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Das ist eben Pucki!

Pucki ärgerte sich, denn es war gewiß eine Dummheit, heute am zweiundzwanzigsten Dezember nochmals zur Malstunde gefahren zu sein. Zu Hause türmte sich die Arbeit bergehoch, und das machte sie verdrießlich. Sie ärgerte sich außerdem darüber, daß der Meister mit ihren Leistungen unzufrieden war. Er tadelte ihre Flüchtigkeit. Sie entschuldigte sich, daß sie mit Weihnachtsvorbereitungen und durch den Haushalt zu stark in Anspruch genommen sei; später würde es wieder besser werden. Zum dritten aber ärgerte sie sich darüber, daß Karlchens Bild, das Weihnachtsgeschenk für Claus, nicht gelungen war. Morgen mußte noch Firnis darüber gestrichen werden, sonst war es fertig. Verbesserungen, die sie für nötig hielt, konnten doch nicht mehr vorgenommen werden: Karlchen sah auf dem Bilde blöde aus, auch die Ähnlichkeit ließ sehr zu wünschen übrig. Außerdem hatte Pucki gestern festgestellt, daß das Kind auf dem Bilde eine schiefe Schulter hatte. Am liebsten wollte sie das Gemälde gar nicht verschenken, doch war kein Geld mehr vorhanden, um für Claus noch etwas anderes zu kaufen. Sie hatte ja auch immer wieder betont, daß sie ihn mit einer Handarbeit erfreuen wollte.

Zunächst war das heute die letzte Malstunde gewesen; erst Mitte Januar wollte sie wieder beginnen. Sie kaufte in Holzau noch die letzten Kleinigkeiten ein und wählte viel billiges Zeug, da das Geld nicht weiter langte. Jedesmal, wenn sie an dem Delikatessengeschäft vorüberkam, in dem sie damals mit Frau Elzabel die teuren Leckereien gekauft hatte, trat eine tiefe Falte auf ihre Stirn. Datteln, Feigen, Mandeln: alles lag noch daheim und würde zu Weihnachten gegessen werden. Aber die Erinnerung an die furchtbaren Minuten schwand dadurch nicht.

So kam sie zurück nach Rahnsburg. Vor dem Hause stand ein Auto. Pucki wußte sogleich: es gehörte den Schwiegereltern aus Rotenburg. Ihre Züge hellten sich sofort auf. Wahrscheinlich kamen sie, um ihre Weihnachtsgeschenke zu bringen. Rasch betrat sie den Flur, legte Hut und Mantel ab und vernahm aus dem Wohnzimmer die Stimme ihres Gatten. Pucki beschloß, ein wenig zu lauschen. Vielleicht konnte sie später im Gespräch mit den Schwiegereltern anbringen, was sie noch für Wünsche auf dem Herzen hatte. Da hörte sie ihren Namen. Es war Claus, der ein wenig lachend die Worte sagte:

»Das ist eben Pucki!«

Die Lauscherin beschloß, behutsam ins Eßzimmer zu gehen, um vom anstoßenden Wohnzimmer her Näheres über sich zu erfahren. Die Schwiegereltern sangen wahrscheinlich wieder einmal ihr Lob in allen Tonarten. Die junge Frau wußte, daß Oberförster Gregor seine Schwiegertochter über alles liebte.

Sie mußte jedoch bald feststellen, daß der Schwiegervater nicht anwesend war. Claus unterhielt sich mit seiner Mutter.

