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8. Kapitel

Für Steffy gab es des Staunens und Wunderns kein Ende. Sie war kaum imstande, alle die vielen neuen Eindrücke zu verarbeiten, und so kam es, daß das junge Mädchen mitunter ganz kopflos wurde, worüber sich Angela auf das höchste belustigte.

Herr und Frau Klattermann zeigten abwechselnd an den Vormittagen ihrer Nichte die Sehenswürdigkeiten von Berlin. Angela war nur an einigen Nachmittagen frei. Da sie das Mädchengymnasium besuchte, hatte sie viel zu lernen, und so war sich Steffy doch zu manchen Stunden selbst überlassen. Sie hatte schon wiederholt die Tarne gebeten, man möge sie ruhig allein in den Straßen Berlins herumgehen lassen, aber bisher hatte man ihr diesen Wunsch abgeschlagen.

»Du bist noch zu fremd in Berlin, liebe Steffy, in den ersten vierzehn Tagen möchte ich dich nicht allein fortlassen.«

An die Eltern und die Geschwister schrieb sie fleißig. Jedes neue Erlebnis wurde ihnen freudig berichtet. –

Auf Steffy wartete bereits eine neue Ueberraschung. Man hatte zu heute abend Karten für die Oper.

»Du, Steffy, das wird dir heute gefallen. Die Mama hat extra etwas Schönes für uns herausgesucht. Ganz besonders für dich. Der ›Freischütz‹ wird gegeben.«

Da freute sich das junge Mädchen, denn schon lange war es ihr Wunsch, einmal in das große Haus Unter den Linden gehen zu dürfen. Der Abend kam. In fieberhafter Spannung schaute Steffy auf den Vorhang und betrachtete interessiert alle die Menschen, die an den Wänden herumsaßen und die im Parkett Reihe für Reihe füllten. Die Musik setzte ein, die Handlung begann. Verstohlen schaute Angela auf die Kusine, um zu beobachten, welchen Eindruck das Stück auf sie machte. Aber Steffy war ganz verstummt. Nur als sich dann der Vorhang im zweiten Akt zur Verwandlung hob, als das Bild der schaurigen Wolfsschlucht sichtbar wurde, da wandte sich Steffy kopfschüttelnd an ihre Nachbarin:

»Du, Angela, der Oberförster taugt nichts. Solch einen liederlichen Wald würde mein Vater nicht dulden.«

Angela war sprachlos. Das also war der ganze Eindruck, den diese furchterregende Landschaft auf das Waldkind machte. Und je mehr die Handlung fortschritt, um so öfter schüttelte Steffy den Kopf.

»Was hast du denn?« flüsterte Angela.

»Aber der Jäger darf doch nicht so mir nichts dir nichts des Nachts schießen. Und das geht auch nicht, daß er mit der Flinte einen Adler trifft.«

Der dritte Akt kam. Da brach Steffy mitten in der Musik in einen Ausruf des Unwillens aus. »Na, das ist mir ein Jäger. Jetzt kann der eine Taube nicht von einer Frau unterscheiden. Nein, der Dichter hat das verkehrt gemacht. Und dann so ein Unsinn, wenn der Max sagt, er hat einen Hirsch in der Wolfschlucht geschossen, da muß er doch den Beweis mitbringen. Er kann doch auch das geschossene Wild nicht im Walde liegen lassen. Nein, Angela, wenn die Leute hier wieder das Stück spielen, muß das anders gemacht werden.«

Angela belustigte sich über die Kusine außerordentlich. Das hatte sie allerdings nicht erwartet, daß die Oper mit ihrer schönen Musik so wenig Eindruck machen würde. Auch daheim berichtete Steffy auf die Fragen des Onkels, daß es so in einem Walde nicht zugehen dürfe.

Da beschloß man bei Professors, Steffy in ein klassisches Stück zu schicken, und man wählte die Jungfrau von Orleans. Man ging ins Theater, und diesmal machte das Stück auf Steffy doch einen tieferen Eindruck. Auf dem Heimwege erzählte sie immerfort, daß es eigentlich sehr richtig sei, wenn sich die Frauen eine Mission suchten. »Vielleicht fühle ich auch einmal solchen Drang in mir, etwas Großes zu leisten.«

Ihre Begeisterung wuchs sogar noch über Nacht. Als sie am anderen Morgen am Kaffeetisch saß und der Onkel fragte, wie es Steffy gefallen hätte, da leuchteten ihre Augen. Sie hob die gefüllte Tasse empor und brüllte dann ganz unerwartet los:

»Mein ist der Helm und mir gehört er zu.«

»Aber, Steffy,« rief die Tante, denn der Inhalt der Tasse hatte sich fast völlig auf das Tischtuch ergossen. Da brach die »zweite Jungfrau von Orleans« schon wieder zusammen. –

»Entschuldige, liebe Tante,« stammelte sie entsetzt. Sie überlegte den ganzen Tag, ob es nicht das richtige sei, wenn sie auch zur Bühne ginge. Eine laute Stimme hatte sie, ohne Zweifel, und Talent, das hatte sie wohl auch. Schon beim Mittagessen überraschte sie die Verwandten:

»Ich habe meine Mission gefunden. Ich werde Schauspielerin.«

Klattermanns sagten gar nichts darauf. Diese Leidenschaft hielt auch nur bis zum anderen Tage an. Da besuchte man einen Zirkus, und als Steffy die hübsche junge Dame in dem rosa Flitterkleid so wild auf dem jagenden Pferde herumspringen sah, da erklärte sie mit dem Brustton der Ueberzeugung:

»Aber jetzt weiß ich es genau, ich werde Zirkusdame.«

Eines Tages erzählte ihr die Tante, daß man in dieser Woche eine größere Gesellschaft gäbe, und behutsam fing sie an, ihrer Nichte mitzuteilen, was man dabei alles zu beachten hätte. Steffy schwirrte fast der Kopf.

»Wäre es nicht bester, liebe Tante, ich bliebe an diesem Abend auf meinem Zimmer? Ihr könnt doch die Gesellschaft auch ohne mich geben.«

Die Tante lachte. »Nein, Steffy, du wirst dabei sein. Du bist groß genug. Du hast nur nötig, auf Angela zu achten und dich ebenso zu benehmen wie sie.«

Aber Steffy sah doch der angekündigten Gesellschaft mit großem Bangen entgegen. Es war in den Tagen, da sie hier weilte, schon manch ein Besuch gekommen, und jedesmal, wenn er gegangen war, hatte ihr die Tante gesagt, daß sie einen Fehler gemacht habe. Wie würde das nun werden, wenn mehrere Dutzend Menschen mit einem Male kamen? Sie seufzte vor sich hin. Wenn doch erst diese Gesellschaft vorüber wäre!

Am nächsten Vormittage wurde schon wieder Besuch gemeldet. Steffy hörte es läuten, aber sie hütete sich, Gäste zu empfangen. Mochte da draußen ihretwegen der Schah von Persien stehen, sie öffnete keine Tür mehr. Es war ihr schließlich auch ganz einerlei, wer da kam. In diesem Hause hier war man ja keinen Augenblick allein.

Johann hatte indessen die beiden Karten, die der Herr abgab, dem Professor und seiner Gattin ausgehändigt.

