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Die Anhänger Krenkows befanden sich in einer schwierigen Lage. Sie, die damals, als die Operation des Prinzen glänzend geglückt war, auf Krenkow schworen, mußten allmählich einsehen, daß wohl doch nur ein eigentümlicher Glückszufall gewaltet zu haben schien. Alle die kommenden Versuche, die Krenkow an seinen Patienten vornahm, hatten bisher nicht den geringsten Erfolg gezeitigt, im Gegenteil, man begann bereits heftige Anschuldigungen gegen Doktor Krenkow zu erheben, der seine ganze Behandlung auf Grund einer falschen Diagnose aufbaute. Seine Kollegen rieten ihm zur Vorsicht, aber mit spöttischem Lächeln tat Krenkow sie ab. Er ging weiter auf der Bahn, die ihm die einzig richtige schien, und nahm mit Freuden die Gelegenheit wahr, in einem großen öffentlichen Vortrage seine Methode klarzulegen. Von weither hatten sich Aerzte dazu eingefunden, auch Professor Gervinus war unter den Zuhörern. Anfänglich lauschte man interessiert den Ausführungen des jungen Kollegen, dann kam das Kopfschütteln und schließlich setzte eine so lebhafte Diskussion ein, die sich bis zum Hitzegrade steigerte. Man warf Doktor Krenkow Leichtsinn vor und griff ihn geradezu an.
Natürlich wurde er in der Oeffentlichkeit noch geschont. Die Angriffe blieben vorerst in der medizinischen Welt, aber trotzdem sickerte langsam etwas durch, und da in der Klinik Todesfall auf Todesfall eintrat, beschäftigte man sich öffentlich mit seiner Methode. Noch immer fand er Freunde, die ihn ernstlich warnten, aber in Krenkow war eine geradezu fanatische Gier erwacht, der Welt zu zeigen, daß er im Recht sei. Er arbeitete Tag und Nacht an einem Werk, das, als es in kürzester Zeit herauskam, einen Sturm hervorrief. Da bemächtigte sich auch die Aerztekammer der Angelegenheit und warnte Doktor Krenkow auf das dringlichste.
Das verbitterte den jungen Arzt. Eine ganze Weile verweigerte er überhaupt jede Behandlung. Rasend war er, wenn Angriffe in den Zeitschriften erfolgten, die ihm schlagend bewiesen, daß er auf falscher Fährte sei. Das einzige was ihn noch deckte, war die Gunst des Hofes und besonders der Prinz hielt die Hände schützend über seinen Operateur. Das gab Krenkow wieder Mut und obwohl er sah, daß kaum einer mehr Vertrauen zu ihm und seiner Behandlung hatte, blieb er trotzig bei seinen Behauptungen.
Auch Professor Gervinus hatte wieder zur Feder gegriffen, hatte alle seine Beredsamkeit und sein Wissen aufgeboten, um Lothar in milden Worten zurückzuführen. Aber gerade diese Artikel, die Lothar als richtig anerkennen mußte, erzürnten ihn so, daß er gegen besseres Wissen und gegen seine eigene Ueberzeugung erneute Angriffe ausstieß.
Es dauerte nicht lange, so begann man über den eigensinnigen Starrkopf zu lachen; ein Witzblatt riß ihn herab. Das war wie ein Signal. Krenkow wurde von heute auf morgen zu einer komischen Person gestempelt. In Aerztekreisen hielt man nicht mehr mit der offeriert Meinung zurück, daß er reif für's Irrenhaus.
