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Heckenröslein

Es war das erstemal, daß Pucki ihrem Gatten mit voller Absicht eine Unwahrheit sagte. Für den heutigen Vormittag war der Monteur bestellt, der in der Wohnung einige Leitungen verlegen sollte. Pucki sagte dem Manne durch den Fernsprecher ab und erklärte Claus, der Monteur würde erst morgen kommen, sie müsse wichtige Besorgungen machen, sie ginge dabei auch wieder einmal zu den Eltern. Das Herz pochte ihr stürmisch bei dieser Ausrede, aber Claus hätte es nie verstanden, daß sie, um die Bekanntschaft einer interessanten Frau zu machen, nach der Kreisstadt fuhr. Hinterher fiel Pucki ein, daß es besser gewesen wäre, wenn sie gesagt hätte, zu wichtigen Weihnachtseinkäufen nach Holzau fahren zu müssen. Nun war die Lüge ausgesprochen, nun gab es kein Zurück mehr.

Noch unruhiger wurde die junge Frau, als sie auf dem Bahnhof mit Doktor Kolbe zusammentraf, der ebenfalls nach Holzau fahren wollte. Er stieg natürlich in das gleiche Abteil ein und wunderte sich über die sichtliche Verlegenheit der jungen Frau.

»Weihnachtseinkäufe«, stotterte sie, »ganz heimliche Einkäufe. Claus darf nichts davon wissen.«

Das war die zweite Lüge! Während der Zug Pucki der Kreisstadt zuführte, fiel ihr ein Ereignis aus der Kindheit ein. Die Lehrerin hatte gesagt, alles käme einmal ans Licht der Sonne. Pucki hatte es nicht glauben wollen, mußte jedoch bald erkennen, daß das Wort sich bewahrheitete. Würde auch diese Lüge einmal offenbar werden und Claus tief kränken? Warum fand sie nicht den Mut, offen davon zu sprechen, daß sie furchtbar gerne Frau Elzabel Selenko kennenlernen wollte? Der immer gütige Claus würde bestimmt dazu gelächelt und ihr die Bitte nicht abgelehnt haben.

Auf Doktor Kolbes Fragen gab Pucki zerstreute Antworten. Er erkundigte sich nach den Malstunden und wollte wissen, ob sie auch im neuen Jahre weiter zu Lars Alsen fahren würde.

»Vielleicht ist es besser, Sie schonen sich mehr, kleine Frau.«

»Die Stunden machen mir viel Freude, Herr Doktor. Lars Alsen sagt, ich habe Talent, und ein Talent darf nicht brachliegen.«

»Ihr größtes Talent besteht darin, Ihrem lieben Gatten das Heim behaglich gemacht zu haben. Sie haben einen prächtigen Mann, ein liebes Kind, und ich könnte mir eigentlich denken, daß Sie sich in Ihrer Häuslichkeit wohl genug fühlen, um nach nichts anderem mehr zu fragen.«

»Ja, ich fühle mich daheim sehr wohl.«

Pucki ärgerte sich über die Art und Weise des alten Herrn und war froh, als Holzau erreicht war. Sie lehnte die weitere Begleitung des Arztes ab und ging, obwohl sie der Weg nach der anderen Seite führte, rasch in eine Nebenstraße, nur um Doktor Kolbe loszuwerden.

Noch hatte sie eine halbe Stunde Zeit. Um elf Uhr sollte sie im Atelier sein, um die schöne Frau Elzabel kennenzulernen. Verstohlen betrachtete sich Pucki in einer Spiegelscheibe. Sie hatte sich heute besonders sorgfältig gekleidet und sah recht gut aus. Wenn sie aber an das herrliche Bild dachte, das in Alsens Atelier stand, kam sie sich geradezu ärmlich vor.

Um rechtzeitig wieder zu Hause zu sein, war sie heute gezwungen, gegen zwölf Uhr ein Auto zu nehmen, das sie zurück nach Rahnsburg brachte. Solch ein Wagen kostete zehn Mark, zehn herausgeworfene Mark, die Claus mühsam verdiente. Immer wieder gesellten sich neue Gewissensbisse zu den alten. Pucki hatte an der Bekanntschaft mit Frau Elzabel plötzlich keine rechte Freude mehr.

»Ist es nicht gleichgültig, ob ich diese Frau kenne oder nicht? Ach, wie bin ich dumm!«

Mit dem Glockenschlage elf Uhr betrat sie trotzdem das Atelier ihres Lehrers. Aus dem Nebenzimmer, in dem die Staffelei mit dem schönen Bilde stand, vernahm Pucki silberhelles Lachen.