»Herr Alzadore macht uns seinen Besuch,« begann Klattermann. »Wir haben ganz vergessen, unsere Steffy über die Angelegenheit auszufragen. Obwohl ich der festen Ueberzeugung bin, daß hier Mißverständnisse vorliegen, halte ich es für ratsam, den Herrn allein zu empfangen. Sind die Aufklärungen, die ich erhalte, zufriedenstellend, so werde ich dich und Steffy rufen lassen. Angela ist wohl nicht zu Hause?«

»Vielleicht kommt sie inzwischen. Sie muß ja bald hier sein.«

Klattermann trat in das kleine Empfangszimmer und begrüßte den Besuch nicht ganz so herzlich, wie es Alzadore vielleicht erwartet hatte. Nach einigen einleitenden Worten ging der Professor sogleich auf sein Ziel los.

»Ich bin kein Mann von langen Umschweifen, Herr Alzadore. Ich schätze Sie als einen ernsten Gelehrten, als einen Mann der Tat, und darum ist es mir doppelt rätselhaft, daß meine Tochter Angela, die Sie ja von Tannhausen her kennen, sich so vor Ihnen fürchtet. Sie müssen entschuldigen, Herr Alzadore, daß ich gleich heute von dieser Angelegenheit anfange, aber meine Tochter berichtete mir eine etwas konfuse Geschichte, der Sie sich vielleicht auch noch erinnern werden. Es wäre mir sehr lieb, wenn Sie sich darüber äußern wollten, damit die Angelegenheit klar gestellt wird.«

Um Alzadores Lippen spielte ein leises Lächeln. »Ich verstehe, Herr Professor. Es wäre meine Pflicht gewesen, gleich damals, bei unserer ersten Unterredung, von jenem angeblichen Ueberfall zu reden, den Ihnen Ihre Frau Gemahlin und Ihre Tochter wahrscheinlich geschildert haben.«

In seiner schlichten und ruhigen Art erzählte darauf der Spanier, wie er Angela schlafend gefunden habe, wie er ihr Seufzen und Stöhnen vernahm und daß er niedergekniet sei, um ihr zu helfen. Er berichtete weiter von der herbeieilenden Gattin, die aber dann bereits sich überzeugt hätte, daß sie sich keinem Wahnsinnigen gegenüber befände.

»Ich glaubte, Herr Professor, daß Ihnen Ihre Frau Gemahlin darüber bereits Aufklärung gab.«

Klattermann war schon völlig beruhigt. Natürlich, so erklärte sich dieser Ueberfall auf die einfachste Art. Nur mit seiner Frau stimmte etwas noch nicht.

»Meine Frau, die sofort hier sein wird, behauptet aber nach wie vor, Sie nicht zu kennen.«

Wieder lächelte Alzadore. »Wenn mich die gnädige Frau sehen wird, wird sie sich gewiß meiner erinnern. Vielleicht waren diese Begegnungen auch zu flüchtiger Natur, und dieses Vergessen erklärt sich dadurch leicht.«

Alzadore schwieg. Hatte er hier unklug gehandelt? Hätte er lieber davon schweigen sollen, daß er Frau Klattermann im Walde einige Male gesehen und gesprochen hatte? Von der blonden Frau selbst wußte er ja, daß ihr Gatte so eifersüchtig sei.

Frau Klattermann ging inzwischen zu Steffy. »Es ist Besuch da, Kind. Komm mit mir hinüber ins Empfangszimmer.« –

»Schon wieder einer,« seufzte Steffy. »Das Gerenne hört auch gar nicht auf.«

Nun fehlte sogar Angela, an der sie sich doch ein Vorbild nehmen sollte. Aber sie wußte schon: War es eine alte Dame, so wurde ein tiefer Knix gemacht, war es eine junge Dame, neigte man gravitätisch das Haupt. Und bei den Männern war es so ähnlich.

»Mann oder Dame?« fragte sie.

»Ein Herr,« verbesserte die Tante.

»Na schön,« seufzte Steffy und folgte der voranschreitenden Tante.

Der Diener öffnete die Tür und ließ die beiden Damen eintreten. Ein einziger Blick genügte Steffy, um Alzadore zu erkennen. Aber in diesem ersten Augenblick dachte sie nicht mehr an alle die kleinen Lügen, die sie selbst um ihre Person gewebt hatte, ihr Herz tat heftige Schläge, und ein grenzenloses Glücksgefühl war in ihr. Er war nicht in Australien, er war hier, sie sah ihn. Das Blut stieg ihr wirbelnd in den Kopf, und ehe Alzadore sich verneigt hatte, sprudelte es in überschäumendem Glück von ihren Lippen:

»Ach je, Sie sind nicht in Australien?«

Sie war viel zu erregt, sie bemerkte daher den verweisenden Blick der Tante nicht. Aber auch Alzadore hatte seine innere Ruhe nicht völlig behalten. Da war sie wieder, holder und schöner, als er ihr Bild im Herzen trug. Er hörte ihre jubelnden Worte, und auch ihm quoll es warm im Herzen empor. Fast wie im Traume hörte er die vorstellenden Worte Professor Klattermanns. Er sah nur Steffy, nur das blonde Haar. Dann riß er sich zusammen.

»Ich hatte mir die Freiheit genommen, die alte Bekanntschaft zu erneuern.«

Frau Klattermann unterbrach den Sprecher. »Durch meinen Mann habe ich bereits von Ihnen gehört, Herr Alzadore. Ich glaube aber nicht, daß wir uns in Tannhausen schon gesehen haben.«

»Nein, gnädige Frau, ich hatte noch nicht das Vergnügen.« –

In diesem Augenblick fiel Steffy ein, daß sie sich ja als Frau Klattermann ausgegeben hatte und daß jetzt in den nächsten Minuten alles ans Tageslicht kommen mußte. Ihre Jubelstimmung sank zusammen. Oh, daß sie doch hier durch das Parkett hindurch in die Erde sinken könnte!

Da wandte sich Alzadore an das junge Mädchen. »Ich freue mich aufrichtig, gnädige Frau, Ihnen hier in Berlin wieder zu begegnen.«

»Fräulein Uhde ist meine Nichte, Herr Alzadore, die Tochter des Oberförsters Uhde, den Sie ja auch kennen.«

»Gnädige Frau!« rief Alzadore, indem er Steffy erstaunt ansah.

»Sie ist noch ledig,« lachte der Professor gut gelaunt, »oder haben Sie dieses junge Mädchen vielleicht für meine Frau angesehen?«

Das mußte Alzadore bejahen. Steffy aber glühte wie eine Rose und wartete angstvoll auf die Anklage. Die aber kam nicht. Alzadore ließ sich gar nicht darüber aus, warum er auf den Gedanken gekommen sei, Steffy für Frau Klattermann zu halten, nur seine Blicke flogen mit übergroßer Zärtlichkeit zu ihr hin, aber Steffy bemerkte davon nichts. Sie hatte mit energischem Ruck den Sessel halb umgedreht und saß darin auch noch so verkehrt, daß Alzadore ihr Gesicht nicht mehr sehen konnte. Sie schämte sich unendlich. Jetzt noch viel mehr, da Alzadore sie so schonte. Aber der Onkel schien doch den Zusammenhang zu ahnen, denn auf dem Gesicht seiner Nichte stand zu deutlich die Schuld. Er erinnerte sich auch dunkel, daß er bereits damals im Walde von Alzadore die Auskunft bekommen hatte, daß sich die gesuchte Frau Gemahlin ganz in der Nähe befände. Das war Steffy gewesen, die wahrscheinlich wieder irgendeinen tollen Streich ausgedacht hatte und die verheiratete Frau spielte. Aber als dann Alzadore wieder das Wort an Steffy richtete und aus Versehen seinen Satz mit der alten gewohnten Anrede »Gnädige Frau« begann, da war es mit ihrer Fassung vorbei. Die Tränen stürzten ihr aus den Augen, und heftig kam es von ihren Lippen:

»Jetzt wissen Sie es ja, ich bin gar keine gnädige Frau!« –

Frau Klattermann krampfte heimlich die Hände zusammen. Diese Steffy bereitete ihr immer wieder neue Verlegenheiten. Aber der Professor war durch die Aufklärung der Affäre in die denkbar heiterste Laune versetzt, und der sonst so ernste Mann wünschte dringend zu erfahren, auf welche Weise Steffy zu ihrer Ehe gekommen sei. Als sich Alzadore dann verabschiedete, gab er ihm das Geleit zur Diele, und dort hielt er lachend den Gelehrten am Arme fest.