»Es tut mir unendlich leid, Claus, daß eure Emilie, die immer so freundlich und tüchtig ist, einen verärgerten Eindruck macht. Ich kann es verstehen, denn sie klagte mir vorhin ihr Leid. Sie ist noch zu jung, um alles, was Pucki von ihr verlangt, selbständig zu tun. Wenn Fehler gemacht werden, ist es deiner Frau nicht recht.«

»Weiß schon, was du sagen willst, liebe Mutter. Ich sehe selbst, daß Pucki, seit sie Malstunden in Holzau nimmt, den Haushalt vernachlässigt. Mir fehlt oftmals ein Knopf an der Jacke, und mehrfach muß ich daran erinnern, ehe er wieder angenäht wird. Die Mahlzeiten sind auch nicht mehr mit soviel Liebe angerichtet wie früher.«

»Warum sagst du das Pucki nicht, Claus? Sie ist noch viel zu jung, sie braucht Anleitung. Sprich einmal ernsthaft mit ihr, dann wird sie sich bessern.«

Das Gesicht der blonden Horcherin wurde finster. Von dieser Seite kannte sie ihre Schwiegermutter noch nicht.

»Ich denke, Pucki wird von sich aus wieder zu ihren Pflichten zurückfinden, liebe Mutter. Ein hartes Wort verdirbt bei ihr sehr viel. So ist es immer gewesen. Du weißt, ich kenne sie seit ihrer Kinderzeit. Wir alle wissen, was Pucki für ein schwieriges Menschlein ist. Mit Heftigkeit wird nie etwas bei ihr zu erreichen sein, nur mit Güte. Pucki hat jedoch einen viel zu guten Charakter, um nicht eines Tages ganz von selbst einzusehen, daß es so nicht weitergehen kann. Denke einmal zurück, liebe Mutter. Sie war eine schlechte Schülerin, da traf sie eines Tages auf der Eisbahn eine alte Frau, die einen Leierkasten drehte. Die Alte sprach davon, daß sie durch Faulheit im Leben nicht vorangekommen sei. Mit einem Schlage änderte sich das Kind. Denke auch an ihr späteres Leben. Wie viele tolle Streiche hat sie verübt, doch bedurfte es immer nur eines Anstoßes, und ihr gutes Herz kam zum Vorschein. Wie pflichtgetreu war sie in ihrer Stellung bei Prells, was für eine tüchtige Kindergärtnerin ist sie gewesen! Und nun sollte sie plötzlich eine schlechte Frau und Mutter sein?«

»Du weißt, Claus, wie sehr wir deine Frau lieben; man kann ihr nicht zürnen, obgleich sie eigentlich ein kleiner Racker ist. Aber jetzt hat sie den Malfimmel im Kopf – –«

»Und wird ihn wieder lassen. Eines Tages kommt irgendein Anstoß, und Pucki sieht ein, daß es so nicht weitergeht. Ich glaube, ich brauche erst gar nichts zu sagen, sie findet sich allein zurück.«

»Claus, ich glaube, du bist zu nachsichtig.«

»Mag sein, liebe Mutter. Mitunter bin ich zwar auch einmal böse, aber wenn mich Pucki dann so schuldbewußt ansieht, wenn sie mit Tränen in den Augen ihr Unrecht einsieht, verfliegt jeder Groll. Außerdem« – Claus wurde sehr ernst – »weiß ich, Mutter, daß es in vielen Ehen nach kurzer Zeit schief geht, und zwar dann, wenn der erste Rausch verflogen ist. Du kennst die traurige Statistik: die meisten Ehescheidungen liegen zwischen dem zweiten und fünften Ehejahr.«

»Claus – was heißt das?«

»Wir haben nichts zu fürchten, liebe Mutter, ganz bestimmt nicht. Pucki könnte aber immerhin auch einmal an diese große Eheklippe kommen. Zur Zeit bildet sie sich ein, sie brauche etwas anderes als Haushalt und Kind; der Geist müsse Nahrung haben. Das besagt mir, daß sie eine plötzliche Leere empfindet. Entwickelt sich dieses Gefühl stärker in ihr, so kommt meine temperamentvolle Pucki eines Tages vielleicht auf den Gedanken, daß ihr die Ehe nicht das bietet, was sie erhofft. Pucki ist ein ebenso törichtes wie liebes Geschöpf! Ist erst das Doktorhaus voll von lärmenden Kindern, dann wird das anders werden.«

