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4. Kapitel

Mit Angela war eine ziemliche Veränderung vorgegangen. Das anfänglich so stille, junge Mädchen war jetzt überall dabei, wenn es galt, irgendeinen Streich auszuführen. Zwar mahnte sie oft, man möge die Sache nicht übertreiben, und sorgte auch dafür, daß nicht gar zu viele Dummheiten gemacht wurden, aber im allgemeinen amüsierte sie sich viel zu sehr über all diese übermütigen Späße.

Steffy plante schon lange wieder eine Bosheit, das sah ihr Angela an dem listigen Augenzwinkern an, als der Vater an einem Tage erzählte, daß er und die Mutter am Sonnabend nach Reifenstein zum Abendbrot eingeladen seien. Hei, das war eine günstige Gelegenheit, daß alle wieder einmal ihrem Uebermut die Zügel schießen lassen konnten. Steffy hatte auch schon für diesen Tag ihren Plan fertig. Es ärgerte sie doch gar zu sehr, daß der Indianer tatsächlich sich im Jagdschlosse eingenistet hatte. Sie hatte im stillen immer noch gehofft, daß seines Bleibens nicht von langer Dauer sein werde; nun aber waren in das Jagdschloß große Koffer und Kisten gekommen, und alles deutete darauf hin, daß Alzadore tatsächlich dort wohnen werde. Voller Entrüstung hatte sie mit ihren beiden jüngeren Brüdern darüber gesprochen, und man war sich einig, daß man dem Manne den Aufenthalt etwas verleiden müsse. Aber wie? Die geplante Katzenmusik ging nicht auszuführen, weil der Lärm, den die Geschwister machen wollten, ebenso stark in der Oberförsterei gehört werden würde. Dergleichen Ungezogenheiten duldeten die Eltern aber nicht, und so mußte man auf andere Mittel sinnen. Nun kam plötzlich die Kunde, daß die Eltern am Sonnabend abend nicht daheim seien, und schnell war der Plan gefaßt, diesen Tag für einen neuen Schabernack zu bestimmen.

Schon am Nachmittag war man voller Erwartung. Steffy konnte es kaum mehr erwarten, daß die Eltern fortgingen; denn in aller Heimlichkeit waren schon die Vorbereitungen für die Störenfriede getroffen. Gelangweilt lief Steffy im Hause herum, da fiel ihr Blick wieder auf den Mantel des jungen Forsteleven Gregor. Richtig, man hatte den jungen Mann ja ganz vergessen. Nein, das ging nicht. Irgendeine kleine Ueberraschung konnte man ihm schnell wieder in die Tasche stecken. Sie brauchte nicht lange zu überlegen. Erst gestern hatten die Geschwister untereinander eine Klettenschlacht geschlagen. Das war das Richtige.

Es brauchte nur einiger weniger Worte, da halfen Angela und die beiden Brüder. Die Sache eilte, denn in einer Viertelstunde war Büroschluß. Aber man wurde fertig. Die Horde ging in den Flur, und nun wurde der Mantel des Forsteleven innen und außen mit Kletten bespickt, den Rest schütteten sie in die Aermel hinein. Hinter der Glastür, die zum Salon führte, nahm man Aufstellung und harrte der Dinge, die da kommen würden.

Pünktlich verließen die Beamten das Büro, einer der letzten war Gregor. Seine Toilette dauerte ohnehin am längsten, weil er erst vor jedem Heimgehen sich vor den Spiegel stellte und mit einem Kämmchen und einer Bürste den Scheitel auffrischte. So war er auch heute allein auf dem Flur, wo er jetzt den Mantel umhing. Er sah sofort, daß man sich wieder einen Spaß mit ihm erlaubt hatte, und sein Gesicht rötete sich zornig. Er fing an, die Kletten abzulösen, aber das war keine leichte Arbeit. Und als er auch noch bemerkte, daß die Aermel vollgeschüttet waren, da schien die Geduld des jungen Mannes erschöpft zu sein. Er nahm den Mantel über den Arm und kehrte ins Büro zurück. Die Geschwister warfen sich untereinander einen fragenden Blick zu. Was bedeutete denn das? Ob dieser eklige Mensch in des Vaters Zimmer, das neben dem Büro lag, ging und klatschte? Es war allen vieren ganz plötzlich nicht recht wohl zumute. Scheu schlichen sie aus dem Salon, gingen hinab in den Garten und hielten es für ratsam, sich so rasch nicht wieder im Hause sehen zu lassen.