»Sie müssen mir gelegentlich dieses Mißverständnis noch genauer erklären. Unserer lieben Steffy sieht dieser kleine Spaß recht ähnlich. Also auf Wiedersehen am Donnerstag. Meine Frau forderte Sie ja schon mündlich auf, uns zu besuchen.«

Gern und freudig hatte Alzadore die Einladung angenommen, war ihm doch dadurch Gelegenheit gegeben, Steffy länger zu sehen und zu sprechen. Sie war nicht verheiratet, sie besaß keinen eifersüchtigen Gatten. Wie ein Trunkener wanderte Alzadore die Hardenbergstraße hinab, es erschien ihm, als sei er noch nie so glücklich gewesen wie heute. – –

Als Angela nach etwa einer Viertelstunde heimkam, rief sie der Vater sofort in sein Zimmer. Sein Gesicht schmunzelte.

»Herr Alzadore war hier. Ich habe ihn auch für unseren Gesellschaftsabend geladen.«

Angela riß die Augen weit auf. »Alzadore, der Mörder? Der Wahnsinnige?«

»Ja, mein Kind!« Dann aber brach der Professor in schallendes Lachen aus. »Ihr beiden seid mir schon ein paar Helden. Na, Alzadore wird noch oft darüber lachen.«

»Ja, was ist denn aber los?«

Da erzählte der Professor seinem Töchterchen alles. Angela wurde immer kleinlauter, und schließlich erfuhr der Vater von ihr auch jenen ersten Schabernack. Er hörte von der weißen Frau und von dem Riesen mit dem Kürbiskopf. Er lachte, daß er sich schüttelte.

»Ja, allerdings, nun kann ich das Gesicht unserer Steffy verstehen. Du hättest sie sehen sollen. Am liebsten wäre sie in die Polsterung des Sessels gekrochen.« Er lachte noch immer unbändig, und angelockt von der Heiterkeit schaute Frau Klattermann in das Zimmer.

»Was hast du denn, Ferdinand?«

Nun erfuhr auch seine Frau, was Steffy alles verbrochen hatte, und bald reimte sich das Ehepaar zusammen, warum sich Steffy als gnädige Frau ausgegeben hatte. Sie wollte nicht die Täterin sein und hatte dann Angela als ihre Stieftochter und Missetäterin hingestellt. Frau Klattermann nickte vor sich hin.

»Weißt du, Ferdinand, ich sehe eigentlich mit großer Unruhe unserer Gesellschaft entgegen. Hier habe ich eben einen Brief meiner Schwester erhalten, die mir rät, man möge Steffy der Gesellschaft fernhalten. Meine arme Schwester, die sich schon immer Mühe mit dem Wildfang gegeben hat, ihm einige Manieren beizubringen, schreibt ganz verzweifelt. Sie fürchtet, Steffy werde uns an diesem Abend vor aller Welt blamieren.«

Professor Klattermann schüttelte den Kopf. »Habe nur keine Sorge, Minna. Das Mädel wirkt in seiner Natürlichkeit so sympathisch, daß ihm jeder einen Mißgriff gern verzeihen wird. Außerdem hast du ja deinen Bekannten längst von diesem Naturkinde erzählt, man weiß ja, woran man ist.«

»Aber bedenke doch, Ferdinand, es sind doch auch Gäste geladen, vor denen wir uns wirklich nicht gern eine Blöße geben möchten.«

Doch der Professor ließ auch diesen Einwurf nicht gelten. Er nahm vielmehr seine Nichte kräftig in Schutz und bemerkte schließlich, Steffy würde schon das Richtige treffen, sie solle nur Angelas Beispiel folgen. So wurde auch Angela ins Vertrauen gezogen und ihr aufgetragen, ein wenig auf die Kusine zu achten und sich möglichst in ihrer Nähe zu halten.

»Ich gebe ihr Herrn Dr. Wagner zum Tischherrn. Der ist lebhaft und heiter, da wird es vielleicht gehen.«

Der Professor wehrte ab. »Ich glaube, er ist nicht der rechte für Steffy. Du weißt, Dr. Wagner reitet bei jeder Unterhaltung sein Steckenpferd, die moderne Malerei, und ich fürchte, unsere Steffy hat davon keine Ahnung.«

»Vielleicht könnten wir sie vorher ein wenig unterrichten. Ich könnte ja vorher noch rasch eine Gemäldeausstellung besuchen.«

»Um Himmelswillen,« wehrte der Professor. »Willst du, daß deine Nichte dann erzählt, die moderne Malerei von Rubens, Holbein und anderen gefiele ihr besser als die alten Meister Feuerbach, Leistikow und andere. Nein, liebe Minna. Wenn das Kind erst ängstlich ist, verwirren sich die Gedanken. Ich möchte vorschlagen, wir geben ihr einen sehr stillen Tischnachbar, der für Natur schwärmt. Ich dachte an Herrn von Reichmann.«

»Ich werde mir das überlegen, Ferdinand. Jetzt aber will ich einmal sehen, ob Steffy ein geeignetes Kleid für den Abend mitgebracht hat, sonst möchte ich mit ihr ein solches kaufen gehen.«

Frau Klattermann stieg zu Steffys Zimmer empor und fand dort das junge Mädchen anwesend. Auf ihre Frage machte Steffy ein fremdartiges Gesicht.

»Na ob, Tante. Ein weißseidenes Kleid habe ich mit. Hochfein. Hier ist es.« Sie zeigte der Tante das schlichte weiße Kleid aus dünner Seide, das aber gerade in seiner Einfachheit passend für Steffy war. Befriedigt nickte Frau Klattermann.

»Das ist sehr hübsch, mein Kind, es wird dir sehr gut stehen. Vielleicht hast du noch ein goldenes Kettchen, das legst du um den Hals.«

Steffy dachte nach. Ja, sie hatte wohl eine dünne goldene Kette, aber die erschien ihr nicht vornehm genug für die große Gesellschaft. Sie erinnerte sich, in einem Laden dicke goldene Ketten gesehen zu haben, die nur ein paar Mark kosteten. So eine Kette wollte sie sich noch bis zum festgesetzten Tage kaufen. Die konnte man sogar zwei oder gar dreimal um den Hals schlingen. Das würde eine Ueberraschung geben. Ob Angela auch solchen Schmuck besaß? –

Bei einem der nächsten Ausgänge mit der Tante fand sie auch das Geschäft wieder. »Ich muß hier hinein, Tante. Ich will schnell noch etwas kaufen. Aber du darfst nicht mitgehen.«

Frau Klattermann, die glaubte, die Nichte wolle für ihre Geschwister schon jetzt eine Kleinigkeit als Geschenk besorgen, wartete geduldig. Inzwischen kaufte Steffy ein. Eine lange goldene Uhrkette, die sie als Halskette tragen wollte, und zwei Ringe mit mächtigen Steinen. Sie hatte im Hause ihrer Verwandten bemerkt, daß verschiedene der Besucherinnen solche Ringe trugen. Mit strahlendem Gesicht kehrte sie zurück. Was würde Alzadore sagen, wenn er sie so festlich geschmückt sah? Sie wollte aber auch recht auffallend jedem die Hand hinstrecken.