»Trotz deiner großen Liebe und Güte? Trotz eures süßen Jungen?«

»Pucki sagte mir einmal: in ihrer Brust wohnen zwei Seelen. Und sie hat recht! – Mutter, es kommt einmal die Stunde, daß jede Schlacke von ihr abfällt, daß sie sich voll und ganz durchgerungen hat. Darauf hoffe ich; es geht natürlich nicht schnell. Ich muß Geduld haben!«

»Und wenn die Vernachlässigung in deinem Haushalt noch weiter fortschreitet – was dann?«

Pucki ballte die Hand. Was waren das für unerhörte Äußerungen? Den Haushalt vernachlässigen? Gönnte man ihr nicht die Freude, die ihr die Malstunden bereiteten? Durfte sie überhaupt nicht mehr an sich denken – immer nur an Mann und Kind?

Sie entfernte sich von der Tür. »Der Horcher an der Wand, hört seine eigne Schand«, ging es ihr durch den Sinn. »Warum horche ich überhaupt? Das ist gemein! Ich tue es nie wieder.«

Als sie dann jedoch Clausens warme, herzliche Stimme vernahm, schlich sie abermals zur Tür zurück.

»Pucki findet sich zurück, Mutter, vielleicht sehr bald. Ich behandele sie jetzt wie ein krankes Kind, denn Pucki ist seelisch krank. Vielleicht trug der Umgang mit Frau Selenko Schuld daran. Eine Weltdame, deren Sinn nur auf Luxus und Vergnügen gerichtet ist, hat meinem kleinen Frauchen ein wenig den Kopf verdreht. Liebe Mutter, mache dir keine Sorgen! Pucki hat ihr goldenes Herz behalten, und wenn sie das Haus auch ein wenig vernachlässigt – –«

Mit zwei großen Schritten war die Lauscherin von der Tür fort. »Das ist arg – das geht zu weit! Ich bin ein krankes Kind, ich vernachlässige den Haushalt? – – So etwas soll ich mir sagen lassen? Ich, die ich alles in Ordnung halte und von früh bis spät tätig bin. – Jetzt ist es genug, jetzt will ich zwischen die Ankläger treten!« Schon war sie wieder an der Tür und legte die Hand auf die Klinke.

»Es ist eben Pucki«, sagte Claus warm. »Vielleicht habe ich sie gerade deswegen so unendlich lieb. Wenn mein kleines Frauchen Klarheit darüber gewinnt, daß es in einer Ehe nicht nur Festtage gibt, daß der Alltag mit seinen vielen langweiligen Forderungen an jeden herantritt, wenn Pucki über diese erste Klippe glücklich hinweggekommen ist, wird sie eine prächtige Hausfrau werden. Darauf freue ich mich, Mutter! Pucki nimmt den Mund immer sehr voll von Eheglück und Sonne im Hause, sie hat das wahre Eheglück jedoch noch nicht erkannt. So geht es vielen, sehr vielen jungen Frauen! Die weniger guten und festen Charaktere laufen dann dem Manne davon, oder – zerbrechen die Ehe. Meine Pucki macht erst noch einige kleine Dummheiten, dann aber kämpft sie sich durch.«

»Das erste anständige Wort, das er sagt«, murmelte die Lauscherin. »Mein Claus ist wirklich ein guter Mensch. – Ja, er hat recht, ich habe mich immer durchgekämpft. Mein ganzes Leben war bisher so, das ging von meiner Kindheit an so. – Na, ich bin eben Pucki, und ein Pucki ist eben dazu da, um auf dem Ast zu sitzen und die Leute mit Tannenzapfen zu werfen und sie zu ärgern!«

»Auch ich glaube daran, lieber Claus, daß Pucki, wenn sie erst noch ein wenig älter und vernünftiger geworden ist, eine sehr gute Frau und Mutter sein wird, und daß euer Familienglück dann rein und ungetrübt bleibt. Nur muß sich Pucki noch manches abgewöhnen. Emilie ist sehr verärgert und will kündigen. Alles wegen der unnötigen Malstunden. Dabei leistet sie doch wirklich nicht viel.«

»Laß sie ruhig noch ein Weilchen pinseln, Mutter! Ich glaube, ich bekomme zu Weihnachten ein gemaltes Bild.«

»Woher weiß er das?« murmelte Pucki.