Ehe die Eltern fortgingen, riefen sie nach den Kindern. Man kam mit etwas unsicheren Blicken, aber nichts erfolgte. Die Mutter ermahnte ihre Kinder nochmals, recht brav zu sein, nicht zu lange auf zu bleiben, dann gingen die Eltern davon.

Da auf den tollen Streich nichts erfolgt war, wuchs natürlich der Uebermut der jungen Schar ins Riesenhafte. Gleich jetzt sollte es losgehen. Man wollte keine Minute verlieren. Noch ein lebhaftes Hin- und Herrennen, ein Treppauf-Treppab, nach fünf Minuten fanden sich alle vier beim Kahn ein.

»Wozu braucht ihr denn den Wassereimer?« forschte Angela, als sie sah, daß Steffy einen großen Wassereimer aus der Küche in den Kahn schaffte.

»Warte es nur ab,« meinte Steffy, »du wirst es schon sehen.« –

»Ihr müßt es aber nicht gar zu toll treiben,« mahnte Angela. »Nur ein kleines bißchen Radau wollen wir drüben machen.«

»Radau machen wir überhaupt nicht,« meinte Karl. »Wir wollen dem Indianer nur ein kleines Ständchen bringen. Das ist doch höchst liebenswürdig von uns.«

Als man ungefähr in der Mitte des Sees war, brachte Steffy allerlei Kleidungsstücke hervor.

»Er darf uns natürlich nicht erkennen. Es wird zwar schon dämmrig, aber er könnte ja Raketen in die Luft schießen. Wir wollen also vorsichtig sein.« Mit diesen Worten band sie sich ein rotes Kopftuch um, und die Brüder folgten ihrem Beispiele.

»Hier hast du auch was.« Auch Angela bekam eine schwarze Schürze, die sie sich gleichfalls umband. Der Magd hatte man fast den ganzen Kleiderschrank ausgeräumt. Da kam eine buntgeblümte Flanelljacke zum Vorschein und zwei blaue Kattunjacken, ferner eine brennendrote Schürze. Um die Flanelljacke entstand zwischen den beiden Brüdern beinahe ein Streit. Jeder wollte sie haben. Endlich war man sich aber doch einig, und nun ging es an die Verteilung der Instrumente. Man brach in lautes Lachen aus, als Steffy eine Ziehharmonika hervorbrachte. Nach langem Bitten war es ihr gelungen, den Knecht zur Hergabe seines kostbaren Besitzes zu bewegen, obwohl sie das Spielen nicht verstand; es genügte ihr durchaus, daß sie der Harmonika langgezogene, jämmerlich klingende Töne entlocken konnte. Robert bekam zwei mächtige Blechdeckel von Küchentöpfen in die Hände.

»Die knallen gut,« konstatierte Steffy, »du mußt nur feste drauflosschlagen.« Für Bruder Robert war der Kücheneimer bestimmt. Man hatte Mutters großen Schlüsselbund mitgenommen, und Robert sollte nun den Schlüsselbund in den Eimer werfen und den Eimer hin und herschütteln. Nun kamen noch eine Hundepfeife und Karls einstige Kindertrompete zum Vorschein.

»Das bekommst du,« ordnete Steffy an, indem sie Angela beides reichte. Aber dem jungen Mädchen erschien dieser Lärm doch zu groß, und sie meinte, man wolle doch lieber die beiden Blechdeckel weglassen. Sie wolle gern die Pfeife nehmen, während Robert die Trompete haben sollte. Aber Steffy erschien der schlimmste Lärm noch nicht laut genug. Sie hatte rasch einen Ausweg gefunden. Sie nahm selbst die Trompete und steckte sie in den Mund. Sie wollte Harmonika spielen und zu gleicher Zeit die Trompete blasen.