Als Lothar erfuhr, daß man alle seine Forschungen nicht mehr ernst nahm, daß man ihn kaltblütig für erledigt betrachtete, raste er förmlich. Seine Artikel, die er jetzt niederschrieb, strotzten förmlich vor Beleidigungen und haltlosen Behauptungen, aber nicht ein einziges Blatt fand sich mehr, das die Arbeiten zur Veröffentlichung annahm. Da ließ er auf eigene Kosten Broschüren drucken und die Folge davon war, daß ihm die Aerztekammer ein weiteres Vorgehen in der Weise untersagte. Lothar aber verlachte die Warnung, stürmischer denn je wurden die Schmähungen und erst als ihm der Bescheid zuging, daß ihm die Aerztekammer den Doktortitel aberkannte, erwachte er aus seiner Raserei. Immer wieder las er das Schreiben durch und begriff kaum, was man ihm damit angetan hatte. Das also war das Ende seiner ruhmvoll begonnenen Laufbahn. Er war ein Geächteter, ein Ausgestoßener aus dem Kreise der Kollegen, einer, über den die Gutmütigen lächelnd hinwegsahen, den die anderen verächtlich von sich stießen. Erst gebärdete er sich wie ein Verzweifelter, dann sank er gebrochen in sich zusammen. Jetzt verlangte er nach Wanda. Warum hatte sie sich so lange nicht bei ihm sehen lassen? Er schrieb ihr einen flehenden Brief und als sie dann kam, stürzte er ihr fast entgegen und preßte sie wild an sich.
»Jetzt mußt du mir helfen, ober ich verliere mich ganz.«
Sie wehrte den Stürmischen ungeduldig ab und zog statt aller Antwort ein Blatt aus der Tasche. Sein karrikiertes Gesicht schaute ihm entgegen und darunter ein Spottvers auf Herrn Doktor Eisenbart.
»Du hast es weit gebracht, Lothar, man muß sich ja schämen, mit dir gesehen zu werden. Es wird wohl am besten sein, wenn du deine Wunderkuren an dir selbst vornimmst, denn in der medizinischen Welt bist du unmöglich geworden.«
Einen Augenblick starrte er sie an, dann sank er vor ihr nieder. »Sprich nicht so, Wanda. Du bist der einzige Mensch, den ich noch habe. Sei gut zu mir und treibe mich nicht zum Aeußersten.«
»Ist das der berühmte Mann, der alle Autoritäten verlachte,« höhnte Wanda. »Wärst du bei Professor Gervinus geblieben, stünde es besser um dich. Der hat wenigstens nur einen um die Ecke gebracht, aber du darfst schon einen ganzen Kirchhof als deine Heldentat nennen. Ja, du bist ein kluger Herr! Aber Wanda Scholz hat nicht Lust ihr Leben an der Seite eines solchen Mannes zuzubringen. Du hast mich zu unehrlichen Handlungen verleitet, ich habe für dich den Schreibtisch deines Schwagers geöffnet, nun stelle ich meine Forderungen.«
Schwankend hielt sich Lothar aufrecht. Er hörte ihre höhnenden Worte und begriff, daß auch sie sich von ihm abkehrte. Er hatte sie zwar nie geliebt, aber trotzdem hätten ihm jetzt einige freundliche Worte wohl getan.
»Meinst du,« fuhr Wanda fort, »ich würde so wahnsinnig sein, dich jetzt noch zu heiraten. Schon damals, als dir im sträflichen Leichtsinn der erste Versuch mißglückte, hätte ich die Oeffentlichkeit auf dein schmähliches Tun aufmerksam machen müssen. Du weißt, ich habe tiefen Einblick in deine Machenschaften. Ich halte es jetzt aber für meine Pflicht, alles öffentlich zur Kenntnis zu bringen. Nur um den Preis, daß du mich für alle Zeiten sicherstellst, will ich schweigen.«
Nur ein Aufstöhnen war die Antwort. Da trat Wanda dicht vor ihn hin. »Ich weiß, du bist nicht mittellos. Deine ruhmvolle Tätigkeit hat dir ein Vermögen eingebracht. Gib mir zwanzigtausend Mark und ich werbe für alle Zeiten schweigen.«
Da lachte Doktor Krenkow gellend auf. »Du willst mich jemals geliebt haben? Geh' fort, zeige mich an, verdirb mich! Mache mit mir was du willst, aber geh' – geh'!«
»Du meinst, ich ließe mich so einfach abspeisen? Nein, mein Freund, ich verlange jetzt von dir sichergestellt zu werden.«
In rasender Hast schloß er den Schreibtisch auf und warf ihr eine Tasche mit Banknoten vor die Füße. »Nimm das, elende Dirne, aber befreie mich von deiner Gegenwart!«
Gelassen hob Wanda die Brieftasche auf und zählte den Inhalt durch. »Was soll ich mit diesen paar lumpigen Scheinen? Reize mich nicht, Lothar, gib mir, was mir zukommt.«
Nochmals griff er in das Fach des Schreibtisches und während Wanda sich über die Scheine neigte, um sie wieder in die Brieftasche zu stecken, entsicherten die zuckenden Hände Lothars die Waffe, dann knallte ein Schuß. Mit einem Aufschrei brach Wanda zusammen.
