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Viel Arbeit!

Frau Deste trat an das Bett ihrer kleinen Tochter, die mit offenen Augen zur Zimmerdecke hinaufblickte. »Willst du heute gar nicht aufstehen, kleiner Faulpelz? Es sind zwar Ferien, aber so lange brauchst du nicht im Bett zu liegen.«

Ein langgezogener Seufzer kam von Rosemaries Lippen. Sie dehnte und reckte sich. »Ochotti jau!«

»Was hat denn mein kleines Mädchen?«

»Warte mal, ich muß erst nachdenken«, sagte sie. Dann verzog sich das Kindergesicht zu einer Grimasse, und Rosemarie stieß einen neuen Seufzer hervor: »Ich breche unter der Arbeitslast beinahe zusammen. – Ja, so hat sie gesagt. Es ist wirklich zu viel für mich. – Dirli-Mutti, hast du gehört? Ich breche auch unter der Arbeitslast zusammen.«

»Was soll das heißen? Rede doch keinen Unsinn!«

»Ja, die Frau, die im Wacholderhause zu Besuch ist, hat das gesagt. Sie ist Lehrerin. Gestern hat sie zu Frau Weede gesagt, es sei ihr zu viel, und sie breche unter der Arbeitslast zusammen. – Ja, Dirli-Mutti, so hat sie gesagt, ich habe es mir genau gemerkt.«

»Und nun brichst du also auch unter der Arbeit zusammen? Was hast du denn jetzt in den Ferien alles zu tun?«

»Siehst du, Dirli-Mutti, das ist doch so: Ich habe keine Ferien, ich habe immer nur Arbeit.«

Frau Deste lachte. »Was hat meine kleine Rosemarie da schon wieder aufgeschnappt? Ich kann mir wirklich nicht denken, daß dir deine Arbeit zu schwer wird.«

»Doch, Dirli-Mutti, du weißt doch, was ich alles zu arbeiten habe.«

»Freilich, dem Rudolf hilfst du jeden Tag bei seinen Schularbeiten, damit er in der Klasse mitkommt.«

»Dann lese ich dem Krischan etwas vor. Lauter schöne Geschichten, über die er sich freut. Dann muß ich jeden Vormittag auf die Finken warten, damit sie endlich auf meine Hand fliegen und Körner picken.«

»Das macht dir doch alles Vergnügen, liebe Rosemarie, und ist doch keine Arbeit, unter der du zusammenbrechen müßtest.«

»Ich bin aber mit meiner Arbeit dann noch lange nicht fertig. Ich muß den Schafkoben sauber machen, damit meine beiden Lämmchen wissen, daß ich ihnen eine gute Mutter bin. Und dann habe ich noch vieles andere zu tun.«

»Das alles macht doch Freude, Rosemarie.«

»Ja, Dirli-Mutti, es macht Freude, aber deswegen kann ich doch mal unter der Arbeitslast zusammenbrechen. Weißt du, der Frau Weede hat die Lehrerin, die das sagte, sehr leid getan. Sie hat ihr gesagt, sie wollte sie sehr gut pflegen. – Machst du das dann auch mit mir? Vielleicht bringt mir die Trine auch einen Buchweizenpfannkuchen mit.«

»Ich denke, du wirst sehr gut gepflegt, liebe Rosemarie.«

»Ja, das weiß ich, aber ich habe doch viel zu tun. Ich bin für Rudolf eine Lehrerin, und das ist ein schwerer Beruf!«

»Du hast immer nur einen Schüler, Rosemarie. Wie schwer hat es dagegen euer Lehrer, der siebzehn Kinder unterrichten muß.«

»Was? – Ich habe nur einen Schüler? Dirli-Mutti, hast du eine Ahnung! Heute vormittag gebe ich wieder allen Unterricht.«

»Du?«

»Ja, da ist mir mein Geheimnis wieder rausgerutscht, und ihr solltet es alle nicht wissen. Aber – ich sage es nicht.«