Nochmals wagte Angela einen Einwand, aber man hörte nicht auf sie. Man ruderte noch etwas dichter an das Schlößchen heran, dann zog man die Ruder ein, und mit einem tutenden Ton gab Steffy das Signal zum Beginn des Konzerts.

Ohrenbetäubend war der Lärm, der jetzt losbrach. Jeder arbeitete aus Leibeskräften. Die Glasur der Emailledeckel sprühte nur so um Robert herum, Steffy riß fast die Harmonika auseinander, ganz rot war sie im Gesicht, weil sie mit vollen Lungen die Trompete blies. Nur Angela versagte. So schlimm hatte sie sich den Lärm doch nicht vorgestellt.

»Hört doch auf, mir platzt ja das Trommelfell. Was muß sich denn der Herr denken.«

»Ach was,« schrie Karl über den Lärm hinweg, »der ist ja an Indianermusik gewöhnt.«

Weiter ging der Höllenspektakel. Da jauchzte Robert plötzlich auf: »Am Ufer steht ein Mann!«

Richtig, man bemerkte in dem Halbdunkel eine Gestalt. Das war Alzadore.

»Feste drauf los,« kommandierte Steffy. »Der Mann muß dort fort!«

Robert rasselte mit dem Schlüsselbund, daß einem angst und bange wurde. Er entriß Angela die Hundepfeife und versah auch noch ihren Dienst. Angela saß völlig gebrochen im Kahn. Sie schämte sich, der Lärm hier war ihr unsäglich peinlich. Sie flehte geradezu Steffy an, endlich einzuhalten.

»Na, meinetwegen,« gab Steffy endlich zu, »aber jetzt kommt etwas anderes.« Sie gebot Ruhe. »Jetzt kommt ein Solo von mir. Ihr dürft nur an jedem Zeilenende rasseln und pauken. Also paßt auf.« Mit einer jämmerlich plärrenden Stimme begann sie in den falschesten Tönen, begleitet von der Ziehharmonika:

»Wie die Blümlein draußen zittern,« »bums« sagten die Deckel, »klirr«, sauste der Schlüsselbund. Da hub Steffys Stimme, begleitet von der Harmonika wieder an:

»Und die Abendlüfte wehn, und du wirst mirs Herz verbittern.
Willst du nicht bald wieder gehn?
Bleib ja nicht hier, geh' recht bald fort.
Denn sicher ist es nicht an diesem Ort.«

Und nun fielen auch die Brüder ein, und jeder schrie in einer anderen Tonart:

»Bleib ja nicht hier, geh' recht bald fort.
Denn sicher ist es nicht an diesem Ort!«

Eine Art Trommelwirbel beendete den Gesang. Gräßlich quietschte die Harmonika.

»Steht er noch immer da?« forschte Steffy.

»Ja,« stellte Robert fest.

»Also singen wir noch eins,« befahl Steffy. Und nun ging es aufs neue los. Jeder sang ein Lied für sich. War man am Schlusse angekommen, so fing man wieder von vorn an. Dieser Radau wurde schließlich auch Steffy zu viel, sie riß an der Harmonika, um den Gesang der Brüder zu übertönen. Aber je lauter die Harmonika quietschte, um so gräßlicher brüllten die Brüder, und erst als Karl die Stimme vor Heiserkeit überschnappte, als er nur noch krächzende Töne herausbrachte, da hörte er endlich auf. Er merkte ordentlich, wie ihm der Hals weh tat. Nun aber rasselte er mit dem Eimer um so lauter, und als ihm der Lärm noch nicht genug war, zog er kurz entschlossen seinen Stiefel aus, drehte den Eimer um und begann mit dem Stiefel auf den Eimer zu schlagen, daß es nur so dröhnte. In seinem Eifer bemerkte er die Beulen nicht, die er dem Wassereimer schlug.

