daß ich schon so alt bin.«

»Verzeihen Sie, gnädige Frau, aber ich selbst hielt Sie für kaum dem Backfischalter entwachsen.«

Er lächelte gar so eigentümlich. Steffy wurde es wieder recht unbehaglich, und rasch stieß sie hervor: »Na ja, es sind eben meine Stiefkinder. Ich habe einen ganz alten Mann geheiratet.«

Sie wurde unter den forschenden Blicken Alzadores immer verlegener und wünschte sich tausend Meilen von hier fort. »Möchten Sie mir nun den Vorhang geben?«

In dem Augenblick fiel Alzadores Blick durch das Fenster auf Angela, die um das Haus herumgegangen war. »Die junge Dame dort, ist sie vielleicht Ihr Fräulein Tochter?«

»Nun natürlich,« eiferte Steffy los.

»Ich möchte sie hereinbitten lassen.«

Eine helle Angst glitt über Steffys Züge. »Ach nein, nein, lassen Sie meine Tochter ruhig draußen stehen. Wir haben auch große Eile, ich muß ja heim, das Mittagessen kochen.« –

»Ist der Weg denn so weit?« lächelte er.

»O ja.« Steffys Hand streckte sich in unbestimmter Richtung aus. »Dort ganz hinter dem Walde, da liegt unser kleines Besitztum. Darf ich Sie nun bitten, mir den Vorhang zu geben?«

Da holte er das Gewünschte. Steffy riß es ihm fast aus den Händen. Sie ließ auch gar nicht erst zu, daß er den Vorhang einwickelte. Mit einem raschen »Danke« wollte sie sich entfernen.

»Gestatten Sie, gnädige Frau, daß ich Sie wenigstens hinausgeleite.«

Er schritt neben ihr her bis zur Flurtür. Dort stand Angela, und Steffy war wieder voller Angst, daß all ihr kleiner Schwindel ans Tageslicht käme.

»Mein Name ist Alzadore,« sprach er, sich leicht vor Angela verneigend. »Ich habe Ihrer Frau Mutter den roten Vorhang bereits ausgehändigt. Ich bitte sehr um Entschuldigung, daß ich Sie gestern mit meinem Revolver bedrohte. Hätte ich gewußt, daß sich unter der Mummerei ein so harmloses Spiel verbirgt, so hätte ich die bösen Geister gern zu einem Plauderstündchen eingeladen.«

Angela starrte fassungslos von einem auf den andern. Aber Steffy ergriff hastig das Wort. »Es wird jedenfalls nicht wieder vorkommen. Nochmals vielen Dank, und nun komm, Angela.«

Sie zog die Kusine fast mit sich fort, immer schneller wurde der Schritt der Enteilenden, und schließlich bemerkte Alzadore, daß die beiden Hand in Hand in schnellen Sprüngen davonliefen. Er schüttelte den Kopf.

»Merkwürdig, höchst merkwürdig!«

Als die beiden jungen Mädchen außer Sichtweite waren, blieb Angela stehen. »Du, Steffy, was hast du dem Manne denn eigentlich erzählt?«

»Ach,« wehrte die Angeredete verlegen, »der arme Mann ist leider etwas irre im Kopf. Er hat mich für eine gnädige Frau gehalten. Wahrscheinlich hat er eine unglückliche Liebe zu einer gnädigen Frau.«

»Den Vorhang will er meiner Mutter gegeben haben, und dabei hast du ihn doch im Arm.«

»Ja, siehst du, er ist eben vollkommen geistesgestört.«

»Gottlob, daß wir gesund aus dem Hause sind!« Angela schauderte noch in Gedanken an die große Gefahr, in der sie geschwebt hatten. »Ob er dich erkannt hat?«

»Ach bewahre, sein Geist ist ganz zerrüttet.«

»Weißt du, Steffy,« nahm Angela nach einer Pause wieder das Wort: »Eigentlich müßten wir dem Onkel von dieser gefährlichen Nachbarschaft erzählen. Denke doch, der Kranke kann euch ja alle unglücklich machen.«

»Ach, laß nur,« meinte Steffy gleichgültig. »Wir haben alle Mut, wir fürchten uns nicht!«

Endlich war die Oberförsterei wieder erreicht, ungesehen kam Steffy mit dem Vorhang in ihr Zimmer und beeilte sich sogleich, ihn wieder an seinen alten Platz zu bringen. Als sie damit fertig war, kehrte sie erleichtert ins Eßzimmer zurück. Das paßte ihr gerade, daß dort Karl anwesend war. Herausfordernd stellte sie sich vor ihm hin:

»Weißt du, woher ich soeben komme? Nein, das weißt du nicht. Ich bin im Jagdschloß gewesen und habe für deine Feigheit gerade gestanden. Du kannst dich überzeugen, daß oben in meinem Zimmer der rote Lappen wieder am Fenster hängt. Du freilich wärst ja nicht da hingegangen. Pa, was bist du für eine Bangbüx!«

»Wenn du dagewesen bist, brauche ich ja nicht mehr hinzugehen. Ich war gerade im Begriff, das zu tun,« entgegnete Karl.

Steffy lachte laut aus. »So siehst du aus! Hast ja nicht für fünf Pfennig Mut in der Brust. Sieh mich an; der Mann ist vollkommen irrsinnig, hat die letzten Jahre in einer Anstalt verbracht, aber trotzdem fürchte ich mich nicht.« –

»Na, ich möchte sehen, wie du laufen würdest, wenn zu dir ein Gespenst käme.«

Mit einem verächtlichen Blick musterte Steffy den Bruder. »Zu mir kann das ganze Geisterreich kommen, ich würde ihm mutig entgegentreten und sagen: macht, daß ihr hinauskommt, ich kenne den Schnickschnack. Ich wüßte ja, daß du unter der Vermummung stecktest.«

Nun lachte auch Karl. »Hast ja einen sehr großen Mund. Natürlich hier im Hause spukt ja keine weiße Frau, sonst wärst du längst davongelaufen.«

»Halte endlich den Mund, du Feigling,« schnitt Steffy jede weitere Unterredung ab. »Du solltest dich vor mir schämen, aber du hast kein Gewissen.«

Mit einem Gefühl der Ueberlegenheit verließ sie stolz erhobenen Hauptes das Zimmer. Karls Laune war durch diesen Vorfall natürlich nicht besser geworden. Was bildete sich denn das dumme Mädel ihm gegenüber ein? So brauchte sich ein angesehener Herr doch nicht behandeln zu lassen. Wieder erwachte der Rachedurst in ihm, und er eilte zu Bruder Robert, um mit ihm das weitere zu besprechen. –

Der schöne große Forst gab eine Menge herrlicher Spaziergänge ab. Frau Klattermann benutzte denn auch fast jeden Nachmittag, um mit einem ihrer Verwandten im Walde umherzustreifen. Die köstliche Stille tat ihr gut. Häufig wurde sie von Angela begleitet, die von Tag zu Tag mehr aufblühte. Ihre blassen Wangen wiesen bereits eine gesunde Röte auf. Auch die viele Milch und die gute Landkost trugen sehr zu ihrer Erholung bei, und so konnte Frau Klattermann mit größter Freude feststellen, daß ihre Tochter von Tag zu Tag gesünder ausschaute. Das war ihr eine rechte Freude, denn sie hatte sich schon große Sorgen um die allzu zarte Angela gemacht. Sie teilte die günstigen Resultate dem Gatten mit, der umgehend zurückschrieb, man möge Angela so lange, als nur angängig, bei den Verwandten lassen, er selbst werde, wenn es gestaltet sei, nach Beendigung seiner noch dringend vorliegenden Arbeiten auch für einige Tage nach Tannhausen kommen, um seine Gattin abzuholen. Angela möge ruhig noch länger bei den Verwandten bleiben.

Auch daß Angela jetzt so häufig mit Steffy herumtollte, machte der Professorin lebhafte Freude. Sie sah ja, wie gut dem Kinde diese Bewegung tat, außerdem schien es ihr viel natürlicher, daß ein sechzehnjähriges Mädchen fröhlich durch Haus und Garten tollte, als ständig hinter den Büchern zu hocken.

Aus der kavaliermäßigen Bewunderung, die Leopold seiner Kusine zollte, machte sich Angela anscheinend wenig. Gewiß, sie war freundlich zu dem jungen Forststudenten, sie ließ sich mit lachendem Munde den Hof machen, aber sie lief ihm auch eben so gerne davon, wenn er gar zu zärtlich werden wollte. Ganz anders stand sie sich mit dem Aeltesten der Vettern, mit Werner. Der junge Mediziner erregte ihr lebhaftes Interesse, weil auch sie sich vorgenommen hatte, das gleiche Studium zu erwählen. So geschah es nicht selten, daß sie sich bei gemeinsamen Spaziergängen von ihm schon allerhand erzählen ließ, sie hatte tausend Fragen zu stellen, die Werner in stets liebenswürdiger und ruhiger Weise beantwortete. So war das Leben in der Oberförsterei ein durchaus harmonisches, und sogar Steffy, die sonst jedem Besuch ziemlich abhold war, äußerte, daß diese Gäste absolut nicht störten, man könne es sogar ganz gut mit ihnen aushalten.

