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9. Kapitel

Diesmal konnte es Steffy kaum erwarten, daß sich die Gäste einfanden. Sie hatte sich außer den vorhandenen Büchern noch eins gekauft, das die Kunst in Venedig behandelte. Nun war sie in allen Sätteln gerecht. Sie wußte von Dürer zu reden, konnte Schopenhauer zitieren, wußte von Holbein und seinen Bildern zu sprechen, kannte Böcklin, van Dyck, Lenbach, Corinth und Menzel. Wie würde man staunen! Oh, sie wollte alle ihre Wissenschaft heute abend an geeigneter Stelle anbringen.

Das Klattermannsche Ehepaar sah die Erregung der Nichte, aber man glaubte, daß sie der Erwartung zuzuschreiben war, weil man Alzadore geladen hatte. Als dann der erste Gast erschien, da rannte Steffy schnell noch einmal hinauf in ihr Zimmer.

Als sie wieder herunter kam, fand sie die Gäste bereits versammelt, auch Alzadore war anwesend. In Steffys Augen leuchtete es freudig auf. Als er ihr die Hand zur Begrüßung entgegenstreckte, machte sie ihm eine förmliche Verneigung.

»Ich habe heute den Vorzug, Sie zu Tisch führen zu dürfen und da – –«

»Mich führen Sie?« jubelte Steffy auf. »Oh, das ist sehr fein!«

Da war wieder der leuchtende Schein in seinem Antlitz, den sie so sehr liebte. Warum hatte das ihr die Tante nicht schon lange gesagt? Aber warte nur, Rodrigo Alzadore, du sollst heute noch staunen. Jetzt freute es sie doppelt, daß sie so viel gelernt hatte.

Man stand plaudernd in Gruppen umher. Steffy trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Kein Mensch fing von Venedig oder von Bildern an zu reden. Und auch von Schopenhauer sprach niemand. Dabei war sie innerlich so aufgeregt, daß sie fürchtete, sie werde alles vergessen.

Ihre Blicke gingen suchend umher. Da hörte sie plötzlich, wie der Onkel, der im Kreise seiner Gäste stand, ganz unvermittelt den Namen Kalckreuth aussprach. Sie horchte auf. Kalckreuth! Der Name stand oben in dem Prachtbuch verzeichnet. Der hatte ein Bild gemalt mit einer großen Allee. Sie hatte das Bild ordentlich vor sich. Jetzt war der Augenblick da. Hastig faßte sie Alzadore, der neben ihr stand, an der Hand.

»Kommen Sie rasch!« Sie zog ihn zu dem Onkel hin.

»Er soll mit dem Pferde gestürzt sein, hörte ich,« meinte soeben der Onkel. »Aber die Verletzung soll nicht schlimm sein.«

»Wer ist gestürzt, Onkel?«

»Graf Kalckreuth, liebes Kind. Du wirst ihn nicht kennen.«

»O doch, Onkel, ich kenne ihn. Zwar gefällt mir die Technik seines Pinsels nicht. Wenn ich an seine Bäume denke, so finde ich das Kolorit nicht richtig.«

Die Köpfe der Anwesenden fuhren zu Steffy herum. Der Onkel sah sie mit verglasten Augen an. Er wollte etwas antworten, aber er konnte nicht, denn Steffy fuhr bereits fort:

»Da ist doch Böcklin ein ganz anderer Meister. Diese satten Farben, die besonders bei dem Gefilde der Seligen so deutlich die Sinne gefangen nehmen, und dann seine Villa am Meer, jenes Meisterwerk einer Farbenzusammenstellung.«

»Gnädiges Fräulein schwärmen für Böcklin,« wandte sich einer der älteren Herren an Steffy. Das junge Mädchen strahlte. Jetzt war sie in ihrem Fahrwasser. Nur weiter. »Ja, ich liebe diesen modernen Meister. Wenn ich denke, daß er mit so wenigen Farben solche Wirkungen hervorzubringen vermag.«

»Wir wollen zu Tisch gehen,« flüsterte Frau Klattermann ihrem Gatten zu und gab das Zeichen, daß sich die Paare ordneten. Steffy wandte sich an den Herrn, mit dem sie soeben gesprochen hatte.