Angela wußte sich nicht anders zu helfen. Sie ergriff die Ruder und wollte den Kahn heimwärts lenken. Aber da kam sie bei den anderen Insassen schlecht an. Nur für einen Augenblick ließ Steffy die Ziehharmonika los und legte die Ruder wieder in das Boot zurück.

»Wir müssen aushalten, bis er Ohrenschmerzen hat.«

»Die hat er längst,« klagte Angela. »Ich habe sie auch schon.«

»Du Zierpuppe,« schrie Karl, holte zu einem gewaltigen Schlage aus, und, krach, war der Boden des Wassereimers herausgeschlagen.

In der nächsten Sekunde schon herrschte tiefe Stille. Das war doch ein Schreck, den die Musikanten bekamen. Der Wassereimer war noch fast neu. Was würde die Mutter sagen! Karl hatte das Gesicht eines Philosophen aufgesteckt und betrachtete tiefsinnig den noch an einer Stelle mit dem Eimer zusammenhängenden Boden.

»Wir müssen ihn eben in die Küche stellen. Wenn er ruhig dasteht, merkt man ja nichts,« meinte der Bruder kleinlaut.

»Aber wenn Wasser hineinkommt, läuft es doch raus,« klagte Steffy. »Wir werden der Marie sagen, sie soll nichts in den Eimer tun. Die Hitze der Küche hat den Boden erweicht.«

»Das rede dir mal alleine vor,« schrie sie Karl an, aber seine Stimme klang vermöge seiner Heiserkeit nur ganz dünn.

»Singen wir noch eins?« fragte Robert. Aber er fand bei den Geschwistern keine Zustimmung, der zerschlagene Wassereimer hatte dem Konzert ein jähes Ende bereitet.

Man ruderte heim. In tiefem Schweigen. Steffy betrachtete eingehend ihre Harmonika. Hoffentlich war das Kleinod des Knechtes noch in tadellosem Zustande. Es war gerade genug, daß der Wassereimer gelitten hatte.

»Zeig' mal deine Deckel,« befahl sie dem jüngsten Bruder. Und nun stellte es sich heraus, daß auch diese beiden Marterinstrumente vollständig zerschlagen und zerbeult waren, jeglicher Emaillebezug war abgesprungen.

»Hm,« sagte Steffy nur in banger Sorge. »Was für eine Dummheit, gerade die Deckel zu nehmen, die die Mutter täglich zum Kochen braucht.«

Als sie dann glücklich zu Hause angelangt waren, empfing sie die Magd mit einer Flut von Vorwürfen.

»Bis aus Reifenstein sind die Leute zusammengelaufen und haben gedacht, bei Oberförsters gehen die Geister um. Na, Fräulein Steffy, wenn das die Eltern erfahren!«

Steffy wurde es immer schwerer ums Herz. Der Lärm erschien ihr lange nicht das schlimmste, aber die Topfdeckel und der Wassereimer lagen ihr gleich Mühlsteinen auf der Brust. Sie schob ihren Arm unter den der Magd.

»Weißt du, Marie, uns ist da ein Unglück passiert. Mitten auf dem Wasser gibt es auf einmal einen Knall, und der Boden aus dem Wassereimer springt heraus. Es war uns ja allen so, als schwebe eine weiße Frau um unseren Kahn herum. Die hat das sicherlich gemacht.« Mit weit aufgerissenen Augen starrte die Magd auf den Eimer, den Karl herbeibrachte. »Du meine Güte, der neue Eimer! Aber die weiße Frau ist das nicht, Fräulein Steffy. Ich habe den Lärm wohl gehört. Der junge Herr da hat den Eimer zerschlagen. Na, die gnädige Frau wird sich ja freuen!«

Inzwischen hatte sich Robert in die Küche geschlichen und die beiden Deckel ganz hinten auf den Deckelhalter gestellt. Steffy aber versuchte der Magd einzureden, daß man den Wassereimer nur als Schmuckstück gebrauchen könne. Das Wasser könne in einen anderen Eimer gefüllt werden. Marie aber nahm zornig den Eimer und hielt ihn Steffy direkt vor die Augen:

»Das nennen Sie ein Schmuckstück? Allen Schmuck haben Sie ja kaputt gemacht.«

Da verließ Steffy schweigend die Küche und ging hinüber ins Eßzimmer, um endlich ihr Abendbrot einzunehmen.