Nach Verlauf von vierzehn Tagen meldete sich Professor Klattermann in der Oberförsterei an. Wie verabredet, wollte er seine Frau heimholen, während Angela noch länger in Tannhausen bleiben sollte. Obwohl Professor Klattermann ein ernster und großer Gelehrter war, hatte er sich doch in all den Jahren einen frischen und frohen Sinn bewahrt, er schätzte einen gesunden Humor und hatte sich durch diese Eigenschaften auch bei Oberförsters äußerst beliebt gemacht.

So war Professor Klattermann in die Oberförsterei gekommen, und vergeblich hatte Uhde versucht, ihn für mehrere Wochen festzuhalten. Der Professor erklärte unter Bedauern, er müsse heim, und auch seine Gattin war der gleichen Meinung.

»Ich habe lange genug eure Gastfreundschaft genossen. Ihr behaltet ja unser Mädel noch hier. Wir beide aber müssen wieder nach Berlin, um nach dem Rechten zu sehen.«

Besonders Steffy hatte sich an den Onkel herzlich angeschlossen. Sie machte mit ihm manchen ausgedehnten Spaziergang, nur die Gegend des Jagdschlößchens mied sie; denn es war ihr immer noch unbehaglich, mit Alzadore zusammenzutreffen. Aber als der Professor am Tage vor seiner Abreise äußerte, er wolle auch noch einmal jene Gegend besuchen, da sagte sie nicht nein, und gemeinsam mit Angela machte man sich auf den Weg. Als das Jagdschlößchen sichtbar wurde, schlug Steffy vor, man wolle doch tiefer in den Wald gehen. Sie hatte größte Eile, hier fortzukommen. Klattermann aber beobachtete interessiert den hübschen Bau und fragte Steffy verwundert, warum sie denn heute gar so große Eile habe. Steffy schwieg und suchte nach einer Ausrede. Endlich hatte sie eine gefunden.

»Weißt du, Onkel, schau dir ruhig den alten Kasten an. Ich gehe inzwischen dort drüben auf die Wiese – hier gleich den schmalen Weg entlang – und pflücke ein paar Blumen für die Tante. Du kannst mich gar nicht verfehlen. Du brauchst nur laut zu rufen, ich höre das.«

Sie war froh, davonzukommen; denn wenn jetzt wirklich der Indianer aus dem Hause trat, konnte er sie nicht sehen, und das war das Wichtigste.

Kaum hatte sie die ersten Blumen gebrochen, da ließ sie ein näherkommender Schritt aufschauen. Und gerade der Mann, dem sie zu entweichen gehofft hatte, stand vor ihr. Er zog höflich den Hut und blieb vor ihr stehen.

»So ganz allein im Walde, gnädige Frau?«

Eine glühende Röte huschte über Steffys Gesicht. Mit einer raschen Bewegung warf sie die beiden herabhängenden langen Zöpfe, die ihr beim Blumenpflücken über die Schultern gefallen waren, zurück. Hoffentlich hatte der Fremde diese verräterischen Jugendzeichen nicht gesehen.

»Nein, ich bin nicht allein hier.«

Es war ihr auf einmal zumute, als müsse sie Alzadore ganz nachdrücklich durch etwas beweisen, daß sie tatsächlich kein junges Mädchen mehr sei. »Mein Gemahl und meine Tochter sind ganz in der Nähe, sie müssen jeden Augenblick hier sein. Leben Sie wohl!«

»Das ist allerdings eine etwas deutliche Verabschiedung,« bemerkte Alzadore mit leichtem Lächeln.

»Sie müssen schon entschuldigen, daß ich so bin. Aber mein Mann liebt es durchaus nicht, wenn ich mich mit fremden Herren unterhalte.«

»So bitte ich Sie also um Verzeihung, daß ich Sie ansprach, gnädige Frau.«

»Bitte, ich verzeihe Ihnen.« Sie sah wieder seine großen forschenden Augen, sah, wie er abermals den Hut zog und langsam davonging.

