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Der erhobene Finger

Pucki schlug die Augen auf, es war mitten in der Nacht. Ein Traum hatte sie aus süßem Schlummer gerissen. Da Pucki stets über ihre Träume nachzudenken pflegte, weil sie sich einbildete, daß Träume etwas zu bedeuten haben, begann sie zu überlegen. Ein Gespenst hatte sie im Traum gesehen. Es war auf sie zugekommen, in einem langen, weißwallenden Gewande. Es war vor sie hingetreten, hatte langsam den rechten Arm erhoben und aus der geballten Hand einen riesig langen Zeigefinger drohend erhoben. Immer wieder bewegte sich der Zeigefinger dieses Gespenstes warnend hin und her. Dann war die Erscheinung langsam durch die Tür ins Nebenzimmer gegangen und verschwunden.

Wollte dieses Gespenst sie warnen? – Wovor? Was würde geschehen? Oder – Pucki zog rasch die Decke über den Mund, um den schweren Seufzer zu ersticken, der ihr über die Lippen kommen wollte. Noch zehn Tage waren es bis Weihnachten, und kein Geld war mehr in der Weihnachtskasse. Wie viele Einkäufe waren noch zu machen! Ob Schwager Eberhard vielleicht heute eine Antwort auf ihren Brief gab? Sie hatte ihm kürzlich in ihrer harmlosen unbekümmerten Art mitgeteilt, daß sie, in der Freude auf die Erbschaft, unvorsichtige Ausgaben gemacht hätte. Eberhard hätte noch für keine Familie zu sorgen, folglich bedeuteten die dreißigtausend Mark, die auch er erhielte, dreimal so viel für ihn als für Claus, der doch drei Personen damit zu versorgen hätte. Schließlich hatte sie dem Schwager nahegelegt, ihr schon vor dem Weihnachtsfest etwas bares Geld zur Verfügung zu stellen. Nun wartete sie seit zwei Tagen auf seine Antwort, um dann die letzten Einkäufe vornehmen zu können.

»Das Gespenst hat recht, wenn es mir droht«, dachte Pucki zerknirscht, »ich hätte den blauen Sammetanzug für Karlemann lieber nicht kaufen sollen! Ich werde auch mit dem Bilde, das ich für Claus malen wollte, nicht fertig. Ich müßte jeden Tag daran arbeiten, dazu fehlt mir die Zeit. Das Bild ähnelt auch gar nicht unserem Karlemann! Der Meister hat recht: von Genie keine Spur!«

Sorgenvoll warf sich die junge Frau auf die andere Seite. »Die Wirtschaftskasse hat zwar, aus anderen Kassen aufgefüllt, noch etwas Geld, doch was nützt das, wenn die Weihnachtskasse leer ist. – Ach, wo bleibt nur die Erbschaft!«

Pucki hatte auch erwogen, ihre Sorgen dem Schwiegervater, dem pensionierten Oberförster Gregor, der mit seiner Frau in Rotenburg wohnte, zu beichten. Doch da war gerade von seiner Frau ein Brief gekommen, in dem sie schrieb, sie freue sich über Puckis Sparsamkeit und ihre gute Wirtschaftsführung. Daraufhin war es unmöglich, daß sie von den Schwiegereltern ein wenig Geld lieh. Die gute Meinung durfte nicht zerstört werden. Es würde ohnehin nötig sein, daß sie, wenn alles ans Tageslicht kam, irgendwo Fürsprecher hatte.

Wieder warf sich Pucki im Bett unruhig auf die andere Seite. Ein Glück war es, daß es zu einem Essen im Hotel Hensel, das sie hätte bezahlen müssen, nicht gekommen war. Glücklicherweise hatte sie auch Frau Elzabel nicht wieder gesehen, denn in ihrer letzten Malstunde hatte sie vom Meister gehört, daß Frau Selenko in Kürze abreise. Pucki atmete erleichtert auf. Nun würde diese gräßliche Frau auch nicht mehr zu Claus kommen. Noch zweimal war sie bei ihm gewesen, doch hatte er niemals über diese Besuche gesprochen.