»Wenn Sie wünschen, sage ich Ihnen nachher noch meine Meinung über Dürer.«

Da führte sie aber auch schon Alzadore mit sanftem Druck davon. Sie sah ihn triumphierend in die Augen. »Sie kennen wohl Böcklin nicht?«

Seine Augen lachten, seine Mundwinkel zitterten. »O ja, ich kenne ihn sehr wohl. Aber erzählen Sie mir lieber, ob Sie Nachricht von den Ihrigen haben.«

Steffy war empört. Wozu hatte sie denn tagelang so eifrig studiert. Nein, jetzt sollte die ganze Welt wissen, daß sie gar nicht so dumm war, wie sie sich im Anfang den Anschein gegeben hatte.

»Sie denken wohl viel an die Ihrigen daheim?« fragte Alzadore aufs neue.

Jetzt war der Augenblick gekommen. »So halb und halb,« sagte sie.

»Nur halb und halb?« wiederholte Alzadore.

Sie räusperte sich. »Ja,« sagte sie, dann sah sie ihm fest in die Augen. »Fast möchte man glauben, daß die Hälfte unseres Denkens ohne Bewußtsein vor sich geht. Meistens kommt die Konklusion, ohne daß die Prämissen deutlich gedacht werden. Finden Sie das nicht auch, Herr Alzadore?«

»Steffy!« Es war ein furchtbarer Angstschrei aus seinem Munde.

Sie machte ihr unschuldiges Gesicht. »Oh, Verzeihung, Herr Alzadore, ich zitierte eben nur Schopenhauer.«

Die furchtbare Spannung schwand aus seinem Gesicht. Er strich sich aufatmend über die Stirn, dann wandte er sich wieder zu Steffy.

»Wie kommen Sie zu diesem Ausspruch?«

Sie strahlte förmlich. Ja, das imponierte ihm. »Ich beschäftige mich jetzt viel mit Schopenhauer, und da habe ich einige seiner berühmtesten Aussprüche gelernt. Ach nein, mir gemerkt.«

Er hätte sie am liebsten an sich gezogen. Noch nie war sie ihm so rührend schön erschienen. »Was haben Sie denn von Schopenhauer gelesen?« fragte er.

Da wurde es Steffy plötzlich ganz heiß. Sie hatte die beiden schweren Namen vergessen. »So allerlei,« stammelte sie. »Seine philosophische Schrift, in der er eben von der Hälfte unseres Denkens ohne Bewußtsein spricht.«

Er faßte heftig nach ihrer Hand. »Warum haben Sie sich den Kopf damit beschwert, Fräulein Steffy? Bitte, sagen Sie es mir, ich möchte es wissen.«

Sie warf geziert den Kopf zurück. »Man muß doch etwas für seine Bildung tun. In unserem Walde können wir das nicht.«

»Darf ich Ihnen einen guten Rat geben, mein liebes Fräulein Steffy? Vorläufig schweigen Sie davon, daß Sie diesen Herrn Schopenhauer gelesen haben. Erst später, wenn Sie mehr wissen, dann überraschen Sie die Menschen damit. Aber vorläufig dürfen Sie ruhig sagen, Sie kennen ihn nicht; denn das ist keine Schande. Nur in reiferen Jahren befaßt man sich mit philosophischen Schriften.«

Da aber brauste Steffy auf. »Nein, gerade sage ich es. Man hat mich lange genug für dumm gehalten. Frau von Hohenburg hat mir ja selber gesagt, ich sei zu dumm. Darum wollen Sie sich auch nicht mit mir unterhalten. Ich will aber nicht dumm sein. Ich weiß ja noch viel mehr. Wozu habe ich denn alle die Tage fleißig gelernt. Oh, Sie werden heute noch staunen, was ich alles weiß.«

Jetzt wurde ihm vieles klar. Er hatte längst geahnt, daß Stella von Hohenburg ihm ein starkes Interesse entgegenbrachte, daß sie es gern gesehen hätte, wenn er sich die junge Witwe zur Gattin wählen würde. Statt dessen kam dieses Naturkind und nahm sein Herz im Sturm. Das auch hatte Frau Stella bemerkt, und nun suchte sie Gift in die Seele seines Lieblings zu streuen. Darum also das veränderte Betragen Steffys und darum auch jetzt ihr verkehrter Lerneifer. Sein Gefühl floß über.

»Meinetwegen haben Sie das alles gelernt? Für mich, Steffy?«

Von dem Ton seiner Stimme getroffen, senkte sie erglühend den Kopf. Hatte sie sich schon wieder verraten? Hatte sie dem Manne schon wieder gezeigt, daß sie ihm nachlief? Nur das nicht.

