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Pommerle begegnet der Waldhexe

»Darf ich wirklich, liebe Tante?«

Pommerle lehnte in den Armen von Frau Bender und schaute mit strahlendem Gesicht zu ihr auf.

»Freilich, du darfst! Wenn Käte und Elli mitgehen, und wenn auch noch andere Kinder mit dabei sind, schicke ich dich ruhig in den Wald, damit du Blaubeeren pflücken kannst. Aber ihr dürft nicht zu weit gehen. Es gibt auch vorn eine ganze Menge Beeren. Zum Kaffeetrinken bist du wieder zurück.«

Pommerle stieß laute Rufe des Entzückens aus. So manchesmal war das Kind schon im Walde gewesen und hatte mit Tante Berta oder dem Vater Blaubeeren gesammelt. Nun durfte sie heute wieder dieses große Vergnügen haben; sie wollte für den Onkel und die Tante Blaubeeren suchen, bekam einen kleinen, blitzenden Eimer, – ach, war das eine Freude!

Draußen standen Käte und Elli, beide hatten große Gefäße, denn sie suchten Beeren für die Badegäste. Da sich auch noch mehrere andere Kinder angeschlossen hatten, hegten Benders keine Bedenken, ihr Pommerle für eine Stunde mit in den Wald zu schicken.

»Du bist schon ein großes Mädchen, Käte,« sagte Frau Bender zu der Zwölfjährigen, »du wirst achtgeben, daß ihr nicht zu tief in den Wald hineingeht. Ich kann mich doch auf dich verlassen?«

»Ich passe schon auf, Frau Pommerle.«

Herr und Frau Professor Bender hießen bei den Kindern nur noch Herr und Frau Pommerle, denn für sie war es gar zu rätselhaft, warum Hanna Ströde plötzlich einen anderen Namen bekommen hatte.

Der kleine Trupp setzte sich in Bewegung. Frau Bender schaute den Kindern lächelnd nach, Pommerle drehte sich noch mehrfach um und schwenkte den kleinen Eimer als herzlichen Gruß in der Luft. Der Wald lag im Rücken der Neuendorfer Häuser und zog sich längs der Küste bis nach dem großen Seebade Misdroy hin. Soweit würden die Kinder natürlich nicht laufen, da Frau Bender Pommerle in spätestens zwei Stunden zurück erwartete.

Auch Herbert Affmann und dessen Bruder Kuno schlossen sich den Mädchen an. Dann ging es lärmend hinein in den Wald, um nach den besten Stellen Ausschau zu halten.

»Ich weiß einen Weg, an dem stehen Tausende von Blaubeeren,« sagte Herbert. »Kommt 'mal alle mit!«

Folgsam marschierte die kleine Schar hinter dem vorangehenden Knaben her. Man fand auch bald eine sonnige Waldlichtung, auf der die Sträucher voller Beeren hingen.

Mit Eifer begann das Pflücken. Pommerle war vielleicht das einzige Mädchen, das sorgsam jede Beere in das kleine Eimerchen warf. Die anderen Kinder aßen sich erst gründlich an den Früchten des Waldes satt. So kam es, daß der Eimer der Kleinen bereits bis zur Hälfte gefüllt war, während die anderen kaum etwas hatten.

Herbert Affmann machte von Zeit zu Zeit eine Streife, schaute den Mädchen in die Behälter und staunte über Pommerles Fleiß.

»Laß 'mal sehen!«

Vertrauensvoll reichte ihm das Kind den kleinen Eimer. Hastig griff Herbert hinein und nahm sich eine Handvoll blauer Beeren heraus, die er in den Mund schob.

Da kochte in Pommerle der Zorn hoch. »Häßlicher Junge,« rief es, »immerzu mußt du essen! Der Napfkuchen war mein Geburtstagsgeschenk, du hast so viel davon gegessen, daß ich es gar nicht mehr gerne geben wollte. – Jetzt nimmst du mir auch noch die Beeren. Pflück doch selber!«

Aber diese Strafpredigt machte auf Herbert nicht den geringsten Eindruck; lachend lief er davon.

Da rief eines der mitgegangenen Mädchen von einer kleinen Anhöhe her, daß hier oben ein gutes Feld wäre. Eilig sprang Pommerle hin, denn es wollte sein Eimerchen gefüllt heimbringen.