Je näher der Tag der Gesellschaft kam, um so heftiger klopfte das Herz des jungen Mädchens. Sie würde Alzadore wiedersehen, vielleicht auch sprechen. Wie würde er sie in dem weißen Seidenkleide und dem Goldschmuck bewundern! –

So kam der Nachmittag heran. Steffy war fieberhaft erregt. Das weißseidene Kleid hing bereits vor dem Schrank. Da meldete das Stubenmädchen, die Friseurin sei da und wolle das gnädige Fräulein frisieren. Steffy jauchzte. Natürlich, frisieren, das gehörte zu dem kostbaren Kleid. Aber nicht etwa mit so einfach übereinander gesteckten Zöpfen wollte sie kommen, sie hatte gerade gestern in einem Schaufenster eine Wachspuppe gesehen, die trug aus lauter Locken einen Turm auf dem Kopf. So etwas ähnliches wollte sie auch haben.

Die Friseurin kam, und Steffy äußerte ihre Wünsche. »Das gnädige Fräulein hat so schönes langes Haar, da werde ich schon etwas nettes herausfinden.«

»Ich möchte solche kurze Haare ins Gesicht hängen haben und dann viele Locken.«

»Stirnhaare können wir nicht frisieren, gnädiges Fräulein. Dazu müßten wir die vorderste Partie abschneiden. Das wäre schade.«

»Ach nein, das ist gar nicht schade. Wir schneiden einfach ab.« Da aber die Friseurin Steffy eindringlich davon abriet und ihr versprach, auch ohne Stirnhaare eine hübsche Frisur zu machen, gab das junge Mädchen endlich nach. Geschmackvoll steckte ihr die Friseurin eine anmutige, jugendliche Frisur auf.

Steffy betrachtete sich enttäuscht im Spiegel. »Ach nein,« sagte sie gedehnt, »das ist ja gar nichts. Ich will so was hohes, aus lauter Locken.«

Obwohl die Friseurin nachdrücklichst abwehrte, Steffy blieb dabei. Sie tippte auf eines der Modenbilder, das ihr die Friseurin vorlegte. »So etwas möchte ich haben.«

»Aber gnädiges Fräulein, das ist ja eine Frisur aus der Rokokozeit.«

»So möchte ich eben diese Frisur aus der Rokokozeit haben.« –

Alle Vorstellungen halfen nichts, die Friseurin drehte seufzend einen allerdings nicht gar zu argen Lockenkopf zusammen, und als sich Steffy jetzt im Spiegel betrachtete, war sie zufrieden. Schade, daß sie nicht solch eine Perlenkette besaß, die aus dem Haar aus die Schulter fiel. Aber es ging auch so. Die Friseurin verabschiedete sich und ging hinüber zu Angela, um dort aufs neue die Arbeit aufzunehmen. Sie berichtete Angela von den Wünschen der jungen Dame, und voll bangen Ahnungen getrieben, eilte Angela zur Mutter.

»Mama, ich bitte dich, gehe einmal zu Steffy, ich glaube, sie hat sich eine ganz unmögliche Haarfrisur machen lasten.«

Frau Klattermann war schon unterwegs. Ihr Herz klopfte immer, wenn sie heute an Steffy dachte. Der Brief der Schwester lag ihr wie eine Zentnerlast auf der Brust.

Steffy hatte sich ohne alle Hilfe das Kleid übergeworfen und schlang sich eben die dicke goldene Kette um den Hals. Als jetzt die Tante eintrat, blickte sie ihr strahlenden Auges entgegen.

»Nun, Tante, kennst du mich noch?«

Frau Klattermann mußte lachen. Dieses jugendliche Gesicht unter der getürmten Frisur sah gar zu drollig aus. »Oh, Steffy, du siehst ja aus wie eine Großmutter. Nein, das ist nicht hübsch.«

»Was, nicht hübsch,« entgegnete Steffy enttäuscht, »der Onkel wird ganz entzückt sein.«

»Wenn du es mir nicht glaubst, Steffy, können wir den Onkel einmal fragen. Er ist gerade nebenan. Komm schnell einmal mit.«

Würdig und gespreizt begab sich Steffy ins Nebenzimmer, und lachend schlug der Onkel bei ihrem Anblick die Hände zusammen. »Was kommt denn da an?«

»Aber, lieber Onkel!«

»Ich sagte ihr schon, sie sieht aus wie eine Großmutter,« nahm die Tante das Wort.

Nun lachte der Professor noch lauter. Er tätschelte seiner Nichte die Wangen. »Du willst wohl dem Herrn Alzadore glauben machen, daß du die Großmutter Angelas bist. Nicht, Kleine?«

Da überflutete ein Feuerstrom das Antlitz des jungen Mädchens. Aber Klattermann ließ nicht locker. »Mit so einer alten Frau, wie du jetzt eine bist, wird er sich gar nicht unterhalten wollen. Dem sind die jungen Frauen und gar die jungen Mädchen lieber.«

Steffy stotterte etwas Unverständliches, dann eilte sie davon und riß sich selbst die Lockenfrisur vom Kopf. Die Tante ging ihr nach.

»Aber Kind, was hast du denn da um den Hals geschlungen?«

»Eine goldene Kette, Tante. Oder darf die auch nur eine Großmutter tragen?«

Frau Klattermann nahm die Kette in die Hände. »Hast du die von daheim?«

»Nein, hier gekauft.«

Da unterdrückte Frau Klattermann nur mit Mühe ein Lachen. »Das mach' nur wieder ab, mein liebes Kind, das ist nichts für dich. Wenn du kein goldenes Kettchen besitzest, so will ich dir gern eins geben, aber das hier, das darfst du nicht tragen.«

Steffy schwieg. Sie fühlte sich ganz niedergeschlagen und unglücklich. Die schöne goldene Kette, die doch ein paar Mark gekostet hatte, gefiel der Tante nicht. Sie holte scheu ihr dünnes Goldkettchen hervor.

»Ja freilich, das ist hübsch, das sollst du tragen.«

Mit verächtlich geschürzten Lippen schaute das junge Mädchen auf den Schmuck.

»Tu nur, was ich dir rate,« mahnte Frau Klattermann. »Dann aber werde ich dir nochmals die Friseurin herüberschicken, und meine gute Steffy äußert jetzt keine Wünsche mehr, sondern läßt die Friseurin ruhig tun, wie sie will. Nicht wahr, Kind, du wirst brav sein?«

Steffy nickte mit schwerem Herzen. Innerlich war sie gar nicht froh. Da wollte sie nun ganz besonders schön aussehen, und nun litt die Tante weder die vornehme Frisur noch die dicke goldene Kette. Aber die Ringe steckte sie doch an. Den großen, mit dem blitzenden Diamanten, der kam auf den Zeigefinger. Der Onkel trug auch einen Ring am Zeigefinger, und der andere, mit dem riesigen blauen Stein, war für den Goldfinger bestimmt.

