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Habe Vertrauen!

Pucki war ein wenig enttäuscht. Sie hatte zuversichtlich gehofft, daß der heutige Tag ganz besonders verlaufen würde, aber alles war wie immer. Wohl hatte ihr Claus am frühen Morgen einen wundervollen Strauß roter Rosen auf den Frühstückstisch gestellt, sie dann zärtlich in die Arme genommen und liebe Worte gesprochen. Aber das tat er oft, das war nichts Besonderes! Zum Mittagessen kochte sie sein Leibgericht, denn der dritte Hochzeitstag mußte unter allen Umständen festlich begangen werden. Karlchen war mit einer Zigarre angekommen, an die ein Blümchen gebunden war. Aber ehe er dem Vater das Geschenk überreichte, untersuchte er genau das merkwürdig braune Ding und zerbrach die echte Havanna. Auch die Worte, die er dem Vater sagen sollte, waren vergessen, oder Karlchen schien nicht geneigt, das sorgsam Einstudierte zum besten zu geben.

»Was sollst du sagen?«

Karlchen schwieg.

Pucki seufzte. »Tagelang habe ich mich mit ihm herumgequält. Einmal hat er es gekonnt. – Nun mal los, Karlchen!«

»Pucki, laß endlich diesen törichten Unsinn!«

»Was sollst du sagen, Karlchen?«

Aber der Junge schwieg beharrlich. Es war für ihn viel unterhaltender, die braunen Abfälle der Zigarre, die auf dem Teppich lagen, zu betrachten.

Da wurde Pucki ärgerlich und wollte dem Knaben einen leichten Schlag versetzen. Aber Claus trat dazwischen.

»Pucki, ich möchte dich ernstlich bitten, dem Kinde keine Worte einzulernen, die es noch nicht nachsprechen kann. Unser Kind braucht kein Wunderkind zu werden. Du sollst ihn deinen Gästen nicht vorführen; das ist nicht gut und nicht ratsam.«

»Ich mache eben alles falsch!«

»Nicht doch, Pucki, ich bin mit meiner kleinen lieben Frau sehr zufrieden. Wie hübsch hast du den Frühstückstisch hergerichtet, wie liebevoll sorgst du für Mann und Kind – –«

»Und doch findest du immer wieder etwas zu tadeln.«

»Darf ich das nicht, Pucki? Darf ich einer kleinen unerfahrenen Frau als ihr guter Kamerad nicht sagen, was verkehrt ist? Komm, Pucki, am dritten Hochzeitstage wollen wir uns in die Arme nehmen und mit herzlichem Kuß an die schöne, verflossene Zeit denken.« –

Am Nachmittag mußte Doktor Gregor wieder über Land fahren. Pucki schmollte. »So ein Hochzeitstag! – Ich hatte es mir herrlich gedacht, ein bißchen mit dir zu plaudern.«

»Heute abend, Pucki.«

»Das kannst du im voraus nicht sagen. Kaum sitzen wir beisammen, da ertönt die Klingel, und einer holt dich weg.«

Der Arzt lachte. »Hast du nicht schon in der Brautzeit betont, daß eine Arztfrau auf Überraschungen gefaßt sein muß? – Nun, ich kann ja die Patienten zu Doktor Ucker schicken.«

»Claus – wo denkst du hin!« rief Pucki entsetzt. »Er nimmt uns schon genug Patienten fort! – Wenn er nicht in Rahnsburg wäre, dann kämen alle Kranken zu uns!«

»Und dein armer Mann müßte auch noch den Schlaf opfern und in der Nacht arbeiten, weil der Tag nicht ausreicht. Ich bin recht zufrieden, daß sich der Kollege hier niedergelassen hat, nachdem er mich während meiner Reise in so liebenswürdiger Weise vertrat.«

»Wenn er nicht hier wäre, verdienten wir mehr – –«

»Kleine geldgierige Pucki! Erst bist du ärgerlich, daß man deinen Mann beständig fortholt – und dann soll der zweite Rahnsburger Arzt keinen Patienten haben. Alle sollen zu Doktor Gregor kommen. – Pucki, wo bleibt da die Logik?«