»Wahrscheinlich wird es unfertig sein«, lachte Claus, »meine kleine Frau hat schon manches angefangen und nicht vollendet!«

Pucki stieg das Blut heiß ins Gesicht. Sie hatte noch zwei Stunden zu malen, dann war der blausamtene Karlemann fertig. »Es wird fertig«, sagte sie und schlug mit der Faust gegen die Tür. Schon in der nächsten Sekunde kam ihr die Torheit zum Bewußtsein. Sie eilte durchs Zimmer, wollte es verlassen, um nicht als Lauscherin ertappt zu werden, doch bevor sie verschwunden war, rief Claus durch die geöffnete Eßzimmertür:

»Komm herein, Pucki, die Mutter ist hier!«

Sie hörte seine Worte, doch keine Macht der Erde hätte sie jetzt zurückgeholt. Mann und Schwiegermutter wußten, daß sie gelauscht hatte. Sie stürmte ins Kinderzimmer, beschäftigte sich dort mit Karlchen und erschrak, als schon wenige Augenblicke später Frau Gregor und Claus eintraten. Auf die herzliche Begrüßung der Schwiegermutter fand sie heute kaum ein Wort. In ihren Ohren klang noch das Erlauschte.

»Nun, Pucki, komm einmal herüber, Mutter hat schöne Sachen mitgebracht.«

Die blauen Augen blitzten: »Ich kann jetzt nicht, ich muß mich um den Haushalt kümmern, sonst vernachlässige ich ihn!«

Claus unterdrückte ein Lächeln, und Frau Gregor sagte freundlich: »Einen Augenblick wirst du wohl Zeit haben, Pucki?«

»Später«, klang es ein wenig patzig zurück. Dann dachte sie daran, daß Claus sie ein krankes Kind genannt hatte. Beinahe wollten ihr die Tränen kommen. »Ich gehe rasch noch einmal nach der Küche, dann komme ich«, klang es kleinlaut. Pucki sah ein, daß es unrecht von ihr war, die herzensgute Schwiegermutter, die wahrscheinlich Weihnachtsfreuden ausgepackt hatte, absichtlich zu kränken.

»Vater kommt später, er macht noch Besorgungen, Pucki. Wenn du uns über Abendbrot hierbehalten willst, können wir eine gemütliche Plauderstunde halten.«

»Ach ja – natürlich!«

Dann stand Pucki in der Küche. Emilie betrachtete verwundert die junge Hausfrau, wie sie mit dem Kochlöffel zwecklos in einem Topf mit Wasser rührte. Sie wußte ja nicht, daß Pucki versuchte, ihre aufgeregten Gedanken zu beschwichtigen. Langsam wurde sie ruhiger. Alles, was sie eben erlauscht hatte, war wirklich gut gemeint. Wie lieb hatte Claus von ihr gesprochen, obwohl sie ihm schon manchen Ärger zugefügt und vieles verpatzt hatte.

»Er ist ein guter Mann, er ist der beste Mann, den es überhaupt gibt. – Unser Familienglück soll ebenso sein«, redete sie sich vor.

Pucki atmete auf, als nach kurzer Zeit Oberförster Gregor kam. Nun war einer da, der nicht mitgelästert hatte. So hing sie sich sogleich in den Arm des alten Herrn und plauderte so aufgeregt, daß er sie erstaunt anblickte.

»Na – Kleines, dich hat die Weihnachtszeit wohl recht nervös gemacht?«

Es wurde ein sehr gemütlicher Abend, obwohl Pucki von ihrem schlechten Gewissen gequält wurde. Sie gab sich die erdenklichste Mühe, die Tafel hübsch herzurichten. Von einer vernachlässigten Wirtschaft war nichts zu merken. So lobte der Schwiegervater sein Töchterchen immer wieder.