»Frau Elzabel Selenko«, sagte sie, »sie lacht genau so, wie ich mir vorstelle, daß schöne Frauen lachen müssen.«

Lars Alsen schien Frau Doktor Gregors Kommen gehört zu haben. Er betrat das Zimmer und begrüßte sie herzlich.

»Frau Selenko freut sich auf Ihre Bekanntschaft, Frau Doktor. Bitte, treten Sie hier ein.«

Pucki sah die ausgestreckte Hand der schönen Frau nicht. Sie blickte auf die herrliche Erscheinung in der kostbaren Abendtoilette, in der Lars Alsen sie malte, auf die funkelnden Steine an Hals und Ohren, auf das prachtvolle weißblonde Haar, in dem ebenfalls Steine leuchteten. Was war das für ein purpurroter Mund! Und die weiße, zarte Haut! – Pucki wußte in diesem Augenblick, daß sie niemals eine schönere Frau gesehen hatte als diese Frau Elzabel.

Wieder vernahm sie das melodische Lachen. »Ich freue mich aufrichtig, die talentvolle Schülerin unseres Meisters kennenzulernen.«

Am liebsten hätte Pucki der Dame eine tiefe Verbeugung gemacht. Tiefes Rot überzog ihr frisches Gesicht. Ganz reizend stand ihr die Verlegenheit.

Frau Elzabels Augen ruhten freundlich auf dem jungen Gesicht.

»Was sind Sie für ein hübsches Frauchen! Meister, der Frühling ist in Ihr Atelier getreten!«

Pucki fand keine Antwort darauf. Die ganze Erscheinung der schönen Frau verwirrte sie; außerdem sah sie an der Wand einen Pelzmantel hängen, der ebenfalls ihre Aufmerksamkeit fesselte. Solch einen Pelz hatte sie einmal in Köln gesehen, auf ihrer Hochzeitsreise. Es mußte ein sehr teures Stück gewesen sein. Nun hatte Frau Elzabel einen solchen kostbaren Mantel.

»Meister, haben Sie die reizende junge Frau noch nicht gemalt?«

»Noch nicht!«

»Meister, warum lassen Sie sich so viel Anmut entgehen? Könnte ich malen, ich stellte unsere entzückende Frau Doktor Gregor in den Frühlingssonnenschein an eine blühende Hecke, die mit kleinen Röschen besät ist. Ich stellte Frau Doktor Gregor mit ihren leuchtenden Blauaugen hinein in diesen Frühling und taufte dieses Bild: Heckenröslein!«

»Ein reizender Gedanke, verehrte Frau!«

Frau Elzabel begann zu trällern: »Sah ein Knab' ein Röslein stehn, Röslein auf der Heide, war so jung und morgenschön ...«

Das Gefühl, das Pucki überkam, war ihr neu. Sie fühlte sich geschmeichelt, emporgehoben; ein erfreuter, dankbarer Blick traf die schöne Frau. Diese natürliche Freundlichkeit hatte sie nicht erwartet.

»Heckenröslein – man muß Sie liebhaben, wenn man Sie anschaut! Nun freue ich mich doppelt, daß mir der Meister Gelegenheit gab, Sie kennenzulernen.«

»Nun, Frau Doktor Gregor, habe ich es richtig gemacht?«

»Jawohl, Meister!«

Das Wort gefiel ihr; sie würde in Zukunft nur noch vom »Meister« reden, der ihr Malunterricht erteilte.

»Sie haben gewiß einige Stündchen Zeit, Heckenröslein«, begann Frau Selenko von neuem. »Wir können vielleicht gemeinsam speisen. Ich ziehe mich rasch um, dann machen wir einen kleinen Bummel durch die Stadt. Ich werde mich mit dem Hotel Hensel verbinden lassen. Man soll uns ein kleines Diner zusammenstellen. – Meister, machen Sie mir die Freude, um zwei Uhr bei Hensel zu erscheinen. Sie sind herzlichst eingeladen, Meister. Und für die kleine Frau Doktor Gregor bitte ich Herrn Referendar Kasch. Das wird ein fröhlicher Kreis werden! In einer Viertelstunde bin ich wieder hier, Heckenröslein. Bis dahin entschuldigen Sie mich, bitte!«

»Es ist mir leider nicht möglich«, sagte Pucki mit bebenden Lippen.