»Fällt mir gar nicht ein,« erwiderte sie fast schroff. »Für meine eigene Bildung habe ich es getan. Schopenhauer hat ganz recht, wenn er sagt – – wenn er sagt –«

Alzadore lächelte: »Was sagt er denn?«

Steffy wußte nicht, was sie sagen wollte. Sie wußte auch nicht, was Schopenhauer in solchem Falle sagen würde. Gab es denn in dem Buch keinen Satz, der jetzt paßte? Nein, sie wußte nichts, aber Alzadore würde sicherlich auch nicht genau wissen, was Schopenhauer alles gesagt hatte. Mit kühner Entschlossenheit raffte sie sich auf.

»Schopenhauer sagt,« begann sie mutig. »Es ist eine durchaus zweckmäßige Einrichtung, wenn der Unwissende sich an sich selbst heraufbildet. So, nun wissen Sie es.«

»Sie liebes, liebes Kind,« das war alles, was Alzadore auf ihre heftigen Worte entgegnete. Aber Steffy wurde unter seinen geradezu zärtlichen Blicken immer verlegener. Sie hatte plötzlich keine Lust mehr, ihrem Tischherrn jetzt von Dürer und Holbein zu erzählen, nicht einmal auf Venedig kam sie zu sprechen, und gerade dort wußte sie doch so gut Bescheid. Sie senkte nur tief den Kopf und war froh, als Alzadore jetzt wieder das Gespräch auf Berlin und seine Sehenswürdigkeiten lenkte. Da durfte sie wenigstens von dem reden, was sie gesehen hatte und auch verstand. Trotzdem brannte es ihr auf dem Herzen, ihre Weisheit anzubringen. Vielleicht fand sich später Gelegenheit dazu.

Man erhob sich vom Tisch und fand sich in kleinen zwanglosen Gruppen zusammen. Unter den Gästen befand sich auch eine Sängerin, die man aufforderte, einige Lieder zu singen. Als die Dame dann ihre italienische Arie beendet hatte, wandte sich Steffy an einen neben ihr sitzenden Herrn.

»Wäre es nicht viel besser, die Dame sänge nicht hier ihre Lieder, sondern wo anders. Zum Beispiel in Venedig. Dahin passen sie doch besser.«

Die Sängerin, die die sehr laut gesprochenen Worte gehört hatte, bekam einen hochroten Kopf, lachte dann aber spöttisch auf und entgegnete Steffy:

»Bis nach Venedig wünschen Sie mich?«

»Ja,« sagte Steffy treuherzig, »in eine Gondel unter die Seufzerbrücke.«

Frau Klattermann schwebte schon wieder in Todesängsten. Sie ahnte förmlich, daß ihre Nichte noch mehr Weisheit im Schilde führte. Und richtig! Der neben ihr sitzende Herr, der ohnehin als Spaßvogel bekannt war, wandte sich an das junge Mädchen:

»Sie kennen wohl Venedig sehr genau, mein gnädiges Fräulein?«

»Ich habe mich eingehend mit dem Studium dieser alten Stadt besaßt. Vor allen Dingen mit der Kunst von Venedig.« Dann warf sie ihr Köpfchen noch stolzer in den Nacken und triumphierend umherblickend, begann sie mit erhobener Stimme: »Das wichtigste von Venedig ist ein Besuch der Academia delle Belle Arti. Leider zeigt dieses herrliche Museum die Mängel, welche der Widerstreit von Raum und Zeit bei allen Kunstsammlungen hervorruft. Wer so glücklich ist, frei über seine Zeit verfügen zu können, mag sich ja die zerstreuten Werke der – –« sie überlegte ein Weilchen, dann fing sie wieder an: »Zeit verfügen zu können, mag sich ja die zerstreuten Werke der –« sie legte den Finger nachdenklich an die Stirn. Himmel, jetzt wußte sie nicht weiter.

»Wollen Sie nicht die Freundlichkeit haben, uns noch ein Lied singen,« unterbrach Frau Klattermann die peinliche Stille. So lenkte sich ein wenig die Aufmerksamkeit von Steffy ab, nur Doktor Weinholz, ihr Nachbar, ließ nicht locker.

»Welche Meister bewundern Sie denn am meisten in Venedig?«

»Dürer und Holbein,« kam es prompt zurück. Von diesen beiden Männern wußte sie am meisten.