Lothar aber verharrte regungslos auf seinem Platze und schaute mit starrem Antlitz auf die am Boden Liegende, die leise röchelte. Der Diener eilte herbei und kam gerade noch zurecht, um seinem Herrn die Waffe, die jener gegen sich selbst richtete, aus der Hand zu reißen. Stumm und apathisch ließ Doktor Krenkow es zu, daß sein Diener die Verwundete vom Boden aufhob und vorsichtig auf den Diwan legte. Er wehrte auch nicht, als das Dienstmädchen nach einem Arzt geschickt wurde, er saß stieren Auges vor seinem Schreibtische und rührte sich nicht.
Telephonisch wurde Eva herbeigerufen. Der Diener bat, sie möge sofort kommen, der Herr Doktor verlange nach ihr. Aber es war wohl doch etwas in dieser Aufforderung, das Eva in Bangigkeit versetzte, denn sie bat Gertraude um deren Begleitung. So fuhren beide Frauen zu Doktor Krenkow. Als sie in seiner Wohnung ankamen, war der herbeigerufene Arzt bereits um Wanda bemüht, er hatte sofort die Ueberführung in ein Krankenhaus angeordnet, denn, obwohl noch Leben in der Verwundeten war, schien doch die Aussicht auf Erhaltung desselben zweifelhaft.
Flüsternd berichtete der Diener was hier vorgefallen. Mit einem entsetzten Aufschrei umschlang Eva den Bruder, der aber blieb regungslos auf dem Stuhle sitzen und murmelte nur unzusammenhängende Worte.
Evas Jammer war grenzenlos. Vergeblich versuchte sie den Bruder aus seiner Starrheit zu erwecken, aber es gelang ihr nicht. Da bat sie Gertraude, jene möge hier bleiben und auf den Bruder achten, damit ihm nichts geschehe. Sie selbst wußte sich keinen anderen Rat, als zu dem zu gehen, dessen gütige Worte einst auch für ihre Seele lindernder Balsam gewesen waren.
»Er wird kommen, Gertraude, ich weiß es. Lothar haßt ihn zwar, aber ich fühle es, nur Norbert kann hier helfen.«
Gertraude nickte nur und ließ Eva gehen. –
Gervinus befand sich in seinem Arbeitszimmer als ihm Eva gemeldet wurde. Eine freudige Erregung lief über sein Gesicht. So kam sie endlich, die er seit Wochen herzlich ersehnte. Er ging ihr entgegen, blieb ober betroffen stehen, als er ihr schmerzverzerrtes Antlitz erblickte.
Eva hatte sich vorgenommen, den Gatten in rührendem Flehen zu bitten, er möge mit ihr zu dem Bruder kommen. Sie wollte ihm alles sagen. Aber jetzt, da sie den Gatten erblickte, aus dessen Zügen sich deutlich die schweren seelischen Kämpfe eingeprägt hatten, fand sie die rechten Worte nicht. Sie streckte ihm nur hilfesuchend die Hände entgegen.
»Eva, du bist endlich zu mir gekommen. Hab' Dank, daß du zurückfandest.«
Sie lag an seiner Brust, von seinen starken Armen umfangen und schloß beglückt die Augen. Dann aber erinnerte sie sich wieder ihrer Aufgabe, und in fliegender Hast berichtete sie von den schrecklichen Vorgängen.