»Ich nehme keine Absage an, Heckenröslein! Sie werden mir doch die Freude nicht nehmen wollen. Übrigens – Sie kommen aus Rahnsburg? Ich bringe Sie gegen vier Uhr mit meinem Wagen heim.«

»Heute geht es wirklich nicht. – Es tut mir sehr leid, mein Mann weiß nicht –«

»Wir rufen ihn an.«

Pucki wurde immer bänglicher ums Herz. »Nein, es geht wirklich nicht«, stotterte sie, »gerade heute – heute – haben wir Tischgäste.«

»Das tut mir leid! Sie haben sicherlich daheim das nötige Personal. Wenn es sich nur um einen Freund des Gatten handelt – Hausfrauen müssen sich mitunter rar machen, kleine Frau. Nicht wahr, Heckenröslein? Also, speisen wir bei Hensel?«

»Nein, heute geht es nicht, es kommen mehrere Gäste. Ich habe sechs Personen zu Tisch geladen. – Es geht wirklich nicht!«

»Das tut mir aber leid! Vielleicht können wir aber in einer Konditorei noch ein Weilchen zusammenbleiben?«

»Nein, heute geht auch das nicht! Ich muß für die Gäste noch einige Besorgungen machen. Wir bekommen die Delikatessen, die ich brauche, nicht in Rahnsburg.«

»Dann helfe ich Ihnen bei den Einkäufen. Ich verstehe es, einen Nachtisch zusammenzustellen, der allen Freude macht. Also abgemacht, Heckenröslein, in einer Viertelstunde bin ich wieder bei Ihnen.«

Dann verließ Frau Elzabel das Zimmer. Sie ließ Pucki in größter Verlegenheit zurück.

»Ich habe gar keine Zeit«, stammelte sie wieder, »wirklich keine Zeit, Meister. Bestellen Sie an Frau Selenko meine ergebensten Empfehlungen, aber – –«

»Unmöglich, Frau Gregor, Sie können doch nicht fortlaufen! Nein, das gibt es nicht! Die schöne Frau Elzabel bringt Sie gewiß in ihrem Wagen nach Rahnsburg. Sie verlieren also keine Zeit. Warten Sie, ich zeige Ihnen inzwischen mein neuestes Bild. Wir machen rasch einen Rundgang durchs Atelier. Sie sollen keine Langeweile haben.«

Während Pucki sonst mit Freuden die fertigen und unfertigen Bilder Alsens betrachtete, waren ihre Gedanken heute gar nicht bei der Sache. Einkäufe mit Frau Elzabel? – – Das ging ja nicht! Frau Elzabel würde die teuersten Delikatessen aussuchen, die sie unmöglich kaufen konnte. Wozu auch? Es waren ja keine Gäste zu Hause. – Sollte sie eine plötzliche Unpäßlichkeit vorschützen? Auch das war lächerlich!

Überraschend schnell hatte sich Frau Selenko umgekleidet und stand nun in dem kostbaren Pelzmantel vor Pucki.

»Meister, ich bedaure unendlich, daß aus unserem vergnügten Essen nichts wird. – Wann haben Sie einmal Zeit, Heckenröslein? Sagen wir – am Freitag. Ja?«

»Freitag – bin ich nachmittags bei Bekannten eingeladen.«

»Am Sonnabend?«

»Da haben wir Handwerker im Hause.«

»Also am Sonntag! – Bringen Sie Ihren lieben Gatten mit.«

»Nein, Sonntag geht es nicht, da kommen die Eltern zu uns. Aber – ich gebe Bescheid. Ich würde mich sehr freuen. – Nächste Woche ganz bestimmt! Ich werde mir in der nächsten Woche nicht so viel vornehmen. Man ist in einer kleinen Stadt sehr in Anspruch genommen. Wir haben einen großen Bekanntenkreis. Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht geladen sind oder Gäste bei uns sehen.«

»Glückliches Heckenröslein! Ich langweile mich zu Tode! – Oh, ich ziehe demnächst von Holzau nach Rahnsburg und bleibe den Dezember über dort. Werden Sie mich in die Gesellschaft einführen?«

»Gern – sehr gern! Nur wollten wir – zum Wintersport fahren.«

»Herrlich! – Darf ich mich anschließen? Wie wäre es mit Schierke oder dem schönen Oberstdorf?«

»Darüber können wir später sprechen, jetzt muß ich fort.«

»Ach richtig, wir wollten ja Besorgungen machen. – Also, lieber Meister, auf Wiedersehen am Freitag!«

Unten stand der elegante Wagen. Frau Selenko nötigte Pucki, mit ihr einzusteigen.