»So, so?« lächelte er. »Erzählen Sie mir doch ein bißchen.«

Wieder begann Steffy: »Albrecht Dürer, Maler, Kupferstecher und Zeichner, wurde 1741 in Nürnberg geboren.«

Eine Dame, die in der Nähe stand, mengte sich ein. »Aber, mein Fräulein, wenn Sie Venedig so lieben, werden sie doch vor allem den venezianischen Meister Tizian bewundern.«

»Ja,« sagte Steffy ganz kleinlaut. Sie wühlte in ihrem Gedächtnis. Freilich, von dem Manne hatte sie auch etwas gelesen. Und jetzt kam ihr wie ein Blitz die Erleuchtung. Von Tizianrot hatte sie etwas gehört. Und ihr Nachbar hatte schon wieder die Frage an sie gerichtet, was ihr denn von Tizian am besten gefiele. Vor ihren geistigen Augen tauchte ein Bild auf. Eine Fjordlandschaft, über die das Rot der untergehenden Sonne gebreitet war. Halt, das war wohl das Richtige. Wenn sie nicht irrte, stand dieses Bild in des Onkels Kunstgeschichte direkt neben Tizian.

»Ich liebe die meisten seiner Landschaften, aber am besten gefällt mir der Abend am Fjord. Dieses Tizianrot des Bildes hat mich immer gefesselt.«

Nun aber trat Alzadore dazwischen. »Wissen Sie denn auch, mein gnädiges Fräulein, daß Ihr Herr Onkel eine ganz wundervolle Kopie der Flora drüben hängen hat. Darf ich Sie bitten, mich dort einmal hinzuführen?«

»Aber, Herr Alzadore, Sie werden mir doch das gnädige Fräulein nicht entführen,« wehrte Herr Doktor Weinholz. Doch der Angeredete richtete seine dunklen, zwingenden Blicke so fest auf Steffy, daß sie sich jetzt erhob und mit Alzadore davonging.

Frau Klattermann warf im Vorübergehen dem Spanier einen dankerfüllten Blick zu. Sie sah nur zu deutlich, daß die Anwesenden mit Mühe ihr Lachen zurückhielten. Diese Steffy, dieses Unglückskind! Was hatte sie nur alles aus den Büchern zusammengelesen, und in welch falscher und ungeschickter Weise brachte sie ihr Wissen jetzt an. Jetzt, wo sie bei Alzadore war, brauchte Frau Klattermann nichts mehr zu fürchten. Der kannte ja das kleine, dumme, liebe Mädchen.

Aber Steffy hatte noch immer das Bedürfnis zu reden. »Tizian ist ja sehr schön, aber Dürer ist mir lieber. Denken Sie doch nur an seine vielen Marienbilder und an seine Stechereien.«

»Warum haben Sie sich Ihr Köpfchen denn so beschwert, Fräulein Steffy? Ganz Ordnung herrschte doch nicht unter Ihrem Wissen, und da ist es besser, Sie nehmen alle diese Weisheiten nach und nach in sich auf.«

»Warum denn?« fragte sie fast gekränkt.

»Weil nicht alles ganz richtig ist, was Sie sagen. Es steht Ihnen auch gar nicht, so laut und ungezwungen Ihre Meinung zu äußern.«

»Was? Meine Meinung? Das steht doch in den Büchern!«

»Aber in den Büchern steht noch viel mehr, und Sie sehen ja selbst, Sie haben an einer Stelle nicht weiter gekonnt. Das ist gewiß recht peinlich.« Er beugte sich tief zu ihr nieder. »Sie wollen doch sicher nicht, mein liebes Kind, daß man sich über Sie lustig macht.«

Steffy war ganz sprachlos. Erst machte man sich lustig über sie, daß sie nichts wußte, und jetzt lachte man sie aus, weil sie etwas wußte. Ja, konnte sie es denn überhaupt nicht mehr recht machen? Sie wurde plötzlich ganz verlegen und hilflos.

»Man lacht mich also aus?« stotterte sie.

»So schlimm ist es wohl noch nicht, aber Sie müssen nicht wieder so vorlaut sein.«

»Ich will heim,« schluchzte sie plötzlich wieder auf. »Ich will fort von hier, von all den gräßlichen Menschen. Daheim im Walde kann ich sagen, was ich will. Ich will fort!«

Sie befanden sich beide allein in dem Erkerzimmer. Da legte Alzadore sanft seinen Arm um ihre Schulter. »Haben Sie Sehnsucht nach Hause?«

»Ja!« schluchzte sie.