Pucki lauschte auf die Atemzüge des schlummernden Gatten. »Du hast ein gutes Ruhekissen«, dachte sie, »das gute Gewissen, ich aber liege wie auf Disteln. – Ach, ich bin eine beklagenswerte Frau!«

Am nächsten Morgen stand Pucki wieder hinter der verschlossenen Wohnzimmertür vor der Staffelei. Auf einem Kissen saß Karlchen. Er trug einen blauen Sammetanzug mit weißem Spitzenkragen und sah furchtbar niedlich aus. Auf der Staffelei war auch ein gut geratener blauer Sammetanzug zu sehen, aber das Köpfchen, das daraus hervorragte, sah dem Kinde nicht ähnlich. Außerdem verzog Karlemann dauernd das Gesicht. Bald lachte er, bald untersuchte er ernsthaft den Wollhund, kroch dann vom Kissen herunter, wurde von der Mutter wieder scheltend zurückgeholt und schmollte.

»Selbst Raffael könnte dich nicht malen«, schrie sie den kleinen Kerl an, »sitze endlich ruhig!«

Da klinkte jemand an der Tür. »Bin nicht zu sprechen!« rief Pucki.

»Ach so, Pucki, es ist Weihnachtszeit. – Der Weihnachtsmann ist wohl im Wohnzimmer. – Dein Mann möchte dich fragen, ob du in Holzau eine Besorgung zu machen hast? Die Sprechstunde ist beendet, und ich muß einen Besuch in Holzau machen. Wenn du mit mir kommen willst, mußt du dich beeilen. In einer Stunde sind wir wieder zurück.«

»Nein, ich kann heute nicht, Claus, ich habe furchtbar zu tun!«

»Ist ein Strauß abgegeben worden, Pucki?« fragte Claus durch die Tür.

Die junge Frau kam zur Tür, riegelte auf und steckte den Kopf durch den Spalt. »Ein Strauß? – Was für ein Strauß?«

»Den ich mitnehmen will, kleine Frau. – Da will ich sogleich beim Gärtner anrufen.«

Pucki schlich hinter dem Gatten her und vernahm, wie er am Fernsprecher fragte, wo der Maiglöckchenstrauß bliebe. Wenn er schon unterwegs sei, müsse er ja gleich da sein.

Hastig ging Pucki ins Zimmer. Heute war der vierzehnte Dezember. – Was war am vierzehnten Dezember gewesen? Irgendein Gedenktag? Erinnerte sich Claus an ein Ereignis aus der Brautzeit? – Vierzehnter Dezember? Er schenkte ihr Maiglöckchen, da mußte sie rasch ihr Tagebuch hervorholen und Jahr um Jahr zurückblättern, um nachher genau zu wissen, warum er ihr die Blumen überreichte.

Während sie noch in ihrem Tagebuch blätterte, kam der Strauß. Dann hörte sie die Flurtür klappen. Rasch eilte sie ans Fenster. Claus trat mit dem Strauß, der sorgsam in Seidenpapier gewickelt war, aus der Haustür, stieg ins Auto und – fuhr davon. In diesem Augenblick stand vor Puckis Augen das Gespenst mit dem drohend erhobenen Finger. Es warnte sie! Wohin fuhr Claus mit dem Strauß? – Was hatte der Meister in der letzten Stunde gesagt? Frau Elzabel werde in Kürze abreisen.

Claus fuhr nach Holzau – er brachte gewiß der schönen Frau die Blumen. War das nötig?

Puckis Lust, weiter zu malen, war verflogen. Sie kleidete Karlchen um, packte Malkasten und Staffelei zusammen und bedauerte unendlich, nicht mit nach Holzau gefahren zu sein. Sie hätte unterwegs Claus ganz vorsichtig mahnen können, sich nicht allzulange mit Frau Elzabel zu unterhalten. – Nun war Claus fort. Sie mußte in die Küche gehen, um das Essen zu bereiten.