»O weh, o weh!« lachte Frau Deste. »Wenn du ein Geheimnis hast, kommt gewiß nichts Vernünftiges heraus, Rosemarie. Ich glaube, es ist besser, du sagst es mir leise ins Ohr.«

»Du sollst es aber auch nicht wissen, Dirli-Mutti.«

»Vielleicht kann ich dir bei deinem Unterricht helfen.«

Rosemarie seufzte. »Manchmal wäre es ganz gut, – aber der Krischan hilft uns.«

»Das muß ein merkwürdiger Unterricht sein«, lächelte Frau Deste. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß der alte Krischan, der kaum lesen und schreiben konnte, ein tüchtiger Lehrer sei. Freilich, in Dingen, die die Natur und die Schnucken betrafen, konnte er den Kindern vieles erklären, aber davon verstand Rosemarie zu wenig. Und die Kinder von Petersen und Alfken wußten von der Heide erheblich mehr als ihr siebenjähriges Kind.

Rosemarie fuhr wichtig fort: »Dann muß ich am Nachmittag auch unserer Ingeborg vieles erklären. Jetzt weiß sie wenigstens schon, was der Wacholder ist. Jetzt kennt sie auch schon die Petersilie. – Ach, Dirli-Mutti, habe ich gelacht, als sie neulich Mohrrübengrün statt Petersilie brachte. Ja, ja, ich habe wirklich viel zu tun. Es ist ganz bestimmt nicht leicht, kannst es mir glauben.«

»Ich möchte recht gerne wissen, was du eigentlich den anderen Kindern beizubringen hast?«

»Dirli-Mutti, du darfst es niemandem in der ganzen Welt sagen. Erst zu Weihnachten, wenn wir alles fertig haben, kannst du darüber sprechen und dich freuen. Dann kriegst du deine Pulswärmer, und der Vater und der Krischan bekommen auch welche. Und der Rudolf bekommt ganz kleine.«

»Also es wird gestrickt?«

»Ja, ich gebe Strickstunde.«

»Du? –«

»Erst wollte ich Glücksstrümpfe für euch alle stricken, aber das kann ich noch nicht. Bei so vielen Nadeln, die immerfort um meine Hand herumtanzen, fällt immerzu eine heraus. Aber wenn der Krischan dabei ist, geht es besser. Ja, Dirli-Mutti, ich stricke beim Krischan! Pulswärmer aus blauer Wolle für dich! Glückspulswärmer!«

»Das ist aber schön.«

»Du darfst es keinem sagen. Der Vater bekommt auch blaue, ich weiß aber nicht, ob ich bis Weihnachten damit fertig werde, denn der Krischan muß auch welche haben.«

»Wer bekommt denn Unterricht im Stricken?«

»Die Berta und die Hanne Petersen, der Rudolf, und manchmal kommt auch die Geesche, aber die kann schon was. Dann kommt noch die Lina und die Maria.«

»Und alle stricken blaue Pulswärmer?«

»Nein, sie stricken einen Waschfleck aus schöner blauer Wolle. Das hat ihnen der Krischan gezeigt.«

»O weh, einen Waschfleck aus blauer Wolle? Das ist wohl nicht das Richtige!«

»Doch, Dirli-Mutti, das wird ein ganz feiner Waschfleck.«

»Er wird im Wasser abfärben.«

»O nein, abfärben tut er nicht. – Berta strickt Pulswärmer, wie ich, der Krischan paßt aber auf, daß wir alles richtig machen. Manchmal, wenn ich keine Strickstunde habe, lese ich dem Krischan etwas vor. Der hat aber Augen gemacht, als ich ihm vom Rotkäppchen vorlas, wie der Wolf das kleine Mädchen verschluckte. Er freut sich immer schrecklich, wenn ich lese. Manchmal kann ich es nicht richtig, weil es zu schwer ist. Dann erzähle ich es ihm, und dann lesen wir weiter. Der Krischan kann mir beim Lesen nicht helfen, aber wenn die Trine kommt, liest sie ein Stückchen weiter, und dann mache ich es wieder.«