Pucki ließ ihre Blauaugen umherschweifen, richtete sich kerzengerade auf und wartete auf weitere Anerkennungen, doch sie kamen nicht. Nur im Gesicht ihres Claus zuckte es mitunter gar merkwürdig. Vergnügt blinzelte er sie an. Da stand plötzlich wieder die tiefe Falte auf ihrer Stirn.

Ziemlich spät verließen die Eltern das Doktorhaus. Pucki überlegte, ob sie den ohnehin angebrochenen Abend dazu benutzen sollte, noch einige Weihnachtsvorbereitungen zu machen. Morgen gab es ohnehin viel zu tun, ihr würde die Zeit recht knapp werden.

»Komm, Pucki, nun wollen wir zur Ruhe gehen, denn es kommen anstrengende Tage für dich«, sagte Claus.

»Ach –«, sagte sie leichthin, »was nicht fertig wird, bleibt liegen. Es kommt wirklich nicht darauf an, ob eine Wirtschaft ein wenig mehr oder weniger vernachlässigt wird.«

»Komm schlafen, kleiner Trotzkopf!«

»Ich hätte eigentlich noch zu arbeiten.«

»Nein, kleine Frau, was zu Weihnachten nicht fertig wird, wird unfertig geschenkt.«

»Es wird aber fertig«, schrie sie ihn an, »und wenn es mein Leben kosten sollte – es wird fertig!«

»Jetzt wird geschlafen!«

Damit zog er die Widerstrebende hinüber ins Schlafzimmer. –

Der dreiundzwanzigste Dezember brachte viel Arbeit. Obwohl Pucki schon morgens im Bett überlegte, wie sie die Zeit einteilen sollte, um das Bild fertigzustellen, fand sie keinen Ausweg. So wurde ein ganz einfaches Mittagsgericht bereitet, dann ging sie mit neuem Mut an das Bild; es mußte fertiggestellt werden! Emilie betrat unwillig das Wohnzimmer und meinte, sie könne heute bei der vielen Arbeit das Kind nicht brauchen.

»Ich auch nicht«, erwiderte die junge Frau ärgerlich. Dann nahm sie den Kleinen, trug ihn hinüber ins Schlafzimmer und setzte ihn in sein Gitterbettchen. »Hier bleibst du! – Hier ist der Hund, das Schaf und die Katze, nun spiele schön damit!«

Im Begriff weiterzumalen, läutete es. Der Postbote brachte ein Paket. Pucki warf einen Blick auf den Absender: Familie Prell aus Nürnberg.

Ach, dieses Paket mußte rasch ausgepackt werden. Die lieben Prells wollten ihr eine Weihnachtsfreude bereiten. Welche schöne Erinnerung hatte sie an die Zeit, die sie im Prellschen Hause verlebt hatte. Der Opernsänger und seine Gattin mit ihren beiden Knaben Tri und Flo waren liebe Menschen. Die Mutter hatte sich damals eingebildet, Romane schreiben zu können und sich kaum um ihre Kinder gekümmert. So hatte Pucki alle Verantwortung auf ihre Schultern nehmen müssen, um den beiden Kindern ein geordnetes Heim zu schaffen. Mit unendlicher Liebe hingen die beiden Knaben an ihr. Schließlich hatte sie der nachlässigen Mutter in der Erregung eine große Strafpredigt gehalten und danach befürchtet, daß man sie auf die Straße setzen würde. – Und der Erfolg? Frau Prell hatte eingesehen, daß Pucki recht hatte; sie ließ ab von dem Wahn, Romane schreiben zu müssen und schuf Manu und Kindern wieder eine geordnete Häuslichkeit und ein glückliches Familienleben.

Nun lagen die Geschenke vor ihr. Der Sänger schickte ihr gemeinsam mit seiner Frau einen wunderschönen Ring; Tristan, der jetzt siebzehnjährige Junge, hatte ein Photoalbum selbst geklebt.