»Es schmeckt mir heute nicht recht,« stellte Steffy fest, und auch Karl war der gleichen Meinung. Nur Robert und Angela aßen wie sonst, und zeitiger denn je legte man sich zur Ruhe nieder.

Steffy hatte in dieser Nacht wieder die schrecklichsten Träume. Ein schwarzbärtiger Riese stülpte über sie einen Wassereimer, dem der Boden fehlte. Wollte sie dann mit dem Kopf oben hindurch, dann schlug Bruder Karl mit seinem Stiefel auf sie los. Da erwachte sie schweißgebadet. Wenn nur diese schreckliche Nacht erst vorüber wäre. Wenn nur erst die Mutter den Wassereimer gesehen hätte. Nein, man wollte derartige Ungezogenheiten nicht wieder tun, ganz gewiß nicht.

Am nächsten Morgen saß man sehr scheu beim Kaffeetrinken. Die Mutter wußte anscheinend noch nichts von all dem Schrecklichen, was sie erwartete. Nur als sie die Kinder fragte, ob sie gestern nicht zu viel Dummheiten getrieben hätten, da stopften alle drei erschrecklich viel Brot in den Mund, daß sie nicht recht antworten konnten, und dann hatten sie es sehr eilig, fortzukommen.

Den ganzen Vormittag über drückten sie sich im Garten herum, jeden Augenblick den zürnenden Ruf der Mutter erwartend. Von Zeit zu Zeit schlichen sie auch an das Küchenfenster und lugten hinein. Der Wassereimer stand nicht auf der Wasserbank, sie war leer. Geschäftig hantierte die Mutter mit der Magd in der Küche herum, sie schien noch immer nichts zu wissen. Steffy schlug das Herz. War es nicht das richtigste, sie gestand offen und ehrlich der Mutter das Unrecht ein? Bat sie um Verzeihung und versprach Besserung? Ja, gleich jetzt wollte sie die Gelegenheit abpassen, und in einem Augenblick, da die Magd die Küche verließ, würde sie hineingehen und der Mutter alles gestehen.

Aber just in dem Augenblick, als Marie in den Hof hinausging, kam das Zimmermädchen Anna und kündete an, daß der Herr vom Jagdschloß gekommen sei, um den Herrschaften einen Besuch zu machen.

Steffy hörte das, und ein Erblassen ging über ihre Züge. Nun war alles aus! Nun kam dieser abscheuliche Mensch und verklatschte sie bei den Eltern, erzählte von der Musik. Oh, was war das doch für ein gräßlicher Nachbar, der einem jeden Spaß verdarb.

Sie stürmte davon. Auch die Brüder sollten es wissen, daß sich drin im Salon das Drama abspielte. Karl kraute sich verlegen den Kopf, als ihm Steffy die Nachricht brachte, und Robert hielt es für das richtigste, hinaus in den Wald zu laufen. Es gab im Augenblick nichts Wichtigeres, als auf Pilzforschungen auszugehen. Die beiden Aelteren dagegen waren doch gar zu neugierig, was Alzadore alles zu erzählen hatte.

»Wir wollen horchen,« entschied Karl, und so schlichen sie sich ins Haus und kauerten sich außen im Flur an die Salontür. Es war gefährlich, denn jeden Augenblick konnte die Tür geöffnet werden, jede Minute war zu erwarten, daß der Vater mit zorniger Stimme nach den ungeratenen Kindern rief.

Sie lauschten angestrengt, aber es war nicht viel zu vernehmen. Nur jetzt der Mutter Stimme, klar und deutlich: »Ich will meine Tochter rufen lassen. Allerdings weiß ich nicht, ob sie im Garten ist oder im Walde umherstreift.« –

Noch niemals waren Steffy und Karl in so rasender Hast zur Haustür hinausgeschossen. Nur fort, fort von hier! In großen Sprüngen ging es durch den Garten, hinein in den Wald. Atemlos blieben beide endlich stehen.