»Es ist sehr brav von dir, daß du dem guten Krischan vorliest, das übt dich auch. Ich freue mich immer, wenn ich sehe, daß du gerade im Lesen gute Fortschritte machst.«

»Ja, Dirli-Mutti, ich will auch, wenn ich groß bin, eine Vorleserin werden wie die, die jetzt bei Tante Weede im Wacholderhause wohnt. Die ist bei einer kranken Frau und liest ihr immerfort vor. Das ist auch ein schwerer Beruf, Dirli-Mutti.«

»Ja, das ist es wohl.«

»Man verdient als Vorleserin viel Geld. Wenn der Krischan reich wäre, würde er gewiß auch viel Geld geben, weil ich ihm vorlese. Aber er hat nichts. Er muß alles für den Rudolf hergeben.«

»Für Rudolf sorgt jetzt Herr Petersen, aber jetzt steh nur auf, kleiner Faulpelz, sonst glaube ich nicht, daß du so viel zu tun hast.«

»Freilich, Dirli-Mutti, heute habe ich wieder sehr viel zu tun, denn heute ist Strickstunde. O, das ist ein schwerer Tag!«

Eine Stunde später saß Rosemarie zwischen dem Schäfer Krischan und Rudolf, um sie herum im Halbkreise Berta, Hanne und Maria. Lina fehlte heute. Jedes der Kinder strickte mit blauer Wolle, denn Rosemarie hatte von Anfang an von der blauen Glücksfarbe erzählt und allen geraten, nur blaue Wolle zu nehmen.

»Es sieht aus, als blühten hier lauter Kornblumen«, sagte der Krischan schmunzelnd. Er freute sich an der emsig strickenden Schar, von allem aber an der kleinen Rosemarie, die selbst noch nicht viel konnte, aber unermüdlich gute Ratschläge erteilte. Unentwegt klang ihre Stimme: »Einstechen, – umdrehen, – durchziehen, – anheben. – So, nun wieder von vorne: – Einstechen, – Faden umdrehen, – durchziehen, – abheben! – Ach nein, erst den Faden durchziehen! – O, Krischan, eine Masche ist wieder von der Nadel gehopst. Hier, sieh mal.«

Der Krischan brachte das Strickzeug in Ordnung. Kaum hatte er es Rosemarie zurückgegeben, als er Berta helfen mußte. Gleich darauf zog Rudolf die falsche Nadel aus seinem Strickzeug, und wieder mußte der Schäfer helfen. Er strahlte über das ganze Gesicht. Nichts wurde ihm zu viel, obwohl er dauernd abwechselnd die Pulswärmer und die Waschlappen in Ordnung bringen mußte.

»Krischan, werden alle meine Pulswärmer, die ich stricken muß, bis Weihnachten fertig?«

»Freilich, Sünnenschienchen. Den ersten machen wir heute noch fertig.«

Rosemarie zog die blaue, wollene Röhre über die Hand. Dabei fielen drei Nadeln heraus. »Ochotti jau«, rief sie entsetzt. Hopplala kam angesprungen. Er glaubte, seiner kleinen Freundin sei etwas geschehen. Rosemarie hielt ihm den blauen Pulswärmer entgegen. »Sieh, Hopplala, jetzt sind alle Nadeln schon wieder rausgefallen. Ach, ist das eine schwere Arbeit!«

Hopplala wollte nach dem blauen Pulswärmer schnappen, bekam aber von Rosemarie einen leichten Schlag auf die Schnauze. »Laß das, Hopplala, das verstehst du nicht!«