»Komm mit, Norbert. Du bist der einzige, der hier helfen kann. Sei gut, sei edel, vergiß, was dir mein Bruder angetan hat. Er ist ja doch mein Bruder, den ich lieb habe.«
»Gern komme ich mit dir, Eva, ich will nur wünschen, daß dich deine Hoffnungen nicht trügen. Du weißt, Lothar haßt mich. Er will es nicht glauben, daß ich ihn auch heute noch, nach allem was vorgefallen ist, wie einen Sohn liebe.«
»Komm,« drängte Eva, »ich ängstige mich um Lothar.«
Noch einmal schloß Gervinus sein Weib in die Arme. »Du bittest für den Bruder und hast noch kein liebes Wort für mich gehabt. Wenn es uns gelingt, Lothar wieder auf den rechten Weg zu bringen, was wirst du dann tun?«
Sie schaute ihm tief in die Augen. »In der Zeit der Trennung habe ich erkennen müssen, daß sich mein Herz irrte, als ich glaubte, nur mit Eppendorf glücklich werden zu können. Ich habe längst jenes Gefühl empfunden, das man Liebe nennt und mein ganzes Herz gehört dir, Norbert! Auch ich bin gleich Lothar auf Irrwegen gewandelt, aber wenn du jetzt deine starke Hand mir zum Geleit gibst, so werde ich den rechten Weg nicht mehr verlieren.«
»Eva,« stammelte Gervinus hingerissen, »wie machst du mich glücklich!«
»Wenn du mich in alter Liebe an dein Herz nehmen willst; wenn du die Verirrte an deiner Seite dulden willst, werde ich dir das mein Leben lang danken. Heute aber ist es nicht jene Dankbarkeit, die uns schon die Mutter lehrte, heute treibt mich tiefe Liebe zu dir.«
Er küßte ihr in inniger Zärtlichkeit Stirn und Augen. Dann mahnte er selbst zum Aufbruch.
Eva fand den Bruder wie sie ihn verlassen hatte. Gertraude ging den Ankommenden mit traurigem Kopfschütteln entgegen. Es war ihr nicht gelungen, den jungen Arzt aus seinem dumpfen Brüten zu erwecken.
Eva weinte leise vor sich hin und klammerte sich nur noch fester an den Gatten. Der aber löste sich jetzt ganz von ihr. schritt zu Lothar hin und legte ihm schwer die Hand auf die Schulter.
»Lothar!«
Der rührte sich nicht.
Da nahm Gervinus seine schlaff herabhängende Hand und legte sie in die seine. »Du nanntest mich deinen Feind, du glaubtest nie an meine herzliche Liebe zu dir. Die Welt hat dich fallen lassen, Lothar. Du hast dich hinreißen lassen zu schwerer Schuld, bist an dem Abgrunde hin und her getaumelt und stehst jetzt vor dem Augenblicke, daß du ganz hineinstürzest. Das sollst du nicht, Lothar! Du sollst endlich erkennen, daß ich dich lieb habe und es gut mit dir meine.«
Krenkow schlug die Augen auf und schaute den Schwager an. Ganz allmählich kam ihm das Erinnern, wer hier vor ihm stand. Langsam erhob er sich. Da legte ihm Gervinus den Arm um die Schulter.
»In der Stunde deiner großen seelischen Not, in der Stunde, da ich deine Schwester neu gewonnen habe, biete ich dir nochmals meine Freundschaft, meinen Rat, meine Hilfe an. Stoße mich nicht wieder zurück, Lothar! Der Aeltere bittet den Jüngeren. Laß jetzt allen Trotz, laß alles begraben sein, was zwischen uns steht. Fühle doch endlich, daß ich hier in väterlicher Liebe erneut um dich werbe.«
Da brach es wie ein Schrei aus der Brust des jungen Arztes: »Ich bin ein Ausgestoßener, ich bin zum Mörder geworden!«
»Ein Strauchelnder bist du, Lothar, der, wenn er jetzt noch Energie besitzt, nach der Hand greifen muß, die sich ihm helfend entgegenstreckt: so kam ich denn her und verspreche dir, dich zu halten, nur habe endlich Vertrauen.«
Lothar preßte die Zähne zusammen. Ein dumpfes Aufstöhnen kam aus seiner Brust. Wie erwachend schaute er um sich und sah Eva. Da stürzte er auf sie zu:
»Schwester, was habe ich getan! Ich bin ein Elender!«
Sie nahm ihn an der Hand und führte ihn dem Gatten zu. »Wenn einer helfen kann, so kann er es. Habe Mut, er meint es ja so gut mit dir.«
Wieder schaute Lothar den Schwager an. Erst war es ein scheuer Blick, in dem sich noch deutlich das innere Widerstreben spiegelte. Aber als Gervinus fest und ruhig den Blick aushielt, da schlug Lothar die Hände vor das Angesicht und wandte sich ab.