Als er Steffys Blicken entschwunden war, fiel dieser schwer auf die Seele, daß Alzadore jetzt doch unbedingt mit dem Onkel Zusammentreffen müßte. Gerechter Himmel, wenn nur ihr Schwindel nicht ans Tageslicht kam. Just in demselben Augenblick hörte sie den lauten »Hohoruf« des Onkels.

»Hier bin ich!« rief sie zurück.

Aber der Onkel schien sich doch über die Richtung, aus der der Ruf kam, nicht ganz im klaren zu sein. Er war da recht froh, als ihm jetzt ein Herr entgegenkam, den er fragen konnte, ob jener dort auf dem Wege eine junge Dame getroffen habe. Angela war noch ein wenig zurückgeblieben. So wandte sich der Professor, indem er seinen Hut lüftete, an Alzadore:

»Verzeihen Sie, mein Herr, Sie kommen diesen Waldweg entlang. Haben Sie vielleicht eine junge Dame gesehen?«

Auch Alzadore hatte seinen Hut abgenommen, seine dunklen Augen ruhten forschend auf dem Frager. Das also war der Gatte dieser zierlichen elfenhaften Gestalt. Es stimmte ihn beinahe traurig. Wie konnte man solch junges Blut an einen so alten Herrn verheiraten.

»Ihr Frau Gemahlin ist keine fünf Minuten von Ihnen entfernt. Wenn Sie diesen Weg weiter verfolgen, kommen Sie auf die Wiese, auf der sie nach Blumen sucht.«

»Verbindlichen Dank.«

Nun kam auch Angela hinzu, und als sie des Gelehrten ansichtig wurde, überkam sie eine grenzenlose Angst.

»Komm schnell fort, Papa,« flüsterte sie. Sie beachtete kaum den Gruß von Alzadore. Sie zog den Vater rasch mit sich fort.

»Nun, mein Töchterchen, du hast es ja sehr eilig.«

Scheu wandte sich Angela um, und als sie bemerkte, daß Alzadore außer Hörweite war, flüsterte sie entsetzt: »Du, Papa, der Mann ist irrsinnig. Er hat sich deswegen das einsame Haus gekauft. Er weiß das auch, daß er irrsinnig ist, man muß sich vor ihm hüten.«

Klattermann lachte. »Irrsinnig sah mir der Mann nun gerade nicht aus. Aber woher weißt du denn diese schreckliche Geschichte?«

»Nun, man erzählt es hier. Ich glaube aber auch wirklich, daß der Mann irrsinnig ist.«

Jetzt hatte man Steffy erreicht. »Du, Steffy,« rief Angela schon von weitem entgegen, »denke dir, wir haben den Wahnsinnigen getroffen.«

Mit einem unsichern Blick schaute Steffy auf den Onkel.

»Hat er was zu euch gesagt?«

Der Professor lachte. »Er hat dich für meine Frau gehalten und mir gesagt, daß du hier zu finden bist.«

»Weiter nichts?« forschte Steffy.

»Nein.«

»Gott sei Dank!« atmete sie auf.

Der Onkel betrachtete seine Nichte verwundert. »Nanu, was ist denn mit dem Manne los?«

»Ach,« entgegnete Steffy, »der redet sonst allerhand verworrenes Zeug, er ist doch gar zu wahnsinnig; und da dachte ich, ihr könntet euch schließlich vor ihm geängstigt haben.« Dann gab sie dem Gespräch mit Gewalt eine andere Wendung. Diese Begebenheit war glücklich abgelaufen. Morgen, um die gleiche Zeit reiste der Onkel ja wieder heim, er erfuhr dann also nichts mehr von dem kleinen Schwindel.

Am nächsten Tage nahmen Professor Klattermann und seine Frau aus dem Forsthause Abschied. Noch einmal forderten die Verwandten Steffy dringend auf, sie möge auch einmal nach Berlin kommen; denn auch dort gäbe es viel Schönes und Interessantes zu sehen, und Steffy versprach, daß sie vielleicht im kommenden Winter, wenn es die Eltern erlaubten, gern kommen würde. Vorerst aber sollte Angela noch lange bei ihr bleiben und sich gut erholen.

Auch die Ferien von Werner und Leopold erreichten ihr Ende, da wurde es dann allmählich stiller. Daß aber trotzdem noch genug reges Leben bei Uhdes herrschte, dafür sorgte schon Steffy.


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