»Um Ihnen raten zu können, Heckenröslein, müssen Sie mir sagen, was Sie Ihren Gästen heute vorsetzen. Es muß doch alles einen gewissen Zusammenhang haben. – Was geben Sie?«

Pucki schloß die Augen, lehnte sich in die weichen Kissen zurück und dachte nach. Was stand im Anhang ihres Kochbuches? Oft genug hatte sie die großen Speisenfolgen durchgelesen und mit Claus darüber gelacht, was die Leute alles in sich hineinessen, wenn sie zu einem großen Diner geladen werden.

»Fleischbrühe mit Eierklößchen und Parmesankäse. – Pastete von Makkaroni und Schinken mit Trüffelsauce. Rosenkohl und kleine gebratene Kartoffeln mit Würstchen von Schweinefleisch. Dann – dann die Nachspeise.«

Wieder erklang das silberhelle Lachen der schönen Frau.

»Sie vergessen ja die Hauptsache, meine Liebe. Das war doch erst die Einleitung. Wo bleibt der Braten?«

»Natürlich – natürlich – Rehbraten mit Mixed-pickles, und dann hinterher die Nachspeise: Eis und dann – Weiter weiß ich nicht.«

»Das Dessert. – Das werden wir sogleich kaufen.«

Der Wagen hielt vor einem Geschäft. Pucki schlug das Herz bis zum Halse hinauf. Am liebsten hätte sie nach dem eleganten Pelzmantel gegriffen und die schreckliche Frau daran zurückgehalten. Aber tapfer verbiß sie die aufsteigenden Tränen.

»Einiges habe ich schon«, sagte sie sich aufraffend. »Es fehlen nur noch Kleinigkeiten.«

Dann standen die beiden Frauen im Laden. Immer wieder wandte sich Frau Selenko an Pucki, wenn sie etwas erstanden hatte. »Es ist Ihnen doch so recht?«

Puckis weiße Lippen bewegten sich nur unmerklich. Da standen bereits eingepackt: Apfelsinen, Malagatrauben, Feigen, Mandeln, Traubenrosinen, und noch immer hatte Frau Selenko nicht genug.

»Es reicht!« rief Pucki plötzlich mit Aufbietung aller Kraft. »Was kostet es?« Sie zog die Börse.

»Nun noch etwas Konfekt und Blumenschmuck.«

»Ist in Hülle und Fülle vorhanden!«

Pucki zahlte. Vierzehn Mark kostete der Nachtisch, dieses überflüssige Obst, das Pucki zum größten Teil vor Claus verbergen mußte und nur ganz allmählich auf den Tisch bringen konnte, damit Claus die unnötige Ausgabe, vor allem aber ihre Schwindeleien nicht merkte. Nein, mit Frau Elzabel konnte sie nicht mit. Die aß gewiß alltäglich solch einen teuren Nachtisch. Freilich, sie trug ja auch einen Pelz, der Tausende gekostet haben mußte.

»Was haben Sie noch zu besorgen?«

»Nichts mehr!«

»Liebste Frau Heckenröslein, nun können wir noch in eine Konditorei gehen. Wegen solcher Kleinigkeiten diese Eile?«

»Ich muß heim! Die Hausfrau hat doch die Oberaufsicht!«

»Sie haben doch sicherlich eine perfekte Köchin oder für heute sogar einen Koch?«

»Natürlich«, stieß Pucki hervor. »Trotzdem muß ich heim.«

»Also nach Rahnsburg. Ich fahre Sie hin. – Wie geht der Weg?«

Einige Augenblicke überlegte Pucki. Wenn sie im Auto der schönen Frau fuhr, sparte sie das teure Mietsauto. Wenn aber Frau Elzabel das schlichte Doktorhaus sah, würde sie nicht glauben, daß Pucki ein solch großartiges Mittagessen gäbe. Vielleicht wollte sie dann mit in die Wohnung genommen werden, um nach dem Tafelschmuck zu sehen. Nein, es ging nicht, daß sie sich von Frau Elzabel heimfahren ließ.

»Sie sind sehr liebenswürdig, aber – ein Bekannter ist gerade in Holzau, er hat seinen Wagen hier. Ich sollte um zwölf Uhr bei ihm sein, damit wir heimfahren. Er – will mich erwarten. – Ein anderes Mal – nehme ich Ihr freundliches Anerbieten rasend gern an.«

»Das tut mir unendlich leid. – Wann sehen wir uns wieder?«

»Ich werde es dem Meister sagen.«

»Ich würde mich aufrichtig freuen, einmal mit Ihnen eine Ausfahrt in meinem Wagen machen zu können. In der hiesigen Gegend soll eine schöne Ruine stehen, die Waggerburg. Ist sie Ihnen vielleicht bekannt?«

»O ja«, erwiderte Pucki. Wie sollte sie die Waggerburg jemals vergessen können, den Ausflugsort, an dem sie als junges Mädchen einmal im Übermut zuviel Obstwein getrunken hatte. Förster Steigum war von ihr geneckt worden; als wildes Tier verkleidet hatte sie sich in den Wald gelegt und törichte Streiche ausgeführt. Die Waggerburg vergaß sie nie!