Die Kleine pflückte eifrig. Sie bemerkte es nicht, daß sie sich mehr und mehr von den anderen Kindern entfernte, doch die blauen Beeren lockten und lockten, und Pommerle freute sich über jeden Strauch, den es voll reifer Beeren sah. Das Eimerchen war fast gefüllt, da schaute sich das Kind um.

Es war niemand von den anderen Kindern mehr zu sehen. Obwohl Pommerle jetzt ganz allein mitten im Walde stand, wurde ihm zunächst nicht bange, denn es glaubte, daß es bald die anderen Gefährten wiederfinden werde. So ging das Kind geradenwegs durch die Sträucher hindurch, fand einen kleinen Weg; doch hatte es sich in der Richtung geirrt. Auf sein lautes Rufen erfolgte keine Antwort.

Das kleine Herzchen begann bänglich zu schlagen. Kuno und Herbert Affmann hatten auf dem Wege zum Walde schlimme Geschichten von der Waldhexe erzählt. Das war eine böse Frau, die in einer Höhle wohnte. Alle die dicken Bäume, die im Walde standen, waren verzauberte Frauen, die der Hexe ein böses Wort gesagt hatten. Die Hexe hatte einen Besenstiel, auf dem ritt sie durch den Wald und flog damit hoch über die Bäume.

Aber das Schlimmste war der Giftzahn. Es sollte ein großer Zahn sein, der aus dem Riesenrachen der Frau lang hervorstand. Und wer diesen Zahn sah, war schon vergiftet; denn wenn die Waldhexe sprach, kam aus dem Zahn lauter giftiges Wasser hervor, und wenn der andere von diesem Wasser bespritzt wurde, mußte er sterben oder wurde in einen Baum verwandelt.

An diese schrecklichen Erzählungen dachte Pommerle, als es hastig weiterlief. Von Zeit zu Zeit blieb es stehen und rief laut nach Elli und Käte.

Was war das? – – Dort lag ein Baum quer über den Weg, und darunter war ein großes Loch. – Sollte das die Wohnung der Waldhexe sein? Pommerle drehte sich hastig um und lief den Weg wieder zurück, den es gekommen war.

An einer Wegbiegung aber blieb das Kind wie versteinert stehen. Dort zwischen den hohen Tannen stand die Waldhexe. –

Pommerle wollte rufen, aber die Stimme versagte ihm. Die Hexe hatte das Kind bereits gesehen, denn sie richtete sich aus ihrer gebeugten Stellung langsam auf.

»Elli – Elli – –« klang es in höchster Angst.

»Nu, lütte Deern, hast dich wohl verlaufen?«

Pommerle fühlte bereits die Zaubergewalt der Waldhexe. Jetzt würde es selbst ein Baum werden. Arme und Beine wurden ordentlich steif. Dabei kam die Hexe langsam immer näher. Die angstgeweiteten Augen des Kindes blickten auf das Ungeheuer des Waldes. Die Hexe hatte ein zerknittertes Gesicht, rechts und links über die Ohren hingen graue Haarsträhnen; in der Hand hielt sie den gefürchteten Besenstiel und – – jetzt öffnete die Alte wieder den Mund – – Pommerle sah den fürchterlichen Giftzahn.

Eigentlich hatte Pommerle geglaubt, daß der Zahn viel länger wäre; aber das wußte der Herbert nicht so genau. Jedenfalls war in dem Munde nur ein einziger großer Zahn, und der war giftig. Wenn jetzt das giftige Wasser aus dem Munde kam, würde das Kind ein kleiner Tannenbaum werden oder vielleicht nur ein Wacholderstrauch.

Der gefüllte Eimer entfiel den Händen des Kindes, die Beeren streuten sich auf dem Waldboden aus, dann sank Pommerle in die Knie, faltete die kleinen Händchen und schaute dabei verängstigt die Waldhexe an.

»Du hast wohl Angst vor mir?« sagte die alte Frau stehenbleibend. »Brauchst dich nicht zu fürchten, mein Kind!«

Pommerles zitternde Knie wühlten sich immer tiefer in die gepflückten Beeren hinein. Wie ein Häschen hockte das Kind darin, so daß auch die Hände über und über mit dem Saft der Beeren beschmutzt wurden.