Dann begann die Friseurin nochmals ihr Werk, und Steffy nickte nur gleichgültig auf die Frage, ob das dem gnädigen Fräulein recht sei. Dann war sie soweit und ging hinunter in die bereits hellerleuchteten Räume. Angela kam ihr entgegen. Steffy blieb erstaunt stehen. Ein weißes, unendlich zartes Gewand schmiegte sich an Angelas jugendliche Gestalt, und über diesem Duft lag noch ein anderer Schleier, der war wie mit Tautropfen bestickt. Jedesmal, wenn sich Angela bewegte, glitzerte es.

Steffy schlug die Hände über dem Kopfe zusammen. »Au, Angela, bist du fein!« Dann sah sie an sich herunter. Noch eben war sie sich selbst schön wie eine Königin erschienen, jetzt aber gefiel sie sich gar nicht mehr. Nur einen Augenblick überlegte sie, dann eilte sie wieder hinauf. Halt, sie konnte sich auch noch extra schön machen. Sie besaß eine breite Schärpe in hellblauer Farbe, die band sie sich nun um. Ja, jetzt war das schon ganz anders. Jetzt hatte sie auch zwei Farben an sich. Mit stolz erhobenem Kopfe kehrte sie in die Gesellschaftsräume zurück. Da kam ihr auch gerade die Tante in den Weg. Prüfend schaute sie Steffy an. Sie sah sofort, daß die Schärpe, die obendrein noch recht unordentlich umgebunden war, zu dem Kleide nicht paßte.

»Aber, Steffy, was hast du denn da wieder umgebunden?«

Rasch versteckte Steffy die Hände mit den blitzenden Ringen auf dem Rücken.

»Meine gute seidene Schärpe, Tante.«

»Die Schärpe ist ja recht hübsch, mein liebes Kind, aber sie kommt ein anderes Mal an die Reihe. Wir wollen sie abmachen.«

So wurde ihr auch die Schärpe genommen. Gottlob, daß die Tante die blitzenden Ringe nicht sah.

Noch einmal ermahnte Angela, Steffy möge gut Obacht geben und nur ihr gleichtun, besonders bei der Begrüßung möge sie die gleichen Verbeugungen machen wie sie. Als es dann zum ersten Male läutete, da erfaßte Steffy grenzenlose Angst. Am liebsten wäre sie jetzt noch davongelaufen. Das war sicherlich Alzadore. Ob sie ihm gefallen würde. Sie sah doch gegen Angela gar zu einfach aus. –

Es war nicht Alzadore. Ein älteres Ehepaar mit einem jungen Mädchen, das etwa in Steffys Alter war, traten ein. Steffy schaute nur auf Angela und bewegte sich puppenhaft hin und her. Eine Unterhaltung wollte natürlich nicht von den Lippen kommen, ein abwechselndes Ja und Nein war alles, was sie auf Befragen hervorbrachte. In immer rascherer Folge kamen die Gäste. Von Zeit zu Zeit drängte sich Steffy an Angela und fragte angstvoll:

»Kommen denn immer noch mehr?«

Was gab es heute für sie nicht alles zu sehen! Jetzt begriff sie erst recht nicht, warum ihr die Tante die goldene Kette fortgenommen hatte. Dort, jene Dame hatte genau solch eine Kette, nur noch viel länger. Und Ringe hatte sie! Oh, das funkelte. Aber sie hatte ja auch zwei Ringe. Sie legte jetzt häufig die Hand ausgespreizt aus den Tisch, damit die Anwesenden ihre Pracht sehen sollten. Und dann die Kleider! Rot, blau, gelb, grün, gold und silbern. Da waren ja noch viel schönere als das der Zirkusdame neulich. Besonders die eben Eingetretene fesselte sie. Ein hellgrünes Seidengewand wallte in vielen Falten an der schlanken, königlichen Gestalt hernieder. Nur Aermel hatte das Kleid nicht. Es sah überhaupt auf der Schulter aus, als sei es auseinandergerissen. Die Stoffteile wurden durch goldene Schnüre zusammengehalten, und ebenso schien man auch vorn an der Brust nicht mit dem Stoff gereicht zu haben. Steffy bedauerte das, denn sonst gefiel ihr das Kleid. Und hübsch war die Dame. Schwarze Haare hatte sie und große schwarze Augen. Gerade solche Augen wie Alzadore. Das mußte etwas ganz Vornehmes sein, denn sie war sogleich von einem großen Kreise umdrängt. Schade, jetzt war die schöne Frau nicht mehr zu sehen. Ein großer dicker Herr versperrte ihr die Aussicht. Ob sie schnell einmal auf den Stuhl stieg? Aber nein, das durfte sie nicht. Sie suchte Angela. Die ging eben einer neu eintretenden jungen Dame entgegen, die sie herzlich umarmte und auf die Wangen küßte. Als Angela dann zu Steffy trat und sie mit dem jungen Mädchen bekannt machte und äußerte, das sei ihre beste und liebste Freundin, da zögerte Steffy einen Augenblick. Sollte sie diese junge Dame auch auf die Wangen küssen? Aber da es Angelas beste Freundin war, wollte sie es schon tun. Aus Leibeskräften drückte sie diese Freundin an ihr Herz und versetzte ihr einen schallenden Kuß. Sie bemerkte Angelas Verlegenheit nicht, denn sie schaute schon wieder nach der Tür, durch die jetzt Alzadore eintrat. Bis zu diesem Augenblick hatte sie sich vorgenommen, ihm beim Eintreten sofort entgegenzugehen, jetzt aber wurde ihr plötzlich ganz Angst zumute, und rasch stahl sie sich aus dem Zimmer in den Nebenraum. Sie wußte selbst nicht, warum sie vor Alzadore floh. Warum kam er ihr nicht nach? Warum suchte er sie nicht? Voll Ungeduld schaute sie ins Nebenzimmer. Da sah sie den Gelehrten, und ihr Herz tat einen raschen Schlag – er beugte sich gerade über die Hand der schwarzäugigen Grüngekleideten und küßte diese Hand. Und plötzlich war alle Freude, alle Erwartung in ihr erloschen. Sie drückte sich in eine vereinsamte Ecke und schaute vor sich nieder. Aber Professor Klattermann hatte seine Nichte bemerkt und trat zu ihr.

»Na, Liebling, was ist dir denn? Komm her, ich will dich mit deinem Tischherrn bekannt machen.«

Da leuchtete es in ihren Augen wieder auf. Jetzt gleich würde sie Alzadore gegenüberstehen. Doch dieser Herzenswunsch ging ihr nicht in Erfüllung, ein ganz anderer verneigte sich vor ihr, und wieder schwand aus ihren Augen der fröhliche Glanz. Sie hörte kaum darauf, was der junge Mann sprach. Sie konnte von ihrem Platz aus gerade jene grüne Dame sehen, die so entzückend lachte. Sie zeigte mit der Hand hin.

»Wer ist denn die grüne Dame dort unten?«

Ihr Gegenüber gab ihr Bescheid. »Es ist Frau von Hohenburg, von Geburt aus eine Spanierin, die sich nach Deutschland verheiratet hat, aber schon seit längerer Zeit Witwe ist.«

Eine Spanierin! Natürlich, Alzadore war auch ein Spanier, da mußte er sie kennen. Also darum unterhielt er sich noch immer mit ihr und hatte ihr die Hand geküßt. An sie dachte er nun gar nicht mehr. Warum kam er nicht und sagte ihr Guten Tag. Die lebhafte Unterhaltung, die um sie herumschwirrte, machte sie ganz benommen. Dazu kamen die vielen fremden Menschen, denn auch die, die sie bereits im Hause Klattermanns gesehen hatte, erkannte sie heute in den strahlenden Toiletten nicht wieder. Ihr wurde immer ängstlicher und banger zumute. Hilfesuchend flogen ihre Blicke umher, ob denn niemand da sei, der ihr beistände. Aber um den Onkel, um die Tante und um Angela hatte sich ein Kreis gebildet, man ließ sie mit diesem Manne stehen, der allerlei auf sie einredete, das sie gar nicht interessierte. Jetzt aber, aus ihrem rosigen Gesicht wich alle Farbe, jetzt kam Alzadore auf sie zu.