Heute kochte Pucki mit wenig Liebe. Sie wartete ungeduldig auf die Rückkehr des Gatten. Maiglöckchen brachte er einer anderen!

»Emilie, Sie können doch jeden Traum deuten, wissen Sie auch etwas von der Blumensprache?«

»Aber freilich, Frau Doktor Gregor.«

»Was bedeuten Maiglöckchen?«

»Rote Rosen heißt: ich liebe dich; rote Nelken heißt: ich möchte dich küssen!«

»Und Maiglöckchen?«

»Das weiß ich nicht, Frau Doktor, aber das Blumenfräulein weiß es. Sie hat ein Buch, darin stehen viele Verse.«

Es ließ Pucki keine Ruhe mehr. Wenn Claus Maiglöckchen für Frau Elzabel wählte, so tat er das mit tieferer Bedeutung. Die Blumenhandlung war am Markt, in fünf Minuten konnte sie wieder zu Hause sein. Pucki beschloß, ein wenig Tannengrün zu holen und dabei das Fräulein nach der Bedeutung der Maiglöckchen zu fragen. Und da Pucki eine Frau raschen Handelns war, übertrug sie Emilie die Aufsicht über Karlchen und die Küche und eilte davon.

Zuerst machte die junge Frau im Blumenladen eine längere Einleitung, um sich nicht zu verraten. Mit großer Freude betrachtete sie die schönen Blumen, die zur Wahl standen. Dann begann sie von der Blumensprache zu reden, fragte nach diesem und jenem und wies endlich mit gleichgültigem Gesicht auf die Maiglöckchen:

»Haben diese Blumen auch eine Bedeutung?«

»Alle Blumen sagen etwas.«

»Ich möchte meiner Freundin Maiglöckchen schenken. Können Sie mir sagen, was die Maiblume bedeutet?«

Das junge Mädchen holte ein abgegriffenes Buch herbei, blätterte darin und las dann laut:

»Ich habe dich lieb, nur darf ich es dir nicht sagen,
Doch würdest du ein Sträußchen an deinem Herzen tragen,
So hoffte ich wieder und brauchte nicht zu verzagen.«

Pucki schaute sinnend vor sich nieder. Claus würde dieses Verschen wahrscheinlich nicht kennen. Er liebte nur seine Frau, nicht jene Elzabel. Vielleicht hatte sie jedoch einmal die Andeutung gemacht, daß sie Maiglöckchen ganz besonders liebe. Nun brachte Claus ihr solch einen Strauß, ohne zu ahnen, was sich daraus folgern ließ. – Das Gespenst hatte recht, es warnte sie. Oder – – konnte Claus von der Schönheit dieser Frau so hingerissen sein, daß er vielleicht – – vielleicht –« Pucki schüttelte den Kopf und warf ihn energisch zurück in den Nacken.

»Gibt es auch eine Blume, die einen Menschen warnt, ihm droht? Ich habe einmal irgendwo gelesen, daß eine Frau durch die Blume zu ihrem Manne sprach, der sie verlassen wollte.«

»O ja, die gelbe Chrysantheme.«

»Was sagt sie?« fragte Pucki neugierig.

Die Verkäuferin deklamierte mit Gefühl:

»Ich warne dich, mich zu verlassen,
Noch liebe ich dich, doch ich kann auch hassen!«

»So, so –« sagte Pucki nachdenklich.

»Gelbe Chrysanthemen werden häufig gekauft«, meinte die Verkäuferin.

»Haben Sie solche Blumen vorrätig?«

»Freilich, dort drüben stehen drei Prachtexemplare.«

»Die sind wirklich wunderschön. – Der Vers ist ja dumm, doch es ist nicht wegen des Verses, denn ich gebe nichts auf die Blumensprache. Aber diese gelben Blüten nehme ich gern mit, ich werde sie malen.«

Der Vorsatz, nichts Unnötiges mehr zu kaufen, war vergessen. Mit schwerem Herzen zahlte Pucki zwei Mark für eine Blume.