Als der Hund so böse angeredet wurde, knurrte er. Es ärgerte ihn schon lange, daß Rosemarie seit vielen Tagen immer still auf einem Fleck saß und nicht mit ihm spielte. Er konnte das blaue Ding, das sie in den Händen hielt und an dem sie immerfort hin- und herzupfte, nicht leiden. Ob er es ihr einmal wegnahm, wie er einst die alte Trompete fortgeschleppt und zerbissen hatte? Es wäre vielleicht das Richtigste. Und während Rosemarie noch immer ihren fast fertigen Pulswärmer betrachtete, riß ihr Hopplala das Strickzeug, das keine Nadeln mehr hatte, aus der Hand und jagte damit davon.

Rosemarie aber tat das Falscheste, was sie in diesem Augenblick tun konnte. Sie hoffte, den Pulswärmer am Faden festzuhalten. Hopplala aber sprang fröhlich weiter fort und freute sich, daß der blaue zappelnde Lappen immer kleiner und kleiner wurde. Rosemarie jagte hinter ihm her; das Knäuel hielt sie fest in den Händen.

Als Hopplala merkte, daß er verfolgt wurde, rannte er nur um so schneller. Plötzlich straffte sich der Faden, es gab einen Ruck. Der Hund blieb stehen, schaute mit listigen Augen zu Rosemarie auf und bellte sie vergnügt an. Dann nahm er den blauen Lappen und rannte damit fort. Er setzte sich gemächlich hinter einen Wacholderbusch und begann, das häßliche Spielzeug zu zerbeißen. Als Rosemarie endlich herankam, legte er ihr schweifwedelnd ein kleines blaues Rändchen vor die Füße.

»Ochotti jau! – mein Pulswärmer! Ach, Hopplala, was hast du gemacht!« Rosemarie setzte sich neben den Hund und begann zu weinen. Die mühsame Arbeit von vielen Tagen war vernichtet.

Immer wieder rannen ihr die Tränen über das Gesicht. Hopplala zog den Schwanz ein und fing an zu jaulen, erst leise, dann immer lauter. Er schmiegte sich dicht an das kleine Mädchen und heulte schließlich so jämmerlich, daß es der alte Krischan hörte. So schnell ihn seine alten Beine tragen wollten, eilte er über die Heide, hin zu seinem Sünnenschienchen und zu Hopplala. Rosemarie hatte den Arm um den heulenden Hund gelegt und sprach ihm tröstend zu. Aber Hopplala schien sich nicht beruhigen zu können. Er sah noch immer die Tränen, die über Rosemaries Wangen liefen. Sie hatte sich das blaue Pulswärmerrändchen über den Arm gezogen und betrachtete es schluchzend.

»Sünnenschienchen, was ist los?«

»Da – für Dirli-Mutti!« Rosemarie hielt ihm das blaue Rändchen entgegen.

»Aber Sünnenschienchen, was hast du gemacht?«

Rosemarie schaute den Hund an. Nein, sie wollte ihn nicht verklagen, der Hund hatte doch nur Hundeverstand.

Aber Krischan ahnte, was geschehen war, zumal er den Hopplala mit dem Pulswärmer hatte davonlaufen sehen.

»Mußt nicht weinen, Sünnenschienchen, für heute ist die Strickstunde aus. Aber wenn du nachmittags wiederkommst, ist auch der Pulswärmer wieder da.«

»Nein, Krischan, er ist nicht da, er ist futsch! Nur das hier ist da!«

Krischan nahm Rosemarie in den Arm. »Doch, Sünnenschienchen, er ist wieder da! Der Krischan strickt ihn neu, und dann ist auch kein Prudel drin.«

»Ach, Krischan, ein Prudel muß schon drin sein. Pulswärmer mit Prudeln sind schön.«

»Nun gut, dann macht der Krischan einen Pulswärmer mit Prudeln. Aber nun weine nicht mehr, mein Sünnenschienchen, sonst ist der Krischan traurig. Heute nachmittag machen wir den Pulswärmer fertig.«