Sie hörte wie im Traume seine Begrüßungsworte, fühlte seine Hand. Es war ihr, als drehe sich plötzlich der ganze Raum. Nur allmählich wich dieser Rausch von ihr, und als sie jetzt wieder klarer aus den Augen schaute, stand Alzadore noch immer vor ihr und schaute sie mit seinen großen, dunklen Augen so seltsam an.

»Ich bin dem Zufall unendlich dankbar, mein gnädiges Fräulein, daß er mich nach Berlin und in dieses Haus führte. Ich hatte nicht gedacht, Sie hier wiederzufinden.«

»Ich habe auch gedacht, Sie sind längst in Australien,« gab Steffy mit niedergeschlagenen Augen zurück. Sie fühlte sich plötzlich so furchtbar gedrückt. Für eine Lügnerin mußte er sie ja halten. Er war ihr gewiß sehr böse. Verstohlen griff sie nach seiner Hand.

»Bitte, seien Sie mir nicht böse, daß ich Ihnen erzählt habe, ich sei verheiratet. Ach, ich habe ja so vieles auf dem Herzen, das erzähle ich Ihnen alles noch später. Nur böse sollen Sie mir nicht sein. Ich habe es wirklich nicht so gemeint.«

Scheu schlug sie die Augen zu ihm auf und verstummte unter seinem brennenden Blick.

»Mir konnte keine liebere Botschaft werden, mein gnädiges Fräulein, als die, daß Sie nicht die Gattin des Herrn Professor seien.«

»So sind Sie mir nicht mehr böse?«

Jetzt griff er nach ihrer Hand. »O nein, wer könnte Ihnen wohl böse sein,« und dann geschah das Wunderbare, Alzadore führte auch ihre Hand an seine Lippen. Dann betrachtete er sich lange diese zarte Kinderhand, und wie ein Lächeln ging es über sein Gesicht. Steffy bemerkte den Blick, der ihren Ringen galt. Die Eitelkeit erwachte in ihr.

»Hoffentlich haben Sie sich an den Steinen nicht gestoßen.« –

»Groß genug sind sie dazu,« scherzte er.

»Nicht wahr?« gab Steffy strahlend zurück.

Alzadore sagte nichts darauf. Er fragte nach den Eltern, nach den Geschwistern. Ganz allmählich wich die größte Befangenheit von Steffy, und sie fing an zu plaudern von Tannhausen und von ihrem geliebten Walde.

»Ihr Schloß wird jetzt ganz verschneit sein. Es ist niemand da – –«

Sie verstummte wie vom Blitz getroffen. Es fiel ihr ein, daß sie es ja gewesen, die die Abgesandte Alzadores vertrieben hatte. Scheu sah sie zu Boden.

»Ach Gott, das Schlimmste wissen Sie ja noch gar nicht. Sie denken jetzt, Ihre Wohnung ist gut bewacht. Aber ich allein bin schuld daran, daß die Dame wieder fortgefahren ist.«

Sie bot ein Bild des Jammers.

»Ich habe bereits davon gehört, mein gnädiges Fräulein.«

»Ach, sie hat es Ihnen gesagt. Auch das von den Nüssen?«

»Auch das,« lächelte er auf sie herab, »aber auch das ist längst vergeben und verziehen.«

»Sie sind doch ein guter Mensch,« rief Steffy übermäßig laut. »Wissen Sie was, Herr Alzadore, jetzt gibt es gleich was zu essen. Sie sind der Einzige, auf den ich mich gefreut habe. Wir setzen uns zusammen und erzählen uns weiter was. Ja? Wollen Sie?«

»Das wäre allerdings sehr schön, mein gnädiges Fräulein. Aber Ihr Herr Onkel wird anders bestimmt haben.« –

»Ach richtig,« meinte Steffy enttäuscht, »ich soll ja neben dem da drüben sitzen,« sie wies mit dem Finger auf ihren Tischherrn. »Wen bekommen Sie denn?«

»Ich habe das Vergnügen, Frau von Hohenburg zu Tisch zu führen.«

»Die grüne Dame?« Das kam so jämmerlich von Steffys Lippen, daß Alzadore erstaunt aufhorchte.

»Ist Ihnen die Dame bekannt?« fragte er zurück.

In Steffy aber war ein unerklärlicher Zorn emporgestiegen. Sie wußte selbst nicht, warum sie jene Frau nicht leiden mochte.

»Sie hätte sich auch ein paar Aermel in das Kleid nähen können,« grollte sie. »Ich mag sie nicht leiden. – Mögen Sie sie gern?«

»Die Dame ist eine Landsmännin von mir. Wir haben uns bei der Ueberfahrt von Südamerika nach Europa auf dem Schiffe kennen gelernt. Frau Stella von Hohenburg ist unstreitig eine sehr kluge und interessante Dame.«

»Natürlich, sie wird ja viel klüger sein als ich, aber leiden kann ich sie doch nicht. Aber gehen Sie nur hin zu ihr, sie guckt schon immerwährend zu uns herüber –.«

Warum lächelte Alzadore jetzt so eigentümlich, als er sie ansah. Warum senkte sich sein Blick so tief in ihre Augen? –

»Schicken Sie mich wirklich fort, gnädiges Fräulein?«

»Ach nein,« stotterte sie, »ich dachte nur, weil jene Dame viel schöner und klüger ist als ich – –«

Frau von Hohenburg, die Steffy schon eine ganze Zeit beobachtet hatte, trat an die beiden heran. Sie war außerordentlich liebenswürdig und freundlich zu Steffy, aber trotzdem fühlte das junge Mädchen eine immer stärker werdende Abneigung in sich aufsteigen. Sie schämte sich förmlich, diese Frau mit dem tief entblößten Nacken und Armen anzusehen. Was fiel ihr eigentlich ein, daß sie so selbstverständlich ihren Arm auf den Alzadores legte und ihr Antlitz so dicht an das des Spaniers brachte? Waren die beiden so vertraut miteinander? Liebte Alzadore vielleicht diese schöne Frau? Er lächelte so zärtlich, wenn er mit ihr sprach. Er hatte sich so viel mit ihr zu erzählen.

»Kennen Sie Spanien, mein liebes Fräulein Uhde?«

»Nein. Ich kenne nur Tannhausen und die ausgedehnten Forsten meines Vaters.«

Stella von Hohenburg lachte. Sie wandte sich an Alzadore. »Von diesem Walde haben Sie sich wohl sehr interessant unterhalten, mein Freund?«

Alzadore berichtete, daß sein kleiner Besitz direkt neben dem Hause des Oberförsters läge. Stellas Gesicht verfinsterte sich einen Augenblick.

»So, so, da haben Sie wohl den Wald zu gemütlichen Stelldicheins benutzt? Nicht wahr, kleines Waldfräulein?«

In Steffy kochte Scham und Zorn empor. Natürlich wußte diese Frau von all ihren kleinen Schwindeleien, vielleicht hatte man ihr sogar von dem Spuk der weißen Frau berichtet. Darum also ruhten Stellas Augen so spöttisch auf ihr. Sie schwieg, aber Alzadore nahm statt ihrer das Wort wieder auf.