»Wenn ich Sie aber bäte, noch ein wenig hier in Berlin zu bleiben? Damit ich Sie noch öfter sehen und sprechen kann, würden Sie das tun?«

Ihre Tränen versiegten plötzlich. Sie fühlte sich so geborgen. Alzadore lachte sicher nicht über sie. Der war gut.

»Bei Ihnen würde ich schon bleiben. Ja!«

»Und Sie würden mir folgen, Steffy, wohin ich auch ginge?«

Sie nickte mit geschlossenen Augen. In seiner Stimme jauchzte es. »Sogar bis nach Australien, Steffy?«

Sie wollte ein erneutes Ja hinhauchen, da tönte aus dem Nebenzimmer belustigtes Lachen. Man unterhielt sich wahrscheinlich heiter und angeregt, aber Steffy war es, als sei dieses Lachen ein höhnendes, das allein ihr galt. Sie sah plötzlich vor ihrem Geist eine Frau im grünen Seidenkleids auftauchen, deren rote Lippen ihr vorhielten, daß sie dem Spanier nachlaufe. Barmherzigkeit, und jetzt wollte sie ihm sogar sagen, daß sie ihm bis nach Australien nachliefe?

»Was, bis Australien? Denken Sie denn wirklich, ich laufe Ihnen nach? Es schickt sich überhaupt nicht, daß wir hier allein zusammen reden. Was würden meine Eltern sagen, wenn sie das wüßten!«

So, jetzt hatte sie es richtig gemacht. Sie hatte genau so gesprochen wie damals Frau Stella.

Alzadore aber schien gar nicht entrüstet zu sein. Er lächelte sie noch, immer so beglückt und zärtlich an. »Also bis nach Australien wollen Sie nicht.«

»Nein,« schrie sie beinahe. »Bis dahin können Sie Ihre Stella von Hohenburg mitnehmen,« und dann eilte sie davon, zurück in den Musiksaal, in dem die übrigen Gäste versammelt waren.

Obwohl Doktor Weinholz noch mehrmals auf Venedig und die Malerei zu sprechen kam, lockte er doch aus Steffy nichts mehr heraus. Außerdem saß jetzt Angela wie ein Wachthund neben der Kusine und griff stets in die Unterhaltung ein. Als es endlich ans Verabschieden ging, da atmete Frau Klattermann wie erlöst auf. An diesen Abend würde sie ihr Leben lang denken. Sie hatte noch nie solche Angst ausgestanden wie heute.

Während Steffy dann schon schlief, gab es bei Klattermanns noch eine Familiensitzung, ob man dem Kinde Vorhaltungen machte oder nicht. Der Professor war der Meinung, daß sicher seine Gäste heute abend einen köstlichen Tag verlebt hätten, denn nichts wirke erfrischender als das ungekünstelte Wesen seiner Nichte.

»Aber, Ferdinand, hast du denn gehört, was sie von Tizian erzählt hat?«

»Laß sie doch! Sie wird es nach und nach lernen, oder sie wird schweigen.«

Trotzdem fühlte sich Frau Minna veranlaßt, ihrer Nichte am anderen Tage in möglichst zarter Weise Vorhaltungen zu machen. Da senkte Steffy erst tief den Kopf, und dann klang es beinahe jämmerlich von ihren Lippen:

»Ich mach es ja doch keinem Menschen recht. Bitte, bitte, liebe Tante, laß mich wieder heim!«

Als dieser flehende Wunsch immer wiederholt wurde, als Frau Klattermann auch sah, daß Steffy tatsächlich anfing, unter starkem Heimweh zu leiden, da beschloß man, das junge Mädchen doch nach Verlauf von acht Tagen heimzuschicken. Der Professor war ordentlich betrübt darüber.

»Vielleicht gibt es doch ein Mittel, das Mädel noch einige Wochen hier zu halten. Laß mich mal machen, Minna.«

Noch am selben Tage schrieb er an Alzadore und bat ihn, er möge doch morgen nachmittag zu einem gemütlichen Plauderstündchen kommen und dann das Abendessen mit der Familie gemeinsam einnehmen.

Zur festgesetzten Stunde fand sich der junge Gelehrte ein und wurde von dem Ehepaar Klattermann allein empfangen. Man kam sehr bald auf Steffy zu reden, und der Professor äußerte:

»Ich möchte unsere liebe Steffy so gern noch hier behalten.«

»Ich fürchte, Herr Professor, das Heimweh läßt ihr keine Ruhe mehr,« entgegnete Alzadore.