»Ich fühle es, Ihr meint es gut mit mir, aber ich darf Eure Hilfe nicht annehmen. Ihr wißt ja garnicht, was ich Euch alles antat.«
»Was du mir antatest, Lothar, ist für mich vergessen, ist längst vergeben.«
»Nein, nein, sprich nicht so. Du weißt ja noch nicht, wie tief ich sank. Ich ließ durch andere Anzeige gegen dich erstatten. Hier,« seine Hände wühlten in den Papieren seines Schreibtisches, dann schleuderte er einige Blätter auf den Tisch: »Hier liegen die Papiere, die aus deinem Schreibtische entwendet wurden. Ich bin ein Hehler und jetzt ein Mörder!«
»Ich wußte längst darum,« gab Gervinus in ruhiger Würde zurück. »Du wolltest mich verderben, aber ich stand fester als du, und der Sturm, der über mich hinwegbrauste, konnte mich nicht zerbrechen. Du selbst bist an den Abgrund getaumelt und das tut mir weh.«
»Laßt mich, ich bin verloren,« stöhnte er auf.
»Nein, ich lasse dich jetzt nicht mehr, Lothar. Auch heute noch glaube ich an das Gute in dir. Wie könnte das auch anders sein? Deine Mutter war gut und deine Schwester ist es immer gewesen. Ich glaube an dich, Lothar, und darum lasse ich dich nicht fallen.«
»Mich kann niemand mehr retten,« stöhnte Krenkow auf.
»Zeige daß du stark bist, trage alles wie ein echter Mann. Es kommt die Stunde, daß du, wenn du deine Schuld gebüßt hast, ein neues Leben beginnen kannst. Hier meine Hand, Lothar, nimm sie und versprich mir, von jetzt an mein Freund zu sein.«
Da ergriff Lothar die ausgestreckte Rechte des Schwagers, drückte seine Lippen darauf, aber nur bebende Laute lösten sich aus seinem Munde, sprechen konnte er nicht.
Gervinus aber zog ihn an seine Brust und hielt ihn lange umschlungen.
* * *
Trotz aller Bemühungen war es Professor Gervinus nicht gelungen, Lothar vor dem Gefängnis zu bewahren. Wanda Scholz war ihren Verwundungen erlegen und fast am gleichen Tage war auch ihr Vater von einem Schlaganfalle betroffen worden. Der durch den Trunk geschwächte Körper konnte sich nicht mehr erholen und an einem Sonntag Nachmittag bettete man den alten Mann stillschweigend in die Erde. Die Verhandlungen wirbelten natürlich vielen Staub auf. Jetzt hagelten die Anklagen auf Doktor Krenkow hernieder. Man ging sogar so weit, ihn direkt von Jugend an zum Verbrecher zu stempeln und suchte allerhand hervor, um ihn unmöglich zu machen. Jeder wußte etwas Schlechtes; keiner hatte eine Entschuldigung für den Gefallenen. Der Fall Krenkow war zur Sensation geworden.