»Du sollst sehen, geliebte Pucki, daß wir noch immer an die Zeit denken, in der du bei uns warst«, schrieb er dazu.

Als Pucki das Album durchblätterte, hätte sie am liebsten vor Rührung geweint. Da war die Burg in Nürnberg, hier Herr Prell als »Lohengrin« und in vielen anderen Rollen, ein Lotterielos hatte auch Aufnahme gefunden, zur Erinnerung an jenes Los, mit dem sie damals tausend Mark gewonnen hatte. Dann kamen Familienbilder, Aufnahmen von Tri und Flo, von der Va, von dem Zimmer, in dem Pucki gewohnt hatte, und zum Schluß ein großes Familienbild. Darunter stand:

»Jetzt sind wir sehr glücklich, Pucki! Es ist wunderschön. Das verdanken wir dir!«

Der jüngere Flo hatte Pucki ein Schmuckkästchen gesägt, feinste Laubsägearbeit, und mit blauer Seide gepolstert. Dann fanden sich noch kleine Geschenke für Claus und Karlemann dabei.

»Du hast uns so glücklich gemacht«, schrieb Flo, »jetzt wollen wir dich glücklich machen!«

Zuletzt las Pucki den Brief der Frau Prell. Sie schrieb herzliche Worte, schickte viele gute Wünsche für die Zukunft und gab einen Bericht, wie es heute im Prellschen Hause aussähe, und daß alle sehr zufrieden seien. Pucki las:

»Ich möchte einen Blick in Ihre Häuslichkeit werfen, liebe Pucki. Sie sind wahrscheinlich ein Vorbild für alle Mütter! Ich werde nie vergessen, wie Sie damals bei uns mehr als ihre Pflicht erfüllten. Ich weiß noch genau, was Sie mir damals in Ihrer Erregung mit voller Berechtigung sagten. Nie vergesse ich diese Worte! Man sollte sie jeder Mutter, die ihren Pflichten gegenüber nachlässig ist, zurufen: Wenn man Mutter ist, hat man die heilige Verpflichtung, die Seelen seiner Kinder nicht verkümmern zu lassen. Kinder brauchen Sonnenschein und Elternliebe! – So sprachen Sie zu mir, Pucki. In Ihrem Hause wird es nichts anderes geben als Sonnenschein. Wer so pflichttreu ist, wie Sie es schon als junges Mädchen waren, muß als Mutter ganz hervorragend tüchtig sein. Im nächsten Jahre werfe ich einen Blick in Ihre Häuslichkeit, dann will ich sehen, wie es Ihnen geht. Glücklicher Mann, glückliches Kind! Oft, wenn es mir nicht leicht wurde, Pucki, habe ich an Ihre Strafpredigt gedacht. Das gab mir neue Kraft. Ihnen, meine liebe Pucki, käme es nie in den Sinn, einen Roman zu schreiben und darüber die Kinder zu vergessen –«

Pucki schrak zusammen. Sie hatte eben einen Aufschrei vernommen, dann lautes Gepolter und Klirren. Der Brief flog zu Boden. Pucki lief aus dem Zimmer, hin zu Karlchen. Für einen Augenblick glaubte sie, erstarren zu müssen. Was war geschehen? Anscheinend war der Knabe aus dem Bettchen gekrochen. Eine Bettwand war heruntergeklappt, in der Eile von Pucki wohl nicht richtig befestigt gewesen. Dann war Karlchen zur Waschkommode gelaufen, hatte sich mit den Händchen an das Waschbecken geklammert und es heruntergezogen. So waren das Waschbecken und der schwere Krug auf das Kind gefallen, das regungslos zwischen den Scherben auf dem Boden lag, umrieselt vom Wasser.

Pucki hob das besinnungslose Kind auf. Sie sah die blutende Stirn. Da wurde es plötzlich ganz ruhig in der erregten Frau. Jeden Handgriff überlegte sie zuvor. Nur in ihrem Herzen fühlte sie ein Brennen und Reißen.

