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4. Kapitel

Heiter wie immer kehrte Eva am Nachmittage heim. Sie hatte, wie sie freudestrahlend der Mutter berichtete, unterwegs einen Augenblick Hasso von Eppendorf gesprochen, und diese Begegnung goß immer eine Flut von Sonne in ihr Herz. Stürmisch umhalste sie die Mutter, nicht merkend, daß Frau Krenkow diese Liebkosungen mit banger Scheu abwehrte. Erst während des Essens fiel es Eva auf, wie gedrückt die Mutter war und besorgt forschte sie nach dem Grunde. Frau Krenkow lenkte das Gespräch aus Doktor Gervinus und dessen edle Güte. Dann wies sie Eva darauf hin, daß es nun endlich an der Zeit sei, ihm den gebührenden Dank zu geben, daß endlich die Stunde gekommen wäre, da es hieß, Opfer zu bringen. Eva begriff nicht, was die Mutter meinte. Erst auf ihre wiederholten Fragen rang es sich wie ein Verzweiflungsschrei aus Frau Krenkows Brust:

»Doktor Gervinus will dich heiraten, er bat mich um deine Hand und ich – sagte sie ihm zu.«

Eva schnellte vom Stuhl auf. Was sie längst gefürchtet hatte, das war jetzt rascher als sie geglaubt eingetreten. Entsetzt streckte sie die Hände aus.

»Ich weiß, daß wir Gervinus Dank schuldig sind, aber heiraten werde ich ihn nicht, denn mein Herz gehört einem anderen.«

Das hatte Frau Krenkow gefürchtet. Leise weinend erzählte sie der Tochter wie alles gekommen sei.

»Weiß er, daß ich Eppendorf liebe?« fragte Eva.

»Nein.«

»So werde ich es ihm sagen. Er ist edel und wird dann von selbst zurücktreten.«

Frau Krenkow meinte noch immer. »Wir lohnen ihm seine Güte schlecht. Er hat so viel an euch getan. Dir und deinem Bruder ebnete er die Wege.«

»Aber er kann jetzt nicht verlangen, daß ich mir mein Lebensglück zerstöre. Wenn er wirklich edel ist, muß er zurücktreten.«

Frau Krenkow schluchzte immer heftiger. Alle Beruhigungsversuche der Tochter nützten nichts. Die Mutter schalt die Kinder undankbar und erinnerte Eva schließlich an die vielen Versprechen, die ihr die Kinder und später die Heranwachsenden gegeben hatten, alles für Doktor Gervinus zu tun, um sich dankbar zu erweisen. Da wurde es Eva klar, daß ihr nichts anderes übrig bliebe, als ihr Lebensglück zu opfern und Eppendorf zu entsagen. Warum hatte Gervinus nicht vor Wochen schon diese Frage an sie gerichtet? Damals wäre sie ohne Kampf die Seine geworden, aus Dankbarkeit und Hochachtung. Aber jetzt erschien es ihr fast unmöglich, ihr Lebensglück zu opfern.

Noch war sie nicht zur Klarheit gelangt, da meldete das Mädchen Herrn Doktor Gervinus. Eva raffte sich auf mit dem Entschluß, dem Arzt alles zu gestehen.

Frau Krenkow war bereits anwesend, als Eva eintrat. Aufleuchtenden Blickes ging ihr Gervinus entgegen und drückte ihr die Hand.

»Du weißt, Eva, weshalb ich heute komme. Ich liebe dich und werde alles daran setzen, dich glücklich zu machen.«

Unter dem zwingenden Blick der Mutter duldete sie seine leidenschaftlichen Zärtlichkeiten, vergeblich bemüht, ihre Fassung zu behalten.