»Na ja«, sagte sie seufzend, »es ist eben merkwürdig auf der Erde eingerichtet. Ich finde, andere Berufe haben es besser!«

»Kleine liebe Frau, ein jeder Stand hat seinen Frieden, ein jeder Stand hat seine Last. Ziehe also keinen schiefen Mund und erwarte heute nach der Sprechstunde deinen Claus zu einem gemütlichen Plauderstündchen.«

Da es ein wunderschöner Septembertag war, hielt Pucki es für ratsam, den frühen Nachmittag zu einer Ausfahrt mit Karlchen zu benutzen. Seit vierzehn Tagen war sie nicht mehr bei Rose Teck gewesen, bei der fleißigen Rose, die den Bauer von der Schmanz geheiratet hatte und trotz ihrer drei Kinder in Wirtschaft, Garten und auf der Wiese emsig tätig war. Das frühere blasse Stadtkind, das als zwölfjähriges Mädchen die Sommerferien im Forsthaus Birkenhain verlebt hatte, war zur tüchtigen Bäuerin geworden und lebte außerordentlich glücklich.

Pucki setzte Karlchen in den Sportwagen und machte sich auf den Weg zur Schmanz. Sie wollte für wenige Augenblicke am Forsthause haltmachen, um die Eltern und Agnes, die jüngste Schwester, zu begrüßen. Waltraut, die zweite, war nicht daheim; sie lernte im Kreiskrankenhaus die Krankenpflege. Der Vater versah noch immer den Dienst in dem Forst.

Im Forsthaus war niemand anzutreffen außer der alten Stütze. Mutter und Schwester hatten einen Besuch gemacht, und der Vater weilte im Walde.

»Sie hätten an meinem dritten Hochzeitstage auch zu mir kommen können«, dachte Pucki unwillig, »es ist heute gar kein richtiger Hochzeitstag. Claus ist über Land, meine Angehörigen sind nicht da. – Eigentlich ist es schrecklich. So werde ich mit Rose eine Stunde verplaudern.«

Aber auch Rose war nicht im Hause. Die alte Bäuerin empfing Frau Doktor Gregor mit herzlichen Worten und teilte ihr mit, daß Rose hinten im Obstgarten bei der Ernte wäre. Sie käme jedoch häufig ins Haus, um nach ihrem Jüngsten zu sehen.

»Drei Kinder! – Müssen die Arbeit machen!« sagte Pucki.

»Sie bringen auch viel Freude ins Leben«, erwiderte die Bäuerin. »Rose schafft es schon; sie weiß sich ihre Zeit trefflich einzuteilen.«

Nachdem Pucki eine Viertelstunde mit der alten Frau Teck verplaudert hatte, kam Rose. Sie war noch ein wenig draller geworden, sozusagen ein molliges Frauchen mit knallroten Wangen. Ihr offenes, ehrliches Gesicht strahlte vor Freude, als sie Pucki mit ihrem Knaben erblickte. Die Begrüßung war herzlich.

»Ich komme gerade heute zu dir, liebe Rose, weil ich heute drei Jahre verheiratet bin und Claus nicht daheim ist. Er muß immer zu seinen Kranken. Nun will ich mit dir einige Stunden plaudern. Karlchen kann mit deinem Ältesten spielen.«

»Wie wäre es, Pucki, wenn du mit mir hinaus in den Garten kämst? Ich kann dann weiterarbeiten, und wir erzählen dabei.«

»Wäre es nicht gemütlicher, wenn wir ins Zimmer gingen?«

»Draußen ist es heute so wunderschön. – Außerdem drängt die Arbeit.«

»Du hast wohl sehr viel zu tun?«

»O ja, massenhaft! – Die Mutter ist alt und kann nicht mehr viel leisten. Sie kränkelt in letzter Zeit, da darf ich ihr nicht viel aufpacken. Sie muß sich schonen. Aber der Vater ist noch rüstig. Er ist auch im Garten. – Komm mit mir, Pucki, wir wollen gehen. Mutter paßt auf die Kinder auf.«

Draußen begrüßte Pucki den alten Bauer Teck, der für Pucki schon immer herzliche Zuneigung empfunden hatte. Die Plauderstunde verlief jedoch nicht so, wie sie Pucki erhofft hatte. Rose eilte mit dem gepflückten Obst häufig zum Hause hin, und wenn auch zwischendurch lebhaft gesprochen wurde, so war alles nicht nach Puckis Sinn. Rose bemerkte das und stellte schließlich die Arbeit ein.