»Da wir eigentlich Nachbarn waren, so traf es sich natürlich manchmal, daß wir uns begegneten. Außerdem habe ich Herrn Oberförster Uhde pflichtschuldigst meinen Besuch gemacht, gnädige Frau.«

Jetzt wurden die Türen zum Speisezimmer geöffnet, und die Paare ordneten sich. Alzadore verneigte sich tief vor Stella und bot ihr den Arm.

»Ich habe die Ehre, gnädige Frau.«

»Wie freue ich mich, Herr Alzadore. Man konnte mir keinen lieberen Tischherrn geben.«

Steffy hätte am liebsten geweint. Aber sie bezwang sich tapfer, denn jetzt kam der lange blonde Herr von vorhin wieder auf sie zu und bot auch ihr den Arm. So ging man zu Tisch, und bald begann das Mahl. Steffy war eine sehr schweigsame Dame. Immer wieder flogen ihre Blicke zu der lachenden Frau im grünen Seidenkleide hinüber, deren dunkle Augen fortwährend aufstrahlten. Sie wetteiferten förmlich mit den Brillantringen an ihren Händen. Und jetzt sprach man gewiß von ihr. Sie sah, wie Stellas Blicke zu ihr hinüberglitten, und auch Alzadore schaute sie an. Aber, das war doch die höhere Ungezogenheit von ihm. Jetzt nahm er sogar sein Glas in die Hand und wies mit dem Glase auf sie. Sie warf ihm einen zornigen Blick zu und wandte das Gesicht ab. Während des Essens versuchte er diese Ungezogenheit noch einmal. Nur im allerletzten Augenblick hielt Steffy ihre Zunge zurück. Am liebsten hätte sie sie Alzadore weit entgegengestreckt.

Nach dem Essen kam Angela auf sie zu und zog sie zur Seite. »Steffy, um Himmels willen, was hast du denn an den Händen?«

»Brillantringe.«

»Aber, Steffy, das ist ja unechtes Zeug, da lacht man dich ja aus. Jeder der Anwesenden weiß genau, daß das Schund ist.«

Fast erschrocken starrte das junge Mädchen die Kusine an. »Schund ist das? Echt sind sie freilich nicht, aber hübsch sehen sie aus.«

»Steffy, man lacht dich ja aus, stecke schnell die Ringe fort.«

Angela verschwand wieder, und Steffy machte sich daran, trauernd die Schmuckstücke abzulegen.

»Oh, was haben Sie denn da für prächtige Ringe? Stammen die auch aus der Oberförsterei?« fragte ganz plötzlich Stellas Stimme neben ihr.

Steffy hob stolz den Kopf. Jetzt sah sie auch Alzadore, der noch immer den Arm Stellas in dem seinen hatte. Nun gerade wollte sie dieser garstigen Frau imponieren.

»Ja, es sind meine Ringe.«

»Wollen Sie sie mir einmal zeigen?«

Sie nahm aus Steffys Hand die beiden Ringe und brach in lustiges Lachen aus. »Das ist ja freilich eine Pracht. Hoffentlich haben Sie die Sachen nicht für echt gekauft.«

»Das weiß ich, daß die Ringe nicht echt sind,« grollte Steffy. »Aber es fällt mir gar nicht ein, für solchen Ring mehr als zwanzig Mark pro Stück auszugeben. Ich bin doch keine Verschwenderin.«

»Oh, was sind Sie doch für ein entzückend naives Kind! Ich habe mir immer schon gewünscht, ein echtes, rechtes Landkind kennen zu lernen.«

Steffy fühlte, in diesen Worten lag eine Bosheit, aber der Ton Stellas war dabei so liebenswürdig, daß sie nicht wußte, ob sie grob werden oder schweigen sollte.

Wieder griff Alzadore in die Unterhaltung ein. »Für mich waren es immer wunderschöne Stunden, die ich in der Oberförsterei verleben durfte. Ich liebe die Natürlichkeit, an der kein Lug, kein Trug ist.«

Steffy erblaßte. Da hatte sie es wieder. Er mochte sie nicht leiden. Sie hatte ihn auch zu sehr belogen.

Ein neuer Menschenstrom kam heran, Alzadore und Stella wurden in Gespräche gezogen, und Steffy sah sich wieder allein. Zornig hielt sie noch immer die beiden Ringe in der Hand. Da hatte sie sich anscheinend wieder gründlich blamiert. Dabei hatte sie doch so auffallend ihre Hände gezeigt, damit jeder die Pracht sehen sollte. Man verteilte sich jetzt in die verschiedenen Räume. Steffy fühlte sich immer unbehaglicher. Was sollte sie eigentlich hier? Niemand würde sie vermissen, wenn sie sich davonstahl, hinauf in ihr Zimmer. Da sah sie wieder Alzadore, der auf sie zukam. Mit raschem Blick streifte er ihre Hand, sie war zusammengeballt, denn krampfhaft hielten die Finger die Ringe umschlungen. Warum kam er zu ihr? Wollte er ihr auch Vorwürfe machen?

»Warum halten Sie sich immer so allein, mein gnädiges Fräulein?«

»Was soll ich denn anders tun? Ich mache ja doch alles falsch. Ich blamiere den Onkel und die Tante. Es ist am besten, es redet niemand mit mir, und ich gehe lieber hinauf in mein Zimmer.«

»Wollen Sie mir gestatten, daß ich mich ein wenig zu Ihnen setze, wir können dann ein wenig zusammen plaudern.«

Steffy sah ihn erstaunt an. »Sie? Sie haben doch Frau von Hohenburg, und immerzu wollen andere Leute etwas von Ihnen. Ich bin ja viel zu dumm. Mit mir können Sie sich doch nicht unterhalten.«

Nervös spielte sie wieder mit den Fingern.

»Ich habe eine Bitte an Sie, Fräulein Steffy.«

Zum ersten Male hörte sie ihren Namen von seinen Lippen. Sie errötete. Was sollte sie nun tun? Sie durfte ihn doch nicht anders anreden als mit seinem Familiennamen. Aber es klang doch so lieb und so schön in ihren Ohren, daß sie nichts darauf sagte.

»Ich habe eine Bitte,« wiederholte Alzadore. »Wollen Sie mir zum Andenken an den heutigen Abend die beiden Ringe schenken?«

Sie sah ihn fassungslos an. »Die sind ja unecht!«

»Eben darum, Fräulein Steffy. Zu Ihnen paßt solch falscher Tand nicht.«

Zögernd reichte sie ihm die beiden Ringe. »Werden Sie die Ringe tragen?«

Er lachte belustigt auf. »Tragen nicht, aber aufbewahren will ich sie mir und will von heute an auf den Augenblick hoffen, daß ich Ihnen zum Dank für Ihr Geschenk dermaleinst auch einen Ring an den Finger stecken darf.«

Steffys Augen leuchteten auf. »Einen echten?«

»Hoffentlich einen einfachen goldenen.«

Sie tippte auf den Brillantring, der seinen kleinen Finger schmückte. »So einer wäre mir lieber. Der glitzert so schön.«