Auf dem Heimwege traf sie Rose Teck. Die Jungbäuerin von der Schmanz beklagte sich, daß Pucki gar nicht mehr zu ihr käme, ebenso fühle sich Thusnelda vernachlässigt.

»Hast du wirklich keine Zeit mehr für deine alten Freundinnen, Pucki?«

»Weihnachten bringt viel Arbeit mit sich, liebe Rose.«

»Man sagt, du fährst häufig nach Holzau hinüber. Ich habe die Leute ausgelacht, als sie erzählten, daß du Malunterricht nimmst.«

»Warum soll ich das nicht?«

»Dann mußt du gut verstehen, deine Zeit einzuteilen. Ich könnte nicht jede Woche zwei ganze Nachmittage von Hause fort sein.«

Es schien Pucki, als enthielten Roses Worte einen versteckten Vorwurf, und da sie heute ohnehin in übler Laune war, verabschiedete sie sich rasch von der Freundin, um mit der gelben Blume heimzugehen. Als der Mittagstisch gedeckt wurde, stellte sie die Chrysantheme in eine hohe Vase; sie kam neben den Teller des Gatten.

Die Mittagspost brachte zwei Briefe für Frau Gregor. Zuerst öffnete sie den des Schwagers und war recht enttäuscht, daß kein Geldschein zwischen den Blättern lag. Aber vielleicht hatte er eine Summe auf die Bank überwiesen, oder das Geld kam durch Postanweisung. Dann las sie den Brief.

Eberhard berichtete zunächst von seiner Tätigkeit als Schiffsingenieur. Er war in seinem Beruf sehr zufrieden und teilte Bruder und Schwägerin mit, daß er Weihnachten nicht bei den Eltern in Rotenburg verleben wurde, wie das geplant gewesen sei, sondern in Bremen bliebe.

»Ich bekomme nämlich Besuch von Deutsch-Amerikanern, die ich auf meiner Reise kennenlernte. Ich muß in den nächsten Tagen Verlobungsringe kaufen. Einen stecke ich Miß Mary Baeker an den Finger, den zweiten mir. Euer Eberhard beabsichtigt auch, ein eigenes Heim zu gründen. Da kommt mir die Erbschaft gerade recht. Allerdings legt Mary wenig Wert auf mein Geld, da sie eine vielfach größere Mitgift bekommt. Marys Eltern kommen mit herüber. Sie wollen uns in Bremen eine Villa kaufen, die ganz nach Marys Geschmack eingerichtet werden soll. Deine Bitte, liebe Pucki, ist gewiß nur ein Scherz. Claus wird Dir gern jeden Wunsch erfüllen, wende Dich an ihn.«

Dieses Schreiben stimmte Pucki nicht freudiger. Eberhard verlobte sich mit einer reichen Amerikanerin, und auch er bekam eine eigene Villa. Ihr Claus hatte es noch nicht so weit gebracht, obwohl er gewiß mehr arbeitete als Eberhard. Sie wollte den Brief dem Gatten an den Teller legen und abwarten, was er dazu sagte.

Ach nein, das war ja unmöglich! Ohne sein Wissen hatte sie den Schwager angeborgt. Claus würde fragen, was die Andeutungen des Bruders besagten. Aber Claus mußte von dem Inhalt dieses Briefes in Kenntnis gesetzt werden. Pucki überlegte nur wenige Sekunden, dann schnitt sie aus dem Briefe einfach die Zeilen heraus, die sich auf ihre Bitte um Geld bezogen. Wenn er fragen sollte, was das zu bedeuten hätte, dann wollte sie andeuten, daß es sich um ein Geheimnis handle. Es war ja Weihnachten.