Karlchen schlug bald wieder die Augen auf. Er war wohl nur vom Schreck betäubt worden. Aber vielleicht hatte er doch einen Schaden davongetragen. Pucki schickte Emilie hinüber zum Gatten und ließ ihm sagen, er möge schnell einmal herüberkommen. Während dann Claus seinen Sohn eingehend untersuchte, räumte Pucki mit totenblassem Gesicht die Scherben zusammen. Sie wagte nicht, Claus anzusehen.

»Ich glaube, es ist gut abgegangen«, sagte er endlich. »Wie kommt es aber, daß der Junge mit der Waschschüssel spielen konnte?«

Pucki schwieg noch immer. Was hatte sie soeben im Prellschen Briefe gelesen? In ihrem Haushalte würde es nicht vorkommen, daß eine Mutter ihre Kinder vernachlässigte.

»Es wird eine tüchtige Beule geben, Pucki. Kühle sie, mache eine halbe Stunde lang Umschläge. Ich muß wieder hinüber. Sobald ich Zeit habe, komme ich wieder. Lege Karlchen auf den Diwan, damit du ihn unter Aufsicht hast.«

Kein Vorwurf fiel von seinen Lippen, aber auch kein herzliches Wort für die blasse Frau, der die Füße schwer wie Blei waren. Sie trug Karlchen hinüber ins Wohnzimmer. Im Erker stand die Staffelei mit dem Bilde, daneben der Malkasten. Neben dem Malkasten lag der Brief von Frau Prell.

Pucki saß auf dem Diwan neben Karlchen. Das Kind, das anfangs leise weinte, wurde bald wieder ruhig und schaute neugierig auf die geschnitzten Tierchen, die auf dem Tische standen, und die von Prells für Karlchen geschickt worden waren.

»Mutti – haben!«

»Ja, Karlchen, du sollst sie bekommen.«

Vergnügt spielte der Kleine damit. Schmerzen und Schreck waren vergessen. Pucki rührte sich nicht von seiner Seite, obwohl der Zeiger der Uhr immer weiter eilte.

Wieder nahm sie den Brief Frau Prells zur Hand, unaufhörlich tropften ihre Tränen darauf.

»Oh, Mama«, rief Karlchen, patschte ihr mit den Händchen ins Gesicht und lachte sie fröhlich an. Dabei hatte das Kindergesichtchen ein so glückliches Aussehen, daß Puckis schweres Herz etwas leichter wurde.

Es hielt ihn nicht lange auf dem Diwan, er wollte in seine Boxe, um die Tierchen aufzustellen.

»Warte, Karlchen, ich schenke dir noch etwas zu Weihnachten«, sagte Pucki. Feste Entschlossenheit klang in ihrer Stimme. Dann setzte sie das Kind auf den Spielteppich, gab ihm einen Blaustift in die Hand, holte das Bild von der Staffelei herunter und stellte es vor Karlchen in die Boxe.

»So lange habe ich daran gemalt, jetzt darfst du malen! Du hast oft genug böse und verärgert auf das Bild gesehen, und wolltest mehrfach die Staffelei umwerfen. – Hier, jetzt male!«

Anfangs schaute Karlchen zögernd die Mutter an. Als aber Pucki selbst mit einem Blaustift ein paar dicke Striche quer über das Bild zog, kreischte der Knabe vergnügt auf und bearbeitete nun seinerseits mit dem Blaustift Puckis wochenlange Arbeit. Jedesmal, wenn wieder ein blauer Strich über das Kinderbild ging, jubelte Karlchen hell auf.

Emilie kam ins Zimmer und rief Pucki hinaus in die Küche. Da die Hausfrau das Kind voll beschäftigt wußte, ging sie hinaus. In demselben Augenblick kam Claus von der anderen Seite ins Zimmer. Der Knabe schrie ihm vor Wonne laut entgegen:

»Papa – Papa!«

Claus eilte zur Boxe. Er wollte dem Knaben den Blaustift entreißen, doch er sah bald ein, daß es jetzt auf ein paar weitere Striche nicht mehr ankam.