»Kannst du das so schnell?«

»Ja, Sünnenschienchen, für dich kann ich es.«

»Ach, du bist doch der beste Krischan in der ganzen weiten Welt!«

Die beiden und der Hund kehrten zu den strickenden Kindern zurück, die sämtlich mit ihrer Arbeit aufgehört hatten, weil sie nicht weiter konnten. Maria war der Faden gerissen, Berta hatte zwei Nadeln verloren, Hanne war eine Masche gefallen und ein beträchtliches Stück heruntergerutscht. Rudolf hatte sich mit der Nadel in den Finger gestochen, daß es blutete.

»Das ist ja eine merkwürdige Strickstunde«, schmunzelte der Krischan, »aber wir werden gleich wieder alles in Ordnung haben.«

»Ihr müßt besser aufpassen«, sagte Rosemarie in strengem Ton. »Kaum ist eure Lehrerin fortgegangen, schon macht ihr alles verkehrt.«

Krischan lachte in sich hinein. Verstohlen zeigte er Rosemarie das kleine blaue Rändchen. Da lief das Kindergesicht rot an; sie tadelte heute nicht mehr. – –

Als Rosemarie nach Hause kam, wurde Dirli-Mutti das große Geheimnis anvertraut. Sie mußte aber erneut versprechen, zu keinem Menschen in der ganzen Welt davon zu reden.

»Du kannst mir glauben, Dirli-Mutti«, sagte Rosemarie, »so eine Strickstunde ist wirklich nicht leicht. Immerfort muß man aufpassen. Aber deine Pulswärmer bekommst du doch, und später stricke ich dem Hopplala eine Decke für den Rücken, die soll er im Winter anhaben, wenn es kalt ist. Vielleicht war er nur neidisch und wollte auch etwas Blaues haben. – O, Dirli-Mutti, wirst du fein werden!«

Das konnte sich Frau Deste nun freilich nicht recht vorstellen. Diese Pulswärmer aus dicker kornblumenblauer Schnuckenwolle würden von Vater und Mutter nicht gerne getragen werden. Aber sie wollte dem Kinde die Freude nicht verderben. Die Kinderfinger waren noch viel zu ungelenkig, um Pulswärmer aus feiner Wolle herzustellen. Freilich, der Krischan würde sich sicherlich darüber freuen, denn ein Geschenk von seinem Sünnenschienchen war für ihn das Herrlichste, was es gab. –

Am Nachmittage drängte Rosemarie sehr rasch wieder zum Aufbruch nach der Heide. Sie vermochte es kaum zu glauben, daß der Krischan bis dahin den Pulswärmer wieder neu gestrickt haben könnte. Als Belohnung wollte sie ihm dafür eine Geschichte aus ihrem Schulbuch vorlesen. Der Krischan hörte so gern zu. Er wollte immer alles wissen. Wenn Rosemarie irgendetwas vom Vater hörte, berichtete sie es dem Krischan wieder. Manchmal verstand sie zwar selbst nicht, was der Vater zu Dirli-Mutti sagte, aber der Krischan nickte freundlich dazu, wenn sie es ihm so erzählte, wie sie es behalten hatte. Erst kürzlich hatte sie ihm erzählt, daß die Sonne immer rund um die Erde herumlaufe und daß der Mond hinterher wandere. Da hatte der Krischan freilich gelacht und gemeint, das sei wohl ein bißchen anders. Aber schön sei es doch, ihr zuzuhören.

Am Nachmittag lief sie wieder in die Heide. Ehe sie den Schäfer erreicht hatte, sah sie an einem Wacholderbusch einen Mann und eine Frau sitzen. Das waren wohl wieder Gäste aus dem Wacholderhause. Eine Frau im weißen Kleide lag auf einer braunen Decke, und ein älterer Herr, der ebenfalls ganz weiß angezogen war, hielt eine Zeitschrift in der Hand und las seiner Begleiterin vor. Da fiel Rosemarie ein, daß sie ihr Schulbuch zu Hause vergessen hatte und dem Krischan heute nichts vorlesen konnte.