»So, Pucki, nun komm in die schöne Laube, dort können wir weiterreden. Du mußt doch unsere frischgepflückten Äpfel kosten.«

Nun saßen die beiden Freundinnen beisammen, und Rose erzählte aus ihrem arbeitsreichen, aber schönen Leben. »Du bist heute gewiß ganz besonders glücklich, Pucki? Denke mal, wir hatten unseren dritten und vierten Hochzeitstag völlig vergessen. Erst am späten Abend erinnerten wir uns daran.«

»Das hätte ich meinem Manne sehr übelgenommen, Rose.«

Die junge Bäuerin lachte. »Darauf hätte Michael wenig Wert gelegt!«

»So seid ihr nicht glücklich?«

Ein sonniges Lächeln glitt über Roses Gesicht. »Sehr glücklich sind wir, liebe Pucki!«

»Wenn er den Hochzeitstag vergißt? – Hat er dir schon mal ein hartes Wort gesagt – einen Vorwurf gemacht?«

»Ach, sehr oft!«

»Und dann nennst du dich glücklich?«

»Du solltest einmal hören, wie er mit der Faust auf den Tisch schlagen kann. Mitunter schilt er mich so heftig aus, daß ich zusammenschrecke.«

»Was machst du dann?«

»Mitunter schelte ich ebenso laut wieder, manchmal, wenn er recht hat, sage ich nichts dazu. Wenn wir dann wieder irgendwo gemeinsam arbeiten oder bei unseren Kindern sind, ist alles vergessen. – Ach, Pucki, wir sind zwei sehr glückliche Eheleute!«

»Rose, das verstehe ich nicht. Wenn mich mein Claus so laut ausschelten würde – ich wüßte wirklich nicht, was ich täte.«

»Gar nichts würdest du tun, Pucki. Du würdest ihm nach einer Weile zärtlich die Hand reichen und einen Kuß geben.«

»Ein Mann darf seine Frau niemals anschreien. – Ein Mann hat seine Frau zu achten, er muß ihr mit Ehrfurcht und Achtung begegnen – –«

»Ach, das tut mein Michael auch, und dein Claus macht es genau so. – Pucki, wenn man einen Mann heiratet, ist man doch seine gute Kameradin, seine Arbeitsgefährtin, man will mit ihm Freude und Leid teilen. Ist es denn so schlimm, daß er seinen Ärger einmal aus dem Herzen schreit, wenn er böse ist? Ich bilde mir ein, daß es sogar gut ist, wenn er sich einmal Luft machen kann. – Nein, Pucki, ich finde es nicht schlimm, wenn er einmal explodiert. Hinterher ist alles wieder gut.«

Nachdenklich schaute Pucki zu Boden. Welch andere Auffassung hatte doch Rose als sie von der Ehe. Pucki hielt sich von jeher klüger als die Freundin – in diesem Augenblick aber schien es ihr, als wäre Roses Einsicht richtiger. Man brauchte nicht gleich gekränkt und beleidigt zu sein, wenn der Ehemann etwas sagte, was einem nicht gefiel. Pucki schnappte immer leicht ein. Erst heute früh hatte sie Claus den Tadel wegen der Erziehung des Kindes arg verdacht. Nein, sie wollte in Zukunft Roses Methode befolgen! Im übrigen war sie von Claus noch nie angeschrien worden, auch mit der Faust hatte er niemals auf den Tisch geschlagen. – Ach ja, ihr Claus war ein herzensguter Mann, der auf seine Frau Rücksicht nahm und ihr manches nachsah.