»Ich würde sie nicht länger zu halten versuchen. Fräulein Uhde war noch nie für längere Zeit von zu Hause entfernt, und so wächst sich solch erstes Heimweh mitunter zu einer Krankheit aus.«

»Ihre alte Fröhlichkeit hat sie in den letzten Tagen eingebüßt,« klagte Frau Klattermann, »hoffentlich findet sie daheim ihre Munterkeit wieder. Ich fürchte allerdings, unsere kleine Steffy wird Sie, Herr Alzadore, recht vermissen.«

»Das glaube ich nicht, gnädige Frau, denn auch ich trage mich mit der Absicht, mir einmal Tannhausen und mein kleines Haus im Winter anzuschauen.«

»Sie wollen fort von Berlin? Was macht denn die australische Expedition?«

»Meine Expedition ist ins Wasser gefallen,« lachte Alzadore. »Mehr als Australien locken zwei blaue Kinderaugen. Ich glaube, gnädige Frau, Sie haben es längst bemerkt.«

Klattermanns brachen in Freudenrufe aus. Und hatte eben noch Frau Minna mit Sorgen an ihre Nichte gedacht, jetzt sang sie deren Vorzüge in allen Tonarten. Und auch der Professor konnte Alzadore nur zu dieser trefflichen Wahl beglückwünschen.

»Weiß denn Steffy schon davon?«

»Nein, gnädige Frau. Aber ich glaube, ich bin ihrer Liebe sicher. Ein Mensch mit so reinem, lauterem Herzen ist zur Verstellung nicht fähig. Fräulein Uhde weiß noch nicht, daß ich mich mit der Absicht trage, wieder nach Tannhausen zu gehen, um dort meine angefangene literarische Arbeit zu vollenden. Ehe ich mit Steffy selbst spreche, will ich zu Herrn Oberförster Uhde und will ihn und seine Gattin fragen, ob sie mich für wert halten, mir ihre Tochter anzuvertrauen. Man kennt mich dort noch wenig, aber darum will ich Ihren Verwandten Gelegenheit geben, mich kennen zu lernen. Aus diesem Grunde bleibe ich vorläufig dort. Erkennt man dann, daß ich es gut mit Steffy meine, erlaubt man mir, mich dem geliebten Mädchen zu nähern und ihr von meiner Liebe zu reden, so werde ich dann vor Steffy hintreten und sie fragen, ob sie die Meine werden will.«

Klattermann streckte ihm die Hand entgegen. »Mein lieber Alzadore, ich bin sicher, daß unsere Steffy nirgends besser aufgehoben sein könnte als bei Ihnen. Ich würde Ihnen ohne Bedenken meine Tochter auch geben.«

Da lachten alle drei, und dann ging Frau Klattermann, um Steffy zu holen. Als sich dann Alzadore verabschiedete, da stotterte sie verlegen:

»Ich möchte Ihnen Lebewohl sagen, Herr Alzadore. Es ist möglich, daß ich Sie nicht mehr wiedersehe, denn ich reise am kommenden Sonnabend heim. Sie machen wohl bald Hochzeit?«

»Nein, Fräulein Steffy, ein Weilchen warte ich noch. Ich will erst mit den Eltern der Dame reden.«

»Sie lieben sie wohl sehr?« kam es seufzend von Steffys Lippen.

»Ja, Steffy, ich liebe sie sehr, aus ganzem, ganzem Herzen.«

»Dann gratuliere ich,« entgegnete Steffy schnell.

»Ich denke, ich sehe Sie doch auf meiner Hochzeit. Oder noch besser, Fräulein Steffy, wollen wir wetten? Sie sind auf meiner Hochzeit.«

»Ich habe es Ihnen schon zweimal gesagt, ich laufe Ihnen nicht nach. Merken Sie sich das.«

Sie entzog ihm rasch ihre Hand und sagte noch einmal, wieder in ihren gezierten Ton verfallend: »Also leben Sie wohl und werden Sie recht glücklich!«

Sie ging zur Tante, und noch einmal glitt Alzadores Blick über sie hin.

Die letzten acht Tage vergingen rasch. Steffy wurde immer unruhiger, je näher die Abreise kam, und als es endlich so weit war, jubelte und jauchzte sie: »Heim, heim!«


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