»Bin doch die alte Rehlen; aber dich kenn' ich nicht, mein Kind.«

Regungslos hockte Pommerle noch immer auf dem Waldboden.

»Hast du Beeren gepflückt?«

An einer Wegbiegung aber blieb das Kind wie versteinert stehen. Dort zwischen den hohen Tannen stand die Waldhexe.

Pommerle wollte etwas antworten, die Tante hatte ihm gesagt, man müsse zu allen Menschen freundlich sein.

»Jawohl, gnädige Frau.«

Die Alte lachte. »Ich bin keine gnädige Frau, ich bin die Muhme Rehlen, die sich Holz sucht. Aber bist du denn ganz allein im Walde, lütte Deern?«

Die starren Augen der Kleinen ruhten noch immer auf der Waldhexe. Oh, Pommerle ließ sich nicht täuschen.

»Wo willst du denn hin?«

»Nach Neuendorf.«

»Dann bist du auf dem falschen Wege, Kleine. Komm mit mir, ich will dir den rechten Weg zeigen.«

»Oh – danke verbindlichst – – ich weiß schon – – Ihr Besuch war mir sehr angenehm – – gnädige Frau – –«

Damit hatte sich Pommerle aufgerafft und lief davon, so schnell die kleinen Füße laufen konnten.

»Mä–chen – – Määä–chen, da geht es nicht nach Neuendorf!«

Aber Pommerle wollte nicht hören. Erst als die Alte außer Sehweite war, blieb es stehen und schöpfte tief Atem. – Das war noch einmal gut abgelaufen; Pommerle hatte kein Baum zu werden brauchen, der Giftzahn hatte nicht gewirkt. Das kleine Mädchen schüttelte sich vor Entsetzen, wenn es an die Alte mit dem Besenstiel dachte. – Ein richtiger Besenstiel war es nicht, wie Herbert gesagt hatte, es war ein krummer, großer Ast.

Allmählich wurde Pommerle wieder ruhiger. Der Wald war ihm fremd, hier war man vorhin nicht gegangen. Ob Neuendorf wirklich nach jener Gegend zu lag, wohin die Hexe gewiesen hatte? Aber dann würde es wieder an der alten Frau vorüber müssen.

Das Kind eilte voller Angst wieder rückwärts. Von der Waldhexe war nichts mehr zu sehen. Sie war wohl längst durch die Luft davongeritten? Da wagte Pommerle neues Rufen, es lief und lief immer weiter, und plötzlich vernahm es eine helle Kinderstimme, die von weit links herübertönte.

»Elli – Elli – – Käte – – Herbert!«

Ja – eine Antwort kam, das waren die Freundinnen. Pommerle hatte sie gefunden. Jetzt ging es mitten durch den Wald, den Tönen nach, bis Pommerle als ersten Herbert Affmann erblickte.

Das Kind stolperte, stürzte – es war ihm einerlei, nur rasch hin zu den anderen, dort war man in Sicherheit.

»Ach – – wie siehst du denn aus!« Das war das erste, was Herbert der Dahereilenden zurief.

Aber Pommerle hatte auch jetzt noch keine Zeit, auf sich selbst zu achten, es merkte nicht, daß die hellen Strümpfe rötlich gefärbt waren, und daß auch das Kleidchen große Flecke von zerdrückten Blaubeeren aufwies. Dazu die beschmutzten Hände – kurzum, Pommerle bot einen jämmerlichen Anblick.

»Die Hexe – –«, stieß das Kind atemlos hervor.

»Die Hexe – –«, erschallte es von allen Seiten.

»Ja – dort ist sie – ich habe sie gesehen!«

Jeder griff nach seinem Korbe, nach dem Eimer, und nun begann eine wilde Jagd. Herbert war der Feigste, er lief allen voran und kümmerte sich nicht um die Mädchen, die ihm schreiend folgten.

Als das erste Haus des Dorfes in Sicht kam, hielt die wilde Jagd inne.

»Wo hast du sie denn gesehen?« fragte Herbert.