»Du bist glücklich in der Ehe, Rose – aber ich bin auch glücklich. Unser Glück kann nicht übertroffen werden. Karlchen ist ein prächtiger und kluger Junge, und Claus sagt mir überhaupt kein böses Wort. Wir leben wie die Turteltauben! Heute morgen habe ich von Claus einen Strauß prachtvoller Rosen bekommen. Du kannst dir keine Vorstellung machen, Rose, wie glücklich wir sind.«

Rose griff nach Puckis Hand. »Ich freue mich, das zu hören, Pucki! Gerade dir wünsche ich das Allerbeste, denn ich weiß, was du für ein liebes Geschöpf bist! Dein Claus ist aber auch ein selten prächtiger Mensch.«

So verging das Beisammensein rasch. Auf Rose wartete schon wieder neue Arbeit, doch sie verrichtete sie mit strahlenden Augen. – –

Nachdenklich schob Pucki den kleinen Sportwagen vor sich her. Sie nahm sich vor, öfter einmal Rose zu besuchen, denn von ihr konnte sie manches lernen.

Beim Überqueren des Rahnsburger Marktplatzes begegnete Pucki einer Bekannten, die auch einen Kinderwagen schob. In rosa Seide und Spitzen gebettet lag ein kleines Mädchen darin, das die junge Mutter der Frau Doktor Gregor mit Stolz zeigte. Pucki warf einen verstohlenen Blick auf ihren eigenen kleinen Sportwagen, der so gar nichts von Eleganz zeigte. Man hatte beim Kauf nur auf das Praktische gesehen. Ein leichtes Gefühl des Neides stieg in ihr auf; es verstärkte sich noch, als sie wenige Schritte weiter abermals eine Bekannte traf, die sehr elegant gekleidet war.

»Ich bin überzeugt«, dachte Pucki im Weitergehen, »daß Claus erheblich mehr verdient als Frau Lohnerts Mann. Aber ich bin nicht so elegant angezogen. Unser Junge hat niemals in Seide und Spitzen gelegen. – Eigentlich gebe ich viel zu wenig auf äußere Aufmachung. Ich sollte das ändern.«

Ja – wenn sie reich wäre, wenn daheim eine Geldkiste stände, in die sie nur zu greifen brauchte! – Oder wenn sie ein eigenes Bankkonto hätte wie Carmen! Wenn die etwas brauchte, holte sie den notwendigen Betrag von der Bank. Claus besaß wohl ein Konto, doch mahnte er beständig zur Sparsamkeit, so daß Pucki oftmals Wünsche unterdrückte, weil sie einsah, daß sie nicht tragbar waren.

»Ich finde, Claus gibt zuviel für Andere aus. – Seine Einnahmen sind zu klein, manchen Kranken behandelt er überhaupt umsonst. – Claus ist viel zu gut. Er ist kein tüchtiger Geschäftsmann. Auch das müßte geändert werden. Ich muß einmal mit ihm reden.«

Wenn nur der heutige Abend nicht gestört wurde! Heute war ein Festtag, den wollten sie feiern. – Bei einem Glase Wein. Oder mit Sekt? – Da war Pucki auch schon in der Weinhandlung und erstand eine gute Flasche Schaumwein. Hinterher machte sie sich wieder Gewissensbisse: eine billigere Marke hätte auch genügt. Doch nein, heute war ein Festtag!

Für den heutigen Abend wollte sich Pucki besonders nett kleiden. Das blaue Kleid, das Claus so sehr liebte? Ach nein, sie trug es schon zwei Jahre. – Das Grüne? Das war aus einem billigen Stoff gefertigt. Wenn sie Carmen wäre, könnte sie sich jedes Jahr zwei oder drei neue Kleider kaufen. Unwillig schlug Pucki die Schranktür zu. »Ich habe eben nichts anzuziehen. Nun bleibe ich wie ich bin!«

Beim Abendessen erzählte sie von der Begegnung mit Frau Hase und Frau Lohnert. Auch auf Carmens Brief kam sie zu sprechen. Die neue Villa, die neuen Möbel! – Pucki redete sich immer mehr in Begeisterung hinein.