Der zweite Brief war von Hans Rogaten, dem guten Freunde, der ihr so oft in ihren Nöten beigestanden hatte. Er war auch heute wieder sehr herzlich gehalten. Nur auf der letzten Seite schrieb er warnend:

»Kleine Pucki, Du teilst mir mit, daß Du von jetzt an täglich vor der Staffelei stehst und malst. Du wirst es doch nicht machen wie jene Frau Prell, bei der Du einstmals als Kinderfräulein warst und die durch ihre Schriftstellerei Haus und Kinder vernachlässigte. Nein, Pucki, das machst Du nicht, dazu kenne ich Dich viel zu gut. Du hast jetzt Deinen schönen Beruf als Frau und Mutter, da brauchst Du keine Malerin zu werden. Hoffentlich hat mein alter Herr mit seinem Lob nichts Schlimmes angerichtet. Wenn Du wieder einmal etwas fertig hast, so schicke es mir, damit wir feststellen können, ob Du bei Deinem Lehrer Fortschritte machst. Im übrigen bin ich nach wie vor Dein guter Freund, dem Du, neben Deinem Gatten, immer Dein Herz ausschütten kannst.«

Pucki strich sich mehrmals mit der Hand über die Stirn. Der gute, treue Rogaten meinte es ehrlich! Sie malte ja nur jetzt so emsig, um das Bild Karlchens bis zum Fest fertig zu haben. Dieses gräßliche Bild, das nicht gelingen wollte. Und doch mußte sie es zwingen! Der Meister hatte wohl recht, ohne innere Sammlung ging das Malen nicht.

Wenn sie an alle die Mahnungen der Freunde und Bekannten dachte, glaubte sie das Gespenst mit dem erhobenen Finger zu sehen. Im Frühling mußte sie ohnehin mit den Malstunden aufhören, um erst im Herbst wieder zu beginnen, doch jetzt sollte man ihr das Vergnügen lassen. Sie wollte das Bild Karlchens fertig malen, mochte in jeder Nacht ein Regiment Gespenster warnend vor ihrem Bett die Finger erheben!

Claus kehrte mittags heim und schien in bester Laune zu sein. Zärtlicher denn je drückte er seine kleine Frau ans Herz.

»Es war wohl sehr schön in Holzau?«

»Ja, liebe Frau, sehr schön!« klang es herzlich. Pucki glaubte einen besonders weichen Ton in seiner Stimme feststellen zu müssen.

»Haben die Blumen Freude gemacht?«

»Ja, Pucki, große Freude!«

»Sie waren wohl recht teuer?«

»Für diese Frau waren sie nicht zu teuer.«

»Komm zum Essen, Claus, es ist so weit.«

Er sah die schöne gelbe Blume an seinem Platz stehen. Rasch schob er die Vase seiner Frau zu.

»Nein, nein«, wehrte sie ab, »diese Blume habe ich für dich gekauft.«

»Habe herzlichen Dank, liebe kleine Frau. Hat es etwas Besonderes zu bedeuten, daß du mir heute eine Blume schenkst? Hast du eine Erinnerung hervorgekramt?«

»Blumen haben ihre Bedeutung.«

»So? – Und was bedeutet diese gelbe Chrysantheme?«

Pucki zuckte mit den Schultern.

»Kleines liebes Brummeisen, was habe ich wieder angerichtet? Ich sehe es deinem Gesicht deutlich an, daß meiner lieben Hausfrau etwas nicht paßt. – Also los, jetzt wird gebeichtet! – Was habe ich verbrochen?«

»Gar nichts. – – Im übrigen will ich dich in deinen Gedankengängen nicht stören, Claus, du magst weiter von den Maiglöckchen und von der glücklich Beschenkten träumen.«

Claus lachte los. »Aha – das also ist es! – Hättest mit mir kommen sollen, Pucki, dann hättest auch du deine helle Freude daran gehabt, wie meine kleine Aufmerksamkeit beglückte. Frau Roon drückte mir immer wieder die Hand; Tränen der Freude standen ihr in den Augen.«

»Roon? – Wer ist denn das?« sagte Pucki kleinlaut.