Fast schien es, als wollte Alzadore den Ring abziehen, aber er hielt an sich. Er durfte jetzt nicht weitergehen, um diesem Kinde die Harmlosigkeit nicht zu rauben. Sie liebte ihn wohl noch nicht richtig, sonst hätte sie verstehen müssen, was er meinte. Es hieß abwarten und die Gelegenheit suchen, dieses süße Kind öfters zu sehen und zu sprechen. Er fragte sie, wie lange sie noch in Berlin zu bleiben gedenke, sprach dann von den Eltern von Tannhausen, erkundigte sich, wie wohl zur Jetztzeit der Wald daheim aussähe, und Steffy taute immer mehr auf. Davon konnte sie erzählen, da wußte sie alles ganz genau. Sie wurde immer lebhafter, und Alzadore verstand es, immer neue Fragen dazwischen zu werfen, die sie ohne Schwierigkeiten zu beantworten vermochte. Sie strahlte ordentlich vor Glück. Am liebsten hätte sie immer so hier gesessen, aber schon war das Vergnügen wieder zu Ende. Wieder kamen garstige Menschen, mengten sich in die Unterhaltung, und da verstummte Steffy abermals. So sehr sich Alzadore auch bemühte, sie zum Reden zu bringen, es gelang ihm nicht, und als man ihr jetzt den Spanier entführte, kam sie sich unsäglich verlassen vor. Was sollte sie noch länger hier? Sie benutzte die erste Gelegenheit und lief davon. Rasch entkleidete sie sich in ihrem Stübchen, und gerade, als sie ins Bett stieg, klopfte es an ihre Tür. Auf ihr »Herein« kam das Stubenmädchen. Man hatte Steffy vermißt und suchte sie. Aber Steffy drehte sich nach der anderen Seite um.

»Sagen Sie der Tante, ich sei müde und wäre schlafen gegangen. Man sollte sich unten nicht stören lassen.«

Als nach Verlauf von zehn Minuten die Tante selbst erschien, da sie sich eher nicht hatte freimachen können, da tönte unter dem Mullhimmel bereits leises Schnarchen. Steffy lag bereits in tiefem Schlummer. Einen Augenblick lang betrachtete Frau Klattermann das liebliche Bild. Steffys Wangen waren tief gerötet, sie hatte die Hände hinter dem Kopfe verschränkt, um ihre Lippen lag es wie ein stilles Lächeln. Da verflog der Unmut der Tante. Ganz behutsam, um die liebe Schläferin nicht zu wecken, schlich sie aus dem Zimmer und kehrte zu ihren Gästen zurück. Alzadore trat ihr mit besorgtem Gesicht entgegen. Frau Klattermann lachte.

»Ich muß es Ihnen sagen, Herr Alzadore, das Kind schläft bereits.«

Da wich die Sorge aus dem Gesicht des Mannes. Ein befreiender Atemzug hob seine Brust. »Möge sie ruhen, gnädige Frau. Es ist für sie vielleicht doch ein wenig anstrengend gewesen. Aber gestatten Sie mir, daß ich mich recht bald nach dem Befinden der Damen erkundige.«

Sie drohte ihm lächelnd mit dem Finger. »Herr Alzadore, Herr Alzadore!« Dann setzte sie in herzlichem Tone hinzu: »Kommen Sie, kommen Sie recht bald. Auch unsere blonde Schläferin wird sich freuen, Sie wieder zu sehen.«

»Glauben Sie das, gnädige Frau?«

Sie reichte ihm die Hand. »Deswegen seien Sie unbesorgt, Herr Alzadore. Ich glaube es nicht nur, sondern ich weiß es genau!«

Bis zum frühen Morgen blieben die Gäste in der Klattermannschen Villa zusammen, dann trennte man sich. Noch kurz vor dem Einschlafen brach Professor Klattermann in lautes Lachen aus. »Ja, ja, sie schläft schon längst. Sie ist gar nicht so dumm.«

In der nächsten halben Stunde lagen die Bewohner der Villa in tiefem Schlaf.

 

»Ich will zu der halbnackten Frau nicht mitgehen,« erklärte Steffy immer und immer wieder, als ihr an einem der nächsten Tage die Tante mitteilte, daß die schöne Spanierin einen Jugendtee mit nachfolgendem Tanz veranstalten wolle und dazu Steffy und Angela eingeladen habe.

»Komm doch mit,« bettelte Angela. »Es wird gewiß sehr hübsch werden; und wie man Walzer und Polka tanzt, das bringe ich dir noch bei.«

Zwar wagte Steffy noch einige Einwendungen, aber als Angela immer mehr bat, gab sie schließlich nach, zumal die Tante äußerte, daß ihr Herr Alzadore gesagt habe, er sei auch geladen.

Steffy überlegte. Ja, wenn Alzadore nicht immer mit der grünen Dame reden würde, wäre es ja sehr nett. Aber so würde man sie wieder allein in der Ecke sitzen lassen, und sie würde sich langweilen.

»Ob er auch tanzen kann?«

»Wer?«

Da schämte sich Steffy den Namen Alzadores zu nennen und stieß verlegen hervor: »Der Forsteleve Gregor.«

Angela starrte die Kusine an, als zweifle sie an deren Verstand. »Wie kommst du denn auf den?«

»Es fiel mir eben so ein,« entgegnete Steffy errötend. »Aber meinetwegen, gehen wir zu dem Tee. Aber tanzen kann ich doch nicht.«

Für Steffy gab es wieder unendlich viel des Staunens. Die Spanierin war ihrer Meinung nach ganz verrückt. Da hingen von den Türen viele Perlenschnüre herab, und durch diese Perlenschnüre liefen die Menschen einfach hindurch. In dem einen Zimmer waren Stühlchen, so niedrig, daß nur Zwerge darauf sitzen konnten. Sie zitterte schon jetzt bei dem Gedanken, wie man sich wohl darauf setzte. Aber an den Wänden, da hing erst ein Trödel. Lauter halbe Trommeln mit Klingeln an den Seiten. Dazwischen rote, blaue, grüne Schärpen und verschiedene Tücher mit Gold bestickt und dicken Quasten daran. Auf dem Diwan konnte man sich nicht ordentlich ausstrecken. Etwa zwanzig Kissen lagen darauf. Der Fußboden war mit dicken Teppichen bedeckt. Darüber befanden sich noch einmal Teppiche und Felle und hier und dort lagen in den Ecken drei bis vier übereinander getürmte Kissen. Steffy stieß Angela, als sie ihrer habhaft werden konnte, in die Seite.

»Da nebenan scheint noch nicht fertig aufgeräumt zu sein. Man legt doch gestickte Kissen nicht auf die Erde.«

»Laß nur,« mahnte Angela, »das ist schon ganz richtig so.«

Von Stella war Steffy sehr liebenswürdig begrüßt worden. Aber trotzdem kam sie recht gedrückt heim. Man hatte sie dort wieder weidlich über ihre Urwüchsigkeit gehänselt, von französischer Konversation, Kunstgeschichte und Philosophie gesprochen, und nur Herr Alzadore habe sich ihrer so ritterlich angenommen.

Nun schmökerte Steffi in der Bibliothek des Onkels und versuchte, all diese mangelnde Bildung in ihr junges Köpfchen aufzunehmen.

Gegen Frau von Hohenburg hatte sie einen grenzenlosen Haß.

Eines Tages fragte sie die Tante:

»Habt ihr wieder mal Gäste?«

»Uebermorgen abend sind einige wenige Herrschaften zu einem einfachen Abendessen bei uns.«

»Auch die Frau von Hohenburg?«

»Nein, mein Kind. Aber Herr Alzadore.«

Steffy wurde wieder rot, sagte dann aber verächtlich: »Ach der!«

Fragend schaute Frau Klattermann auf ihre Nichte. »Magst du ihn denn nicht leiden, Steffy?«

Da wurde die Nichte noch röter und lief ohne Antwort zu geben aus dem Zimmer.


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