»Ach, Claus, wenn wir auch eine Villa hätten! Ich finde, unsere Wohnung wird reichlich eng.«

»Noch ist genügend Platz vorhanden, Pucki.«

»Ach, Claus, du bist mit allem zufrieden! Ich fände es viel netter, wenn du auch einmal hochfliegende Pläne hättest!«

»Wenn es dir Spaß macht, kleine Frau, können wir heute nach Herzenslust Luftschlösser bauen.«

»Wenn es nur Luftschlösser sind, brauchen wir nicht erst davon zu reden.«

Claus schaute seine Frau forschend an. Der Ausdruck ihres Gesichts gefiel ihm nicht. »Hat dich der elegante Kinderwagen oder die schön gekleidete Frau Lohnert verstimmt?«

»Unser Junge ist der Sohn eines allgemein beliebten und hochgeachteten Arztes und hat niemals in Seide und Spitzen gelegen«, antwortete Pucki. »Ich bin eine junge Frau, für die es ein Ereignis ist, wenn sie zur Schneiderin geht. Ein Kostüm vom Schneider besitze ich überhaupt nicht. – Ach ja, wir sind arme Leute!«

»Nein, Pucki, das sind wir nicht, wir sind sogar sehr reich! Wir sind gesund, ich verdiene gut, wir haben unseren Prachtjungen, unsere Angehörigen sind auch gesund – –«

»– und haben nur ein ganz kleines Bankkonto.«

Claus lachte belustigt. »Aha, da drückt der Schuh! – Die Villa der lieben Carmen sticht dir in die Augen. – Pucki, Geld macht nicht glücklich!«

»Und ohne Geld kann man nicht leben.«

»Du sprichst ein großes Wort gelassen aus. Wir haben aber Geld, sonst könnte meine liebe kleine Frau bestimmt keine so teure Flasche Wein kaufen. Pucki, du bist eine kleine Verschwenderin!«

»Siehst du, Claus, da haben wir's! Kaum gönne ich mir ein kleines Vergnügen, da nennst du mich eine Verschwenderin! – Carmen trinkt gewiß jeden Tag teuren Wein.«

Claus lenkte das Gespräch ab. Aber nach dem Abendessen, als er den Arm zärtlich um seine Frau legte, als beide in das kleine Zimmerchen gingen, in Puckis eigenstes Heim, das sie nach ihrem Geschmack gestaltet hatte, sagte er weich und zärtlich:

»Mag Carmen noch so reich sein, Pucki, so glücklich wie wir beide ist sie wohl kaum. Sie muß ihren Mann oft monatelang entbehren. Wenn sie sich aber entschließt, mit ihm eine der großen Seereisen zu machen, so ist sie gezwungen, sich von ihren Kindern zu trennen. Da hast du es besser.«

Sie saßen beisammen auf dem kleinen Sofa. Pucki schmiegte sich zärtlich an die Schulter ihres Gatten: »Gewiß, Claus, aber man hat Wünsche – tausend Wünsche, die immer wieder kommen und einem keine Ruhe lassen.«

»Was sind das für Wünsche, Pucki?«

»Ach, Claus, mitunter könnte ich mich schlagen!«

»Nein, mein Lieb, das dulde ich nicht.«

»Du würdest es bestimmt dulden, wenn du wüßtest, wie es in mir aussieht.«

»Dann beichte einmal. Ich glaube, heute ist der richtige Tag dafür. Drei Jahre sind wir verheiratet, und ich ahne nichts von den fürchterlichen Wünschen, die dich quälen«, sagte er lachend.

»Nein – laß nur, es ist richtiger, wenn ich ewig davon schweige.«

»Nicht so, kleine Frau! – Du brauchst mir ja nicht gleich alle Wünsche zu nennen, nur die größten.«

»Nein, Claus, reden wir von anderem!«

Da nahm Claus ihren Blondkopf zwischen beide Hände und schaute ihr tief in die Augen. »Liebe und Vertrauen gehören zu einer guten Ehe, Pucki. Daß du mich liebst, weiß ich. Es ist mir jedoch neu, zu hören, daß du kein Vertrauen zu mir hast.«

»Es sind nur dumme Wünsche, die niemals erfüllt werden können.«

»Habe Vertrauen«, klang es ernst. »Das ist unbedingt nötig! Ich würde es geradezu als Gefahr ansehen, wenn du mir gegenüber nicht mehr offen sein wolltest.«