Frau Krenkow war jetzt völlig beruhigt. Sie hoffte, die Tochter würde zur Vernunft gekommen sein. So ließ sie die beiden denn bald allein. Aber kaum hatte sich die Tür hinter der Hinausgehenden geschlossen, da begann Eva:

»Ich weiß, daß Sie es gut mit mir meinen, ich schätze Sie hoch: ich weiß auch, daß Sie der Wohltäter unserer Familie sind. Wir alle sind Ihnen zum größten Danke verpflichtet, aber ich kann nicht so dankbar sein, wie ich es möchte.«

»Still, Eva, nichts mehr davon. Dein Jawort beglückt mich unsäglich.«

Sie errötete. »Zürnen Sie mir nicht, es ist so schwer ehrlich zu sein, aber Ihnen gegenüber darf ich jetzt nicht anders handeln. In grenzenloser Verehrung blicke ich zu Ihnen auf, aber Liebe kennt mein Herz nicht. Ich werde Sie daher nicht glücklich machen können.«

Gervinus riß sie an sich. »Ich werde dich die Liebe lehren, Eva.«

Sie schlug die Hände vor das Gesicht. Verzweiflungsvoll schrie sie auf: »Ich kenne die Liebe, Herr Doktor, denn mein Herz gehört einem anderen!«

Gervinus fuhr zusammen, seine Hände lösten sich von Eva. »Das heißt,« begann er finster, »du willst meinen Antrag zurückweisen?«

In stummem Flehen sah sie zu ihm auf. Gervinus packte rauh ihren Arm. »Ich lasse dich keinem anderen! Ich will dich besitzen. Ich werde dich zu zwingen wissen, mich zu lieben!«

Sie schauderte zusammen, aber noch leidenschaftlicher fuhr der Arzt fort: »Mein ganzes Leben war bisher nur der Arbeit gewidmet. Ich wollte euch beiden, die ich lieb habe, eine gesicherte Zukunft schaffen. Nur für euch raffte ich zusammen; mein Leben gab ich für euch hin und wenn ihr mich jetzt von euch stoßt, gehe ich zu Grunde. Lothar weist mich zurück, aber ich lasse nicht nach. Dich und ihn will ich mir gewinnen, sollte mein Leben auch nur ein einziges Ringen danach sein. Du, Eva, wirst mein Weib, und meine große Liebe wird dich vergessen machen, was du jetzt leidest.«

Eva fühlte, was in dem Manne vorging, sie sah an seinem zuckenden Gesicht, wie stark sein Gefühl für sie war. Ihr Widerstand brach zusammen, sie wußte, es gab kein Entrinnen, wollte sie nicht den Wohltäter der Familie zu Grunde richten.

Sie litt Höllenqualen, als dann später über ihren Kopf hinweg Gervinus mit der Mutter alles für die Zukunft besprach. Die Hochzeit sollte bald stattfinden, da der Verlobte nicht mehr länger auf sein Glück warten wollte. –

In später Abendstunde kam Lothar heim. Sein blasses Antlitz wurde noch um einen Schein bleicher, als er erfuhr, daß man hier die Verlobung seiner Schwester mit dem Vormund beging. Der Arzt streckte ihm die Hand entgegen.

»Hast du keinen Glückwunsch für mich, Lothar?«

Die Augen des jungen Mannes glitten hinüber zur Schwester. »Bin ich denn hier so fremd geworden, daß man kein Vertrauen mehr zu mir hat? Hast du, Eva, mir nicht erst vor wenigen Tagen von deiner Liebe zu einem anderen gesprochen? Sie, Herr Doktor, dürften kaum um diese Neigung wissen, sonst hätten Sie Eva nicht begehrt.«

Gervinus lächelte. »Meine Braut hat keine Geheimnisse vor mir. Jene kleine Episode ist erledigt.«

»Eine tiefe Zuneigung dürfen Sie nicht mit dem verächtlichen Wort Episode abtun. Aber über dich wundere ich mich, Mutter! Warum werde ich über die hiesigen Vorgänge so wenig unterrichtet?«

