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8. Kapitel

Nach einer Behandlung von vier Wochen, die Doktor Krenkow seinem hohen Patienten hatte zuteil werden lassen, erklärte er, daß eine Operation unbedingt notwendig sei. Der Leibarzt schüttelte entsetzt den Kopf und auch Gervinus, den jener herbeirief, war der Ansicht, daß ein derartiges Vorgehen, das etwas ganz Neues vorstellte, den Tod des Patienten zur Folge haben könnte. Gervinus sagte das ganz offen seinem Schwager. Aber jener war darüber so entrüstet, daß er kurzer Hand die Behandlung des Prinzen niederlegte. Wieder trat Gervinus an Stelle Krenkows, aber als jetzt der Prinz selbst diese Operation dringend wünschte, als alle Versuche der Aerzte und der Mitglieder des königlichen Hauses ihn von seinem Vorhaben abzubringen fehlschlugen, wurde abermals Doktor Krenkow herbeigeholt und nach dem ersten Besuch schon war der Tag der Operation festgesetzt.

Professor Gervinus war völlig verstört. Wie konnte Lothar es wagen, eine solche Operation vorzunehmen. Wenn sie mißlang, zerstörte sich jener seine ganze Laufbahn. Würde man ihn nicht wegen fahrlässiger Tötung vor das Gericht bringen? Und wie würde es Lothar tragen? Ob der Brausekopf wohl daran schon gedacht hatte? Es hielt ihn nicht mehr länger im Hause, er betrachtete es jetzt als seine Pflicht, den Schwager aufzusuchen.

Der Empfang war nicht gerade freundlich, aber Gervinus überhörte absichtlich die verletzende Begrüßung und ging geraden Weges auf sein Ziel los.

»Diese Operation ist Mord, Lothar. Wie kannst du so leichtsinnig mit einem Menschenleben spielen?«

Lothar verschränkte die Arme über der Brust und sah den Schwager verächtlich an. »Ich weiß sehr wohl, Herr Professor, was Sie heute zu mir führt. Diese Operation, die gelingen wird, wird der Welt schlagend beweisen, daß alle die Forschungen, die Professor Gervinus bisher betrieben hat, falsch waren. Dann wird diese Autorität gestürzt sein, und das ist es, was Sie erzittern läßt.«

Ein starker Zorn stieg in Gervinus empor. »Wie kannst du so zu mir reden, Lothar! Du weißt, mein Inneres kennt keinen Neid, wenn es dein Vorwärtskommen gilt. Du müßtest es fühlen, wie sehr ich dich auch heute noch lieb habe, und daß es einzig die Sorge um deine Zukunft ist, die mich heute zu dir führt. Glaubst du denn wirklich, daß ich gegen meine Ueberzeugung, nur um meinen kleinen Ruhm zu wahren, dir abraten könnte, den operativen Eingriff zu tun? Wie klein mußt du sein, Lothar, daß du mir eine solche Denkungsweise unterschiebst.«

Lothar warf den Kopf zurück. »Es wird sich ja zeigen, wie Sie sich nach gelungener Operation der Wissenschaft gegenüber verantworten werden.«

»Törichtes Kind! Bin ich denn der einzige, der nach dieser Richtung hin Forschungen angestellt hat? Weißt du denn nicht, daß du mit deinen Behauptungen fast allein stehst gegen ernste Männer mit reifen Erfahrungen. Du tust mir leid, Lothar, denn der Weg, den du gehst, führt zum Abgrunde.«

»Die Zukunft wird zeigen, auf wen dieser Abgrund wartet.«

»So bestehst du darauf, die Operation vorzunehmen?«

Unendlicher Hohn lag in Lothars Antwort: »Glauben Sie wirklich, daß mich Ihr Besuch von meinem Plane hätte abbringen können?«

Da verließ Professor Gervinus seinen jungen Schwager ohne Gruß. Er beschloß, noch einen letzten Versuch zu wagen, um Lothar von seinem Vorhaben abzubringen. Er erzählte Eva alles und sie suchte den Bruder auf. Aber jener gab seiner Schwester zum ersten Male harte Worte und verletzt verließ Eva die Wohnung des Bruders. Tags darauf traf allerdings von Lothar ein Brief an sie ein, in welchem er Eva in herzlichen Worten bat, ihm nicht zu zürnen. Er sähe in ihren Bitten nur Professor Gervinus, der sie so stark beeinflußte, daß sogar die eigene Schwester am Bruder zweifle. Er schrieb dann weiter, daß er deutlich die Absichten kenne, Gervinus wolle die Geschwister entfremden und schließlich bat er Eva auf das herzlichste, sie möge ihm ihre schwesterliche Zuneigung bewahren.