»Auf einmal war sie da,« sagte Pommerle, noch keuchend vom schnellen Laufen. »Sie hat zu mir gesprochen und gefragt, wer ich bin.«

»Hat sie dich angepustet?«

»Ich war sehr freundlich zu ihr. – Sie wollte mich mitnehmen.«

»Dann hätte sie dich in ihre Höhle geschleppt und dich verzaubert.«

»Pah –«, meinte Herbert. »Wenn mir 'mal die Waldhexe begegnete, der wollte ich's geben. – Ich würde mir 'nen Knüppel abbrechen, damit schlüge ich der Alten den Giftzahn aus.«

»Warum bist du denn dann mit uns davongelaufen?« fragte Pommerle entrüstet.

»Ich bin ja gar nicht davongelaufen. Ich wollte mir nur 'nen Stock holen.« Bei diesen Worten brach sich Herbert einen trockenen Ast ab und schwang ihn hoch in der Luft. »Heute abend gehe ich sie suchen.«

Käte Götsch lachte. »Wenn du schon am Tage fortläufst, gehst du am Abend überhaupt nicht in den Wald.«

»Na ob!« meinte er. »Aber jetzt ist es Zeit, daß wir heimgehen.«

Plötzlich blieb er suchend stehen, immer verstörter wurde der Ausdruck seines Gesichtes.

»Wir wollen gehen,« drängte Pommerle.

»Jetzt hab' ich – – nu so was – – jetzt hab' ich den großen Korb stehen lassen, der schon halb voll war. – – Wer geht zurück und holt den Korb?«

»Geh nur selber,« riefen die Kinder.

»Ich kann doch den Korb mit den Blaubeeren nicht im Walde stehen lassen. Pommerle ist schuld daran. – Jetzt geh und hole den Korb!«

»O nein,« erwiderte das Kind, »dann kommt wieder die Waldhexe.«

Herrisch verlangte der Knabe von den Mädchen, daß zwei zurückgingen, um den Korb zu holen; doch stieß er auf heftigen Widerspruch.

»Wir fürchten uns!«

»Nun, wenn wir alle gingen,« meinte Käte, »wird uns die Hexe vielleicht nichts tun.«

»Ja, gehen wir alle zurück,« meinte Herbert kleinlaut, »es ist ja nicht weit, und wir haben noch viel Zeit.«

Grete Bauer und Pommerle wollten nicht.

»So kommt doch,« drängte Herbert, »ich füll' dir auch deinen leeren Eimer voll Beeren. Du bringst sonst der Tante gar nichts mit. Man lacht dich ja aus. – Also komm!«

Pommerle schaute traurig in den leeren Eimer.

»Füllst du ihn mir ganz voll?«

»Ganz voll, daß er überläuft.«

Das kleine Mädchen kämpfte einen schweren Kampf, dann atmete es tief auf. »Nun ja – – aber, wenn die Waldhexe wiederkommt?«

Schritt für Schritt, scheu nach allen Seiten sehend, ging die kleine Schar wieder in den Wald zurück. Wenn es irgendwo in dem Gebüsch knackte, schraken alle zusammen und blieben wie gebannt stehen. Je tiefer man in den Wald hineinkam, um so zögernder ging es vorwärts. – Plötzlich machte Herbert halt.

»Ihr Mädchen geht jetzt dort hinauf auf die Anhöhe, ich glaube, dort oben steht er. Kuno und Käthe bleiben hier.«

»Kommt doch lieber mit,« rief Pommerle.

»Du bekommst keine einzige Beere, wenn du nicht gehst!« schrie Herbert das Pommerle an. So entschloß sich das Kind, mit vier anderen die kleine Anhöhe hinaufzusteigen, um den vergessenen Korb zu holen.

Es waren angstvolle Augenblicke. Schließlich wurde der Korb gefunden. Folgsam brachten ihn die Kinder zurück, und Pommerle verlangte den versprochenen Lohn.

»Hier nicht,« sagte Herbert, »den gebe ich dir kurz vor dem Dorfe. Nun kommt!«

Man ging wieder zurück. Während der Wanderung berichtete Herbert neue schreckliche Geschichten von der Waldhexe. Schließlich erzählte er, daß er ihr schon einmal begegnet sei, er habe ihr gedroht, da sei sie davongelaufen. Die Kinder glaubten es ihm nicht und verlachten ihn noch obendrein wegen seiner Prahlerei.