»Wenn Sie vormittags nur wenig Zeit haben, hole ich Sie nachmittags einmal ab. – Liebe Frau Heckenröslein, ich möchte Sie nicht wieder aus den Augen verlieren. Lange bleibe ich ohnehin nicht mehr in Holzau. Wenn das Bild fertiggestellt ist, werde ich weiterreisen. Ich will im Februar nach dem Süden, denn ich kann den kalten Winter nicht vertragen. – Oh, ich möchte mit Ihnen einmal zum Karneval, möchte Ihnen Nizza und die Riviera zeigen – nach Paris reisen. Ließe sich das nicht einrichten?«

»Sie sind sehr freundlich, aber ich bin Mutter.« Allen Stolz legte Pucki in dieses eine Wort.

»Wie reizend! Sie sind sehr stolz darauf, Heckenröslein?«

»Ja, sehr! Ich bin überhaupt in meiner Ehe sehr glücklich. Mein Mann trägt mich auf Händen, er liest mir jeden Wunsch an den Augen ab und überschüttet mich mit Geschenken.«

»Dann wird er seiner kleinen süßen Frau gewiß auch den Wunsch erfüllen, mit einer einsamen, alleinstehenden Frau eine Reise zu machen. Sie sind herzlichst geladen, Heckenröslein. Es ist furchtbar, immer allein durch die Welt zu fahren. – Doch darüber sprechen wir noch.«

»Ja, ja, denn jetzt muß ich fort.«

»Wo erwartet Sie Ihr Bekannter?«

Während der Fahrt durch die Straßen von Holzau hatte Pucki das Hotel Schwertfeger erspäht. So nannte sie jetzt diesen Namen. Wenige Augenblicke später hielt der Wagen vor dem Hause. Erleichtert stieg Pucki aus, nahm die Tüten in den Arm und bedankte sich nochmals bei Frau Selenko.

»Sie geben mir bald Bescheid? Ich werde jedesmal den Meister fragen«, lächelte Frau Elzabel. »Sie sind mir so sehr sympathisch, Heckenröslein, ich möchte zu gern mit einem so anmutigen Geschöpf wie Sie Freundschaft schließen. Ihr Gatte kann stolz auf Sie sein! – Und nun wünsche ich, daß der heutige Tag recht angenehm verläuft.«

»Danke – danke!«

Pucki war gezwungen, das Hotel zu betreten. Sie ging ins Frühstückszimmer und ließ sich eine Tasse Fleischbrühe geben. Wieder neue Ausgaben! Jetzt brauchte sie noch das Geld für das teure Auto nach Rahnsburg. – Es war entsetzlich! Wenn Claus davon hörte? Er würde es erfahren, denn die Sonne brachte ja alles an den Tag.

Der Kellner blickte verstohlen auf die hübsche junge Frau, die still ihre Fleischbrühe trank. Als Pucki merkte, daß sie beobachtet wurde, trank sie schnell die Brühe aus, zahlte und verließ das Hotel.

»Zehn Mark der Wagen nach Rahnsburg?« fragte sie den Autoverleiher. »Geht es nicht billiger?«

»Nein, zehn Mark ist die Taxe.«

»Gut, so fahren Sie mich nach Rahnsburg, aber rasch, ich habe Eile.«

»Wohin?«

»Bis auf den Marktplatz.« Weiter durfte sie nicht fahren. Es konnte immerhin sein, daß Claus zu Hause war. Wenn er sie im Auto kommen sah, würde er fragen, wo sie gewesen wäre.

»Ach«, weinte sie leise im Wagen vor sich hin, »er erfährt es ja doch. Ich bin eine Lügnerin, eine Verschwenderin – eine schlechte Frau und Mutter. – Was nützt es mir, wenn man mich reizend und entzückend findet? – Mein Wirtschaftsgeld habe ich für unnötigen Kram ausgegeben!«

Dann weinte sie leise ins Taschentuch. Erst kurz vor Rahnsburg versiegten ihre Tränen.


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