Eva verbarg diesen Brief sorgsam vor dem Gatten und heiße Wünsche stiegen zum Himmel auf, daß diese Operation gelingen möge.

So kam der Tag der Operation heran. Lothar Krenkows Hand zitterte nicht, als er den Patienten unter dem Messer hatte. Alle seelische Kraft nahm er zusammen – der Versuch mußte gelingen.

Die ganze medizinische Welt wartete in atemloser Spannung die nächsten Tage ab, und als man sah, daß der Erfolg mit dieser Operation Hand in Hand ging, war man sprachlos. Erst allmählich, dann immer rascher schwenkten die Angreifer Lothars mit fliegenden Fahnen in sein Lager über. Er war der Held des Tages, sein Name schwirrte von Mund zu Mund.

Gervinus aber saß in seinem Laboratorium und hatte den Kopf in den Armen vergraben. Er war irre an sich und an seinem Lebenswerk geworden. Er konnte sich, obwohl er ohne Neid war, an dieser gelungenen Operation nicht freuen. Wie war es möglich, daß sich alle Männer, die sich bisher mit der Tabesforschung eingehend befaßt hatten, so irren konnten? Spielte hier nicht nur ein wunderbarer Zufall mit, den man unter keinen Umständen verallgemeinern durfte? Was in diesem einen Falle gelungen war, durfte jetzt noch nicht als Norm aufgestellt werden. Wohl atmete auch er erleichtert auf, daß diese Operation glücklich verlaufen war, aber sein Herz blieb voller Sorge.

Mit neuem Eifer warf er sich in der kommenden Zeit auf seine Forschungen, die er unter dem Gesichtswinkel Krenkows vornahm. Er wollte Behauptung gegen Behauptung stellen, wollte völlig unbeeinflußt vorgehen. Aber immer wieder erschien es ihm nur als ein glücklicher Zufall, denn diese Operation blieb geradezu Wahnsinn. Es tat ihm weh, daß so viele ernste Forscher sich sogleich für Krenkow und seine neue Methode bekannten, und er sprach darüber oft mit Eva. Aber auch hier wurde ihm ein großer Schmerz zuteil, denn er bemerkte deutlich, daß auch Eva ganz auf der Seite des Bruders stand und daß sie sich an all den Lobeserhebungen, die über Lothar ergingen, förmlich berauschte.

Als Lothar sogar auf einem medizinischen Kongreß öffentlich Professor Gervinus mit höhnenden Redensarten angriff, zog es der Professor vor, in Zukunft den jungen Arzt zu meiden und ihn seinen Weg gehen zu lassen.

Aber Gervinus war nicht der einzige, der sich von Doktor Krenkow abwandte. Sogar die neuen Anhänger des jungen Gelehrten fühlten sich bald von der hochfahrenden Art und Weise des so schnell berühmt gewordenen Kollegen aufs tiefste verletzt. Erst zürnte man ihm, allmählich aber lachte man über ihn, weil er sich selbst für den Bahnbrecher hielt, für den Mann, von dem noch Hervorragendes zu erwarten sei.

Sogar bis in das Laboratorium des Professors Gervinus war der Streit – hie Gervinus, hie Krenkow – gedrungen. Bis hinab zu den Dienern wurde über diesen Fall gestritten. Gervinus wußte das wohl, aber es kümmerte ihn wenig. Die, die garnichts davon verstanden, diskutierten am meisten, und besonders Karl Scholz riß den Mund weit auf.

»Ich habe es euch ja immer gesagt, Kollegen,« begann er, sich auf einen Tisch in der Mitte des Laboratoriums stellend, »dieser Doktor Krenkow ist von dem Genie geküßt worden. Ich würde mich sofort unter sein Messer begeben, ich ließe mir, ohne mit der Wimper zu zucken, mein Rückenmark tropfenweise herausziehen. Ich habe ihn schon als Kind gekannt und sage euch heute, Kollegen, er ist ein Genie, er ist der kommende Mann.«

In demselben Augenblicke trat Professor Gervinus über die Schwelle. Er sah den heftig Gestikulierenden auf dem Tische stehen und rief ihn ärgerlich an. Scholz fiel vor Schreck fast von seiner Rednerbühne herab, Gervinus hielt ihm aber mit strengen Worten sein Verhalten vor.