»Jetzt hat er alles gesagt.« Steffy keuchte förmlich nach Luft.

»Wenn es nur erst Abend wäre!« meinte Karl.

Als dann die Mittagsstunde kam, half kein Klagen und Jammern, man mußte heimgehen, einmal mußte man das Strafgericht doch über sich ergehen lassen. Sehr zögernd und scheu betrat eines nach dem andern das Eßzimmer, in dem nur der Vater weilte. Er sah gar nicht so grimmig aus, aber das kam alles noch. Er wollte sich vielleicht nur den Appetit nicht verderben. Während sonst bei Tisch lebhaftes Geplauder herrschte, war es heute im Eßzimmer beängstigend still. Endlich erschien die Mutter, hinter ihr Anna mit der Suppenschüssel. Frau Uhde wandte sich zu den beiden jungen Mädchen.

»Herr Alzadore war heute vormittag hier. Ich wollte euch rufen, aber ihr waret nicht da.«

Zwei Augenpaare kreuzten sich erschrocken. Auch Angela schlug das Gewissen.

Aber nun kam es. Der Oberförster nahm jetzt das Wort. »Ja, ehe ich es vergesse, solche Dummheiten dürfen mir in Zukunft aber nicht wieder vorkommen! Der junge Mann hat sich bitter über euch beklagt, und ich verbiete euch, derartige Kindereien zu wiederholen. Zu solchen dummen Späßen seid ihr doch wirklich zu groß. Wer hat denn das gemacht?«

»Ich,« kam es leise von Steffys Lippen.

»Ich auch,« krächzte Karl.

»Ich auch,« stimmte Robert zu, und schließlich bekannte auch Angela scheu und schüchtern, daß sie ebenfalls daran beteiligt sei.

Ein verstohlenes Lächeln glitt über die Züge des Oberförsters, trotzdem klang seine Stimme heftig.

»Ihr habt schon mehr solche Dummheiten gemacht. Nun hört die Sache aber auf. Ihr beiden wollt junge Damen sein und müßtet euch schämen, euch so vor einem jungen Herrn zu blamieren. Was hat er euch denn getan?«

»Er brauchte nicht hierher zu kommen,« grollte Steffy.

»Nun sieh doch mal einer an,« versetzte der Oberförster. »Vielleicht baust du dem jungen Herrn irgendwohin eine andere Oberförsterei. Jedenfalls wünsche ich, daß derartige Dummheiten in Zukunft unterbleiben. Fast jeden Tag spielt ihr ihm derartigen Schabernack.«

»Er hat geschwindelt,« krächzte Karl. »Es war erst das zweitemal.«

»Das zweitemal,« entgegnete der Vater. »Das stimmt wohl nicht ganz. Schnecken habt ihr ihm in die Taschen gesteckt, die Aermel zusammengenäht, und so geht das fast jeden Tag.«

»Ach, den meinst du,« entfuhr es Steffys Lippen. »An Herrn Gregor haben wir ja gar nicht mehr gedacht.«

Forschend schaute der Oberförster von einem zum anderen. »So, an wen habt ihr denn gedacht?«

Da schwiegen alle ...

»Nun aber heraus mit der Sprache, ich will es wissen.«

»Lieber Onkel, sei uns nicht böse,« hub Angela schüchtern an, »wir dachten, du meinst drüben den Herrn, der das Jagdschloß bewohnt.«

»So, mit dem habt ihr also auch schon was vor? Ich wünsche jedenfalls von euch allen, daß ihr euch dem Manne gegenüber als gut erzogene Kinder betragt. Er ist ein sehr netter Herr.«

Wieder warfen sich Steffy und Angela einen Blick zu, und verstohlen deutete Steffy mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. Der Vater würde auch bald merken, daß Alzadore nicht ganz richtig dort oben war. Für heute wollte sie davon aber schweigen. Wozu sollte man die Familie in Angst versetzen.