»Woher hast du das Bild, Karlchen? Schämst du dich nicht? Sollst du nicht in der Boxe bleiben?«

Karlchen bekam einen kräftigen Klaps auf die Hand und schrie auf. – Da stürzte Pucki verängstigt ins Zimmer. Claus erwartete, daß seine Frau vor Schreck umsinken würde, doch nur ein schuldbewußtes Gesicht schaute ihn verlegen an.

»Laß ihn ruhig gewähren«, sagte Pucki, »einmal hat ein siebzehnjähriges Mädchen einer viel älteren Frau, die bereits zwei Kinder hatte, eine Strafpredigt gehalten und sie dadurch zur Vernunft gebracht. Heute soll Karlchen seine Mutter auch zur Vernunft bringen. – Claus, laß ihn! – Morgen schenke ich dir – – nicht dieses Bild. – Nein, Claus, ich schenke dir ganz etwas anderes. Es wird dich mehr erfreuen als dieses schlechte Machwerk. – Ach, Claus – Claus – –«

»Pucki, was ist dir?«

Sie zitterte vor innerer Erregung, dann brach sie in bitterliches Weinen aus.

»Kind, geliebtes Kind, ist dir die zerbrochene Waschschüssel oder Karlchens Beule so auf die Nerven geschlagen?«

»Nein, Claus – – der Brief.«

»Schlechte Nachrichten? Von wem?«

»Claus, ich bin wirklich krank! Schwerkrank! – Du hast recht, ich bin ein krankes Kind, aber – ich will gesund werden, Claus.«

»Pucki, jetzt verstehe ich dich wirklich nicht.«

»Mach dir keine Sorgen um mich, Claus. Schau nur, wie unser Junge sein Ebenbild bemalt. – Ach, wäre ich nie zu Lars Alsen gegangen! Die eine schreibt Romane und ihre Wirtschaft verlottert, und – die andere malt. – Claus, ich bin genau so schlecht, wie es einst Frau Prell war.«

Er drückte Pucki auf den Diwan nieder, setzte sich neben sie, nahm ihren Kopf zwischen seine beiden Hände und blickte ihr tief in die Augen.

»Pucki, du hörtest ja hinter der Tür, was ich von dir erhoffte. Zu meiner Mutter hatte ich es gesagt, glaubte aber nicht, daß mein heißester Wunsch so schnell in Erfüllung gehen würde. Was ich mir morgen zum Weihnachtsfest wünsche, brauche ich nicht erst auszusprechen, du ahnst es bereits. Und wenn ich es bekäme, Pucki? Wenn mir meine kleine, geliebte Frau wieder einmal einen so heiligen Schwur ablegte, wie sie das von Zeit zu Zeit tut, würde ich morgen ein schwerreich beschenkter Mann sein.«

»Von morgen ab sollst du keine kranke Frau mehr haben, nein, ein kerngesundes Weib, eine Mutter, die tausend Augen, tausend Hände hat, damit nichts mehr verliedert. – Claus, lieber, lieber Claus, ich hätte dir so viel zu erzählen. – Kannst du es ertragen?«

»Kleine, geliebte Frau, das erzählst du mir alles morgen unter dem Weihnachtsbaum.«

»Es wird dir keine reine Weihnachtsfreude sein, Claus.«

»Pucki, ich glaube doch! Wir sehen nichts anderes als das gute Ende.«

»Ja, Claus, so will ich dir morgen alles sagen, aber – mache dich auf manches gefaßt.«

»Wer hat dir denn schon solch einen schönen Weihnachtstisch aufgebaut?«

»Die guten Prells. – Claus, jetzt sollst du auch den Brief lesen, und morgen, morgen mußt du sehr gute Laune haben. Versprichst du mir das?«

»Weihnachtsstimmung, kleine Frau, die habe ich schon heute. Ich glaube, unser drittes Weihnachtsfest wird das schönste von allen sein, das wir bisher zusammen verlebt haben.«


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