»Claus, meine Wünsche kann niemand erfüllen.«

»So wollen wir gemeinsam beraten, wie wir der Erfüllung näher kommen. Wir werden ja sehen.«

»Nein, du hast auch einen großen Wunsch, der dir nicht in Erfüllung geht. Ich weiß, du denkst oft daran, aber unterdrückst ihn immer wieder. Warum sollte ich etwas vor dir voraushaben?«

»Pucki, ich fühle mich auch hier in Rahnsburg zufrieden.«

»Nein, ich weiß es genau. Es wurde mir auch von deinem Vater und von deinem Bruder bestätigt. Alle wissen, daß es anfangs deine Absicht war, Chirurg zu werden. Du hattest dich speziell darauf eingestellt. Man lobte dein Können, deine sichere Hand. Nach Breslau wurdest du geholt, eben weil du ein fabelhafter Operateur warst. Du hast dich später entschlossen, die Praxis von Doktor Kolbe zu übernehmen, die dir hier in Rahnsburg angeboten wurde –«

»Ja, Pucki, da ich glaubte, daß es Hedwig Sandler in Rahnsburg im Doktorhause gut gefallen würde. Außerdem bedeutet es für jeden Arzt einen Glückszufall, wenn er gleich eine gute Praxis übernehmen kann. – Und dann, kleine Frau, du kennst meine Liebe für den Wald, für die hiesige Gegend. Es war wirklich kein Opfer, den Plan, Chirurg zu werden, aufzugeben.«

»Claus, du sagst das alles nur, um mich zu trösten. Ich weiß genau, daß es für dich Freudentage sind, wenn man dich nach Holzau ins Kreiskrankenhaus ruft, um dort an einer Operation teilzunehmen. Ich weiß auch, wie gerne du alljährlich den Chirurgenkongreß besuchst und daß dein Sehnen darauf hinausgeht, irgendwo an einer chirurgischen Klinik leitender Arzt zu werden. Das alles unterdrückst du meinetwegen, da du glaubst, ich könnte nur in Rahnsburg glücklich sein.«

»Schau, schau, kleine Frau«, versuchte er zu scherzen, »ich habe nicht gewußt, daß ich von dir so scharf beobachtet werde.«

»Bewirb dich um einen Posten als Chirurg in irgendeiner Stadt, ich folge dir gern.«

»Überlassen wir das der Zukunft, Pucki! Gewiß geht mein Wunsch und Streben dahin, im Leben voranzukommen. Wir brauchen nichts zu überstürzen. Sollte es mir einmal beschieden sein – –«

»So bemühe dich um eine Änderung unserer Lage. Wir ziehen von hier fort und lassen uns in einer großen Stadt nieder. Dort haben wir Theater, Konzerte und schöne Vorträge. Also, weg von hier!«

»Pucki, ist das dein Ernst? Fort aus dieser Gegend, in der du groß geworden bist?«

»Ach, Claus«, erwiderte sie kleinlaut, »manchmal glaube ich zwar, ich müßte hierbleiben. Wenn ich den Wald nicht mehr in der Nähe hätte, wäre es schrecklich! Aber dann – zieht es mich wieder in die große Stadt. Claus, lieber Claus, mitunter weiß ich nicht, was ich will. Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust, heißt es im Faust. So ist es auch bei mir!«

»Ich glaubte, kleine, liebe Frau, du wärest mit deinem Los zufrieden.«

»Das bin ich auch! – Aber mitunter sehne ich mich nach etwas – ich weiß selbst nicht wonach. Ich möchte – möchte –«

»Was möchtest du, Pucki?«

»Ach – nichts, Claus – es ist zu dumm.«

»Meine Pucki darf auch einmal etwas Dummes sagen. – Sprich, was möchtest du?«

»Nichts –!«

»Pucki, muß ich dich zum zweiten Male daran erinnern, daß du Vertrauen zu mir haben sollst? Vergiß es zu keiner Stunde, mein Kind, daß fehlendes Vertrauen schon in vielen Fällen den Anstoß zu einer unglücklichen Ehe gab. Eine unglückliche Ehe wollen wir doch nicht führen.«