»Die schwerkranke junge Frau, die ich vor vierzehn Tagen mit dem Chefarzt in Holzau operierte. Erst gestern konnten wir ihr die Mitteilung machen, daß jede Gefahr behoben ist. Heute durften ihre Kinder zum ersten Male zu ihr kommen. Da brachte ich ihr die Maiglöckchen. Es sind ihre Lieblingsblumen. – So, Pucki, nun kennst du mein Geheimnis, meine Träumerei, und jetzt sagst du mir, was die gelbe Blume bedeutet.«

Pucki hatte einen roten Kopf bekommen. »Laß nur, Claus, ich bin recht dumm!«

»Das ist keine Entschuldigung! – Du, Pucki!« Claus hob warnend den Finger. Da griff Pucki heftig zu.

»Laß den dummen Finger unten, ich habe ihn heute schon oft genug gesehen.«

»Ich möchte wissen, was die gelbe Blume bedeutet.« Seine Augen blitzten übermütig. »Und wenn du es mir nicht sagst, so frage ich – bei Frau Elzabel an, die die Blumensprache kennt, wie sie mir einmal sagte.«

»Ist sie noch immer da?«

»Keine Ahnung, Pucki, aber – ich schreibe ihr. Also los, was sagt diese gelbe Blume?«

Da hockte Pucki auf der Lehne seines Stuhles, strich mit beiden Händen über seine Wangen und flüsterte ihm ganz leise ins Ohr:

»Ich warne dich, mich zu verlassen,
Noch liebe ich dich, doch ich kann auch hassen!«

Claus verbiß sich das Lachen. Er nahm die Blume, betrachtete sie lange, dann konnte er nicht länger ernst bleiben. Schallend lachte er auf und gab seiner Frau einen herzlichen Kuß. »Pucki bleibt Pucki, selbst mit dreiundzwanzig Jahren. Dich werden sie noch als den kleinen Puck begraben! – Also hassen kannst du auch? Pucki, ich fürchte mich vor dir! – Na, komm, wir wollen die schöne Blume ins Wohnzimmer tragen, damit sie mir warnend vor Augen steht.«

Pucki sagte nichts mehr. Sie schämte sich und schwur sich hoch und heilig, nie wieder an der Treue ihres Gatten zu zweifeln. Endlich fiel ihr Eberhards Brief ein, der lenkte ab.

»Hier ist ein Brief von Eberhard. – Ach ja, der hat es gut, der bekommt eine Villa und eine reiche Frau!«

Mit größter Anteilnahme las Claus den Brief des Bruders. Er freute sich aufrichtig an dessen Glück.

»Was ist denn das hier, Pucki?« Claus wies auf das zerschnittene Blatt.

»Mein Geheimnis«, erwiderte Pucki trocken.

»Ich finde, bei uns rumort der Weihnachtsmann in allen Ecken. Das wird ja ein fabelhaftes Fest werden. Verschlossene Türen, zerschnittene Briefe, geheimnisvolle Fahrten nach Holzau – –«

»Claus – wie meinst du das?«

»Ich habe davon gehört, kleine Frau.«

»Das habe ich mir gedacht, das hat dir die schöne Frau Elzabel gesagt! Ein Glück, daß sie abfährt! – Ach, Claus, wenn wir erst die Erbschaft bekommen haben, sage ich dir alles, dann ist alles wieder gut.«

»Kannst du mir nicht alles schon eher sagen, mein Kind?«

Sie schüttelte so heftig den Kopf, daß ihr die blonden Locken ins Gesicht flogen. »Nein, jetzt noch nicht, aber ich schwöre dir, daß es später wieder sein wird wie einst. Nur lasse mir Zeit.«

»Da bleibt mir also nichts weiter übrig, als ruhig abzuwarten. – Pucki, habe Vertrauen!« Wieder ging der Zeigefinger warnend in die Höhe.

»Schweige still, du Gespenst!« Damit lief Pucki aus dem Zimmer.


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