Das Mittagessen verlief heute sehr schweigsam. Steffy war es, als stecke ihr der Wassereimer im Halse. Nach Tisch hielt sie es nicht länger aus.

»Angela, komm mit mir, wir wollen es der Mutter sagen. Ich werde sonst nicht mehr froh.«

»Ja, komm, Steffy.«

»Aber Karl muß doch auch mit, er hat den Eimer zerschlagen.«

»Und Robert hat die Blechdeckel auf dem Gewissen.«

»Da gehen wir eben alle vier,« entgegnete Steffy.

Die beiden Brüder wurden geholt, man faßte sich an den Händen und suchte die Mutter auf, die allein noch im Eßzimmer beschäftigt war. Mit gesenkten Köpfen traten alle vier vor sie hin. Die Oberförsterin betrachtete sehr erstaunt die Schar, auf deren Gesichtern das schlechte Gewissen zu lesen war.

»Was habt ihr denn wieder angerichtet?«

»Der Wassereimer ist kaputt gegangen,« kam es kläglich von Steffys Lippen.

»Und die Blechdeckel auch,« ergänzte Robert.

»Was ist los?« fragte die Mutter erstaunt, die alles andere erwartet hatte und sich nicht erklären konnte, warum Wassereimer und Blechdeckel entzwei sein sollten.

»Sei uns nicht böse, liebe Tante,« hub Angela an, »wir wollten es wirklich nicht tun. Aber wir kamen so sehr ins Musikmachen, wir haben den Wassereimer als Pauke benutzt und die Blechdeckel als Becken. Da ist es dann passiert. Sei nicht böse, es ist ja schade um den schönen Wassereimer, aber du kannst uns allen den Betrag für einen neuen aus den Sparkassen nehmen.«

»Ja, Kinder, wann habt ihr das denn gemacht?« forschte die Oberförsterin.

»Gestern abend, als ihr fort wart, du und Onkel.«

»Man darf euch doch keinen Augenblick allein lassen. Jetzt werde ich mir aber den Wassereimer einmal ansehen gehen, denn es ist doch kaum möglich, daß ihr das stabile Stück zerschlagen haben könnt. Nein, nicht fortlaufen, ihr kommt alle mit!«

Sie schritt voran in die Küche, gefolgt von den vier Sündern. Auf ihre Frage brachte die Magd den zerschlagenen Eimer herbei, und die Oberförsterin schlug die Hände über dem Kopfe zusammen.

»Das ist doch aber arg. Der neue gute Eimer! Ihr seid doch wirklich ein recht unnützes Volk. Schämt euch!«

»Muttchen, sei nur wieder gut,« bettelte Steffy, und als auch noch die anderen drei sich an den Hals der Oberförsterin hängten, da hielt der Zorn der Mutter nicht mehr länger stand. Zwar schalt sie noch einmal aus ihre unbändigen Kinder, aber das klang schon nicht mehr so heftig wie vorher, und als dann die Schar noch einmal um Vergebung bettelte, da bekam jedes einen herzhaften Kuß und die eindringliche Ermahnung, in Zukunft nicht wieder derartige Dummheiten zu machen.

Das war also erledigt. Erleichtert stoben die vier davon. Es war besser gegangen, als man gedacht hatte. Die Mutter hatte nicht einmal nach den näheren Umständen gefragt. Anscheinend hatte auch Alzadore nichts von der Katzenmusik erwähnt, und so würde der Streich wahrscheinlich niemals zu den Ohren der Eltern kommen. Das war recht gut so, denn allen vier war heute noch nicht recht wohl zumute, wenn sie an den ohrenbetäubenden Lärm dachten, den sie auf dem See ausgeführt hatten. Jedenfalls war man sich einig, daß man dieses Ständchen nicht mehr wiederholen wollte, aber wenn sich Gelegenheit bot, wollte man den Verrückten im Jagdschloß doch noch ein bißchen ärgern. Warum war er hierher gekommen!


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