Sie umarmte ihn stürmisch. »Nein, Claus, nie – nie! Wir werden bis an unser Lebensende immer glücklich zusammen leben. Kein Familienglück der ganzen Erde soll größer sein als das unsere.«

»Du liebes, überschwengliches Kind! Nun sage mir, was du willst.«

»Manchmal bist du recht streng zu mir, Claus, gerade so, als wärst du mein Lehrer. Sehr oft tadelst du mich, und ich will es doch immer gut und richtig machen. Auch heute früh hast du mit mir gescholten. Dabei glaubte ich, dir eine Freude zu machen, wenn Karlchen mehr weiß und mehr kann als andere Kinder seines Alters.«

»Die Leiterin eines Kindergartens in Leipzig sagte einmal, daß Fräulein Sandler geradezu fabelhaftes Erziehungstalent besäße. Ich möchte dieser Leiterin nicht ganz beistimmen, Pucki. In manchem bin ich mit dir nicht zufrieden. Ich fürchte, unserem Jungen muß ich einmal den Eigensinn brechen, da seine Mutter zu nachsichtig ist.«

»Claus, es ist furchtbar schwer, dem eigenen Kinde, noch dazu einem so süßen Kind wie unserm Karlchen, etwas zu verwehren. Bei fremden Kindern ist das ganz anders.«

»Also, Pucki, du liebe, kleine Kindergärtnerin, dein Mann bittet dich dringend, unseren Karl als ein ganz gewöhnliches Kind heranwachsen zu lassen. Er braucht kein Wunderknabe zu werden, er soll sich zu einem braven Kerlchen entwickeln, das genügt! – Doch wir kommen immer wieder von deinen großen Wünschen ab.«

Pucki holte tief Atem: »Carmen hat eine Laute. Carmen schrieb mir, daß sie oft Lieder zur Laute singt. Das macht ihr viel Freude.«

Am liebsten hätte Claus laut gelacht, doch unterdrückte er diese Regung. Seine Pucki wollte Laute spielen lernen und dazu singen? Singen konnte sie überhaupt nicht. Das müßte furchtbar werden! Er schaute seine junge Frau schmunzelnd an.

»Also eine Laute willst du haben?«

»Nein! – Ich kann nicht singen, aber – Dora Niepel spielt sehr schön Klavier und hat ihre Freude daran, wenn sie am Klavier sitzt. Und Susi Straub, mit der ich in Leipzig im Seminar zusammen war, trainiert beständig. Sie will eine Kunstläuferin werden und –«

»Warum die vielen Umwege, Pucki? Willst du Schi laufen, radfahren? Oder gar Seiltänzerin werden? Ich bin auf alles gefaßt!«

Pucki legte beide Hände über die Augen. »Sieh mich nicht an, Claus, dann sage ich es dir.«

»Gut, ich bin also auf alles gefaßt. Soll ich in die Zimmerecke gehen oder hinter den Vorhang treten?«

Sie blinzelte ihn schelmisch an. Mit hellem Entzücken betrachtete er sein junges Weib. Das war immer noch die übermütige Pucki Sandler, die so listig dreinschauen konnte, die gar lieb zu schmeicheln wußte, wenn sie etwas erreichen wollte. Am liebsten hätte er sie jetzt wieder fest in die Arme geschlossen und herzlich geküßt. Glücklich war er, grenzenlos glücklich, auch wenn Pucki mitunter Fehler beging, die er ihrer Jugend zugute halten mußte. Er mußte immer rechtzeitig bremsen, damit seine wilde Pucki nicht in ihre Luftschlösser enteilte.

»Also nun los, Pucki! Ich stehe schon in der Zimmerecke, das Gesicht zur Wand gekehrt und erwarte das Furchtbare. Es muß etwas Schreckliches sein, was ich hören werde.«

»Der Vater von Hans Rogaten ist der berühmte Kunstmaler Rogaten, das weißt du. In der Schule habe ich schon immer Zeichnungen gemacht, auch im Seminar. Neulich habe ich Karlchen gezeichnet und Hans das Bild geschickt. Sein Vater war gerade bei ihm, und der – der – hat gesagt –« Pucki kamen die Worte immer hastiger von den Lippen, ihre Stimme wurde immer lauter, und schließlich schrie sie dem in der Zimmerecke stehenden Gatten zu: »›Sie hat Talent! Die könnte im Malen etwas leisten‹, hat er gesagt. Und weil ich Talent habe, möchte ich Malerin werden – So, nun ist es heraus!«

Langsam kam Claus aus der Ecke geschritten und setzte sich schweigend neben seine Frau aufs Sofa. Pucki hatte noch immer die Hände vor den Augen. Jetzt blinzelte sie den Gatten von der Seite an.