»Ich habe Sie in den letzten acht Tagen dreimal bei derartigen Kindereien angetroffen. Ich verbiete mir ein für allemal ein solches Betragen. Bemerke ich noch einmal, daß Sie meine Leute von der Arbeit abhalten, so können Sie gehen.«

Scholz schwieg mit verkniffenem Gesicht, aber der Groll saß in seinem Innern, und als die Mittagspause herankam, beschloß er, seinen Aerger mit Alkohol hinunter zu spülen.

Als er sich am Nachmittage wieder im Laboratorium einfand, war er in rosigster Stimmung. Er lachte hell auf, als ihm ein Glas nach dem andern aus den Händen fiel und zerschlug.

»Es will heute anscheinend mit der Arbeit nicht recht gehen, es ist wohl das beste, ich mache eine kleine Pause.«

Kaum eine halbe Stunde später schnarchte Scholz in einem Nebenraume des Laboratoriums.

So fand ihn Professor Gervinus und zornig weckte er den Schläfer. »Was soll das, Scholz? Ist jetzt die Zeit zum Schlafen?«

»Sei doch friedlich, Brüderchen,« lallte der Mann und rieb sich erwachend die Augen. Aber Gervinus, der ohnehin erregt war, schalt heftig, und als jetzt Scholz torkelnd aufstand und kurz darauf in die zahllosen Flaschen und Gefäße fiel, da faßte den Professor die Empörung.

»Sie sind sofort entlassen, Scholz. Sie können gehen! Nicht einen Augenblick länger dulde ich Sie hier in meinen Räumen. Haben Sie mich verstanden?«

»Was,« lallte der Betrunkene, »ich entlassen? Nee, Freundchen, das geht nicht.«

Da faßte Gervinus den Mann am Arm, schüttelte ihn kräftig hin und her, schob ihn zur Tür hinaus, in den großen Nebenraum und rief einem anderen Diener zu, man möge Scholz seine Sachen geben, er sei entlassen.

Da fiel alle Schläfrigkeit von dem Angetrunkenen ab. »Was, entlassen,« tobte er, »ich habe meine ordentliche Kündigung zu bekommen und lasse mir so etwas von Ihnen nicht gefallen. Verstehen Sie?«

»Tun Sie was Sie wollen. Wir sind fertig miteinander.«

Professor Gervinus wollte davongehen. Da vertrat ihm Scholz den Weg. »Fertig sind wir noch lange nicht, Herr Professor. Sie haben wohl vergessen, daß ich den Fritz Krenkow gekannt habe. Der Fritz war mein Freund. Ich habe mit ihm gesprochen, ehe er damals zu Ihnen in die Klinik kam. Karl, hat er zu mir gesagt, soll ich es tun?«

»Machen Sie sofort, daß Sie raus kommen!« Wieder wandte sich Gervinus ab und abermals vertrat ihm Scholz den Weg.

»Soll ich wirklich gehen, Herr Professor? Sie wissen, ich habe den Fritz Krenkow gekannt, und ehe er in Ihre Klinik kam, hat er gesagt, so ein Arzt ist kein Hexenmeister und ein Leben ist schnell ausgelöscht. Es ist schon besser, Herr Professor, Sie behalten mich.«

Ohne noch ein Wort zu erwidern, schritt Gervinus zur Tür, öffnete sie, faßte dann Scholz am Arm und stieß ihn hinaus. »Sie sorgen mir dafür, Werner, daß dieser Mann mein Laboratorium nicht wieder betritt.«

Draußen vor der Tür aber stand Scholz und seine verschwommenen Augen bekamen einen stechenden Ausdruck.

»Das soll dir teuer zu stehen kommen, du Schuft! Ich weiß mehr als du glaubst. Wir wollen doch einmal sehen, was dein Frauchen dazu sagen wird, wenn es erfährt, daß der Herr Professor meinen lieben Freund Fritz zu Grunde gerichtet hat.« Dann schluchzte er laut auf und wankte davon.


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