»Ach, bin ich aber dumm«, sagte sie, »gerade heute hätte ich ihm so gern eine Freude gemacht, weil er meinen Pulswärmer neu gestrickt hat.«

Leise wollte sie sich an dem Paar vorüberschleichen. Da wurde sie von der Dame angerufen.

»Bist du nicht Rosemarie, das Heidekind? – Natürlich! – Nun, kleines Mädchen, wir kennen dich doch seit dem vorigen Jahr, als du uns Blaubeeren verkauft hast. – Wohin willst du denn?«

»Ich will zum Schäfer Krischan, der hier in der Nähe die Schafe weidet.«

»Ach, das ist wohl dein Freund, dem du im vorigen Jahr eine schöne neue Jacke geschenkt hast?«

»Ja, er wartet schon auf mich, denn ich muß bei ihm jetzt Glücksstrümpfe stricken.«

»Nun, dann willst du wohl lieber gehen?«

»Wir übrigens auch«, sagte der Herr, »ich stelle eben fest, daß es Zeit zum Mittagessen ist. Da wollen wir mal schnell aufbrechen.«

»Ich habe hier noch etwas für das Heidekind«, sagte die Dame und griff in die Handtasche. Sie zog ein Stück Schokolade heraus und wollte es Rosemarie reichen. Aber diese hatte recht unsaubere Finger.

»O weh«, meinte die Dame, »da werde ich die Schokolade wohl einwickeln müssen.« Sie wandte sich an ihren Bruder. »Hast du ein Stück weißes Papier bei dir?«

»Ja, warte mal, hier ist eine Papierserviette.«

Schnell wurde die Schokolade darin eingewickelt und Rosemarie in die Hand gedrückt.

Mit einem raschen »Danke« lief das Kind davon.

Bald war sie wieder beim Krischan. Der hielt ihr schon von weitem den fast fertigen Pulswärmer entgegen. »Da ist er, mein geliebtes Sünnenschienchen!«

Rosemarie drückte das Strickzeug stürmisch an ihr Herz. »O, mein Knüttüg, mein liebes Knüttüg! Hast du auch einen Prudel gemacht, Krischan?«

»Ja, das habe ich, aber schön sieht das nicht aus.«

»O doch, Krischan, Pulswärmer mit Prudel sind schön.«

»Fertig habe ich ihn noch nicht gemacht, weil du die Pulswärmer der Dirli-Mutti stricken sollst. Du mußt sie daher selber arbeiten. Nur das aufgetrennte Stück habe ich wieder gestrickt.«

»Du guter Krischan, – jetzt bekommst du dafür ein Stück Schokolade. Weißt du, ich wollte es schrecklich gerne selber essen, aber ich habe es für dich aufgespart.«

»Ich freue mich, wenn mein Sünnenschienchen die Schokolade ißt.«

»Freut dich das wirklich?«

»Ja«, sagte der Schäfer und schob Rosemarie ein Stück von der Schokolade in den Mund.

»Schmeckt sie dir gut?« fragte der Schäfer.

»Ja, fein«, sagte Rosemarie, »aber nun müssen wir fleißig stricken, sonst werden die Pulswärmer nicht fertig.«

»Immer fleißig sein«, lobte der alte Krischan, »dann bist du brav und gut, und dann freuen sich Vater und Mutter über ihr liebes Töchterchen.«

»Eigentlich ist das Stricken doch eine schwere Arbeit, nicht wahr, Krischan?«

»Ja, Sünnenschienchen, alles will gelernt sein. Aber wer immer seine Pflicht tut, dem geht es auch gut im Leben.«

»Dann will ich recht fleißig sein, damit es mir immer gut geht.«


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