Nur einer war da, der stand in diesem brausenden Meer wie ein Fels. Das war Professor Gervinus. Er versuchte mit ruhiger Güte die Schwächen Lothars zu entschuldigen, er verteidigte den jungen Stürmer mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln und äußerte offen, daß es schmählich sei, einen Unglücklichen mit Steinen zu bewerfen. Er suchte sogar den Prinzen auf und stellte in zahlreichen Audienzen dem königlichen Hause die Lage Krenkows vor, und wenn man anfänglich sehr zurückhaltend war, gelang es Gervinus doch, einige einflußreiche Persönlichkeiten für Lothar zu interessieren. Seine ganze Arbeitskraft setzte er ein, um den jungen Schwager zu retten. Unermüdlich war er tätig und als endlich die Verhandlungen begannen, wich er nicht aus dem Gerichtssaale. Er wandte kein Auge von Lothar, der blaß aber gefaßt auf der Anklagebank saß und nicht einmal zusammenzuckte, als das Urteil verkündet wurde: zwei Jahre Gefängnis.
Ehe man ihn abführte, gestattete man Professor Gervinus, den Verurteilten noch einen Augenblick zu sprechen. Vor allen Zeugen zog der Professor den Unglücklichen an seine Brust.
»Habe nur Mut, Lothar, du wirst an mir immer einen Freund haben.«
Eva war völlig gebrochen. Erst allmählich gelang es dem Gatten, sie seinen Trostesworten zugänglich zu machen, und da auch Gertraude redlich dabei half, begann sie wieder zuversichtlicher in die Zukunft zu blicken.
Da der königliche Hof auf Gervinus unermüdliche Bitten hin für Krenkow eintrat, erfolgte schon nach einem Jahre die Begnadigung.
Ein ganz anderer verließ die Gefängnismauern; Lothar war ein ernster und stiller Mann geworden, der nur rasch die Hand über die Augen legte, als er bei seiner Entlassung im Zimmer des Direktors seinen Schwager erblickte, der ihn mit aufleuchtenden Augen anschaute.
Während der nächsten Tage blieb Lothar bei seinem Schwager. Man sprach eingehend über die Zukunft. Nochmals bauschten die Blätter den Fall Krenkow auf, dann starb das Interesse dafür.
Lothar trug sich mit der Absicht nach Afrika in die Kolonien zu gehen, um dort Gutes zu tun. Gervinus dagegen stellte Lothar vor, ob es nicht besser sei, in der Heimat zu bleiben. Er könne bei seinen Arbeiten einen wackeren Helfer brauchen.
Aber Lothar schüttelte müde den Kopf. »Halte mich nicht für undankbar, Norbert. Aber ich bin nicht groß genug, um alles zu ertragen. Das muß ich erst lernen. Ich bin nicht du. Jede Stunde würde mir hier zur Pein werden. Darum laß' mich ziehen. Fürchte nicht, daß ich wieder vom rechten Wege abkomme. Ich sehe dich als leuchtendes Vorbild. Du wirst auch in der Ferne mein Führer sein, denn du bist stark und gut.«
Gervinus legte ihm die Hand auf die Schulter. »Auch ich irrte einst im Nebel umher, Lothar. Wer täte das nicht? Wir alle sind Menschen, die fehlen und irren. Aber in jedem von uns schlummert die Kraft, doch wieder den rechten Weg zu finden, den auch du von jetzt an gehen wirst. Es sei ferne von mir, dich zu halten. Willst du fort, so geleitet dich mein Segen und tausend gute Wünsche. Aber du wirst mir fehlen, Lothar, jetzt, da ich dich endlich gesunden habe, muß ich dich wieder lassen. Das schmerzt mich, aber tue wie du denkst, du wirst das Richtige finden.«
»Laß mich gehen,« bat er nochmals und sehnsüchtig schweiften seine Augen hinaus in die Ferne.
»So gehe und kehre mir wieder, wenn du glaubst, genügende Stärke und Kraft erlangt zu haben.« –
So zog er davon. Noch einmal hatten die Hände der beiden Männer fest ineinander gelegen.
»Ich komme wieder, Norbert, ich weiß es. Aber erst muß ich draußen erstarken.«
Eva weinte bitterlich und doch war in ihrem Herzen ein süßer Frieden, da sie wußte, der Bruder ging hinaus in die Welt, aufrecht und stolz, ging den rechten Weg, denn die schützenden Hände des Gatten führten ihn auch in fernen Landen.
Ende.