Aber auch Hanna Ströde bekam allerlei spöttische Reden zu hören.

»Du bist wohl in die Tinte gefallen?«

Pommerle stand da und blickte fassungslos an sich herunter. Die Tante hatte gesagt, es solle das Kleidchen schonen, und jetzt war es verdorben, sogar das weiße Unterröckchen wies häßliche Blaubeerflecke auf.

»Daran ist die Waldhexe schuld,« sagte Pommerle jammernd, »ich hatte doch solche große Angst.«

Die Tränen rannen dem Kinde über das Gesicht, aber Pommerle wollte nicht weinen und wischte sich mit den Blaubeerfingern die Augen aus. Es lief den anderen Kindern voran, weil es die Tränen nicht zeigen wollte, doch sie flossen immer reichlicher; und da Pommerle auch das Taschentuch im Walde verloren hatte, mußten die Händchen eben herhalten. Aber schon fiel ihm wieder der leere Eimer ein. Es blieb stehen und wartete auf Herbert.

»Jetzt gib mir die versprochenen Beeren. Der Eimer soll voll sein, bis er überläuft. Das hast du gesagt.«

»Na, dann gib her!« Herbert setzte sich hinter einen Busch, nahm Pommerles Eimer und reichte ihn wenige Augenblicke später dem Kinde wieder zurück. Er war tatsächlich bis oben hin mit Beeren gefüllt.

Die Tränen der Kleinen waren versiegt, stolz hielt Pommerle den Eimer in den Händen und begriff nicht, daß die Dorfleute, denen man begegnete, voller Erstaunen oder mit lautem Lachen auf Pommerle zeigten. Auch Badegäste traf man, und Pommerle hörte die Worte:

»Seht 'mal, Kinder, das kleine Ferkel!«

Pommerle hatte keine Ahnung, daß es tatsächlich damit gemeint war, denn nicht nur das Kleid, jetzt war auch das Gesicht beschmutzt; Pommerle sah wirklich erschreckend aus.

Es trennte sich hastig von seinen Gefährten und eilte heim. Schon als es den Vorgarten betrat, jauchzte es Benders entgegen:

»Tante – Onkel, Pommerle ist artig und kommt zurück! – Oh, es hat viele Beeren und hat die Waldhexe mit dem Giftzahn gesehen!«

Frau Bender öffnete die Tür und schlug die Hände zusammen.

»Pommerle! – –«

Das schmutzige Kindergesicht strahlte ihr entgegen. Das Kind wollte mit beiden Händen die Tante umfassen, aber Frau Bender wich entsetzt zurück.

»Der kleine Schmutzfink soll mein artiges Pommerle sein?«

Der Blondkopf senkte sich beschämt. Sorgsam stellte Pommerle seinen Eimer nieder, sah auf Kleidchen und Strümpfe und sagte dann stockend:

»Die Waldhexe ist schuld daran. – – O Tante, ich habe die schreckliche Waldhexe gesehen!«

»Ich will jetzt nichts davon hören, mein Kind, jetzt geh und ziehe dich aus, wasche dich gründlich, dann erst darfst du wieder zu mir kommen.«

Niedergeschlagen ging das Kind in sein Stübchen. Als es aber in den kleinen Spiegel sah, schrak Pommerle vor sich selbst zusammen.

»Oh,« sagte es schaudernd, »die Hexe hat mich wohl doch bespritzt! Pfui – wie sieht Pommerle aus!«

Das Kleid wurde ausgezogen, auch Schuhe und Strümpfe. Pommerle bemerkte, daß auch die Beine Blaubeerflecke aufwiesen. Da goß es die Wasserschüssel voller Wasser, nahm den Seifenlappen und rieb mit der Seife so lange darauf herum, bis der Lappen steif war. – Damit wurden die Beinchen abgescheuert.

Eben war Pommerle im Begriff, mit dem Seifenlappen ins Gesicht zu fahren, als Frau Bender das Zimmer betrat.