Wieder nahm Gervinus das Wort: »Weil du die Tagesstunden außerhalb des Hauses zubringst. Im übrigen ist an dieser Angelegenheit nichts mehr zu ändern. Wir haben nur noch den Termin der Hochzeit festzulegen.«

»Soweit sind wir noch nicht! Ich bitte Sie, Herr Doktor, mir eine Unterredung unter vier Augen zu gewähren.«

»Ich habe keine Geheimnisse vor meiner Braut, sprich hier, was du mir zu sagen hast.«

»Unter vier Augen bat ich,« gab Lothar zurück. »Warum soll ich der Schwester das Herz zerreißen.«

Da wandte sich Gervinus lächelnd an Frau Krenkow. »So lassen wir ihm den Willen. Komm, Lothar, wir gehen hinüber in dein Zimmer.«

Drüben angekommen nahm Gervinus ohne weiteres auf einem der einfachen Stühle Platz, während Lothar aufgeregt im Zimmer hin und her wanderte. In inniger Zärtlichkeit ruhten die Augen Norberts auf dem jungen Manne, sein ganzes Herz zog ihn zu ihm hin, der ihn doch immer wieder von sich stieß. Doktor Gervinus trug sich längst mit dem Gedanken, Lothar nach vollendetem Studium zu seinem Mitarbeiter und dereinstigen Nachfolger seiner Praxis zu machen. Krenkow blieb plötzlich vor dem Vormund stehen:

»Man impfte uns von klein auf ein, Ihnen dankbar zu sein. Wohltaten auf Wohltaten häuften Sie auf uns, die wir hinnahmen. Immer wieder mußten wir danken. Ihre Güte aber wurde ein Druck, der jetzt als eiserne Fessel auf mir lastet. Das Wort Dank ist wie ein Fluch an meinen Fuß geheftet. Es hindert mich, meine Kräfte frei zu entfalten! Ich weiß, ein Leben voller Arbeit vermag nicht gut zu machen, was Sie an uns taten, aber Sie dürfen nicht so weit gehen, ein Leben zu zerstören. Eva will aus dem Gefühl der Dankesschuld heraus die Ihre werden. Nun werden Sie sie wohl kaum noch zwingen, Sie zu heiraten, da Sie wissen, daß Eva Sie nicht liebt.«

»Sie wird mich lieben lernen. Auch ich bin ein Mensch, habe Anrecht auf Glück, nicht auf Dank! Ich will ernten, was ich säte. Eva wird mein Weib!«

Noch einmal brauste Lothar aus, aber der Arzt wehrte kurz ab. »Ich habe oft genug im Leben verzichten müssen, jetzt aber reiße ich das Glück an mich. Wenn das Dankgefühl in euch wirklich so tief ist, wie ihr immer betont, kann es euch nur willkommen sein, eurem Wohltäter, wie ihr mich nennt, ein Opfer zu bringen. Eva wird nicht unglücklich werden, das verspreche ich dir, Lothar.«

»Man nennt Sie edel,« bebte es von Lothars Lippen. »Seien Sie es wahrhaft und geben Sie meine Schwester wieder frei!«

»Du bist ein Schwärmer, Lothar. Eva soll es niemals bereuen. Und nun reiche mir deine Hand und heiße mich als deinen Schwager willkommen.«

Lothar rührte sich nicht. Mit Mühe bemeisterte er seine Erregung. »Wenn Sie auf Ihrem Entschlüsse beharren, kann ich nichts dagegen tun, aber ich weiß auch, daß mich alle Ihre erwiesenen Wohltaten nicht mehr so schwer drücken brauchen, denn sie belohnten sich überreichlich selbst.«

Norbert lachte kurz auf. »Man nimmt sich den Lohn, junger Freund, wenn man ihn nicht bekommt. Bei dir werde ich freilich niemals auf wahren Dank rechnen. Deine Worte sind leerer Schall. Beweise du mir durch die Tat, daß du wirklich dankbar bist.«

Dann drehte er ihm den Rücken und verließ das Zimmer.


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