»Talent hast du«, begann Claus, »auch ich habe viele deiner kleinen Zeichnungen gesehen und mich über deine Begabung gefreut. Du willst also Malerin werden? Ich dachte, du bist Hausfrau und Mutter?«

»Ich kann vielseitig sein, Claus! Ich möchte furchtbar gern Malunterricht nehmen. Ich habe gehört, daß in Holzau ein Kunstmaler wohnt. Waltraut arbeitet doch dort im Krankenhaus. Sie erzählte es neulich. Dieser Maler soll mich als Schülerin annehmen. Ich werde hoffentlich rasche Fortschritte machen, werde schöne Bilder malen und – die werde ich verkaufen. In Zukunft werde ich also auch Geld zur Wirtschaft zugeben können. Wir werden viel Geld verdienen können! – Ich richte mir dann ein Atelier ein. Vielleicht können wir in eine große Stadt ziehen, denn dort sind mehr Ausstellungsmöglichkeiten. Du könntest Chirurg werden und ich – werde eine bekannte Malerin.«

Lachend schaute ihr Claus ins Gesicht. »Das ist wieder ganz die kleine übermütige Pucki von einst, die große Pläne mit sich herumträgt. Aber nun einmal ernsthaft, Pucki: Wenn du Freude an Malstunden hättest, ließe es sich vielleicht einrichten.«

»Claus, du lieber, bester Claus – wirklich?«

»Da es ein großer Herzenswunsch meiner Frau ist – –«

»Mein aller-allergrößter! Wenn ich Malerin werden dürfte, wäre ich überglücklich!«

»Du mußt nur ernsthaft überlegen, mein liebes Kind, wie sich das mit deinen Hausfrauen- und Mutterpflichten vereinigen läßt. Aus deinem Wunsche ersehe ich, daß du innerlich nicht vollkommen befriedigt bist und daher nach Neuem suchst.«

»Nach geistiger Anregung, Claus.«

»Der Unterricht in Holzau ist umständlich. Man fährt über eine halbe Stunde mit der Bahn.«

»Ich nehme das Auto! Ich habe ja den Führerschein!«

»Gewiß, Pucki, den hast du, aber du weißt, ich brauche das Auto sehr oft zu Krankenbesuchen.«

Pucki schmiegte sich an den Gatten. »Ach, Claus, es muß gehen! Ich will es nur jede Woche ein oder zwei Stunden haben. – Darf ich mich anmelden?«

»Vielleicht fährst du erst einmal hinüber nach Holzau und sprichst mit dem Herrn. Hier in Rahnsburg bietet sich leider keine Gelegenheit, deinen Wunsch zu erfüllen. Ich fürchte, es werden sich Schwierigkeiten ergeben.«

»Werden alle über den Haufen gerannt, Claus! Ach, Claus, wenn ich erst eine bekannte Malerin geworden bin, hast du es viel leichter! Dann bekommt auch Karlchen einen ebensolchen blauen Samtanzug wie Carmens Junge. Mit einem weißen Spitzenkragen, auf den die blonden Locken fallen! So male ich ihn dann. Ach, es wird herrlich sein!«

»Und wo bleibt Karlchen während deiner Abwesenheit?«

»Er muß in Emiliens Obhut bleiben. Emilie ist treu und gut«, erwiderte Pucki hastig.

»Wir wollen deinen Wunsch nochmals gründlich überlegen.«

Den Abend über schwärmte Pucki ihrem Manne vor, wie schön es sein würde, wenn sie erst Mitverdienerin sei, ein Atelier hätte und interessante Künstler ins Haus kämen.

Claus schwieg dazu.


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