»Sie ist noch nicht sauber,« rief ihr das Kind entgegen, »aber gleich wird es so weit sein!«

»In dem schmutzigen Wasser willst du das Gesicht waschen, mein Kind?«

Pommerle fühlte sich wie ein ertappter Sünder. Das Gesicht kam doch immer zuerst an die Reihe. Frau Bender goß die Waschschüssel aus, füllte sie mit neuem Wasser, und abermals begann Pommerle mit dem kräftig eingeseiften Lappen das Gesicht zu bearbeiten. Es war nicht so einfach, von den Händen die Beerenfarbe abzubekommen, aber Pommerle wußte sich Rat. Unten im Hofe lag viel Sand. Das Kind holte sich eine Handvoll herein und begann die Hände damit zu bearbeiten.

Frau Bender war wieder hinausgegangen; sie wußte nicht recht, ob sie Pommerle strafen sollte. Erst wollte sie hören, was sich im Walde ereignet hatte. Hanna war sonst ein sauberes Mädchen, das seine Sachen in acht nahm.

Währenddessen zog sich Pommerle um und fand, daß es jetzt wieder recht schön aussah. Wenn es nun der Tante die Blaubeeren brachte, würde diese gewiß nicht böse sein.

Mit einem bänglichen Gefühl betrat das Kind das Zimmer und schaute unsicher auf die Tante.

»Nun ist das Pommerle wieder sauber, liebe Tante. – O je, war das schlimm – – die Waldhexe war da und wollte mich verzaubern. So einen großen Giftzahn hat sie gehabt! – Tante, beißen kann sie wohl nicht mit dem einen Zahn?«

»Nun erzähle einmal vernünftig. – Warum hast du dich so schmutzig gemacht, mein Kind?«

Pommerle berichtete alles. All seine ausgestandene Furcht kam nochmals zum Durchbruch, als es seine heutigen Erlebnisse schilderte.

»Und einen Besenstiel hat sie auch gehabt, aber in die Luft ist sie nicht damit geflogen – erst später, als ich weg war. – Mitnehmen wollte sie mich, sicherlich wollte sie mich braten. – Da habe ich gebetet, und dabei bin ich so blau geworden.«

Frau Bender sah ein, daß Pommerle in Aufregung und Angst alle Vorsicht beiseite gelassen hatte. An die Waldhexe glaubte sie natürlich nicht. Jene Alte war gewiß eine Holzsammlerin gewesen, die es gut mit dem Kinde gemeint hatte.

»Du hättest dich nicht zu fürchten brauchen, kleines Pommerle, es war ganz gewiß keine Waldhexe – –«

»Oh, liebe Tante,« das Kind sprang erregt auf, »es war die richtige Waldhexe mit dem Giftzahn. – Richtige Menschen haben keinen solchen Zahn. – So – hat er aus dem Munde herausgesehen, und wenn sie ihr großes Maul weit aufmachte, war es darin schwarz wie in der Hölle.«

»So darfst du nicht reden, kleines Pommerle, es gibt keine Hexen im Walde.«

»Meinst du wirklich?«

»Ich weiß es genau, Pommerle.«

»Tante,« sagte das Kind nachdenklich, »wenn du die Frau gesehen haben würdest, würdest du auch glauben, daß es Hexen gibt. – Es war schrecklich!«

»Und nun bringst du einen ganzen Eimer voll Beeren mit.«

»Ja, Tante.«

»Dann wollen wir sie gleich in eine Schüssel schütten.«

Es kollerten etwa drei Hände voll Beeren heraus, dann aber war in den Eimer ein großes, schmutziges Taschentuch gestopft.

»Pfui!« rief Frau Bender entrüstet.

»Jetzt hau' ich ihn durch,« rief Pommerle empört, indem zorniges Rot in das Kindergesicht stieg. »Das war der Herbert! Jetzt kriegt er Keile!«

»Du bleibst hier, Pommerle!«

»Nun ist das Pommerle wieder sauber, liebe Tante.«

Frau Bender hob das Taschentuch mit zwei Fingern empor und legte es zurück in den Eimer.

»Wir werden dem Herbert das Taschentuch zurückschicken, aber schlagen brauchst du ihn deshalb nicht. – Er soll sich schämen, daß er so unehrlich ist.«

»Weißt du, Tante, was ich wünsche? Daß ihn die Waldhexe mit dem Giftzahn anspuckt.«


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